Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 18 AS 601/10 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 427/10 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zur Frage der Übernahme von Schulden zur Sicherung der Unterkunft
I. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichtes Nürnberg vom 10.05.2010 in Ziffer I. aufgehoben. Der Antrag, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, Mietrückstände in Höhe von 3.925,00 EUR zu begleichen, wird abgelehnt.
II. Im Übrigen wird die Beschwerde der Antragsgegnerin verworfen.
III. Die Antragsgegnerin hat den Antragstellern die Hälfte der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragsteller begehren die darlehensweise Übernahme von Mietschulden sowie die Bewilligung der angemessenen Unterkunftskosten.
Die Antragstellerin zu 1 (ASt zu 1) und ihr mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebender Ehemann (ASt zu 2) sowie deren gemeinsame Kinder (ASt zu 3 und 4) bezogen seit Oktober 2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Die Unterkunftskosten für die 73qm große Wohnung der ASt (Miete 300,00 EUR; Nebenkosten 156,00 EUR) berücksichtigte die Ag - nach Abzug der Aufwendungen für die Warmwasserzubereitung - in vollem Umfang (436,10 EUR; Miete 300,00 EUR; Nebenkosten 89,52 EUR; Heizung 46,58 EUR) und bewilligte mit Bescheid vom 22.10.2008 Alg II für den Zeitraum vom 01.10.2008 bis 31.03.2009 (331,77 EUR für Oktober 2008; 908,30 EUR ab November 2008).
Nachdem die Wohnung der ASt bereits am 25.07.2008 zum 15.11.2008 gekündigt war, teilten die ASt der Ag im Rahmen einer persönlichen Vorsprache mit, sie seien am 01.12.2008 umgezogen. Die Miete für die neue 103,74qm große Wohnung betrage 570,00 EUR zuzüglich Nebenkosten in Höhe von 215,00 EUR. Die Ag bewilligte den ASt daraufhin ab Dezember 2008 höhere Heizkosten (55,00 EUR).
Für die Zeit ab dem 01.03.2009 stellte die Ag die Leistungen ein, weil der ASt zu 2 ab Februar 2009 einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen sei und Einkommen erzielt habe.
Am 14.04.2009 beantragten die ASt erneut Alg II. Dies lehnte die Ag mit Bescheid vom 15.04.2009 wegen des im April 2008 noch zu beanspruchenden Arbeitsentgeltes des ASt zu 1 ab. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 06.06.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.07.2009 bewilligte die Ag den ASt laufende Leistungen für den Zeitraum 01.07.2009 bis 30.09.2009 unter Berücksichtigung der ab 01.12.2008 maßgeblichen Unterkunftskosten in Höhe von 444,52 EUR (Miete 300,00 EUR; Nebenkosten 89,52 EUR; Heizung 55,00 EUR), weil der Umzug in die neue Wohnung ohne Zustimmung der Ag erfolgt sei. Auch in der Folgezeit berücksichtigte die Ag, zuletzt mit Bescheid vom 23.02.2010 für den Zeitraum vom 01.04.2010 bis 30.09.2010, lediglich Unterkunftskosten in Höhe von 444,52 EUR monatlich.
Das Sozialamt der Stadt A-Stadt - Amt für Existenzsicherung und soziale Integration - teilte der Ag am 11.03.2010 mit, gegen die ASt sei Räumungsklage erhoben worden. Rückstände in Höhe von 3.925,00 EUR seien geltend gemacht worden. Eine Vorladung der ASt erfolge seitens der Stadt A-Stadt.
Am 13.04.2010 haben die ASt beim Sozialgericht Nürnberg beantragt, die Ag im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, Mietrückstände in Höhe von 3.925,00 EUR zu begleichen sowie die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft in Höhe von 785,00 EUR monatlich, hilfsweise zumindest die angemessenen Kosten der Unterkunft in Höhe von 667,00 EUR monatlich zu übernehmen. Die Miete von 785,00 EUR übersteige die angemessenen Unterkunftskosten lediglich um 60,00 EUR. Dies sei nicht unangemessen, womit ein Anordnungsanspruch gegeben sei. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen berücksichtige die Ag lediglich 444,52 EUR. Dies habe dazugeführt, dass seit Oktober 2009 die Miete nicht mehr in der tatsächlichen Höhe hätte bezahlt werden können und Mietrückstände in Höhe von 3.925,00 EUR aufgelaufen seien. Bei Übernahme der Unterkunftskosten in Höhe der Mietobergrenze wären diese Schulden nicht entstanden. Die Angelegenheit sei auch eilbedürftig, weil bereits eine Räumungsklage anhängig sei.
