Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 17 R 1110/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 717/05
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zum Erstattungsanspruch unter Versicherungsträgern bei Leistungen der beruflichen Rehabilitation.
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts
Nürnberg vom 13.07.2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten, die für eine berufliche Rehabilitationsmaßnahme bei der Versicherten G. S. in Höhe von 14.427,42 EUR angefallen sind.
Die 1944 geborene Versicherte hat nach ihren Angaben keine Berufsausbildung durchlaufen. Sie war von 1962 an als Arbeiterin in verschiedenen Bereichen (angelernte Näherin, Maschinenarbeiterin) und zuletzt von 1970 bis 1995 als Montiererin in der Elektrobranche erwerbstätig. Seit 01.06.1995 bestand Arbeitslosigkeit.
Am 22.07.1996 beantragte die Versicherte beim Arbeitsamt M. Leistungen zur beruflichen Rehabilitation. Sie gab dabei an, von 1970 bis 1995 bei der Fa. R. als Montiererin beschäftigt gewesen zu sein. Am 23.07.1996 teilte die Klägerin der Beklagten schriftlich mit: "Ich halte Ihre Zuständigkeit für gegeben und bitte, über die Notwendigkeit der Durchführung von Rehabilitationsmaßnahmen zu entscheiden".
Am 26.08.1996 meldete die Klägerin die Versicherte S. zu einer praxisorientierten Reintegrationsmaßnahme (Anpassungs- und Trainingsmaßnahme) für die Zeit vom 28.10.1996 bis 25.07.1997 beim Institut für Beruf und Bildung in M. an. Die Bewilligung für die Durchführung dieser Maßnahme erfolgte durch die Klägerin mit Bescheid vom 11.11.1996 an die Versicherte.
Die Beklagte ließ die Versicherte am 17.10.1996 durch den Orthopäden Dr.D. untersuchen und begutachten. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass vom klinischen Aspekt her kein schwerwiegender Befund festzustellen sei. Radiologisch zeigten HWS und LWS altersentsprechende Befunde. Die Versicherte sei in der Lage, einer leichten, zeitlich begrenzt auch mittelschweren Frauenarbeit vollschichtig aus Wechselposition nachzukommen. Die Tätigkeit einer Montiererin aber auch andere unqualifizierte Arbeiten seien möglich. Für Umschulungsmaßnahmen bestehe orthopädischerseits keine Veranlassung. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 12.11.1996 gegenüber der Versicherten den Antrag auf Leistungen zur beruflichen Rehabilitation ab, da eine erhebliche Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht vorliege. Eine entsprechende Mitteilung erging am 21.11.1996 an die Klägerin.
In dem nachfolgenden Schriftverkehr vertrat die Klägerin die Auffassung, dass es sich bei der für die Versicherte durchgeführten Maßnahme sehr wohl um einen medizinisch begründeten Reha-Fall gehandelt habe; die Versicherte sei nicht mehr in der Lage gewesen, ihre zuletzt ausgeübte Berufstätigkeit weiterhin zu verrichten. Sie bezog sich dabei auf eine Begutachtung der Versicherten durch ihren ärztlichen Dienst - Dr.W. - am 14.06.1996.
Die Beklagte verblieb bei ihrer Auffassung, dass nach ihren ärztlichen Feststellungen eine erhebliche Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit der Versicherten nicht vorliege und auch nicht vorgelegen habe.
Am 18.12.2000 erhob die Klägerin Leistungsklage beim Sozialgericht Nürnberg (SG). Sie stützte den geltend gemachten Erstattungsanspruch auf § 102 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 6 Abs 2 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG). Die Beklagte vertrat die Auffassung, die Anspruchsvoraussetzungen des § 102 Abs 1 SGB X seien nicht erfüllt. Die Klägerin habe weder auf gesetzlicher Grundlage vorläufig Sozialleistungen erbracht noch sei die Beklagte der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger.
