Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 6 KR 5043/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 952/08
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Beitragspflicht geschuldeten aber nicht gezahlten Tariflohns - Phantomlohn
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 7. Februar 2007 sowie der Bescheid der Beklagten vom 4. Februar 2002 und der Teilabhilfebescheid vom 19.04.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juni 2002 insoweit aufgehoben, als dort Gesamtsozialversicherungsbeiträge für die Beigeladene zu 10) nachgefordert werden.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung zu 9/10 und die Beklagte zu 1/10.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig sind Beitragsnachforderungen aufgrund einer Betriebsprüfung.
1.
Die Klägerin ist ein in A-Stadt ansässiges Busunternehmen, das auch Schulbusfahrten durchführt. Aus Anlass von Ermittlungen wegen Schwarzarbeit mehrerer Busfahrer führte die Beklagte in Auswertung der Strafverfahrensakten eine Betriebsprüfung für den Zeitraum 01.01.1998 bis 31.12.2000 durch. Mit Bescheid vom 19.04.2002 forderte sie Gesamtsozialversicherungsbeiträge einschließlich Säumniszuschläge in Höhe von
23.742,35 EUR nach. Die Beitragsnachforderungen begründeten sich zum einen auf die - hier nicht streitige - illegale Beschäftigung von Busfahrern und zum anderen aus der beitragsrechtlichen Behandlung der Vergütung der Beigeladenen zu 8) bis 11). Diese waren im Prüfzeitraum als Begleiterinnen tätig gewesen bei Busfahrten behinderter Schüler. Die Klägerin hatte aus dem Stundenentgelt von 10,00 DM der Beigeladenen zu 8) bis 11) nur pauschale Beiträge wegen geringfügiger Entlohnung abgeführt. Die Beklagte hielt dagegen das gezahlte Entgelt für beitragsrechtlich nicht maßgeblich, weil nach dem einschlägigen für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrag für das Omnibusgewerbe in Bayern ein Anspruch auf eine Stundenvergütung nach der niedrigsten Lohngruppe der gewerblichen Arbeitnehmer bestanden hätte und zwar in Höhe von 17,13 DM ab 01.08.1996 sowie in Höhe von 17,73 DM ab 01.11.1998. Zudem wäre die Klägerin nach dem Tarifvertrag zur Zahlung einer Sonderzuwendung verpflichtet gewesen. Beitragsrechtlich sei nicht das gezahlte, sondern das geschuldete Entgelt relevant. In der Folge seien für die Beigeladenen zu 8) bis 11) keine geringfügig entlohnten Beschäftigungen mehr anzunehmen, sondern es habe volle Beitragspflicht bestanden. Die entsprechenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge seien anhand der Aufzeichnungen und Abrechnungen für die Beigeladenen zu 8), zu 9) und zu 11) nachzufordern, während wegen mangelnder Aufzeichnungen und Unterlagen für die Beigeladene zu 10) ein Summenbescheid zu ergehen habe. Das anschließende Widerspruchsverfahren blieb im Wesentlichen erfolglos (Teilabhilfebescheid vom 19.04.2002, Widerspruchsbescheid vom 13.06.2002).
2.
Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Bayreuth erhoben und Bescheidaufhebung beantragt. Die Beklagte sei nicht berechtigt, Beiträge aus einem nicht gezahlten Lohn nachzufordern. Die Beigeladenen zu 8) bis 11) seien als Schulbus-Begleiterinnen für die Behindertenfahrten ins Heilpädagogische Zentrum der C./B-Stadt eingesetzt gewesen und hätten dafür 10,00 DM/Stunden erhalten entsprechend dem staatlichen Kostensatz für Schulbusbegleiter. Die Beigeladenen zu 8) bis 11) seien während der Fahrten damit betraut gewesen, die behinderten Fahrgäste zu beaufsichtigen und zu beruhigen, so dass keine vom Lohntarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer für das Omnibusgewerbe in Bayern erfasste oder dorthin zuordenbare Tätigkeit vorgelegen habe.