Dem hat die Ag entgegengehalten, sie sei für die Frage der Übernahme von Mietschulden nicht zuständig. Höhere als die ursprünglichen Unterkunftskosten von 444,52 EUR seien nicht zu berücksichtigen, weil ein Umzug der ASt zum 01.12.2008 nicht notwendig gewesen sei. Eine Zusicherung zur Übernahme der neuen Unterkunftskosten habe unabhängig von einer Umzugsnotwendigkeit nicht erfolgen können, weil die neue Wohnung unangemessen sei.
Das SG hat die Ag mit Beschluss vom 10.05.2010 verpflichtet, den ASt ein Darlehen zur Tilgung der Mietschulden in Höhe von 3.925,00 EUR - zahlbar an den Vermieter - zu gewähren (Ziffer I. des Beschlusses). Darüber hinaus habe die Ag die Kosten der Unterkunft in Höhe von 667,00 EUR zuzüglich Heizkosten ab Antragstellung bei Gericht bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens, längstens jedoch für sechs Monate zu bewilligen. Die Unterkunftskosten seien direkt an den Vermieter zu zahlen (Ziffer II. des Beschlusses). Im Übrigen werde der Antrag abgelehnt (Ziffer III. des Beschlusses). In der Hauptsache werde die Ag zu verpflichten sein die Mietschulden zumindest als Darlehen zu übernehmen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 22 Abs 5 SGB II seien gegeben. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Wohnung unangemessen und damit nicht erhaltenswert sei. Zwar sei der Erhalt einer unangemessen teueren Unterkunft nicht erwünscht. Vorliegend seien die Unterkunftskosten jedoch nicht in einem Maße überhöht, dass eine Übernahme der Mietschulden ausgeschlossen sei. Zudem habe die Ag durch eine fehlerhafte Bewilligung in der Vergangenheit das Entstehen der Mietschulden im Wesentlichen zu verantworten. Die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit sei belegt, weil den ASt die Räumung der Wohnung drohe.
Gegen Ziffer I. und III. dieses Beschlusses hat die Ag Beschwerde beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Die Ag sei nicht zuständig für die Bearbeitung und Übernahme von Mietrückständen. Diese Aufgabe sei bereits seit Mai 2007 auf die Stadt A-Stadt - Fachstelle für Wohnungslosen- und Obdachlosenhilfe des Amtes für Existenzsicherung und soziale Integration - Sozialamt übertragen worden. Zudem sei in der Hauptsache kein Verfahren anhängig.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Akten der Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerechte Beschwerde der Ag ist Bezug auf Ziffer III. des Tenors des Beschlusses vom 10.05.2010 unzulässig. Eine Beschwer der Ag liegt insoweit nicht vor, denn dort hat das SG lediglich den Eilantrag der ASt im Übrigen, insbesondere die Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten abgelehnt.
Im Übrigen ist die Beschwerde in Bezug auf Ziffer I. des Tenors zulässig, §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und begründet.
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist allein noch die vom SG zu Unrecht ausgesprochene Verpflichtung der Ag, diese habe den ASt ein Darlehen in Höhe von 3.925,00 EUR - zahlbar an den Vermieter - zur Tilgung von Mietschulden zu bewilligen, denn gegen Ziffer II. des Tenors, die Verpflichtung zur Übernahme der angemessenen Unterkunftskosten in Höhe von 667,00 EUR monatlich, hat sich die Ag insbesondere auch inhaltlich nicht mehr gewandt.
Die Bewilligung des begehrten Darlehens wäre in einem Hauptsacheverfahren grundsätzlich durch Erhebung einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage anzustreben, so dass
§ 86b Abs 2 Satz 2 SGG die maßgebliche Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes darstellt.
Eine einstweilige Regelung ist zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn den ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 BVerfGE 79, 69 (74); vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166 (179), vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236 und vom 25.02.2009 NZS 2009, 674; Niesel/Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, 5. Aufl. Rn. 652)
Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den die ASt ihr Begehren stützen - voraus. Die Angaben hierzu haben die Ast glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG i.V.m.
