L 7 AS 422/10 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 AS 186/10 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 422/10 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Es besteht kein Anordnungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung wegen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, wenn das tatsächlich vorhandene Einkommen die Regelleistungen abdeckt und die Unterkunft anderweitig gesichert ist. Auf die rechtliche Zuordnung des Einkommens eines Kindes nach § 9 Abs. 2 SGB II kommt es bei dieser tatsächlichen Beurteilung nicht an.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 29. April 2010 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Gründe:


I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob ab Frühjahr 2010 Ansprüche auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bestehen, insbesondere, ob eine eheähnliche Gemeinschaft der Antragstellerin mit Herrn S. zu berücksichtigen ist.

Die im Jahre 1978 geborene Antragstellerin zog im Dezember 2008 zusammen mit ihrem im Februar 2003 geboren Sohn zu Herrn S. (geboren 1982) in dessen Wohnung in T. Zu dieser Zeit habe zwischen der Antragstellerin und Herrn S. eine Partnerschaft bestanden.

Nach Angaben der Antragstellerin habe sich im August 2009 herausgestellt, dass die Partnerschaft nicht funktioniere. Sie sei deshalb zusammen mit ihrem Sohn im August und/oder September 2009 in eine Ferienwohnung des Herrn S. gezogen.

Auf den ersten Leistungsantrag vom 07.08.2009 wurden mit Bescheid vom 03.09.2009 für die Antragstellerin laufende Leistungen für die Zeit von 07.08.2009 bis 28.02.2010 bewilligt. Die Antragstellerin erhielt Anfang September 2009 von ihrem Ehemann einen Betrag von 8000,- Euro für Trennungsunterhalt. Mit Schreiben vom 30.09.2009 teilte die Antragstellerin mit, dass sie "ab morgen" wieder in T. wohne und ab diesem Zeitpunkt keinen Anspruch auf Leistungen mehr habe. Die bisherige Bewilligung wurde deshalb aufgehoben (Bescheid vom 17.11.2009).

Ein Antrag des Herrn S. auf Familienzuschlag als Beamter wegen Aufnahme der Antragstellerin und ihres Sohnes in seinen Haushalt wurde mangels Unterhaltsverpflichtung abgelehnt. Die entsprechende Klage wurde in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht im Oktober 2009 zurückgenommen.

Mit Schreiben vom 02.12.2009 teilte die Antragstellerin mit, dass sie nach wie vor mit Herrn S. in dessen Wohnung wohne, jedoch würden sie dort getrennt leben. Die 8000,- Euro habe sie für ein gebrauchtes Auto (2500,- Euro) und die Rückzahlung von Darlehen

des Herrn S. (5050,- Euro) verbraucht. Die Antragsgegnerin forderte von der Antragstellerin unterschiedliche Nachweise und von Herrn S. Angaben über Einkommen und Vermögen.

Am 23.02.2010 stellte die Antragstellerin beim Sozialgericht Augsburg einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Es bestehe eine dringende Notlage. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld nach SGB III habe am 20.02.2010 geendet. Es werde lediglich ein Unterhalt von monatlich 100,- Euro für die Antragstellerin, ein Unterhalt von 400,- Euro für den Sohn und Kindergeld von 184,- Euro monatlich bezogen. Das Sozialgericht hat in zwei Erörterungsterminen die Antragstellerin befragt und Herrn S. als Zeugen vernommen. Auf die beiden Protokolle wird verwiesen.

Mit Beschluss vom 29.04.2010 lehnte das Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Es bestehe eine eheähnliche Gemeinschaft zwischen der Antragstellerin und Herrn S. Für die Vermutung nach § 7 Abs. 3a SGB II spreche die gemeinsame Nutzung aller Wohnräume, Möbel und Hausrat, die überwiegende Haushaltsführung durch die Antragstellerin, die Lebensmitteleinkäufe des Herrn S. für alle drei Personen, die nur teilweise erfolgten Zahlungen von Untermiete und die Erledigung aller behördlichen Angelegenheiten der Antragstellerin durch Herrn S. Dass es im Sommer 2009 tatsächlich zu einer vorübergehenden Trennung gekommen sei, sei aufgrund verschiedener Unterlagen nicht glaubhaft. Außerdem sei die Unterhaltszahlung von 8000,- Euro im September 2009 als Einkommen anzurechnen, das den Hilfebedarf für lange Zeit decke. Es fehle darüber hinaus ein Anordnungsgrund, weil ein eventuell ungedeckter Bedarf der Antragstellerin gegebenenfalls von Herrn S. sichergestellt werde.

