L 9 AL 403/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 13 AL 351/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AL 403/06
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Auch ein österreichischer Grenzgänger muss die Voraussetzungen der §§ 117 bis 119 SGB III erfüllen, insbesondere unter seiner Wohnanschrift gemäß § 119 Abs.3 Nr.3 SGB III i.V.m. § 1 Erreichbarkeitsanordnung postalisch erreichbar sein. Wer im Antrag auf Arbeitslosengeld einen Wohnort angibt, an dem er nie gewohnt hat, ist im Sinne der Erreichbarkeitsanordnung postalisch nicht erreichbar. Die Einrichtung eines Postfachs in der Bundesrepublik Deutschland, das dem deutschen Träger der Arbeitslosenversicherung nicht mitgeteilt wurde und auch nicht bekannt ist ändert hieran nichts. Auch in dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über die Arbeitslo¬senversicherung wurde von dieser Voraussetzung keine Befreiung für in Österreich wohnende österreichische Versicherte vereinbart.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom
24. August 2006 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte zu Recht die Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 1. November 2001 bis zum 14. Februar 2002 aufgehoben und das für diesen Zeitraum gezahlte Alg in Höhe von 4.323,64 Euro sowie die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 1.072,03 Euro zurückgefordert hat.

Der im Jahr 1959 geborene Kläger ist österreichischer Staatangehöriger und war in der Bundesrepublik Deutschland vom 04.09.1989 bis 30.09.2000 als Mechaniker - Vorarbeiter bei der Fa. E. GmbH in M. versicherungspflichtig beschäftigt. Vom 01.10.2000 bis zum 31.10.2001 arbeitete er als Mechaniker - Vorarbeiter bei der Fa. S. GmbH ebenfalls in M ...

Am 02.11.2001 meldete er sich arbeitslos. In seinem am 21.11.2001 bei der Beklagten eingegangenen Antrag auf Arbeitslosengeld vom 02.11.2001 gab er als Wohnort im Feld Nr.1 die Anschrift "J.Straße, W." an. Zudem bestätigte er, das Merkblatt 1 für Arbeitslose erhalten zu haben und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben. Die Beklagte bewilligte dem Kläger Alg ab dem 01.11.2001. Mit der Veränderungsmitteilung vom 11.02.2002 teilte der Kläger der Beklagten mit, er nehme ab dem 15.01.2002 eine Tätigkeit als Service-Monteur bei der Firma O. in B. auf in einem Umfang von voraussichtlich mehr als 15 Stunden wöchentlich. Weil der Kläger die Arbeitsaufnahme nicht rechzeitig gemeldet hatte, hob die Beklagte die Bewilligung von Alg ab dem 15.01.2002 auf, forderte das bis zum 31.02.2002 bezahlte Alg zurück und erließ gegenüber dem Kläger einen Bußgeldbescheid. In der Postzustellungsurkunde war vermerkt, der Kläger wohne nicht unter der angegebenen Anschrift in W ... Die Beklagte nahm Ermittlungen zum Wohnsitz des Klägers auf und stellte das Bußgeldverfahren ein.
In einem Vermerk hielt sie fest, laut Auskunft der Gemeinde W. sei der Kläger unter der Anschrift J.Straße W. gemeldet. Das Haus J.Straße werde von einer Familie D. bewohnt. Es könne sich laut Angaben der Gemeinde um eine fiktive Adresse handeln.