§ 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/
Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 86b Rn. 41).
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.
Dem Anliegen der ASt auf einstweiligen Rechtsschutz ist nicht zu entsprechen, weil diese versäumt haben, bei der Ag einen Antrag auf Bewilligung der begehrten Leistungen zu stellen.
Sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, können auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Abs 2 Nr. 1 SGB II ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden. (§ 22 Abs 5 SGB II).
Vorliegend ist ein Leistungsanspruch der ASt gegen die Ag nicht deshalb ausgeschlossen, weil diese für die Erbringung der Leistungen nach § 22 Abs 5 SGB II nicht zuständig wäre. Die Ag hat zwar dargelegt, die ursprünglich kommunale Aufgabe der Unterkunftssicherung nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr. 2 iVm § 22 Abs 5 SGB II, die der Ag bis Mai 2007 oblag, sei auf den kommunalen Träger zurückübertragen worden. Dies begegnet jedoch erheblichen Bedenken, denn eine Rückübertragung dürfte sich, wie auch eine Teilübertragung von Aufgaben, als unzulässig erweisen (vgl. Rixen in Eicher/Spellbrink, SGB II,
2. Aufl., § 44b Rn. 17). Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang auch, dass ein Leistungsanspruch der ASt nicht allein auf § 22 Abs 5 SGB II zu stützen wäre, soweit Leistungen zur Deckung des Unterkunftsbedarfes in der Vergangenheit zu Unrecht verweigert worden sein sollten. Die Bescheide in Bezug auf die Bewilligungszeiträume, die nach dem Vortrag der ASt ursächlich für das Entstehen der Mietrückstände waren, sind zwar bestandskräftig. Im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) wäre jedoch zu beachten, dass allein die Nichtzahlung von Unterkunftskosten, die auf einer fehlerhaften und unzureichenden Bedarfsdeckung durch den Grundsicherungsträger beruhen, nicht dazu führt, entstandene Zahlungsrückstände ausschließlich als Mietschulden iSd § 22 Abs 5 SGB II zu qualifizieren, die in aller Regel nur darlehensweise übernommen werden können.
Die Klärung dieser Fragen kann für das Eilverfahren jedoch dahinstehen, denn die ASt haben die begehrte Leistung weder bei der Ag noch beim für zuständig erklärten kommunalen Träger beantragt. Nach Lage der Akten ist der Eingang der Räumungsklage dem Sozialamt der Stadt A-Stadt - Amt für Existenzsicherung und soziale Integration - nicht durch die ASt mitgeteilt worden, so dass hierin ein Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Wohnraumes zu sehen wäre. Lediglich das zuständige Amtsgericht A-Stadt hat in Erfüllung der nach § 22 Abs 6 SGB II bestehenden Verpflichtung den Eingang der Räumungsklage dem "örtlich zuständigen Grundsicherungsträger" mitgeteilt. Anders als nach § 5 Abs 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) ist die Erbringung der Leistungen nach dem SGB II allein aufgrund der Kenntnis einer Notlage und dem Vorliegen der materiellen Anspruchsvoraussetzungen nicht möglich. Diese Leistungen werden allein auf Antrag erbracht (§ 37 Abs 1 SGB II), den die ASt wohl auch nicht nach Aufforderung durch das Sozialamt der Stadt A-Stadt gestellt haben, so dass bereits das Eilverfahren vor dem SG unzulässig war. Ein ASt muss sich idR zunächst an die Verwaltung wenden, ehe er Leistungen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes geltend macht (vgl. Keller aaO § 86b Rn. 26b). Eine Ausnahme hiervon erscheint lediglich denkbar, soweit die Behörde bereits einmal mit einer vergleichbaren Angelegenheit befasst war und aufgrund deren bekannter Haltung, nicht damit zu rechnen ist, der ASt werde mit seinem Vorbringen Gehör finden. Diese Situation ist vorliegend jedoch nicht gegeben, und es gibt bis heute keinen Anhaltspunkt dafür, dass die ASt ihr Begehren außerhalb des Eilverfahrens an die Ag herangetragen und ein Hauptsacheverfahren eingeleitet hätten, obwohl die Ag bereits mit ihrer Beschwerde auf diese Problematik hingewiesen hat. Insoweit fehlt es an einem Hauptsacheverfahren, das einer vorläufigen Regelung zugänglich wäre, so dass auf die Beschwerde der Ag der Beschluss des SG in Ziffer I des Tenors aufzuheben und der entsprechende Antrag der ASt abzulehnen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und ergibt sich aus dem Unterliegen der ASt.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
II. Im Übrigen wird die Beschwerde der Antragsgegnerin verworfen.
III. Die Antragsgegnerin hat den Antragstellern die Hälfte der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragsteller begehren die darlehensweise Übernahme von Mietschulden sowie die Bewilligung der angemessenen Unterkunftskosten.
