L 11 AS 42/10 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 20 AS 1679/09 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 42/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Frage des Anordnungsgrundes bei der vorläufigen Bewilligung von Leistungsansprüchen, die abgelaufene Zeiträume betreffen.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 23.12.2009 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten über die Bewilligung eines Zuschusses zu den Versicherungsbeiträgen für die Antragstellerin (ASt) zu 2 nach § 26 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit ab 01.05.2009. Der 1952 geborene ASt zu 1 und die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebende, 1957 geborene, ASt zu 2 stehen seit dem Jahr 2005 im Leistungsbezug der Antragsgegnerin (Ag). Mit Bescheid vom 10.02.2009 lehnte die Ag die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II ab Februar 2009 ab. Der ASt zu 1 könne aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen den Lebensunterhalt der Bedarfsgemeinschaft sichern. Mit Bescheid vom 03.03.2009 und 07.04.2009 bewilligte die Ag den ASt für die Monate Februar und März 2009 Leistungen i.H.v. 154,17 Euro monatlich, da der ASt zu 1 eine ausstehende Gehaltsnachzahlung seines früheren Arbeitsgebers noch nicht ausgezahlt bekommen habe. Einen Antrag auf Bewilligung eines Zuschusses zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung der ASt zu 2 i.H.v. 130.- Euro monatlich lehnte die Ag mit Bescheid vom 05.06.2009 ab. Die ASt zu 2 sei ihren Mitwirkungspflichten trotz Aufforderung und Rechtsfolgenbelehrung nicht nachgekommen. Am 13.05.2009 wurde dem Konto des ASt zu 1 eine Gehaltsnachzahlung seines früheren Arbeitsgebers i.H.v. 1.098,91 Euro gutgeschrieben. Mit Bescheid vom 20.07.2009 bewilligte die Ag den ASt als Bedarfsgemeinschaft für April 2009 Leistungen i.H.v. 154,17 Euro. Aufgrund der Nachzahlung im Mai 2009 bestehe eine Bedürftigkeit nur noch im April 2009, danach sei der Lebensunterhalt der Bedarfsgemeinschaft für ca. 3,8 Monate gesichert. In einem gegen den Bescheid vom 05.06.2009 vor dem Sozialgericht Nürnberg (SG) geführten Klageverfahren (S 20 AS 994/09) schlossen die ASt und die Ag am 26.08.2009 einen Vergleich. Danach erklärte sich die Ag bereit, den ASt ab 01.05.2009 dem Grunde nach Leistungen nach dem SGB II zu bewilligen. Die Gehaltsnachzahlung vom 13.05.2009 werde so auf den Leistungsanspruch der ASt angerechnet, dass ein Restleistungsbetrag verbleibe. Mit Bescheid vom 02.10.2009 lehnte die Ag die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II ab 01.05.2009 bzw. ab 01.08.2009 ab. Mit den nachgewiesenen Einkommensverhältnissen sei eine Bedürftigkeit der ASt nicht gegeben. Unter Berücksichtigung des Arbeitseinkommens des ASt zu 1 betrage das übersteigende Einkommen im Mai 2009 60,82 Euro. Da das einmalige Einkommen des ASt zu 1 i.H.v. 1.098,91 Euro in einem angemessenen Zeitraum von 9 Monaten ab Mai 2009 zu berücksichtigen sei, betrage das übersteigende Einkommen insgesamt 182,92 Euro. Mit diesem Einkommen könne auch der monatliche Beitrag zur Krankenversicherung der ASt zu 2 bezahlt werden. Aufgrund eines gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruchs änderte die Ag mit Widerspruchsbescheid vom 14.01.2010 den Bescheid insoweit ab, als dem ASt zu 1 auf seinen entsprechenden Antrag hin für die Monate November und Dezember 2009 sowie Januar 2010 ein monatlicher Zuschuss gemäß § 26 SGB II i.H.v. jeweils 44,75 Euro zu den Beiträgen der ASt zu 2 an ein privates Krankenversicherungsunternehmen oder im Rahmen einer freiwilligen Versicherung an eine gesetzliche Krankenkasse gewährt werde. Im übrigen wies sie den Widerspruch zurück. Aus einer monatsweise erfolgten Anspruchsprüfung ergebe sich, dass für die Monate Mai 2009 bis einschließlich Oktober 2009 weder Hilfebedürftigkeit gemäß § 7 SGB II noch ein Anspruch auf Zuschuss zur Kranken- und Pflegeversicherung nach § 26 SGB II vorliege; für die Monate November 2009 bis einschließlich Januar 2010 ergebe sich ein anteiliger Zuschuss-Anspruch, da die Ast zu 2 allein durch den Beitrag zur freiwilligen Versicherung hilfebedürftig gewesen sei. Über die hiergegen erhobene Klage (Az. S 6 AS 297/10) ist nach Aktenlage noch nicht entschieden. Mit Bescheid vom 21.04.2010 bewilligte die Ag den ASt für die Zeit vom 01.02.2010 bis 31.07.2010 Leistungen nach dem SGB II i.H.v. insgesamt 20,79 Euro. Die ASt seien damit ab 01.02.2010 pflichtversichert bei der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK). Ein Widerspruch gegen diesen Bescheid haben die ASt nach Aktenlage nicht eingelegt. Am 06.12.2009 haben die ASt beim SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt und zuletzt beantragt, die Ag zu verpflichten, den ASt ab 01.05.2009 vorläufig Leistungen nach dem SGB II zu gewähren. Ihre finanzielle Notlage dauere an. Mit Beschluss vom 23.12.2009 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Eine endgültige Entscheidung darüber, ob und in welcher Höhe den