Die Ermittlungen der Beklagten bei der Gemeinde W., die Vernehmung des Klägers, eine Vorsprache beim Einwohnermeldeamt W., die Befragung des Inhabers des E.-Marktes in W., Herrn K., und die Befragung der Eigentümerin des Hauses J.Straße, Frau D., ergaben, dass der Kläger erstmals vom 18.11.1985 bis zum 01.08.1987 unter der Anschrift J.Straße gemeldet gewesen sei und sich 1987 nach A-Straße in A-Stadt abgemeldet habe. Er sei dann wieder ab dem 09.08.1989 unter dieser Anschrift bis derzeit gemeldet. Bei der J.Straße handelt es sich um das Haus der Familie D., in dem der Kläger nie gewohnt habe. Er habe keinen Briefkasten und auch keine Klingelanschrift gehabt. Der Ehemann der Frau D. habe dem Kläger die Erlaubnis gegeben, sich seine Post an die Anschrift J.Straße schicken zu lassen. Bei Posteingang hätten die Eheleute D. den Kläger telefonisch verständigt oder die Post zu den Verwandten des Klägers in W. gebracht. Zudem habe der Kläger ein Postfach in der E.-Filiale - K. in W. unterhalten.

Mit Schreiben vom 27.06.2002 führte die Beklagte eine Anhörung durch. Der Kläger habe in der Zeit vom 1. November 2001 bis zum 31. Dezember 2001 Alg in Höhe von 3.516,54 EUR und vom 1.Januar 2002 bis zum 14. Januar 2002 in Höhe von 807,10 EUR zu Unrecht bezogen. Er sei unter der von ihm benannten Anschrift - J.Straße in W. - nicht wohnhaft gewesen und habe keinen Wohnsitz dem Gesetz nach begründet. Sein Aufenthaltsort sei in Österreich, A-Straße gewesen. Zudem seien für ihn Beiträge zur Krankenversicherung für Zeit vom 1. November 2001 bis zum 31. Dezember 2001 in Höhe von 756,58 EUR und für die Zeit vom 1. Januar 2002 bis zum 14. Januar 2002 in Höhe von 178,92 EUR bezahlt worden. Beiträge zur Pflegeversicherung seien für Zeit vom 1. November 2001 bis zum 31. Dezember in Höhe von 89,44 EUR und für die Zeit vom 1. Januar 2002 bis zum 14. Januar 2002 in Höhe von 21,42 EUR entrichtet worden. Im Anhörungsverfahren trug der Kläger noch vor, er habe in der J.Straße bis Oktober 2000 gemeinsam mit einem Arbeitskollegen gewohnt. Die Postanschrift habe er anschließend beibehalten, um für deutsche Behörden jederzeit erreichbar zu sein. Das Postfach sei täglich geleert worden.

Mit Bescheid vom 31.10.2002 nahm die Beklagte den Bewilligungsbescheid über die Gewährung von Alg für die Zeit ab dem 01.11.2001 insgesamt zurück und verlangte vom Kläger zugleich, er solle das für diesen Zeitraum bereits ausgezahlte Alg in Höhe von 4.323,64 Euro erstatten. Die Höhe der zu erstattenden Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung wurde mit 1.072,03 Euro festgesetzt. Der Kläger sei unter der Anschrift "J.Straße,W." nicht wohnhaft gewesen. Sein ständiger Aufenthaltsort sei Österreich. Im Widerspruch vom 11.11.2002 trug der Kläger vor, er habe de Postanschrift beibehalten, um für deutsche Behörden jederzeit erreichbar zu sein. Das Postfach sei täglich geleert worden. Er habe in keiner Weise in trügerischer Absicht gehandelt, zumal er auch bei dem Hauptwohnsitz in Österreich Anspruch auf Erstattung von Alg gehabt hätte. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.01.2003 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Der Arbeitslose habe sicherzustellen, dass das Arbeitsamt ihn persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt unter der von ihm benannten Anschrift (Wohnung) durch Briefpost erreichen könne. Das sei beim Kläger nicht der Fall gewesen. Einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt, der diesen rechtlichen Anforderungen genügt, habe der Kläger dem Arbeitsamt bei der Antragstellung vom 02.11.2001 nicht benannt. Er sei daher nicht erreichbar gewesen und mithin im Rechtssinne nicht arbeitslos.