Mit Urteil vom 13.07.2005 hat das SG die Klage - gerichtet auf Erstattung von insgesamt DM 28.217,59 - abgewiesen. Der Klägerin stehe kein Erstattungsanspruch gegen die Beklagte zu. Ein Anspruch nach § 102 SGB X sei nicht gegeben, da das Arbeitsamt nicht aufgrund gesetzlicher Vorschriften eine vorläufige Leistung erbracht habe. Als Ermächtigung für die Erbringung vorläufiger Leistungen wäre § 6 Abs 2 RehaAnglG in Betracht gekommen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift seien jedoch nicht erfüllt. Bei Erlass des Bescheides vom 11.11.1996, mit dem der Versicherten die Teilnahme an dem Reintegrationsseminar bewilligt worden sei, habe es keine objektiven Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die unverzügliche Einleitung erforderlicher Reha-Maßnahmen gefährdet gewesen sei. Da die Voraussetzungen des § 6 Abs 2 RehaAnglG nicht erfüllt gewesen seien und bereits deshalb § 102 Abs 1 SGB X als Grundlage eines Erstattungsanspruches nicht in Betracht komme, könne dahinstehen, ob die Beklagte überhaupt der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger gewesen sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die am 07.10.2005 beim Bayer. Landessozialgericht eingegangene Berufung der Klägerin. Diese macht im Wesentlichen geltend, dass im Zeitpunkt der Bewilligung der beruflichen Reha-Maßnahme die Zuständigkeit des Leistungsträgers ungeklärt gewesen sei. Entgegen der Auffassung des Erstgerichts seien die Voraussetzungen des § 6 Abs 2 RehaAnglG gegeben.
Die Beklagte verblieb bei ihrer Auffassung, dass ein Fall der ungeklärten Zuständigkeit aus ihrer Sicht nicht vorgelegen habe. Die Klägerin habe aus dem Reha-Antrag erkennen können, dass die Versicherte bereits 25 Jahre lang als Montiererin gearbeitet hatte und dass sie - aus Sicht der Klägerin - diese Tätigkeit nicht weiterhin würde ausüben können. Daher habe die Klägerin der Beklagten mit Schreiben vom 23.07.1996 unter Übersendung des Reha-Antrags auch mitgeteilt: "Ich halte Ihre Zuständigkeit für gegeben". Damit seien auch die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruches gemäß § 102 SGB X nicht gegeben.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Nürnberg vom 13.07.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die für die berufliche Rehabilitation der Versicherten G. S. erbrachten Leistungen in Höhe von insgesamt 14.427,42 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Dem Senat haben die Verwaltungsakten der Klägerin wie auch der Beklagten und die Prozessakte des SG Nürnberg vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 SGG) und auch im Übrigen zulässig.
Das Rechtsmittel der Klägerin erweist sich als unbegründet, da diese keinen Anspruch auf Kostenerstattung gegen die Beklagte nach § 102 SGB X hat. Nach dieser Vorschrift besteht ein Anspruch eines vorläufig leistenden Sozialleistungsträgers auf Kostenerstattung gegen den eigentlich zur Leistung verpflichteten Leistungsträger, wenn dieser nicht bzw. nicht rechtzeitig die ihm obliegenden Leistungen erbringt. Der Erstattungsanspruch nach § 102 SGB X kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn eine vorläufige Leistungsgewährung vorliegt. Dies ist nur dann der Fall, wenn der angegangene Leistungsträger zwar zunächst nach den jeweiligen Vorschriften des materiellen Sozialrechts dem Berechtigten gegenüber zur Leistung verpflichtet ist, dabei aber entweder in Kenntnis von der Zuständigkeit eines anderen Leistungsträgers leistet oder sich noch erkennbar im Ungewissen darüber befindet, welcher andere Leistungsträger zuständig ist (vgl. BSG Urteil vom 28.03.1984 in SozR 1300 § 102 Nr 1; BSG Urteil vom 22.05.1985 in SozR 1300 § 104 Nr 7). Die vorläufige Leistungspflicht muss sich aufgrund gesetzlicher Regelung des Sozialleistungsrechts ergeben. Eine freiwillige Vorleistung begründet keinen Erstattungsanspruch nach § 102 SGB X.