Mit Bescheid vom 31.05.2010 wurde der Antrag auf Leistungen nach dem SGB II wegen fehlender Hilfebedürftigkeit abgelehnt. Hiergegen wurde mit Schreiben vom 02.06.2010 Widerspruch erhoben. Im Widerspruchschreiben wurde ausgeführt, dass ab Juni 2010 wegen Arbeitsaufnahme keine Hilfebedürftigkeit mehr vorliege.

Am 28.05.2010 hat die Antragstellerin Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg eingelegt. Es bestehe keine eheähnliche Gemeinschaft. Herr S. sei niemals zum Unterhalt verpflichtet. Sie würden nur zufällig in der gleichen Wohnung wohnen. Herr S. sei lediglich hilfsbereit. Die 8000,- Euro würden sich auf den Unterhalt zwischen November 2008 und Juli 2009 beziehen und seien am nächsten Tag verbraucht worden. Am 11.05.2010 sei erstmals ein Arbeitslohn an die Antragstellerin in Höhe von 248,63 Euro gezahlt worden.

Die Beschwerdeführerin beantragt sinngemäß,
die Beschwerdegegnerin unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Augsburg vom 29.04.2010 vorläufig zu verpflichten, der Antragstellerin ab Februar 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II zu gewähren.

Die Beschwerdegegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, weil das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt hat.

Das Beschwerdegericht schließt sich gemäß § 142 Abs. 2 S. 3 SGG der Begründung des Sozialgerichts an und weist die Beschwerde aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück. Dies gilt insbesondere auch für die Ausführungen des Sozialgerichts zur eheähnlichen Gemeinschaft zwischen der Antragstellerin und Herren S. Die dauerhafte uneigennützige finanzielle und sonstige Unterstützung des Herrn S. und sein nachhaltiges Bemühen um einen Familienzuschlag bei den Beamtenbezügen sind schon sehr deutliche Anhaltspunkte. Die ständig wechselnden Erklärungen der Antragstellerin zu verschiedensten Aspekten (Mietzahlungen, Aufenthalt in der Ferienwohnung, Haushaltsführung) wirken dagegen nicht sehr überzeugend. Außerdem scheint eine Verwechslung der unterschiedlichen Begriffe eheähnliche Gemeinschaft und Unterhaltsverpflichtung vorzuliegen.

Völlig zutreffend hat das Sozialgericht auch die im September 2009 erfolgte Zahlung von 8000,- Euro als einmalige Einnahme gewertet, die gemäß § 4, § 2 Abs. 4 Arbeitslosengeld II-Verordnung ab September oder Oktober 2009 auf einen angemessenen Zeitraum aufzuteilen und anzurechnen ist. Auf die Frage, für welche Monate die Unterhaltszahlungen

gedacht waren, kommt es nicht an. Ebenso wenig kommt es darauf an, dass die Antragstellerin dieses Geld sofort ausgegeben hat. Diese darf, wenn sie hilfebedürftig wäre, weder ein Auto kaufen noch Schulden tilgen.

Lediglich ergänzend wird angemerkt, dass zu keinem Zeitpunkt ein Anordnungsgrund (Notwendigkeit einer vorläufigen Regelungen des Gerichts zur Abwendung wesentlicher Nachteile) bestanden hat, selbst wenn man den Ausführungen der Antragstellerin und des Zeugen Glauben schenken würde, dass eine eheähnliche Gemeinschaft nicht mehr bestanden habe. Die Unterkunft war zu keinem Zeitpunkt gefährdet. Der laufende Unterhalt (Regelleistungen 359,- oder 323,- Euro plus 246,- Euro ergibt zusammen 569,- oder 605,- Euro) war durch den Kindesunterhalt von 400,- Euro, den Ehegattenunterhalt von 100,- Euro und das Kindergeld von 184,- Euro (zusammen 684,- Euro) jederzeit gesichert. Bei dieser tatsächlichen Beurteilung kommt es auf die rechtliche Zuordnung des Einkommens des Sohnes (vgl. § 9 Abs. 2 SGB II) nicht an.

Weshalb die Antragstellerin am 28.05.2010 Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts erhoben hat, obwohl laut Widerspruchsbegründung vom 02.06.2010 ab Juni 2010 wegen Arbeitsaufnahme ohnehin keine Hilfebedürftigkeit mehr besteht, vermag das Beschwerdegericht nicht nachzuvollziehen. Der einstweilige Rechtsschutz dient der Abwendung einer aktuellen Notlage, die hier offenkundig nicht (mehr) gegeben ist.

Abschließend wird darauf hingewiesen, dass ein Leistungsanspruch für den Sohn selbst dann nicht in Betracht käme, wenn eine eheähnliche Gemeinschaft nicht glaubhaft wäre. Sein Einkommen hätte in jedem Fall ausgereicht, seinen Bedarf einschließlich der Kosten der Unterkunft abzudecken. Er wurde deshalb vom Sozialgericht zu Recht nicht als Antragsteller berücksichtigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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