Mit Urteil vom 07.02.2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Für die beitragsrechtliche Behandlung sei nicht der Stundenlohn maßgeblich, der den beigeladenen Busbegleiterinnen tatsächlich gezahlt worden sei, sondern derjenige, auf den nach dem Tarifvertrag Anspruch bestanden hätte. Die rechtswirksam für allgemein verbindlich erklärten Lohntarifverträge für das Omnibusgewerbe in Bayern seien auf die beigeladenen Busbegleiterinnen räumlich und fachlich anzuwenden. Diese unterfielen auch dem persönlichen Geltungsbereich, weil die Beaufsichtigung von behinderten Kindern während Schulbusfahrten eine gewerbliche Tätigkeit sei. Zwar sei die Busbegleitung in den tariflichen Lohngruppendefinitionen nicht eigens aufgeführt, jedoch handele es sich um eine unbewusste Tariflücke, die ausgefüllt werden müsse. Dabei ergebe sich, dass die Zuordnung der Tätigkeit der beigeladenen Busbegleiterinnen zur untersten Entgeltgruppe nicht zu beanstanden sei. Auch eine vom 21.01.2004 datierende Protokollerklärung zum Tarifvertrag führe zu keinem anderen Ergebnis.
3.
Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und wiederholend darauf hingewiesen, dass der vom Sozialgericht und von der Beklagten angewandte Tarifvertrag nicht einschlägig für die Tätigkeit der Beigeladenen zu 8) bis 11) sei. Diese seien keine gewerblichen Arbeitnehmerinnen. Bereits die Benennung von typischen Arbeitnehmergruppen wie Wagenwäscher, Reinigungspersonal und handwerkliches Hilfspersonal zeige, dass dieser Bereich nicht die Beaufsichtigungs- und Betreuungstätigkeit einer Busbegleitung erfassen könne. Zwar sei die tarifliche Listung der Lohngruppen nicht abschließend, aber Mitarbeiter, welche keinen anerkannten Beruf oder Ausbildungsberuf ausübten, seien nicht dem Tarifvertrag zuzuordnen. Im Übrigen habe bei Abschluss der Lohntarifverträge ein Regelungsbedürfnis für die Tätigkeit der Busbegleiterin bestanden, die Tarifparteien hätten diese jedoch nicht in die Lohngruppierungen aufgenommen. Dieses Vorgehen spreche dafür, dass die Tätigkeit der Beigeladenen zu 8) bis 11) nicht dem Tarifvertrag zu unterwerfen seien. Schließlich müsse Beachtung finden, dass die staatlichen Zuschüsse für Schulbusbegleiter einen Entgeltrahmen vorgäben, der aber durch die unterste Tarifentlohnung bereits weit gesprengt sei. Auch dies sei ein Indiz für die fehlende Anwendbarkeit des Tarifvertrages.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 07.02.2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 04.02.2002 und den Teilabhilfebescheid vom 19.04.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.06.2002 insoweit aufzuheben, als dort Gesamtversicherungsbeiträge und Umlagen für die Beschäftigung der Beigeladenen zu 8) bis 11) geltend gemacht werden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Leistungsakten der Beigeladenen zu 7) für die Beigeladene
zu 10). Darauf sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG), aber im Wesentlichen unbegründet.
Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 04.02.2002, der Teilabhilfebescheid vom 19.04.2002, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.06.2002 nur noch insoweit, als dort Beiträge und Umlagen für die Beigeladenen zu 8) bis 11) nachgefordert werden. Nicht mehr streitig sind Beitragsnachforderungen für die Beschäftigung von Busfahrern, weil die entsprechenden Verfahren für erledigt erklärt bzw. abgetrennt und einer nichtstreitigen Erledigung zugeführt wurden.
1.
Soweit die von § 28p SGB IV getragene Entscheidung der Beklagten noch streitig ist, wird in Übernahme der Feststellungen und der Entscheidungsgründe des Sozialgerichts Bayreuth klargestellt, dass auch nicht gezahltes Arbeitsentgelt der Beitragspflicht unterliegt, wenn der Arbeitgeber dieses Entgelt auf Grund (Tarif-)Vertrages schuldet. Dieser Grundsatz hat sich in der Zeit nach Erlass des streitigen Bescheides/ Widerspruchsbescheides zur ständigen Rechtsprechung entwickelt (vgl. BSG Urteile vom 14.07.2004 - B 12 KR 7/03 R, B 12 KR 34/03 R und B 12 KR. 7/04 R) und ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. Beschluss der Zweiten Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11. 09. 2008, 1 BvR 2007/05).