Die Klägerin war nach dem im Antragszeitpunkt geltenden materiellen Recht nach § 57 AFG (in der bis 31.12.1997 geltenden Fassung) nur dann zur Gewährung berufsfördernder und ergänzender Leistungen zur Rehabilitation verpflichtet, wenn nicht ein anderer Rehabilitationsträger i.S. des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation - RehaAnglG - vom 07.08.1974 (BGBl I Seite 1881) zuständig war. Sofern ein anderer Reha-Träger zuständig war, hatte sie diesem die erforderlichen berufsfördernden Maßnahmen vorzuschlagen. Demgegenüber ist in §§ 9 ff SGB VI eine primäre Leistungszuständigkeit für Leistungen der beruflichen und medizinischen Rehabilitation für den Träger der gesetzlichen Rentenversicherung vorgesehen, wenn die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach §§ 10 und 11 SGB VI erfüllt sind. Für die Beurteilung im Rahmen des § 57 AFG, ob die Zuständigkeit eines anderen Reha-Trägers gegeben ist, kommt es dabei nicht darauf an, dass die konkrete, materiell-rechtliche Verpflichtung zur Leistungsgewährung im Einzelfall bereits feststeht; erforderlich ist lediglich, dass die sachliche Zuständigkeit für die begehrte Leistung überhaupt gesehen werden kann. Ob und inwieweit dann konkret nach materiellem Recht ein Anspruch auf Gewährung der berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation besteht, ist nicht entscheidend; die Zuständigkeit des anderen Reha-Trägers ist für die Entscheidung dann umfassend zu sehen. Die Versicherte S. hatte die notwendigen Vorversicherungszeiten erfüllt und deshalb dem Grunde nach auch die versicherungsrechtlichen Leistungsvoraussetzungen nach § 11 SGB VI. Damit bestand die Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers zur Entscheidung über die Gewährung von Leistungen der beruflichen Rehabilitation, eine Leistungszuständigkeit der Klägerin war ausgeschlossen. Wie die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 03.05.2006 einräumt, hat sie auch selbst die versicherungsrechtliche Zuständigkeit der Beklagten erkannt und dies mit der Übersendung des Reha-Antrags an die Beklagte am 23.07.1996 zum Ausdruck gebracht.
Eine aus § 6 Abs 2 Nr 2 RehaAnglG folgende Verpflichtung zur vorläufigen Leistung durch die Klägerin hat ebenfalls nicht bestanden. Diese Vorschrift sieht zwar eine vorläufige Leistungspflicht der Bundesanstalt für Arbeit zur Erbringung berufsfördernder Maßnahmen zur Rehabilitation vor. Dies gilt aber nur dann, wenn entweder ungeklärt ist, welcher der in § 2 RehaAnglG genannten Reha-Träger zuständig ist oder wenn die unverzügliche Einleitung der erforderlichen Maßnahmen aus anderen Gründen gefährdet ist. Keine dieser Alternativen ist vorliegend gegeben gewesen. Die Zuständigkeit des Reha-Trägers war geklärt, nachdem die Klägerin den Antrag zur Entscheidung an den ihrer Ansicht nach zuständigen Rentenversicherungsträger weitergeleitet hatte. Die weitere Prüfung und Entscheidung über den Reha-Antrag lag somit ausschließlich im Rechtsbereich der Beklagten. Andere Reha-Träger kamen nicht in Betracht. Es ist auch kein Grund ersichtlich, weshalb eine unverzügliche Einleitung der erforderlichen Maßnahmen aus anderen Gründen notwendig gewesen wäre. Die Bewilligung der beantragten Maßnahme durch die Klägerin an die Versicherte erfolgte mit Bescheid vom 11.11.1996, mithin erst nach Beginn der Maßnahme, die Ablehnung des Reha-Antrags durch die Beklagte erfolgte mit Bescheid vom 12.11.1996.
