Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 5 AS 375/10 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 672/10 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Prüfungsmaßstab des Bundesverfassungsgerichts ijm einstweiligen Rechtschutz
Beim Wegfall existenzsichernder Leistungen, der nicht von Schonvermögen oder Hilfen Dritter aufgefangen wird, ist im einstweiligen Rechtsschutz der Prüfungsmaßstab des Bundesverfassungsgerichts anwendbar.
Bei der Güter- und Folgenabwägung kann zu Lasten des Antragstellers berücksichtigt werden, dass es der Antragsteller in der Hand hat, den Sachverhalt zu seinen Gunsten zu klären, dies aber aus nicht nachvollziehbaren Gründen unterlässt.
Beim Wegfall existenzsichernder Leistungen, der nicht von Schonvermögen oder Hilfen Dritter aufgefangen wird, ist im einstweiligen Rechtsschutz der Prüfungsmaßstab des Bundesverfassungsgerichts anwendbar.
Bei der Güter- und Folgenabwägung kann zu Lasten des Antragstellers berücksichtigt werden, dass es der Antragsteller in der Hand hat, den Sachverhalt zu seinen Gunsten zu klären, dies aber aus nicht nachvollziehbaren Gründen unterlässt.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 26. Juli 2010 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Streitig ist die Gewährung der Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit ab 01.03.2010. Die Antragsgegnerin ist für die Kosten der Unterkunft nicht zuständig, weil im dortigen Bezirk eine getrennte Trägerschaft besteht.
Der im Jahr 1959 geborene Antragsteller stammt aus dem Kosovo. Er bezog Im Sommer 2009 Arbeitslosengeld II von der Antragsgegnerin. Im Juli 2009 teilte der Antragsteller mit, dass seine Leistungen auf das Konto von Frau S. geleitet werden sollen. Zuletzt wurde mit Bescheid vom 25.01.2010 für die Monate März bis Mai 2010 jeweils die Regelleistung von 359,- Euro bewilligt. Laut dem vorgelegten Mietvertrag hat der Antragsteller seit 01.11.2009 eine Zweizimmerwohnung in A-Stadt (Grundmiete 200,- Euro zuzüglich Betriebskostenpauschale von 95,- Euro) angemietet.
Im Dezember 2009 ging bei der Antragsgegnerin eine polizeiliche Zeugenvernehmung der getrennt lebenden Ehefrau des Antragstellers ein, wonach der Antragsteller in Wirklichkeit bei einer Frau S. in E. im Landkreis R. wohne. Am 18.02.2010 wurde bei einem Hausbesuch in A-Stadt festgestellt, dass das Haus einen unbewohnten Eindruck mache, u. a. alle Jalousien geschlossen waren und eine Restmülltonne nicht zusehen war.
Mit Bescheid vom 23.02.2010 wurde die Bewilligung ab 01.03.2010 aufgehoben, weil der Antragsteller nicht gemäß § 7 Abs. 4a SGB II erreichbar sei. Im Widerspruch wurde auf den Mietvertrag und die Zahlung der Miete hingewiesen. Am 13.04.2010 fand ein zweiter Hausbesuch statt. Dabei teilte der Antragsteller mit, dass die Wohnung weder über Wasser noch über eine Heizung verfüge. Er besitze weder einen Kühlschrank noch eine Waschmaschine. Der Herd sei nicht angeschlossen, die Toilette sei nicht funktionsfähig. Lebensmittel seien in der Wohnung nicht vorrätig. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 14.04.2010 zurückgewiesen. Es fehle an der Erreichbarkeit und der örtlichen Zuständigkeit der Antragsgegnerin. Am 23.04.2010 berichtete eine anonyme Zeugin der Antragsgegnerin, dass der Antragsteller wohl bei seiner getrennt lebenden Ehefrau in L. wohne. Die anonyme Zeugin wurde in der mündlichen Verhandlung vom Vertreter der Antragsgegnerin am 17.06.2010 als die benannte Frau S. aus E. identifiziert.