Die Antragstellerin zu 1 (ASt zu 1) und ihr mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebender Ehemann (ASt zu 2) sowie deren gemeinsame Kinder (ASt zu 3 und 4) bezogen seit Oktober 2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Die Unterkunftskosten für die 73qm große Wohnung der ASt (Miete 300,00 EUR; Nebenkosten 156,00 EUR) berücksichtigte die Ag - nach Abzug der Aufwendungen für die Warmwasserzubereitung - in vollem Umfang (436,10 EUR; Miete 300,00 EUR; Nebenkosten 89,52 EUR; Heizung 46,58 EUR) und bewilligte mit Bescheid vom 22.10.2008 Alg II für den Zeitraum vom 01.10.2008 bis 31.03.2009 (331,77 EUR für Oktober 2008; 908,30 EUR ab November 2008).
Nachdem die Wohnung der ASt bereits am 25.07.2008 zum 15.11.2008 gekündigt war, teilten die ASt der Ag im Rahmen einer persönlichen Vorsprache mit, sie seien am 01.12.2008 umgezogen. Die Miete für die neue 103,74qm große Wohnung betrage 570,00 EUR zuzüglich Nebenkosten in Höhe von 215,00 EUR. Die Ag bewilligte den ASt daraufhin ab Dezember 2008 höhere Heizkosten (55,00 EUR).
Für die Zeit ab dem 01.03.2009 stellte die Ag die Leistungen ein, weil der ASt zu 2 ab Februar 2009 einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen sei und Einkommen erzielt habe.
Am 14.04.2009 beantragten die ASt erneut Alg II. Dies lehnte die Ag mit Bescheid vom 15.04.2009 wegen des im April 2008 noch zu beanspruchenden Arbeitsentgeltes des ASt zu 1 ab. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 06.06.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.07.2009 bewilligte die Ag den ASt laufende Leistungen für den Zeitraum 01.07.2009 bis 30.09.2009 unter Berücksichtigung der ab 01.12.2008 maßgeblichen Unterkunftskosten in Höhe von 444,52 EUR (Miete 300,00 EUR; Nebenkosten 89,52 EUR; Heizung 55,00 EUR), weil der Umzug in die neue Wohnung ohne Zustimmung der Ag erfolgt sei. Auch in der Folgezeit berücksichtigte die Ag, zuletzt mit Bescheid vom 23.02.2010 für den Zeitraum vom 01.04.2010 bis 30.09.2010, lediglich Unterkunftskosten in Höhe von 444,52 EUR monatlich.
Das Sozialamt der Stadt A-Stadt - Amt für Existenzsicherung und soziale Integration - teilte der Ag am 11.03.2010 mit, gegen die ASt sei Räumungsklage erhoben worden. Rückstände in Höhe von 3.925,00 EUR seien geltend gemacht worden. Eine Vorladung der ASt erfolge seitens der Stadt A-Stadt.
Am 13.04.2010 haben die ASt beim Sozialgericht Nürnberg beantragt, die Ag im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, Mietrückstände in Höhe von 3.925,00 EUR zu begleichen sowie die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft in Höhe von 785,00 EUR monatlich, hilfsweise zumindest die angemessenen Kosten der Unterkunft in Höhe von 667,00 EUR monatlich zu übernehmen. Die Miete von 785,00 EUR übersteige die angemessenen Unterkunftskosten lediglich um 60,00 EUR. Dies sei nicht unangemessen, womit ein Anordnungsanspruch gegeben sei. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen berücksichtige die Ag lediglich 444,52 EUR. Dies habe dazugeführt, dass seit Oktober 2009 die Miete nicht mehr in der tatsächlichen Höhe hätte bezahlt werden können und Mietrückstände in Höhe von 3.925,00 EUR aufgelaufen seien. Bei Übernahme der Unterkunftskosten in Höhe der Mietobergrenze wären diese Schulden nicht entstanden. Die Angelegenheit sei auch eilbedürftig, weil bereits eine Räumungsklage anhängig sei.