Im Beitragsrecht des Sozialgesetzbuches gilt grundsätzlich das sogenannte Entstehungsprinzip und - anders als im Steuerrecht - nicht das Zuflussprinzip. Das ergibt sich aus dem System des Beitragsrechts sowie aus dem Wortlaut des § 23 SGB IV ("geschuldete" Leistungen). Sozialversicherungsbeiträge sind also gemäß § 14 SGB IV i.V.m. § 1 Arbeitsentgeltverordnung grundsätzlich nicht nur für tatsächlich gezahltes, sondern auch für geschuldetes Arbeitsentgelt zu entrichten. Dies gilt auch bei tarifvertraglich geschuldetem Arbeitsentgelt, insbesondere bei Leistungen, die aufgrund eines nach § 5 Tarifvertragsgesetz (TVG) für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrages erbracht werden müssen. Die Beitragspflicht entsteht selbst dann, wenn sich die Arbeitsvertragsparteien über die Rechtspflichten nicht im Klaren sind, oder wenn ihnen der allgemeinverbindliche Tarifvertrag unbekannt ist. Die Beitragspflicht bleibt unberührt von fehlender Durchsetzbarkeit der Tarifentlohnung etwa aufgrund von Ausschlussklauseln, Verjährung oder Verzicht durch den Arbeitnehmer. Insoweit vertritt selbst der Bundesgerichtshof im Rahmen der Strafbarkeit wegen Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen gemäß § 266a StGB das Entstehungsprinzip und sieht ein Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen schon dann als erfüllt an, wenn die unabhängig von der tatsächlichen Zahlung des Lohns fällig gewordenen Beiträge nicht abgeführt worden sind (BGH, NJW 2002, 2480). Auch der Bundesfinanzhof hält für die Beurteilung, ob eine entgeltgeringfügige Beschäftigung vorliegt oder ob die Grenze der Geringfügigkeit überschritten ist, das sozialrechtliche Entstehungsprinzip für maßgeblich (BFH, Urteil vom 29.05.2008 - VI R 57/05).
2.
In Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass die Beklagte zu Recht für die Beigeladenen zu 8), zu 9) und zu 11) Sozialversicherungsbeiträge, Umlagen und Säumniszuschläge (§ 24 SGB IV) nachgefordert hat unter Zugrundelegung des tariflich geschuldeten Entgelts von 17,13 DM für die bis 30.10.1998 und in Höhe von 17,73 DM für die Zeit ab 01.11.1998. Insoweit war die Klägerin ebenso wie die beigeladenen Busbegleiterinnen an die beiden für allgemein verbindlich erklärten Lohntarifverträge für das Omnibusgewerbe in Bayern gebunden. Insoweit wird auf die zutreffenden Feststellungen und Ausführungen des Sozialgerichts Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen, § 153 Abs. 2 SGG.