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass eine Verpflichtung der Beklagten zur Erstattung im Rahmen des § 102 SGB X nur dann bestehen kann, wenn die Beklagte nach materiellem Recht, d.h. in Anwendung der §§ 9 ff SGB VI, zur Erbringung von Leistungen der beruflichen Rehabilitation verpflichtet ist. Hierfür wäre nach § 10 SGB VI eine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit der Versicherten S. wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erforderlich gewesen. Bei der Prüfung der persönlichen Voraussetzungen nach § 10 SGB VI ist allein auf das Vermögen des Versicherten abzustellen, in einer ihm zumutbaren Erwerbstätigkeit weiterhin versicherungspflichtig tätig sein zu können. Diese Erwerbsfähigkeit bestand bei der Versicherten S. bei der Reha-Antragstellung und weiterhin, da sie trotz ihrer gesundheitlichen Einschränkungen für ein weites Spektrum gewerblicher Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch in Vollschicht und ohne gravierende Einschränkungen leistungsfähig gewesen ist. Aus dem ausführlichen Gutachten des Dr.D. vom 17.10.1996 geht hervor, dass bei der Versicherten aus klinischer Sicht kein schwerwiegender Befund festzustellen war und dass sich radiologisch im Bereich der Wirbelsäule altersentsprechende Befunde zeigten. Insgesamt hat Dr.D. bei der Versicherten keinen leistungsmindernden Befund erkannt und diese für fähig erachtet, einer leichten, zeitlich begrenzt auch mittelschweren Berufstätigkeit in Vollschicht nachzugehen. Als für die Versicherte geeignet hat er die Tätigkeiten einer Montiererin aber auch andere unqualifizierte Arbeiten genannt. Diese Leistungsbeurteilung der Versicherten durch Dr.D. steht zwar im teilweisen Widerspruch zum Ergebnis der Untersuchung beim ärztlichen Dienst der Klägerin am 14.06.1996, ist jedoch für den Senat überzeugend, da sie auf einer ausführlichen Untersuchung und Befundbeschreibung im Einzelnen (obere Extremitäten, Wirbelsäule, untere Extremitäten) beruht, wobei die Wirbelsäule in allen drei Abschnitten völlig frei beweglich war. Die Ablehnung beruflicher Reha-Maßnahmen durch die Beklagte mit Bescheid vom 12.11.1996 ist deshalb nicht zu beanstanden.
Da - wie ausgeführt - die Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch gemäß § 102 SGB X i.V.m. § 6 Abs 2 RehaAnglG nicht vorgelegen haben und auch die persönlichen Leistungsvoraussetzungen nach § 10 SGB VI in der Person der Versicherten nicht gegeben waren, war die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Außergerichtliche Kosten sind unter den Beteiligten nicht zu erstatten.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Nürnberg vom 13.07.2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten, die für eine berufliche Rehabilitationsmaßnahme bei der Versicherten G. S. in Höhe von 14.427,42 EUR angefallen sind.
Die 1944 geborene Versicherte hat nach ihren Angaben keine Berufsausbildung durchlaufen. Sie war von 1962 an als Arbeiterin in verschiedenen Bereichen (angelernte Näherin, Maschinenarbeiterin) und zuletzt von 1970 bis 1995 als Montiererin in der Elektrobranche erwerbstätig. Seit 01.06.1995 bestand Arbeitslosigkeit.
Am 22.07.1996 beantragte die Versicherte beim Arbeitsamt M. Leistungen zur beruflichen Rehabilitation. Sie gab dabei an, von 1970 bis 1995 bei der Fa. R. als Montiererin beschäftigt gewesen zu sein. Am 23.07.1996 teilte die Klägerin der Beklagten schriftlich mit: "Ich halte Ihre Zuständigkeit für gegeben und bitte, über die Notwendigkeit der Durchführung von Rehabilitationsmaßnahmen zu entscheiden".
Am 26.08.1996 meldete die Klägerin die Versicherte S. zu einer praxisorientierten Reintegrationsmaßnahme (Anpassungs- und Trainingsmaßnahme) für die Zeit vom 28.10.1996 bis 25.07.1997 beim Institut für Beruf und Bildung in M. an. Die Bewilligung für die Durchführung dieser Maßnahme erfolgte durch die Klägerin mit Bescheid vom 11.11.1996 an die Versicherte.
Die Beklagte ließ die Versicherte am 17.10.1996 durch den Orthopäden Dr.D. untersuchen und begutachten. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass vom klinischen Aspekt her kein schwerwiegender Befund festzustellen sei. Radiologisch zeigten HWS und LWS altersentsprechende Befunde. Die Versicherte sei in der Lage, einer leichten, zeitlich begrenzt auch mittelschweren Frauenarbeit vollschichtig aus Wechselposition nachzukommen. Die Tätigkeit einer Montiererin aber auch andere unqualifizierte Arbeiten seien möglich. Für Umschulungsmaßnahmen bestehe orthopädischerseits keine Veranlassung. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 12.11.1996 gegenüber der Versicherten den Antrag auf Leistungen zur beruflichen Rehabilitation ab, da eine erhebliche Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht vorliege. Eine entsprechende Mitteilung erging am 21.11.1996 an die Klägerin.