Am 06.05.2010 wurde Klage erhoben und zugleich einstweiliger Rechtsschutz beim Sozialgericht begehrt. Der Antragsteller sei in A-Stadt angemeldet. Die anwaltliche Post würde den Antragsteller dort erreichen. Ein Verstoß gegen die Ereichbarkeitsanordnung liege daher nicht vor. Es wurde ein Schreiben des Vermieters vorgelegt, in dem der Mietrückstand angemahnt wurde. Ferner wurde eine Erklärung von Frau S. gegenüber der Polizei E. vom 26.02.2010 übermittelt, wonach sie mit dem Antragsteller nicht befreundet sei und den letzten Kontakt mit ihm vor etwa zwei Monaten gehabt habe. Vorgelegt wurden weiter eine eidesstattliche Versicherung von Frau S., wonach der Antragsteller noch nie bei ihr gewohnt habe, und eine eidesstattliche Versicherung des Antragstellers, dass er "zurzeit" in A-Stadt und nicht bei Frau S. in E. wohne.
Am 07.06.2010 sprach die getrennt lebende Ehefrau des Antragstellers bei der Antragsgegnerin vor. Der Ehemann wohne bei Frau S. und belüge den Staat. Sie übergab einen Brief von Frau S. vom 05.03.2009 an eine dritte Frau C. Darin schrieb Frau S., dass sie seit zwei Jahren Tag und Nacht mit dem Antragsteller zusammenlebe. Sie würden in E. wohnen, angemeldet sei der Antragsteller in A-Stadt.
Am 17.06.2010 kam es beim Sozialgericht zu einem Erörterungstermin, bei dem Frau S. als Zeugin vernommen wurde. Der Antragsteller habe noch nie bei ihr gewohnt. Die getrennt lebende Ehefrau sei offenbar eifersüchtig, weil der Antragsteller die Scheidung beantragt habe. Zur anonymen Vorsprache am 23.04.3010 befragt, teilte sie mit, dass Sie nie bei der bezeichneten Stelle gewesen sei. Den Brief an Frau C. vom 05.03.2009 habe sie auf Bitten des Antragstellers geschrieben, weil Frau C. eine Beziehung zum Antragsteller wollte. Der Satz mit den zwei Jahren stimme nicht.
Mit Beschluss vom 26.07.2010 lehnte das Sozialgericht den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ab. Der Aufhebungsbescheid vom 23.02.2010 sei nicht offensichtlich rechtswidrig. Es liege zwar keine fehlende Erreichbarkeit im Sinn von § 7 Abs. 4a SGB II vor, jedoch sei davon auszugehen, dass der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Bezirk der Antragsgegnerin habe. Dies ergebe sich aus den Hausbesuchen und den Aussagen der getrennt lebenden Ehefrau, des Antragstellers sowie der Zeugin. Aus dem gleichen Grund bestehe kein Anordnungsanspruch für eine einstweilige Anordnung.
Am 26.08.2010 hat der Antragsteller Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts eingelegt. Der Antragsteller habe beim zweiten Hausbesuch keine Lebensmittel und keinen Kühlschrank gehabt, weil er bereits seit zwei Monaten keine Leistungen mehr bekommen hatte. In der Wohnung von Frau S. sei gar kein ausreichender Platz für den Antragsteller. Einer der zwei Söhne von Frau S. hätte als Zeuge vernommen werden können. Das Sozialgericht hätte sich nicht alleine auf die wahrheitswidrigen Aussagen der getrennt lebenden Ehefrau stützen dürfen. Diese sei nie in der Wohnung von Frau S. gewesen. Der Antragsteller habe keine Krankenversicherung. Die fällige Miete sei gestundet. Vorgelegt wurde ein nicht unterzeichnetes Telefax, das vom Sohn des Antragstellers aus dem Kosovo stamme. Dort wird ausführlich über die Zerrüttung der Familie berichtet und von einem undatierten Besuch des Absenders in der Wohnung in A-Stadt.