Ergänzend ist in Bezug auf das Berufungsvorbringen der Klägerin noch folgendes auszuführen. Die beigeladenen Busbegleiterinnen waren auch deshalb dem persönlichen Geltungsbereich des Lohntarifvertrages zuzuordnen, weil die Klägerin selbst in ihrer Meldung für die Abführung der Pauschalen gemäß § 8 SGB IV diese nach dem Meldeschlüssel der Datenerfassungs- und -übermittlungsverordnung (DÜV) als gewerbliche Arbeitnehmer ausgewiesen hatte. Nach den eigenen Angaben der Klägerin hatte die Aufgabe der Busbegleiterinnen darin bestanden, den behinderten Schülern beim Ein- und Aussteigen behilflich zu sein, für einen harmonischen Ablauf der Fahrt zu sorgen, mit den Kindern zu sprechen und sie so davon abzuhalten, Fahrtunterbrechungen notwendig zu machen. Sie hatten somit Begleitungs- und Überwachungsfunktion. Im Notfall bestand ihre Aufgabe darin, Hilfe zu holen. Sie hatten dafür zu sorgen, dass der Fahrer nicht von seiner Fahrtätigkeit abgelenkt wird durch Zwischenfälle oder plötzlich auftretende Betreuungsbedürfnisse der Behinderten. Es handelt sich jeweils um Tätigkeitsmerkmale, die wegen der Überwachungsfunktion einer gewerblichen Tätigkeit entsprechen. Bewachungs- und Überwachungstätigkeiten, die die wesentlichen Teile der Tätigkeit der beigeladenen Busbegleiterinnen ausgemacht hatten, sind ohne weiteres dem gewerblichen Bereich zuzuordnen. Anhaltspunkte dafür, dass die Busbegleiterinnen in Anwendung der Grundsätze aus der bis 31.12.2004 gültigen Fassung des § 133 Abs 2 SGB VI eher dem klassischen Angestelltenbereich mit überwiegend geistiger Tätigkeit zuzuordnen wären, vergleichbar mit Abrechnungs- und Buchhaltungstätigkeiten, sind nicht ersichtlich. Diese Zuordnung widerspricht entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht den in der Rechtsprechung des BAG entwickelten Auslegungsregeln (vgl. BAG, Urteil vom 25.02.2009 - 4 AZR 41/08). Danach ist der objektivierte Wille der Tarifparteien maßgeblich, die es aber bei der Aufzählung nur weniger der untersten Lohngruppe zuzuordnenden Tätigkeiten belassen haben, sodass dorthin auch die Busbegleitung einzugruppieren ist.
Hiervon ausgehend hat die Beklagte für die Beigeladenen zu 8), 9) und 11) anhand der Aufzeichnungen der Klägerin in Auswertung der dokumentierten Zeiten und Tätigkeiten die entsprechenden Beitragsnachforderungen aus dem tariflich geschuldeten Entgelt auch der Höhe nach zutreffend errechnet. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin unverschuldet die zutreffende Beitragsabführung unterlassen hat, sind nicht ersichtlich, so dass die Säumniszuschläge nachgefordert werden durften, § 24 Abs 2 SGB IV. Deren Höhe ist auch zutreffend errechnet.
3.
Die Berufung hat allerdings insoweit Erfolg, als die Klägerin Beiträge und Umlagen für die Beigeladene zu 10) im Rahmen eines Summenbescheides geltend gemacht hat.
Die Voraussetzungen eines Summenbescheides sind nach den im gerichtlichen Verfahren gewonnenen Erkenntnissen nicht erfüllt (§ 28f Abs. 2 SGB IV). Aus den beigezogenen Leistungsakten der Beigeladenen zu 7) ergibt sich, dass die Beigeladene zu 10) im Betriebsprüfungszeitraum Leistungen nach dem SGB III bezogen hatte. In den Akten der Beigeladenen zu 7) sind für den streitigen Zeitraum die entsprechenden Bescheinigungen der Klägerin als Arbeitgeberin vorhanden. Diese Nebentätigkeits- und Nebeneinkommens-Bescheinigungen belegen, dass die Beigeladene zu 10) an maximal 10 Tagen/Monat tätig gewesen ist und ab Ende 1998 nicht mehr für die Klägerin, sondern in einer Nebentätigkeit als Küchenhilfe gearbeitet hat. In Auswertung der in den Beklagtenakten vorhandenen Ermittlungsergebnisse ist nicht zu unterstellen, dass die Klägerin durch Ausstellung falscher Urkunden gegenüber der Arbeitsverwaltung für die Beigeladene zu 10) beim Erschleichen von Sozialleistungen Beihilfe geleistet hätte. Eine entsprechende Handlungstendenz ist nicht erkennbar. Das Ermittlungsverfahren gegen den Betriebsinhaber der Klägerin wegen Schwarzarbeit ist abzugrenzen von einem Ausstellen unzutreffender Urkunden zwecks Beihilfe zum Sozialleistungsbetrug. Im Ergebnis ist damit nachgewiesen, dass für die Beigeladene zu 10) selbst bei Zahlung des Tariflohns die Grenze der Entgeltgeringfügigkeit gemäß § 8 Abs. 1 SGB IV nicht überschritten worden wäre. Die Beklagte war damit nicht berechtigt, Gesamtsozialversicherungsbeiträge wie geschehen nachzufordern. In der Folge ist der streitige Bescheid hinsichtlich der Nachforderungen für die Beigeladene zu 10) aufzuheben.