Hiergegen erhob der Kläger am 07.02.2003 Klage beim Sozialgericht Nürnberg (). In diesem Rechtsstreit schlossen die Beteiligten am 05.02.2004 einen Vergleich, in dem sich die Beklagte verpflichtete, erneut über den Anspruch des Klägers auf Alg ab dem 01.11.2001 nach dem Deutsch-Österreichischen Sozialversicherungsabkommen zu entscheiden. In der mündlichen Verhandlung erkannte die Beklagte die Grenzgängereigenschaft des Klägers an, nachdem der Kläger erklärt hatte, vom 01.10.2000 bis 31.10.2001 sei er bei der Fa. S. GmbH, L. in I. bei M. tätig gewesen. Er sei dorthin von A-Stadt am Montag früh gefahren, habe die Woche in M. verbracht, in einem Zimmer oberhalb der Werkstatt gelebt und sei am Freitag wieder nach Hause (A-Stadt) zurückgefahren.
In Ausführung des gerichtlichen Vergleichs stellte die Beklagte mit Überprüfungsbescheid vom 30.03.2004 fest, aufgrund falscher Angaben im Antrag auf Arbeitslosengeld vom 02.11.2001 bezüglich der Wohnanschrift habe Verfügbarkeit vorgelegen. Ein Anspruch auf Alg sei somit wegen fehlender Verfügbarkeit nicht gegeben gewesen. Im dagegen eingelegten Widerspruch vom 22.04.2004 trug der Prozessbevollmächtigte vor, die Postadresse des Klägers sei nicht falsch gewesen, weil die dort eingehende Post ständig überprüft worden sei. Der Kläger habe die Postanschrift in W. beibehalten, um in Deutschland auf dem Postweg besser erreichbar zu sein. Da außerdem eine Grenzgängereigenschaft anerkannt sei, liege eine Überzahlung nicht vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.07.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Bescheid vom 31.10.02 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.01.2003, der den Anspruch auf Alg ab 01.11.2001 für die Dauer der erfolgten Leistungszahlung wegen fehlender Verfügbarkeit des Widerspruchsführers für die Arbeitsvermittlung verneine, sei nicht rechtswidrig. Eine Verfügbarkeit des Klägers habe nicht vorgelegen.

Dagegen hat der Kläger am 17.08.2004 Klage beim Sozialgericht Landshut (SG) erhoben. Er habe seine Postanschrift ständig überprüft. Das Postfach sei täglich geleert worden. In ihrer Klageerwiderung vom 02.09.2004 hat die Beklagte auf den Widerspruchsbescheid Bezug genommen. Es sei unerheblich, dass der Kläger sein Postfach bei der E.-Filiale, das er offensichtlich zusätzlich zu der im Antrag angegeben Briefkastenanschrift eingerichtet habe, täglich geleert habe. Die Briefe seien nicht an dieses Postfach adressiert gewesen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat geltend gemacht, der Kläger sei unter der Anschrift auch wohnhaft, er habe die Anschrift bei seinem Auszug beibehalten, da der andere Wohnungsinhaber, ein langjähriger Arbeitskollege, dort verblieb, so dass von einer Erreichbarkeit ausgegangen werden konnte. Der Kläger habe auf die Bewilligung vertrauen können, da er aus seiner Sicht der Meldepflicht nachgekommen sei, ja sogar für eine Beschleunigung des Postweges gesorgt habe. In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Landshut am 24.08.2006 hat der Kläger erklärt, er habe zum Zeitpunkt der Antragstellung, also am 02.11.2001 nicht in der J.Straße gewohnt. Sein Wohnsitz zum Zeitpunkt der Antragstellung sei in A-Stadt in Österreich gewesen, dies sei ungefähr einen Kilometer entfernt.
Mit Urteil vom 24.08.2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld vom 01.11.2001 bis zum 14.01.2002, weil er nicht arbeitslos gewesen sei. Arbeitslos sei nur, wer für die der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehe. Da der Kläger nicht, wie von ihm angegeben, in der J.Straße gewohnt habe, sei er nicht erreichbar gewesen. Auch das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Österreich über die Arbeitslosenversicherung ändere hieran nichts. Auch wer Grenzgänger sei, müsse arbeitslos sein. Das sei der Kläger aber eben nicht gewesen. Wegen der falschen Angaben habe er damit auch keinen Anspruch nach dem Abkommen.