Von 24.08.2010 bis 17.09.2010 bezog der Antragsteller Arbeitslosengeld nach SGB III in Höhe von kalendertäglich 20,24 Euro. Die Antragsgegnerin teilte mit, dass einer Leistungsbewilligung grundsätzlich nichts entgegen stünde, wenn ein weiterer Hausbesuch ergebe, dass die Wohnung in A-Stadt bewohnbar sei und der Antragsteller tatsächlich dort wohne. Am 23.09.2010 erfolgte ein dritter Hausbesuch. Der Antragsteller war nicht anwesend. Die Wohnung konnte nicht betreten werden. Es wurde festgestellt, dass alle Jalousien geschlossen waren und der Briefkasten nicht gelehrt war. Bei einer Vorsprache bei der Antragsgegnerin am selben Tag verweigerte der Antragsteller lautstark einen weiteren Hausbesuch, weil er arbeitsunfähig sei. Zum 27.09.2010 erhielt der Antragsteller von der Antragsgegnerin einen Barscheck über 341,- Euro. Der Bevollmächtigte teilte mit, dass der Vermieter gegen die Hausbesuche sei. Mittlerweile habe der Antragsteller seine Möbel größtenteils in eine andere Wohnung im selben Haus verbracht. Ein Wasseranschluss, Strom und Heizung seien in der Wohnung "möglich".
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 26. Juli 2010 aufzuheben, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Aufhebungsbescheid vom 23.02.2010 und den Widerspruchsbescheid vom 14.04.2010 anzuordnen und die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten, dem Antragsteller ab Juni 2010 die Regelleistung von 359,- Euro zu gewähren.
Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts wegen der Einzelheiten auf die Akte der Antragsgegnerin, die Akte des Sozialgerichts und die Akte des Landessozialgerichts verwiesen.
II.
Das Beschwerdegericht schließt sich gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) der Begründung des Sozialgerichts an und weist die zulässige Beschwerde aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück. Eine Rechtswidrigkeit des Aufhebungsbescheids ist nicht erkennbar. Die Voraussetzungen für eine einstweilige Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG für die Zeit ab Juni 2010 liegen auch unter Berücksichtigung des Maßstabs des Bundesverfassungsgerichts nicht vor.
Für die ab Juni 2010 begehrte Begründung einer Rechtsposition im einstweiligen Rechtsschutz ist ein Antrag auf eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft. Der Antrag muss zulässig sein und die Anordnung muss zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen. Es muss glaubhaft sein, dass ein materielles Recht besteht, für das einstweiliger Rechtsschutz geltend gemacht wird (Anordnungsanspruch), und es muss glaubhaft sein, dass eine vorläufige Regelung notwendig ist, weil ein Abwarten auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zumutbar ist (Anordnungsgrund).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (insb. Beschluss des BVerfG vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05) ist eine abschließende (nicht nur summarische) Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache vorzunehmen oder, sofern diese nicht möglich ist, eine Güter- und Folgenabwägung vorzunehmen, wenn bei den Betroffenen ohne die Gewährung von einstweiligen Rechtsschutz eine schwere Verletzung ihrer Rechte auch nur möglich ist. Dies folgt aus dem Schutzauftrag für die Menschenwürde (Art 1 Abs. 1 Grundgesetz - GG) und der Notwendigkeit wirksamen Rechtsschutzes (Art 19 Abs. 4 GG). Kriterien der Interessensabwägung sind die drohende Verletzung von (Grund-) Rechten, ausnahmsweise entgegenstehende überwiegende besonders gewichtige Gründe und die hypothetischen Folgen bei einer Versagung bzw. Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz.
Der Maßstab des Bundesverfassungsgerichts ist anzuwenden, weil es um einen vollständigen Wegfall existenzsichernder Leistungen geht, der nicht durch Schonvermögen oder Hilfe Dritter aufgefangen wird. Eine abschließende Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache ist nicht möglich ist, weil die Aussagen der beteiligten Frauen sich eklatant widersprechen und der Antragsteller nur geringe Beiträge zur Aufklärung des Sachverhalts leistet. So hat z.B. die eidesstattliche Versicherung vom 05.05.2010, in der der Antragsteller erklärt, dass er "zurzeit" in A-Stadt wohne, nur den auf diesen Zeitpunkt begrenzten Informationswert.