Die Berufung hat somit zu einem Teil Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Gründe zur Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich, § 160 Abs. 2 SGG.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung zu 9/10 und die Beklagte zu 1/10.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig sind Beitragsnachforderungen aufgrund einer Betriebsprüfung.
1.
Die Klägerin ist ein in A-Stadt ansässiges Busunternehmen, das auch Schulbusfahrten durchführt. Aus Anlass von Ermittlungen wegen Schwarzarbeit mehrerer Busfahrer führte die Beklagte in Auswertung der Strafverfahrensakten eine Betriebsprüfung für den Zeitraum 01.01.1998 bis 31.12.2000 durch. Mit Bescheid vom 19.04.2002 forderte sie Gesamtsozialversicherungsbeiträge einschließlich Säumniszuschläge in Höhe von
23.742,35 EUR nach. Die Beitragsnachforderungen begründeten sich zum einen auf die - hier nicht streitige - illegale Beschäftigung von Busfahrern und zum anderen aus der beitragsrechtlichen Behandlung der Vergütung der Beigeladenen zu 8) bis 11). Diese waren im Prüfzeitraum als Begleiterinnen tätig gewesen bei Busfahrten behinderter Schüler. Die Klägerin hatte aus dem Stundenentgelt von 10,00 DM der Beigeladenen zu 8) bis 11) nur pauschale Beiträge wegen geringfügiger Entlohnung abgeführt. Die Beklagte hielt dagegen das gezahlte Entgelt für beitragsrechtlich nicht maßgeblich, weil nach dem einschlägigen für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrag für das Omnibusgewerbe in Bayern ein Anspruch auf eine Stundenvergütung nach der niedrigsten Lohngruppe der gewerblichen Arbeitnehmer bestanden hätte und zwar in Höhe von 17,13 DM ab 01.08.1996 sowie in Höhe von 17,73 DM ab 01.11.1998. Zudem wäre die Klägerin nach dem Tarifvertrag zur Zahlung einer Sonderzuwendung verpflichtet gewesen. Beitragsrechtlich sei nicht das gezahlte, sondern das geschuldete Entgelt relevant. In der Folge seien für die Beigeladenen zu 8) bis 11) keine geringfügig entlohnten Beschäftigungen mehr anzunehmen, sondern es habe volle Beitragspflicht bestanden. Die entsprechenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge seien anhand der Aufzeichnungen und Abrechnungen für die Beigeladenen zu 8), zu 9) und zu 11) nachzufordern, während wegen mangelnder Aufzeichnungen und Unterlagen für die Beigeladene zu 10) ein Summenbescheid zu ergehen habe. Das anschließende Widerspruchsverfahren blieb im Wesentlichen erfolglos (Teilabhilfebescheid vom 19.04.2002, Widerspruchsbescheid vom 13.06.2002).
2.
Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Bayreuth erhoben und Bescheidaufhebung beantragt. Die Beklagte sei nicht berechtigt, Beiträge aus einem nicht gezahlten Lohn nachzufordern. Die Beigeladenen zu 8) bis 11) seien als Schulbus-Begleiterinnen für die Behindertenfahrten ins Heilpädagogische Zentrum der C./B-Stadt eingesetzt gewesen und hätten dafür 10,00 DM/Stunden erhalten entsprechend dem staatlichen Kostensatz für Schulbusbegleiter. Die Beigeladenen zu 8) bis 11) seien während der Fahrten damit betraut gewesen, die behinderten Fahrgäste zu beaufsichtigen und zu beruhigen, so dass keine vom Lohntarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer für das Omnibusgewerbe in Bayern erfasste oder dorthin zuordenbare Tätigkeit vorgelegen habe.
