L 11 AS 884/09 NZB

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 16 AS 141/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 884/09 NZB
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
erfolglose Nichtzulassungsbeschwerde; Notwendigkeit der geltendmachung von Verfahrensfehlern
I. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 09.11.2009 - S 16 AS 141/08 - wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.





Gründe:


I.

Streitig ist die Höhe der Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosen-
geld II - Alg II - ) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) beschränkt auf die Höhe der Unterkunftskosten für die Zeit vom 01.11.2007 bis 30.04.2008.

Der Kläger zahlt zusammen mit seiner Ehefrau, die eine ihren Bedarf übersteigende Altersrente erhält, für die gemeinsame Wohnung 473,00 EUR Kaltmiete. Er bezieht seit 04.04.2007 Alg II, wobei er auf die Notwendigkeit zur Senkung der Unterkunftskosten durch die Beklagte hingewiesen worden war.

Mit Bescheid vom 01.10.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.02.2008 bewilligte die Beklagte für die Zeit vom 01.11.2007 bis 30.04.2008 Alg II unter Berücksichtigung lediglich der für einen Zweipersonenhaushalt für angemessen gehaltenen Kaltmiete (278,77 EUR für zwei Personen).

Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben. Es gäbe an seinem Wohnort keine günstigere Wohnung, ein Umzug sei ihm nicht zumutbar. Er und seine Ehefrau seien nicht in der Lage, Treppen zu steigen. Günstigerer und zumutbarer Wohnraum finde sich aber allenfalls in Dachgeschossen. Die derzeitige Miete habe sich durch Investitionen in Wärmedämmung erhöht und bei der Wohnungsgröße sei der Balkon mit eingerechnet worden.

Im Erörterungstermin vom 05.03.2009 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt und die Beklagte ist aufgefordert worden, weitere Unterlagen zur Berechnung der Mietobergrenze vorzulegen. Nach Wechsel des zuständigen Richters und Vorlage weiterer Unterlagen durch die Beklagte hat das SG ohne mündliche Verhandlung mit Urteil vom 09.11.2009 die Beklagte verurteilt, Alg II für die Zeit vom 01.11.2007 bis 30.04.2008 unter Berücksichtigung einer Kaltmiete von 316,55 EUR für zwei Personen zu zahlen. Die von der Beklagten festgelegte Mietobergrenze sei nicht schlüssig ermittelt worden. Aus den vom Kläger vorgelegten Aufstellungen ergebe sich ein durchschnittlicher Quadratmeterpreis von 4,87 EUR. Der Wohnungsmarkt am Wohnort der Kläger sei, wie sich aus den von diesen vorgelegten Unterlagen entnehmen lasse, nicht verschlossen, wobei sich in den Aufstellungen auch zumutbare Wohnungen fänden. Im Übrigen hat - soweit höhere Unterkunftskosten durch den Kläger geltend gemacht werden - das SG die Klage abgewiesen. Die Berufung hat es nicht zugelassen.

Zur Begründung der dagegen zum Bayer. Landessozialgericht eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde hat der Kläger vorgetragen, das SG habe ein Überraschungsurteil erlassen. Medizinische Befunde seien nicht gewürdigt worden und er hätte weitere Wohnungsgesuche bzw -bewerbungen vorlegen können. Die vorgenommene Wärmedämmung und die hieraus resultierende Mieterhöhung der jetzigen Wohnung habe das SG ebenso wenig berücksichtigt wie das seit langem bestehende Mietverhältnis. Der beim SG erfolgte Richterwechsel sei nicht mitgeteilt worden. Im Übrigen sei die Berufungsumme bei einer tatsächlichen Kaltmiete in Höhe von 473,00 EUR mtl. gegenüber der von der Beklagten für angemessen gehaltenen Kaltmiete in Höhe von 278,77 EUR bezogen auf 12 Monate erreicht.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erst und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß § 145 Abs 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, sachlich aber nicht begründet. Es gibt keinen Grund, die gemäß § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG wegen des Wertes des Beschwerde-
gegenstandes ausgeschlossene Berufung zuzulassen. Der Berufungsstreitwert von 750,00 EUR wird unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kaltmiete (473,00 EUR) gegenüber der aufgrund des Urteils zu zahlenden Kaltmiete in Höhe von 316,00 EUR für den streitgegenständlichen Zeitraum von 6 Monaten nicht erreicht. Dabei hat der Kläger als alleiniger Bezieher von Alg II lediglich Anspruch auf den hälftigen Betrag. So dass die Berufungssumme nicht erreicht wird, auch wenn das SG nicht auf eine konkrete Antragsstellung hingewirkt hat. Auch sind nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen (§ 144 Abs 1 Satz 2 SGG).