Es ist denkbar, dass der Antragsteller "zwischen die Fronten" wohl konkurrierender Frauen geraten ist. So erstaunt, dass die wohl als Hauptzeugin gedachte Frau S. auch anonym Belastendes gegen den Antragsteller vorbrachte und in der mündlichen Verhandlung beim Sozialgericht die Stirn besaß, diese anonyme Vorsprache zu leugnen. Der Erklärungsversuch zum Brief vom 05.03.2010 an Frau C. ist nicht glaubhaft. Es ist denkbar, dass auch die Aussagen seiner getrennt lebenden Ehefrau falsch sind. Dies bedeutet aber nicht, dass damit ein gewöhnlicher Aufenthalt in der Wohnung in A-Stadt belegt ist. Das Gericht folgt keineswegs nur den Aussagen der Ehefrau. Entscheidend ist das Gesamtbild aus den unterschiedlichen Aussagen der beteiligten Frauen, die Ergebnisse der Hausbesuche und das Verhalten des Antragstellers.
Der dritte Hausbesuch am 23.09.2010 bestätigte erneut, dass nichts für einen gewöhnlichen Aufenthalt in A-Stadt spricht. Die Jalousien waren alle unten, der Briefkasten war nicht geleert. Unterstützt wird dieser Eindruck mittelbar durch das letzte Schreiben des Bevollmächtigten, wonach ein Wasseranschluss, Strom und Heizung nur "möglich" seien. Es ist nicht vorstellbar, dass der Antragsteller seit November 2009 ohne Wasser, Strom und Heizung in der Wohnung in A-Stadt lebt. Dass der Antragsteller für eine derartige Wohnung 200,- Euro Miete und 95,- Euro Betriebskosten bezahlt, erscheint so gut wie ausgeschlossen. Es handelt sich ausweislich der Fotos des ersten und des zweiten Hausbesuchs eher um ein Möbellager, als um eine bewohnte Wohnung. Diese massiven Zweifel muss der Antragsteller selbst beseitigen. Die Einwände des Antragstellers gegen einen erneuten Hausbesuch überzeugen nicht. Bei der Vorsprache am 23.09.2010 machte er gesundheitliche Gründe geltend, obwohl er offenkundig in der Lage war, persönlich bei der Antragsgegnerin vorzusprechen und dort lautstark Leistungen für den Lebensunterhalt einzufordern. Im letzten Schreiben des Bevollmächtigten wurden Schwierigkeiten mit dem Vermieter vorgetragen. Das überzeugt ebenso wenig, weil der Vermieter dem Mieter grundsätzlich nicht untersagen kann, wem der Mieter das Betreten der Wohnung gestattet.
Bei der Güter- und Folgenabwägung steht der aktuelle Zeitraum im Vordergrund. Deshalb sind die Pirouetten in den Aussagen von Frau S. nicht von tragender Bedeutung. Es spricht aber, wie dargelegt, auch aktuell sehr wenig für einen gewöhnlichen Aufenthalt in A-Stadt. Die Antragsgegnerin ist jedoch bereit, sich vom Gegenteil durch einen Hausbesuch überzeugen zu lassen und künftig Leistungen zu erbringen. Wenn der Antragsteller dies unterbindet, hat er die Konsequenzen zu tragen. Es besteht auch keine akute Notlage, weil der Antragsteller Mitte September 506,- Euro Arbeitslosengeld nach SGB II erhalten hat und Ende September von der Antragsgegnerin einen Barscheck über 341,- Euro. Bei Anlegung des verfassungsrechtlichen Maßstabs fällt die Güter- und Folgenabwägung deshalb zulasten des Antragstellers aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Streitig ist die Gewährung der Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit ab 01.03.2010. Die Antragsgegnerin ist für die Kosten der Unterkunft nicht zuständig, weil im dortigen Bezirk eine getrennte Trägerschaft besteht.