Mit Urteil vom 07.02.2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Für die beitragsrechtliche Behandlung sei nicht der Stundenlohn maßgeblich, der den beigeladenen Busbegleiterinnen tatsächlich gezahlt worden sei, sondern derjenige, auf den nach dem Tarifvertrag Anspruch bestanden hätte. Die rechtswirksam für allgemein verbindlich erklärten Lohntarifverträge für das Omnibusgewerbe in Bayern seien auf die beigeladenen Busbegleiterinnen räumlich und fachlich anzuwenden. Diese unterfielen auch dem persönlichen Geltungsbereich, weil die Beaufsichtigung von behinderten Kindern während Schulbusfahrten eine gewerbliche Tätigkeit sei. Zwar sei die Busbegleitung in den tariflichen Lohngruppendefinitionen nicht eigens aufgeführt, jedoch handele es sich um eine unbewusste Tariflücke, die ausgefüllt werden müsse. Dabei ergebe sich, dass die Zuordnung der Tätigkeit der beigeladenen Busbegleiterinnen zur untersten Entgeltgruppe nicht zu beanstanden sei. Auch eine vom 21.01.2004 datierende Protokollerklärung zum Tarifvertrag führe zu keinem anderen Ergebnis.
3.
Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und wiederholend darauf hingewiesen, dass der vom Sozialgericht und von der Beklagten angewandte Tarifvertrag nicht einschlägig für die Tätigkeit der Beigeladenen zu 8) bis 11) sei. Diese seien keine gewerblichen Arbeitnehmerinnen. Bereits die Benennung von typischen Arbeitnehmergruppen wie Wagenwäscher, Reinigungspersonal und handwerkliches Hilfspersonal zeige, dass dieser Bereich nicht die Beaufsichtigungs- und Betreuungstätigkeit einer Busbegleitung erfassen könne. Zwar sei die tarifliche Listung der Lohngruppen nicht abschließend, aber Mitarbeiter, welche keinen anerkannten Beruf oder Ausbildungsberuf ausübten, seien nicht dem Tarifvertrag zuzuordnen. Im Übrigen habe bei Abschluss der Lohntarifverträge ein Regelungsbedürfnis für die Tätigkeit der Busbegleiterin bestanden, die Tarifparteien hätten diese jedoch nicht in die Lohngruppierungen aufgenommen. Dieses Vorgehen spreche dafür, dass die Tätigkeit der Beigeladenen zu 8) bis 11) nicht dem Tarifvertrag zu unterwerfen seien. Schließlich müsse Beachtung finden, dass die staatlichen Zuschüsse für Schulbusbegleiter einen Entgeltrahmen vorgäben, der aber durch die unterste Tarifentlohnung bereits weit gesprengt sei. Auch dies sei ein Indiz für die fehlende Anwendbarkeit des Tarifvertrages.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 07.02.2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 04.02.2002 und den Teilabhilfebescheid vom 19.04.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.06.2002 insoweit aufzuheben, als dort Gesamtversicherungsbeiträge und Umlagen für die Beschäftigung der Beigeladenen zu 8) bis 11) geltend gemacht werden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Leistungsakten der Beigeladenen zu 7) für die Beigeladene
zu 10). Darauf sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG), aber im Wesentlichen unbegründet.
Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 04.02.2002, der Teilabhilfebescheid vom 19.04.2002, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.06.2002 nur noch insoweit, als dort Beiträge und Umlagen für die Beigeladenen zu 8) bis 11) nachgefordert werden. Nicht mehr streitig sind Beitragsnachforderungen für die Beschäftigung von Busfahrern, weil die entsprechenden Verfahren für erledigt erklärt bzw. abgetrennt und einer nichtstreitigen Erledigung zugeführt wurden.
1.
Soweit die von § 28p SGB IV getragene Entscheidung der Beklagten noch streitig ist, wird in Übernahme der Feststellungen und der Entscheidungsgründe des Sozialgerichts Bayreuth klargestellt, dass auch nicht gezahltes Arbeitsentgelt der Beitragspflicht unterliegt, wenn der Arbeitgeber dieses Entgelt auf Grund (Tarif-)Vertrages schuldet. Dieser Grundsatz hat sich in der Zeit nach Erlass des streitigen Bescheides/ Widerspruchsbescheides zur ständigen Rechtsprechung entwickelt (vgl. BSG Urteile vom 14.07.2004 - B 12 KR 7/03 R, B 12 KR 34/03 R und B 12 KR. 7/04 R) und ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. Beschluss der Zweiten Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11. 09. 2008, 1 BvR 2007/05).