Dem hat die Ag entgegengehalten, sie sei für die Frage der Übernahme von Mietschulden nicht zuständig. Höhere als die ursprünglichen Unterkunftskosten von 444,52 EUR seien nicht zu berücksichtigen, weil ein Umzug der ASt zum 01.12.2008 nicht notwendig gewesen sei. Eine Zusicherung zur Übernahme der neuen Unterkunftskosten habe unabhängig von einer Umzugsnotwendigkeit nicht erfolgen können, weil die neue Wohnung unangemessen sei.
Das SG hat die Ag mit Beschluss vom 10.05.2010 verpflichtet, den ASt ein Darlehen zur Tilgung der Mietschulden in Höhe von 3.925,00 EUR - zahlbar an den Vermieter - zu gewähren (Ziffer I. des Beschlusses). Darüber hinaus habe die Ag die Kosten der Unterkunft in Höhe von 667,00 EUR zuzüglich Heizkosten ab Antragstellung bei Gericht bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens, längstens jedoch für sechs Monate zu bewilligen. Die Unterkunftskosten seien direkt an den Vermieter zu zahlen (Ziffer II. des Beschlusses). Im Übrigen werde der Antrag abgelehnt (Ziffer III. des Beschlusses). In der Hauptsache werde die Ag zu verpflichten sein die Mietschulden zumindest als Darlehen zu übernehmen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 22 Abs 5 SGB II seien gegeben. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Wohnung unangemessen und damit nicht erhaltenswert sei. Zwar sei der Erhalt einer unangemessen teueren Unterkunft nicht erwünscht. Vorliegend seien die Unterkunftskosten jedoch nicht in einem Maße überhöht, dass eine Übernahme der Mietschulden ausgeschlossen sei. Zudem habe die Ag durch eine fehlerhafte Bewilligung in der Vergangenheit das Entstehen der Mietschulden im Wesentlichen zu verantworten. Die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit sei belegt, weil den ASt die Räumung der Wohnung drohe.
Gegen Ziffer I. und III. dieses Beschlusses hat die Ag Beschwerde beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Die Ag sei nicht zuständig für die Bearbeitung und Übernahme von Mietrückständen. Diese Aufgabe sei bereits seit Mai 2007 auf die Stadt A-Stadt - Fachstelle für Wohnungslosen- und Obdachlosenhilfe des Amtes für Existenzsicherung und soziale Integration - Sozialamt übertragen worden. Zudem sei in der Hauptsache kein Verfahren anhängig.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Akten der Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerechte Beschwerde der Ag ist Bezug auf Ziffer III. des Tenors des Beschlusses vom 10.05.2010 unzulässig. Eine Beschwer der Ag liegt insoweit nicht vor, denn dort hat das SG lediglich den Eilantrag der ASt im Übrigen, insbesondere die Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten abgelehnt.
Im Übrigen ist die Beschwerde in Bezug auf Ziffer I. des Tenors zulässig, §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und begründet.
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist allein noch die vom SG zu Unrecht ausgesprochene Verpflichtung der Ag, diese habe den ASt ein Darlehen in Höhe von 3.925,00 EUR - zahlbar an den Vermieter - zur Tilgung von Mietschulden zu bewilligen, denn gegen Ziffer II. des Tenors, die Verpflichtung zur Übernahme der angemessenen Unterkunftskosten in Höhe von 667,00 EUR monatlich, hat sich die Ag insbesondere auch inhaltlich nicht mehr gewandt.
Die Bewilligung des begehrten Darlehens wäre in einem Hauptsacheverfahren grundsätzlich durch Erhebung einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage anzustreben, so dass
§ 86b Abs 2 Satz 2 SGG die maßgebliche Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes darstellt.
Eine einstweilige Regelung ist zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn den ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 BVerfGE 79, 69 (74); vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166 (179), vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236 und vom 25.02.2009 NZS 2009, 674; Niesel/Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, 5. Aufl. Rn. 652)
Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den die ASt ihr Begehren stützen - voraus. Die Angaben hierzu haben die Ast glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG i.V.m.
§ 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/
Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 86b Rn. 41).
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.
Dem Anliegen der ASt auf einstweiligen Rechtsschutz ist nicht zu entsprechen, weil diese versäumt haben, bei der Ag einen Antrag auf Bewilligung der begehrten Leistungen zu stellen.
Sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, können auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Abs 2 Nr. 1 SGB II ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden. (§ 22 Abs 5 SGB II).
Vorliegend ist ein Leistungsanspruch der ASt gegen die Ag nicht deshalb ausgeschlossen, weil diese für die Erbringung der Leistungen nach § 22 Abs 5 SGB II nicht zuständig wäre. Die Ag hat zwar dargelegt, die ursprünglich kommunale Aufgabe der Unterkunftssicherung nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr. 2 iVm § 22 Abs 5 SGB II, die der Ag bis Mai 2007 oblag, sei auf den kommunalen Träger zurückübertragen worden. Dies begegnet jedoch erheblichen Bedenken, denn eine Rückübertragung dürfte sich, wie auch eine Teilübertragung von Aufgaben, als unzulässig erweisen (vgl. Rixen in Eicher/Spellbrink, SGB II,
2. Aufl., § 44b Rn. 17). Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang auch, dass ein Leistungsanspruch der ASt nicht allein auf § 22 Abs 5 SGB II zu stützen wäre, soweit Leistungen zur Deckung des Unterkunftsbedarfes in der Vergangenheit zu Unrecht verweigert worden sein sollten. Die Bescheide in Bezug auf die Bewilligungszeiträume, die nach dem Vortrag der ASt ursächlich für das Entstehen der Mietrückstände waren, sind zwar bestandskräftig. Im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) wäre jedoch zu beachten, dass allein die Nichtzahlung von Unterkunftskosten, die auf einer fehlerhaften und unzureichenden Bedarfsdeckung durch den Grundsicherungsträger beruhen, nicht dazu führt, entstandene Zahlungsrückstände ausschließlich als Mietschulden iSd § 22 Abs 5 SGB II zu qualifizieren, die in aller Regel nur darlehensweise übernommen werden können.
Die Klärung dieser Fragen kann für das Eilverfahren jedoch dahinstehen, denn die ASt haben die begehrte Leistung weder bei der Ag noch beim für zuständig erklärten kommunalen Träger beantragt. Nach Lage der Akten ist der Eingang der Räumungsklage dem Sozialamt der Stadt A-Stadt - Amt für Existenzsicherung und soziale Integration - nicht durch die ASt mitgeteilt worden, so dass hierin ein Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Wohnraumes zu sehen wäre. Lediglich das zuständige Amtsgericht A-Stadt hat in Erfüllung der nach § 22 Abs 6 SGB II bestehenden Verpflichtung den Eingang der Räumungsklage dem "örtlich zuständigen Grundsicherungsträger" mitgeteilt. Anders als nach § 5 Abs 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) ist die Erbringung der Leistungen nach dem SGB II allein aufgrund der Kenntnis einer Notlage und dem Vorliegen der materiellen Anspruchsvoraussetzungen nicht möglich. Diese Leistungen werden allein auf Antrag erbracht (§ 37 Abs 1 SGB II), den die ASt wohl auch nicht nach Aufforderung durch das Sozialamt der Stadt A-Stadt gestellt haben, so dass bereits das Eilverfahren vor dem SG unzulässig war. Ein ASt muss sich idR zunächst an die Verwaltung wenden, ehe er Leistungen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes geltend macht (vgl. Keller aaO § 86b Rn. 26b). Eine Ausnahme hiervon erscheint lediglich denkbar, soweit die Behörde bereits einmal mit einer vergleichbaren Angelegenheit befasst war und aufgrund deren bekannter Haltung, nicht damit zu rechnen ist, der ASt werde mit seinem Vorbringen Gehör finden. Diese Situation ist vorliegend jedoch nicht gegeben, und es gibt bis heute keinen Anhaltspunkt dafür, dass die ASt ihr Begehren außerhalb des Eilverfahrens an die Ag herangetragen und ein Hauptsacheverfahren eingeleitet hätten, obwohl die Ag bereits mit ihrer Beschwerde auf diese Problematik hingewiesen hat. Insoweit fehlt es an einem Hauptsacheverfahren, das einer vorläufigen Regelung zugänglich wäre, so dass auf die Beschwerde der Ag der Beschluss des SG in Ziffer I des Tenors aufzuheben und der entsprechende Antrag der ASt abzulehnen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und ergibt sich aus dem Unterliegen der ASt.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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