In dem nachfolgenden Schriftverkehr vertrat die Klägerin die Auffassung, dass es sich bei der für die Versicherte durchgeführten Maßnahme sehr wohl um einen medizinisch begründeten Reha-Fall gehandelt habe; die Versicherte sei nicht mehr in der Lage gewesen, ihre zuletzt ausgeübte Berufstätigkeit weiterhin zu verrichten. Sie bezog sich dabei auf eine Begutachtung der Versicherten durch ihren ärztlichen Dienst - Dr.W. - am 14.06.1996.
Die Beklagte verblieb bei ihrer Auffassung, dass nach ihren ärztlichen Feststellungen eine erhebliche Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit der Versicherten nicht vorliege und auch nicht vorgelegen habe.
Am 18.12.2000 erhob die Klägerin Leistungsklage beim Sozialgericht Nürnberg (SG). Sie stützte den geltend gemachten Erstattungsanspruch auf § 102 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 6 Abs 2 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG). Die Beklagte vertrat die Auffassung, die Anspruchsvoraussetzungen des § 102 Abs 1 SGB X seien nicht erfüllt. Die Klägerin habe weder auf gesetzlicher Grundlage vorläufig Sozialleistungen erbracht noch sei die Beklagte der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger.
Mit Urteil vom 13.07.2005 hat das SG die Klage - gerichtet auf Erstattung von insgesamt DM 28.217,59 - abgewiesen. Der Klägerin stehe kein Erstattungsanspruch gegen die Beklagte zu. Ein Anspruch nach § 102 SGB X sei nicht gegeben, da das Arbeitsamt nicht aufgrund gesetzlicher Vorschriften eine vorläufige Leistung erbracht habe. Als Ermächtigung für die Erbringung vorläufiger Leistungen wäre § 6 Abs 2 RehaAnglG in Betracht gekommen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift seien jedoch nicht erfüllt. Bei Erlass des Bescheides vom 11.11.1996, mit dem der Versicherten die Teilnahme an dem Reintegrationsseminar bewilligt worden sei, habe es keine objektiven Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die unverzügliche Einleitung erforderlicher Reha-Maßnahmen gefährdet gewesen sei. Da die Voraussetzungen des § 6 Abs 2 RehaAnglG nicht erfüllt gewesen seien und bereits deshalb § 102 Abs 1 SGB X als Grundlage eines Erstattungsanspruches nicht in Betracht komme, könne dahinstehen, ob die Beklagte überhaupt der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger gewesen sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die am 07.10.2005 beim Bayer. Landessozialgericht eingegangene Berufung der Klägerin. Diese macht im Wesentlichen geltend, dass im Zeitpunkt der Bewilligung der beruflichen Reha-Maßnahme die Zuständigkeit des Leistungsträgers ungeklärt gewesen sei. Entgegen der Auffassung des Erstgerichts seien die Voraussetzungen des § 6 Abs 2 RehaAnglG gegeben.
Die Beklagte verblieb bei ihrer Auffassung, dass ein Fall der ungeklärten Zuständigkeit aus ihrer Sicht nicht vorgelegen habe. Die Klägerin habe aus dem Reha-Antrag erkennen können, dass die Versicherte bereits 25 Jahre lang als Montiererin gearbeitet hatte und dass sie - aus Sicht der Klägerin - diese Tätigkeit nicht weiterhin würde ausüben können. Daher habe die Klägerin der Beklagten mit Schreiben vom 23.07.1996 unter Übersendung des Reha-Antrags auch mitgeteilt: "Ich halte Ihre Zuständigkeit für gegeben". Damit seien auch die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruches gemäß § 102 SGB X nicht gegeben.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Nürnberg vom 13.07.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die für die berufliche Rehabilitation der Versicherten G. S. erbrachten Leistungen in Höhe von insgesamt 14.427,42 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Dem Senat haben die Verwaltungsakten der Klägerin wie auch der Beklagten und die Prozessakte des SG Nürnberg vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 SGG) und auch im Übrigen zulässig.