Im Beitragsrecht des Sozialgesetzbuches gilt grundsätzlich das sogenannte Entstehungsprinzip und - anders als im Steuerrecht - nicht das Zuflussprinzip. Das ergibt sich aus dem System des Beitragsrechts sowie aus dem Wortlaut des § 23 SGB IV ("geschuldete" Leistungen). Sozialversicherungsbeiträge sind also gemäß § 14 SGB IV i.V.m. § 1 Arbeitsentgeltverordnung grundsätzlich nicht nur für tatsächlich gezahltes, sondern auch für geschuldetes Arbeitsentgelt zu entrichten. Dies gilt auch bei tarifvertraglich geschuldetem Arbeitsentgelt, insbesondere bei Leistungen, die aufgrund eines nach § 5 Tarifvertragsgesetz (TVG) für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrages erbracht werden müssen. Die Beitragspflicht entsteht selbst dann, wenn sich die Arbeitsvertragsparteien über die Rechtspflichten nicht im Klaren sind, oder wenn ihnen der allgemeinverbindliche Tarifvertrag unbekannt ist. Die Beitragspflicht bleibt unberührt von fehlender Durchsetzbarkeit der Tarifentlohnung etwa aufgrund von Ausschlussklauseln, Verjährung oder Verzicht durch den Arbeitnehmer. Insoweit vertritt selbst der Bundesgerichtshof im Rahmen der Strafbarkeit wegen Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen gemäß § 266a StGB das Entstehungsprinzip und sieht ein Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen schon dann als erfüllt an, wenn die unabhängig von der tatsächlichen Zahlung des Lohns fällig gewordenen Beiträge nicht abgeführt worden sind (BGH, NJW 2002, 2480). Auch der Bundesfinanzhof hält für die Beurteilung, ob eine entgeltgeringfügige Beschäftigung vorliegt oder ob die Grenze der Geringfügigkeit überschritten ist, das sozialrechtliche Entstehungsprinzip für maßgeblich (BFH, Urteil vom 29.05.2008 - VI R 57/05).
2.
In Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass die Beklagte zu Recht für die Beigeladenen zu 8), zu 9) und zu 11) Sozialversicherungsbeiträge, Umlagen und Säumniszuschläge (§ 24 SGB IV) nachgefordert hat unter Zugrundelegung des tariflich geschuldeten Entgelts von 17,13 DM für die bis 30.10.1998 und in Höhe von 17,73 DM für die Zeit ab 01.11.1998. Insoweit war die Klägerin ebenso wie die beigeladenen Busbegleiterinnen an die beiden für allgemein verbindlich erklärten Lohntarifverträge für das Omnibusgewerbe in Bayern gebunden. Insoweit wird auf die zutreffenden Feststellungen und Ausführungen des Sozialgerichts Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen, § 153 Abs. 2 SGG.
Ergänzend ist in Bezug auf das Berufungsvorbringen der Klägerin noch folgendes auszuführen. Die beigeladenen Busbegleiterinnen waren auch deshalb dem persönlichen Geltungsbereich des Lohntarifvertrages zuzuordnen, weil die Klägerin selbst in ihrer Meldung für die Abführung der Pauschalen gemäß § 8 SGB IV diese nach dem Meldeschlüssel der Datenerfassungs- und -übermittlungsverordnung (DÜV) als gewerbliche Arbeitnehmer ausgewiesen hatte. Nach den eigenen Angaben der Klägerin hatte die Aufgabe der Busbegleiterinnen darin bestanden, den behinderten Schülern beim Ein- und Aussteigen behilflich zu sein, für einen harmonischen Ablauf der Fahrt zu sorgen, mit den Kindern zu sprechen und sie so davon abzuhalten, Fahrtunterbrechungen notwendig zu machen. Sie hatten somit Begleitungs- und Überwachungsfunktion. Im Notfall bestand ihre Aufgabe darin, Hilfe zu holen. Sie hatten dafür zu sorgen, dass der Fahrer nicht von seiner Fahrtätigkeit abgelenkt wird durch Zwischenfälle oder plötzlich auftretende Betreuungsbedürfnisse der Behinderten. Es handelt sich jeweils um Tätigkeitsmerkmale, die wegen der Überwachungsfunktion einer gewerblichen Tätigkeit entsprechen. Bewachungs- und Überwachungstätigkeiten, die die wesentlichen Teile der Tätigkeit der beigeladenen Busbegleiterinnen ausgemacht hatten, sind ohne weiteres dem gewerblichen Bereich zuzuordnen. Anhaltspunkte dafür, dass die Busbegleiterinnen in Anwendung der Grundsätze aus der bis 31.12.2004 gültigen Fassung des § 133 Abs 2 SGB VI eher dem klassischen Angestelltenbereich mit überwiegend geistiger Tätigkeit zuzuordnen wären, vergleichbar mit Abrechnungs- und Buchhaltungstätigkeiten, sind nicht ersichtlich. Diese Zuordnung widerspricht entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht den in der Rechtsprechung des BAG entwickelten Auslegungsregeln (vgl. BAG, Urteil vom 25.02.2009 - 4 AZR 41/08). Danach ist der objektivierte Wille der Tarifparteien maßgeblich, die es aber bei der Aufzählung nur weniger der untersten Lohngruppe zuzuordnenden Tätigkeiten belassen haben, sodass dorthin auch die Busbegleitung einzugruppieren ist.