Mit der dagegen eingelegten Berufung vom 12. Dezember 2006 macht der Kläger geltend, bei der Meldeanschrift in Deutschland in der J.Straße in W. handele es sich um eine Meldeadresse, um in Deutschland schneller erreichbar zu sein. Hätte er richtige Angaben gemacht, nämlich seinen Hauptwohnsitz in A-Stadt benannt, so hätte er ebenfalls Anspruch auf Zahlung von Arbeitslosengeld gehabt, da die Voraussetzungen unstreitig erfüllt wären. Die Meldung des Wohnsitzes in Deutschland sei ja gerade deshalb erfolgt, um seine Erreichbarkeit zu erhöhen
In ihrer Erwiderung führt die Beklagte aus, unerheblich sei, dass dem Kläger auch bei Angabe seiner tatsächlichen Anschrift Alg zugestanden hätte. Er habe seinen tatsächlichen Wohnort in Österreich zu keinem Zeitpunkt angegeben.
Dem hält der Prozessbevollmächtigte des Klägers entgegen, der Kläger habe über einen langen Zeitraum Pflichtversicherungsleistungen erbracht. Auch mit dem in Österreich gemeldeten Wohnsitz habe er Anspruch auf die geleisteten Zahlungen. Er habe auf die Leistungen vertraut und sie verbraucht. Die Angaben seien auch nicht in wesentlicher Beziehung unrichtig gewesen, da die Ansprüche auch mit Wohnsitz in Österreich bestünden.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 24.08.2006 und die Bescheide der Beklagten vom 31.10.2002, 15.01.2003, 30.03.2004 und den Widerspruchsbescheid vom 15.07.2004 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und insgesamt zulässige Berufung (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist unbegründet.

Streitgegenstand sind der Überprüfungsbescheid vom 30.03.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.07.2004 betreffend den Bescheid vom 31.10.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.01.2003, mit dem die Beklagte die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 1. November 2001 bis zum 14. Februar 2002 aufgehoben und das für diesen Zeitraum gezahlten Alg in Höhe von 4.323,64 Euro sowie die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 1.072,03 Euro zurückgefordert hat.

Das SG hat die Klage zu Recht mit in vollem Umfang zutreffender Begründung abgewiesen. Die Bewilligung für das dem Kläger für die Zeit vom 1. November 2001 bis zum 14. Februar 2002 gewährte Arbeitslosengeld wurde durch die Beklagte auf der Grundlage der §§ 45 Abs.2, 50 Abs.1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zu Recht aufgehoben und der Kläger zur Erstattung der geleisteten Zahlungen herangezogen.

Nach § 45 Abs.1 SGB X darf ein begünstigender Verwaltungsakt, soweit er rechtswidrig ist, unter gewissen Voraussetzungen auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte insbesondere dann nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs.2 Satz 3 Nr. 2 SGB X).

Liegen die in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts vor, ist dieser auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, § 330 Abs.2 Sozialgesetzbuch III - SGB III -.

Die Voraussetzungen dieser Vorschriften liegen - wie das SG zutreffend begründet hat - vor. Mit dem SG ist festzustellen, dass der Bewilligungsbescheid vom 29.11.2001 von Anfang an rechtswidrig war. Der Kläger hatte keinen Anspruch auf Alg vom 01.11.2001 bis 14.02.2002, weil er bereits bei Antragstellung nicht arbeitslos im Sinne der §§ 117 Abs.1, 118 und 119 SGB III war.