Das Rechtsmittel der Klägerin erweist sich als unbegründet, da diese keinen Anspruch auf Kostenerstattung gegen die Beklagte nach § 102 SGB X hat. Nach dieser Vorschrift besteht ein Anspruch eines vorläufig leistenden Sozialleistungsträgers auf Kostenerstattung gegen den eigentlich zur Leistung verpflichteten Leistungsträger, wenn dieser nicht bzw. nicht rechtzeitig die ihm obliegenden Leistungen erbringt. Der Erstattungsanspruch nach § 102 SGB X kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn eine vorläufige Leistungsgewährung vorliegt. Dies ist nur dann der Fall, wenn der angegangene Leistungsträger zwar zunächst nach den jeweiligen Vorschriften des materiellen Sozialrechts dem Berechtigten gegenüber zur Leistung verpflichtet ist, dabei aber entweder in Kenntnis von der Zuständigkeit eines anderen Leistungsträgers leistet oder sich noch erkennbar im Ungewissen darüber befindet, welcher andere Leistungsträger zuständig ist (vgl. BSG Urteil vom 28.03.1984 in SozR 1300 § 102 Nr 1; BSG Urteil vom 22.05.1985 in SozR 1300 § 104 Nr 7). Die vorläufige Leistungspflicht muss sich aufgrund gesetzlicher Regelung des Sozialleistungsrechts ergeben. Eine freiwillige Vorleistung begründet keinen Erstattungsanspruch nach § 102 SGB X.
Die Klägerin war nach dem im Antragszeitpunkt geltenden materiellen Recht nach § 57 AFG (in der bis 31.12.1997 geltenden Fassung) nur dann zur Gewährung berufsfördernder und ergänzender Leistungen zur Rehabilitation verpflichtet, wenn nicht ein anderer Rehabilitationsträger i.S. des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation - RehaAnglG - vom 07.08.1974 (BGBl I Seite 1881) zuständig war. Sofern ein anderer Reha-Träger zuständig war, hatte sie diesem die erforderlichen berufsfördernden Maßnahmen vorzuschlagen. Demgegenüber ist in §§ 9 ff SGB VI eine primäre Leistungszuständigkeit für Leistungen der beruflichen und medizinischen Rehabilitation für den Träger der gesetzlichen Rentenversicherung vorgesehen, wenn die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach §§ 10 und 11 SGB VI erfüllt sind. Für die Beurteilung im Rahmen des § 57 AFG, ob die Zuständigkeit eines anderen Reha-Trägers gegeben ist, kommt es dabei nicht darauf an, dass die konkrete, materiell-rechtliche Verpflichtung zur Leistungsgewährung im Einzelfall bereits feststeht; erforderlich ist lediglich, dass die sachliche Zuständigkeit für die begehrte Leistung überhaupt gesehen werden kann. Ob und inwieweit dann konkret nach materiellem Recht ein Anspruch auf Gewährung der berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation besteht, ist nicht entscheidend; die Zuständigkeit des anderen Reha-Trägers ist für die Entscheidung dann umfassend zu sehen. Die Versicherte S. hatte die notwendigen Vorversicherungszeiten erfüllt und deshalb dem Grunde nach auch die versicherungsrechtlichen Leistungsvoraussetzungen nach § 11 SGB VI. Damit bestand die Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers zur Entscheidung über die Gewährung von Leistungen der beruflichen Rehabilitation, eine Leistungszuständigkeit der Klägerin war ausgeschlossen. Wie die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 03.05.2006 einräumt, hat sie auch selbst die versicherungsrechtliche Zuständigkeit der Beklagten erkannt und dies mit der Übersendung des Reha-Antrags an die Beklagte am 23.07.1996 zum Ausdruck gebracht.