Nach § 144 Abs 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtsache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr 3).

Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn die Streitsache eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage abstrakter Art aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern, wobei ein Individualinteresse nicht genügt (Leitherer in Meyer-Ladwig/Keller/ Leitherer, SGG, 9.Aufl, § 144 Rdnr 28). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, die sich nach der Gesetzeslage und dem Stand der Rechtsprechung und Literatur nicht ohne Weiteres beantworten lässt. Nicht klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn die Antwort auf sie so gut wie unbestritten ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr.17) oder praktisch von vornherein außer Zweifel steht (BSG SozR 1500 § 160a Nr.4).

Eine grundsätzliche Bedeutung bzw. Abweichung von der Rechtsprechung oberer Gerichte wird vom Kläger nicht geltend gemacht. Anhaltspunkte hierfür sind auch nicht zu finden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Festlegung der angemessenen Unterkunftskosten für den Kläger um eine Einzelfallentscheidung handelt, bei der die konkreten Umstände und die besondere Situation des Klägers (z.B. gesundheitliche Einschränkungen) zu berücksichtigen sind. Im Übrigen ist die Rechtsfrage der Festlegung der Mietobergrenze bereits durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts geklärt. Eine bewusste Abweichung des SG von der Rechtsprechung des BSG ist auch nicht zu erkennen. Vielmehr hat das SG die Festlegung der Mietobergrenze durch die Beklagte für nicht schlüssig angesehen und den angemessenen Quadratmeter-Preis versucht, selbst festzulegen. Dass dem SG dabei Fehler bei der Rechtsanwendung (zB qm-Preis ohne kalte Nebenkosten, Auswertung allein des vom Kläger vorgelegten Zahlenmaterials etc) im Einzelfall unterlaufen sind, kann hier dahinstehen, denn Voraussetzung für die Zulassung der Berufung wegen Abweichung von der obergerichtlichen Rechtsprechung ist ein Widerspruch zu dieser Rechtsprechung im Grundsätzlichen (vgl. dazu u.a. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 160a Nr.15b, c). Dies ist hier aber nicht der Fall gewesen. Es handelt sich allenfalls um Subsumtionsfehler.

Der vom Kläger geltend gemachte Verfahrensfehler (Überraschungsurteil) ist nicht in der entsprechenden Form geltend gemacht worden. Es fehlt an der genauen Angabe der Tatsachen, die den Verfahrensfehler schlüssig ergeben. Diesbezüglich wird vom Kläger nur angegeben, medizinische Befunde seien nicht berücksichtigt worden und eine Nachfrage nach Vorlage weiterer Wohnungsgesuche sei vom SG nicht erfolgt. Zudem habe das SG die erfolgte Wärmedämmung nicht berücksichtigt und über den Richterwechsel nicht informiert. Damit hat der Kläger als Verfahrensfehler die Verletzung der richterlichen Hinweispflicht wegen Erlass eines Überraschungsurteiles genannt. Er hat jedoch nicht ausgeführt, weshalb das Urteil nach dem Erörterungstermin und der Erteilung des Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung überraschend gewesen sein soll und weshalb weitere Unterlagen von ihm zu Wohnungsgesuchen hätten angefordert werden sollen. Die vorgelegten medizinischen Befunde - soweit diese überhaupt aussagekräftig sind - hat das SG im Rahmen der Prüfung der Zumutbarkeit - ob zutreffend oder nicht, hat im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde dahingestellt zu bleiben - berücksichtigt. Die erfolgte Wärmedämmung hat für die Frage der Mietobergrenze keine Bedeutung. Eine Pflicht zur Information über einen Richterwechsel besteht nicht. Welche Verfahrensvorschrift das SG hierbei verletzt haben soll, wird vom Kläger auch nicht dargestellt. Insbesondere fehlt es hier bereits an einer Darlegung, ob es evtl. infolge des Richterwechsels zu einem Wechsel einer evtl. in einem Erörterungstermin geäußerten Rechtsansicht der damals zuständigen Richterin kam.

Die Verletzung des rechtlichen Gehörs durch eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach Einreichen neuer Unterlagen durch das SG hat der Kläger nicht als Verfahrensfehler gerügt.

Nach alledem war die Beschwerde mit der Folge zurückzuweisen, dass das Urteil des SG gemäß § 145 Abs.4 Satz 4 SGG rechtskräftig ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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