Anspruch auf Alg haben Arbeitnehmer, die u.a. arbeitslos sind (§ 117 Abs.1 Nr.1 SGB III). Arbeitslos ist ein Arbeitnehmer, der u.a. vorübergehend in keinem Beschäftigungsverhältnis steht (§ 118 Abs.1 Nr.1 SGB III) und den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes zur Verfügung steht. Dazu muss er Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten können (§ 119 Abs.3 Nr.3 SGB III), wobei dies nach § 1 Abs. 1 Sätze 1 und 2 der Erreichbarkeitsanordnung (EAO) vom 23.10.1997 der Fall ist, wenn der Arbeitslose in der Lage ist, Mitteilungen des Arbeitsamts unverzüglich persönlich zur Kenntnis zu nehmen. Der Arbeitslose hat deshalb sicherzustellen, dass das Arbeitsamt ihn persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt unter der von ihm benannten Anschrift (Wohnung) durch Briefpost erreichen kann.

Insoweit war die Bewilligung von Arbeitslosengeld am 29.11.2001 von Anfang rechtswidrig im Sinn von § 45 SGB X, weil der Kläger niemals unter der von ihm benannten Wohnanschrift in W. gewohnt hat. Dies hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem SG nochmals bestätigt. Dies ist auch belegt durch die Aussage der Eigentümerin des Hauses in der J.Straße, die ausgeführt hat, der Kläger habe zu keinem Zeitpunkt dort gewohnt.

Der Kläger hat somit im Antrag vom 02.11.2001 falsche Angaben gemacht, die für die Bewilligung von Alg auch ursächlich gewesen sind (vgl. Bundessozialgericht - BSG - vom 1. August 1978, BSGE 47, 28 = SozR 4100 § 152 Nr.6). Die Beklagte ging davon aus, der Kläger wohne in W ... In Wirklichkeit wohnte der Kläger aber in A-Stadt (Österreich). Die Beklagte hätte den Verwaltungsakt vom 29.11.2004 nicht, nicht so bzw. nicht zu diesem Zeitpunkt erlassen, wenn sie gewusst hätte, dass der Kläger tatsächlich nicht in Deutschland wohnt. Sie hätte - wie das SG ausgeführt hat - unter Zugrundelegung des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Österreich über die Arbeitslosenversicherung vom 19.07.1978 zusätzlich prüfen müssen, ob dessen Voraussetzungen vorliegen.

Zwar gelten durch den Beitritt Österreichs zum Europäischen Wirtschaftsraum (zum 01.01.1994) bzw. zur Europäischen Union ( zum 01.01.1995) nach Ablauf von Übergangsfristen im Verhältnis zu Österreich für den Bereich der Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosenhilfe nur noch die Vorschriften der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 und Nr. 574/72. Es wurde aber unter anderem Art. 8 des Abkommens in den Anhang III zur Verordnung und in den Anhang 5 zur Durchführungsverordnung aufgenommen und gilt weiter (vgl. DA Österreich der Beklagten unter www.arbeitsagentur.de).

Der Senat stimmt dem SG zu, dass auch ein österreichischer Grenzgänger die Voraussetzungen der §§ 117 bis 119 SGB III erfüllen muss, also auch unter seiner Wohnanschrift gemäß § 119 Abs.3 Nr.3 i.V.m. § 1 EAO postalisch erreichbar sein muss. Es ist nicht ersichtlich, dass das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Österreich über die Arbeitslosenversicherung von dieser Voraussetzung eine Befreiung aussprechen wollte.

Die Bewilligung konnte daher gemäß § 45 Abs.2 Satz 3 Nr.2 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden, da der Kläger unrichtige Angaben gemacht hat. Er hat seine Angaben im Antrag auf Alg vom 02.11.2001 unter Nr.1, in der die Wohnanschrift mit J.Straße in W. vermerkt ist, ausdrücklich nochmals durch seine Unterschrift bestätigt.

Der Kläger hat diese Angaben, wenn nicht vorsätzlich, zumindest jedoch grob fahrlässig in unrichtiger Weise gemacht. Entscheidend für die Beurteilung der groben Fahrlässigkeit sind stets die besonderen Umstände des Einzelfalles und die individuellen Fähigkeiten des Betroffenen, d.h. seine Urteils- und Kritikfähigkeit, sein Einsichtsvermögen und im Übrigen auch sein Verhalten.

Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, nach der Rechtsprechung des BSG, wer schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (BSG vom 31. August 1976, BSGE 42, 184, 187 und BSG vom 11. Juni 1987, BSGE 62, 32, 35); dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff; BSG vom 31. Dezember 1972, BSGE 35, 108, 112; BSG vom 20 September 1977, BSGE 44, 264, 273). Ein Kennenmüssen ist dann zu bejahen, wenn der Versicherte die Rechtswidrigkeit ohne Mühe erkennen konnte (BVerwG vom 12. Juli 1972, BVerwGE 40, 212). Ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt, ist im Wesentlichen eine Frage der Würdigung des Einzelfalles, die dem Tatsachengericht obliegt (BSG vom 31. Oktober 1978, SozR 2200 § 1301 Nr. 7).

Ein grob fahrlässiges Unterlassen der für die Leistung maßgeblichen Mitteilung des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthalts im dargestellten Sinne ist unter Berücksichtigung der intellektuellen Fähigkeiten des Klägers und des tatsächlichen Geschehensablaufs, wie er sich nach dem Akteninhalt und den Einlassungen des Klägers selbst darstellt, gegeben.

Der Kläger hätte seine Verpflichtung zur Mitteilung seines richtigen Wohnsitzes ohne weiteres erkennen können. Insofern ist ausgehend von der Rechtsprechung des BSG zur Beurteilung der groben Fahrlässigkeit (vgl. BSG vom 8. Februar 2001, SozR 3-1300 § 45 Nr. 45) zunächst festzustellen, dass der Kläger bezüglich seiner Pflichten und Obliegenheiten als Arbeitsloser von der Beklagten ordnungsgemäß belehrt worden ist und dass er in seinem Antrag vom 2. November 2001 den Erhalt und die Kenntnisnahme des Merkblattes 1 für Arbeitslose unterschriftlich bestätigt hat.

Der Kläger hätte mit seinen Fähigkeiten ohne weiteres erkennen können, dass das "Zurkenntnisnehmen" der Hinweise des Merkblatts für seine Rechte und Pflichten im Sozialrechtsverhältnis mit der Beklagten von Relevanz ist. Die grundsätzliche intellektuelle Fähigkeit zum Erkennen von Meldepflichten wird insbesondere durch den von ihm ausgeübten Beruf eines Mechanikers - Vorarbeiters belegt. Der Senat ist aber auch aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Bildes von der Persönlichkeit des Klägers von seinen insoweit verfügbaren intellektuellen Fähigkeiten überzeugt.

Dass der Kläger rückblickend betrachtet einen Anspruch auf Alg hätte haben können, wenn er im Sinne des § 119 Abs.3 Nr.3 SGB III i.V.m. EAO verfügbar gewesen wäre und die Beklagte seine Grenzgängereigenschaft nach Art.8 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Österreich über die Arbeitslosenversicherung geprüft hätte stellt keinen Rechtfertigungsgrund für unrichtige Angaben im Bereich des § 45 SGB X dar.

Es ist mit dem SG für den Senat nicht ersichtlich, dass die klare Formulierung in Nr.1 des Antragsformulars (PLZ, Wohnort) möglicherweise falsch aufgefasst werden konnte. Zwischen Wohnort und Postfachdresse besteht ein grundlegender Unterschied, der jedem einleuchten muss.

Eine Ermessensentscheidung war von der Beklagten wegen § 330 Abs.2 SGB III nicht zu treffen.

Die Höhe des Erstattungsbetrags für die Zeit vom 01.11.2001 bis 14.01.2002 ist mit 4.323,64 Euro zutreffend berechnet worden. Rechtsgrundlage für diese Forderung ist § 50 Abs.1 Satz 1 SGB X. Die Erstattung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 1.072,03 Euro folgt aus § 335 Abs.1 SGB III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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