Hiervon ausgehend hat die Beklagte für die Beigeladenen zu 8), 9) und 11) anhand der Aufzeichnungen der Klägerin in Auswertung der dokumentierten Zeiten und Tätigkeiten die entsprechenden Beitragsnachforderungen aus dem tariflich geschuldeten Entgelt auch der Höhe nach zutreffend errechnet. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin unverschuldet die zutreffende Beitragsabführung unterlassen hat, sind nicht ersichtlich, so dass die Säumniszuschläge nachgefordert werden durften, § 24 Abs 2 SGB IV. Deren Höhe ist auch zutreffend errechnet.
3.
Die Berufung hat allerdings insoweit Erfolg, als die Klägerin Beiträge und Umlagen für die Beigeladene zu 10) im Rahmen eines Summenbescheides geltend gemacht hat.
Die Voraussetzungen eines Summenbescheides sind nach den im gerichtlichen Verfahren gewonnenen Erkenntnissen nicht erfüllt (§ 28f Abs. 2 SGB IV). Aus den beigezogenen Leistungsakten der Beigeladenen zu 7) ergibt sich, dass die Beigeladene zu 10) im Betriebsprüfungszeitraum Leistungen nach dem SGB III bezogen hatte. In den Akten der Beigeladenen zu 7) sind für den streitigen Zeitraum die entsprechenden Bescheinigungen der Klägerin als Arbeitgeberin vorhanden. Diese Nebentätigkeits- und Nebeneinkommens-Bescheinigungen belegen, dass die Beigeladene zu 10) an maximal 10 Tagen/Monat tätig gewesen ist und ab Ende 1998 nicht mehr für die Klägerin, sondern in einer Nebentätigkeit als Küchenhilfe gearbeitet hat. In Auswertung der in den Beklagtenakten vorhandenen Ermittlungsergebnisse ist nicht zu unterstellen, dass die Klägerin durch Ausstellung falscher Urkunden gegenüber der Arbeitsverwaltung für die Beigeladene zu 10) beim Erschleichen von Sozialleistungen Beihilfe geleistet hätte. Eine entsprechende Handlungstendenz ist nicht erkennbar. Das Ermittlungsverfahren gegen den Betriebsinhaber der Klägerin wegen Schwarzarbeit ist abzugrenzen von einem Ausstellen unzutreffender Urkunden zwecks Beihilfe zum Sozialleistungsbetrug. Im Ergebnis ist damit nachgewiesen, dass für die Beigeladene zu 10) selbst bei Zahlung des Tariflohns die Grenze der Entgeltgeringfügigkeit gemäß § 8 Abs. 1 SGB IV nicht überschritten worden wäre. Die Beklagte war damit nicht berechtigt, Gesamtsozialversicherungsbeiträge wie geschehen nachzufordern. In der Folge ist der streitige Bescheid hinsichtlich der Nachforderungen für die Beigeladene zu 10) aufzuheben.
Die Berufung hat somit zu einem Teil Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Gründe zur Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich, § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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