ASt seit Mai 2009 Leistungen zustünden, sei dem SG wegen der unvollständigen Vorlage von Unterlagen durch die ASt nicht möglich. Im Rahmen der dann erforderlichen Güter- und Folgenabwägung sei aber nicht von einer besonderen Eilbedürftigkeit der Angelegenheit und vom Vorliegen eines Anordnungsgrundes auszugehen. Der bei den ASt seit 01.05.2009 angefallene Bedarf von ca. 9.000.- Euro (inklusive Versicherungsbeiträgen) sei durch das Gesamteinkommen der ASt i.H.v. ca. 10.000.- Euro (inklusive Einmaleinnahmen, abzüglich eines monatlichen Freibetrags /einer monatlichen Aufwendungspauschale i.H.v. insgesamt 280.- Euro) überschlägig gedeckt. Der ASt zu 1 habe in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass die medizinische Versorgung der ASt zu 2 derzeit durch die Krankenkasse sichergestellt sei. Es sei nicht vorgetragen worden, dass mit der Krankenkasse die Möglichkeit einer Ratenzahlung besprochen worden sei, der ASt zu 1 habe noch nicht einmal Auskunft über den Stand der Vollstreckung des Mitgliedschaftsbeitrag für Mai 2009 geben können. Wesentliche, im Hauptsacheverfahren nicht mehr ausgleichbare Nachteile, die durch eine einstweilige Anordnung abgewendet werden könnten, seien somit nicht ersichtlich. Hiergegen haben die ASt Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Über den sozialversicherungsrechtlichen Status müsse jederzeit die notwendige Klarheit herrschen. Trotz der notfallmäßigen Versorgung durch die Krankenkasse bestehe eine Notlage. Mit Schreiben vom 08.04.2010 hat der ASt zu 1 mitgeteilt, dass mit der Ag für den laufenden Bewilligungszeitraum eine einvernehmliche Regelung gefunden werden konnte. Ein ungeklärter Punkt sei aber noch die Berücksichtigung der Gehaltsnachzahlung aus Mai 2009. Im gerichtlichen Vergleich mit der Ag habe man sich darauf geeinigt, dass Einmaleinkommen für sich allein nicht zum Leistungsausschluss führen dürfe. Die ASt beantragen im Rahmen des Beschwerdeverfahrens allein die Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge für die ASt zu 2 ab Mai 2009. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Akten der Ag, sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Sie ist auch statthaft. Der Betrag von 750 Euro (§§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG, 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG) wird überschritten. Streitgegenständlich ist im Rahmen des Beschwerdeverfahrens allein die Bewilligung eines Zuschusses zu den freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen für die ASt zu 2 für die Zeit ab 01.05.2009 i.H.v.130.- Euro monatlich. Dieser Antrag nach § 26 SGB II stellt eine Beschränkung des vor dem SG gestellten, umfassenden Antrages dar (§ 99 Abs. 3 Nr 2 SGG). Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Rechtsgrundlage für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist vorliegend § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG, denn die ASt begehren die Bewilligung eines Zuschusses zu den Sozialversicherungsbeiträgen für den Zeitraum ab 01.05.2009. Demgegenüber waren die Voraussetzungen einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 05.06.2009 (Az. S 20 AS 994/09) nicht zu überprüfen. Zum einen ist dieses Klageverfahren durch den Vergleich vom 26.08.2009 erledigt. Zum anderen hat die Ag mit diesem Vergleich und dem nachfolgenden Ausführungsbescheid vom 02.10.2009 den Bescheid vom 05.06.2009 zumindest konkludent aufgehoben und hinsichtlich des streitgegenständlichen Zeitraums erneut rechtsbehelfsfähig entschieden. Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG ist eine einstweilige Regelung ist zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 BVerfGE 79, 69 (74); vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166 (179) und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel/Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, 5. Aufl. Rn. 652) Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der ASt sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der ASt glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG i.V.m. § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 86b Rn. 41).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des ASt zu entscheiden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 aaO und 22.11.2002 NJW 2003, 1236; zuletzt BVerfG vom 15.01.2007 - 1 BvR 2971/06 -). In diesem Zusammenhang ist eine Orientierung an den Erfolgsaussichten nur möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist, denn soweit schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht beseitigt werden können, darf die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern sie muss abschließend geprüft werden (BVerfG vom 12.05.2005 aaO). Für die vorläufige Bewilligung eines Zuschusses zu den Versicherungsbeiträgen für den Zeitraum vom 01.05.2009 bis 31.01.2010 fehlt der Beschwerde ein Anordnungsgrund. Es ist ständige Rechtsprechung des Senats, dass vorläufige Regelungen für Leistungsansprüche, die abgelaufene Zeiträume betreffen, regelmäßig nicht mehr nötig sind, um wesentliche Nachteile abzuwenden (vgl. BayLSG Beschluss vom 20.11.2008, Az: L 11 B 873/08 AS ER - veröffentlicht in juris - ). Anhaltspunkte dafür, von dieser Rechtsprechung im vorliegenden Fall abzusehen, sind nicht ersichtlich. Unwidersprochen war die medizinische Versorgung der ASt zu 2 für diesen Zeitraum sichergestellt. Für die Zeit ab dem 01.02.2010 sind beide ASt pflichtversichert. Ein Verlust des Krankenversicherungsschutzes durch eine Kündigung der Krankenkasse wegen eines eventuellen Beitragsrückstands ist damit nicht zu befürchten. Es ist den ASt damit zumutbar, den Abschluss eines Verwaltungs- bzw. Klageverfahrens abzuwarten.

Die Beschwerde war damit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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