Eine aus § 6 Abs 2 Nr 2 RehaAnglG folgende Verpflichtung zur vorläufigen Leistung durch die Klägerin hat ebenfalls nicht bestanden. Diese Vorschrift sieht zwar eine vorläufige Leistungspflicht der Bundesanstalt für Arbeit zur Erbringung berufsfördernder Maßnahmen zur Rehabilitation vor. Dies gilt aber nur dann, wenn entweder ungeklärt ist, welcher der in § 2 RehaAnglG genannten Reha-Träger zuständig ist oder wenn die unverzügliche Einleitung der erforderlichen Maßnahmen aus anderen Gründen gefährdet ist. Keine dieser Alternativen ist vorliegend gegeben gewesen. Die Zuständigkeit des Reha-Trägers war geklärt, nachdem die Klägerin den Antrag zur Entscheidung an den ihrer Ansicht nach zuständigen Rentenversicherungsträger weitergeleitet hatte. Die weitere Prüfung und Entscheidung über den Reha-Antrag lag somit ausschließlich im Rechtsbereich der Beklagten. Andere Reha-Träger kamen nicht in Betracht. Es ist auch kein Grund ersichtlich, weshalb eine unverzügliche Einleitung der erforderlichen Maßnahmen aus anderen Gründen notwendig gewesen wäre. Die Bewilligung der beantragten Maßnahme durch die Klägerin an die Versicherte erfolgte mit Bescheid vom 11.11.1996, mithin erst nach Beginn der Maßnahme, die Ablehnung des Reha-Antrags durch die Beklagte erfolgte mit Bescheid vom 12.11.1996.
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass eine Verpflichtung der Beklagten zur Erstattung im Rahmen des § 102 SGB X nur dann bestehen kann, wenn die Beklagte nach materiellem Recht, d.h. in Anwendung der §§ 9 ff SGB VI, zur Erbringung von Leistungen der beruflichen Rehabilitation verpflichtet ist. Hierfür wäre nach § 10 SGB VI eine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit der Versicherten S. wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erforderlich gewesen. Bei der Prüfung der persönlichen Voraussetzungen nach § 10 SGB VI ist allein auf das Vermögen des Versicherten abzustellen, in einer ihm zumutbaren Erwerbstätigkeit weiterhin versicherungspflichtig tätig sein zu können. Diese Erwerbsfähigkeit bestand bei der Versicherten S. bei der Reha-Antragstellung und weiterhin, da sie trotz ihrer gesundheitlichen Einschränkungen für ein weites Spektrum gewerblicher Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch in Vollschicht und ohne gravierende Einschränkungen leistungsfähig gewesen ist. Aus dem ausführlichen Gutachten des Dr.D. vom 17.10.1996 geht hervor, dass bei der Versicherten aus klinischer Sicht kein schwerwiegender Befund festzustellen war und dass sich radiologisch im Bereich der Wirbelsäule altersentsprechende Befunde zeigten. Insgesamt hat Dr.D. bei der Versicherten keinen leistungsmindernden Befund erkannt und diese für fähig erachtet, einer leichten, zeitlich begrenzt auch mittelschweren Berufstätigkeit in Vollschicht nachzugehen. Als für die Versicherte geeignet hat er die Tätigkeiten einer Montiererin aber auch andere unqualifizierte Arbeiten genannt. Diese Leistungsbeurteilung der Versicherten durch Dr.D. steht zwar im teilweisen Widerspruch zum Ergebnis der Untersuchung beim ärztlichen Dienst der Klägerin am 14.06.1996, ist jedoch für den Senat überzeugend, da sie auf einer ausführlichen Untersuchung und Befundbeschreibung im Einzelnen (obere Extremitäten, Wirbelsäule, untere Extremitäten) beruht, wobei die Wirbelsäule in allen drei Abschnitten völlig frei beweglich war. Die Ablehnung beruflicher Reha-Maßnahmen durch die Beklagte mit Bescheid vom 12.11.1996 ist deshalb nicht zu beanstanden.
Da - wie ausgeführt - die Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch gemäß § 102 SGB X i.V.m. § 6 Abs 2 RehaAnglG nicht vorgelegen haben und auch die persönlichen Leistungsvoraussetzungen nach § 10 SGB VI in der Person der Versicherten nicht gegeben waren, war die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Außergerichtliche Kosten sind unter den Beteiligten nicht zu erstatten.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs 2 SGG sind nicht ersichtlich.
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