Der im Jahr 1959 geborene Antragsteller stammt aus dem Kosovo. Er bezog Im Sommer 2009 Arbeitslosengeld II von der Antragsgegnerin. Im Juli 2009 teilte der Antragsteller mit, dass seine Leistungen auf das Konto von Frau S. geleitet werden sollen. Zuletzt wurde mit Bescheid vom 25.01.2010 für die Monate März bis Mai 2010 jeweils die Regelleistung von 359,- Euro bewilligt. Laut dem vorgelegten Mietvertrag hat der Antragsteller seit 01.11.2009 eine Zweizimmerwohnung in A-Stadt (Grundmiete 200,- Euro zuzüglich Betriebskostenpauschale von 95,- Euro) angemietet.
Im Dezember 2009 ging bei der Antragsgegnerin eine polizeiliche Zeugenvernehmung der getrennt lebenden Ehefrau des Antragstellers ein, wonach der Antragsteller in Wirklichkeit bei einer Frau S. in E. im Landkreis R. wohne. Am 18.02.2010 wurde bei einem Hausbesuch in A-Stadt festgestellt, dass das Haus einen unbewohnten Eindruck mache, u. a. alle Jalousien geschlossen waren und eine Restmülltonne nicht zusehen war.
Mit Bescheid vom 23.02.2010 wurde die Bewilligung ab 01.03.2010 aufgehoben, weil der Antragsteller nicht gemäß § 7 Abs. 4a SGB II erreichbar sei. Im Widerspruch wurde auf den Mietvertrag und die Zahlung der Miete hingewiesen. Am 13.04.2010 fand ein zweiter Hausbesuch statt. Dabei teilte der Antragsteller mit, dass die Wohnung weder über Wasser noch über eine Heizung verfüge. Er besitze weder einen Kühlschrank noch eine Waschmaschine. Der Herd sei nicht angeschlossen, die Toilette sei nicht funktionsfähig. Lebensmittel seien in der Wohnung nicht vorrätig. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 14.04.2010 zurückgewiesen. Es fehle an der Erreichbarkeit und der örtlichen Zuständigkeit der Antragsgegnerin. Am 23.04.2010 berichtete eine anonyme Zeugin der Antragsgegnerin, dass der Antragsteller wohl bei seiner getrennt lebenden Ehefrau in L. wohne. Die anonyme Zeugin wurde in der mündlichen Verhandlung vom Vertreter der Antragsgegnerin am 17.06.2010 als die benannte Frau S. aus E. identifiziert.
Am 06.05.2010 wurde Klage erhoben und zugleich einstweiliger Rechtsschutz beim Sozialgericht begehrt. Der Antragsteller sei in A-Stadt angemeldet. Die anwaltliche Post würde den Antragsteller dort erreichen. Ein Verstoß gegen die Ereichbarkeitsanordnung liege daher nicht vor. Es wurde ein Schreiben des Vermieters vorgelegt, in dem der Mietrückstand angemahnt wurde. Ferner wurde eine Erklärung von Frau S. gegenüber der Polizei E. vom 26.02.2010 übermittelt, wonach sie mit dem Antragsteller nicht befreundet sei und den letzten Kontakt mit ihm vor etwa zwei Monaten gehabt habe. Vorgelegt wurden weiter eine eidesstattliche Versicherung von Frau S., wonach der Antragsteller noch nie bei ihr gewohnt habe, und eine eidesstattliche Versicherung des Antragstellers, dass er "zurzeit" in A-Stadt und nicht bei Frau S. in E. wohne.
Am 07.06.2010 sprach die getrennt lebende Ehefrau des Antragstellers bei der Antragsgegnerin vor. Der Ehemann wohne bei Frau S. und belüge den Staat. Sie übergab einen Brief von Frau S. vom 05.03.2009 an eine dritte Frau C. Darin schrieb Frau S., dass sie seit zwei Jahren Tag und Nacht mit dem Antragsteller zusammenlebe. Sie würden in E. wohnen, angemeldet sei der Antragsteller in A-Stadt.
Am 17.06.2010 kam es beim Sozialgericht zu einem Erörterungstermin, bei dem Frau S. als Zeugin vernommen wurde. Der Antragsteller habe noch nie bei ihr gewohnt. Die getrennt lebende Ehefrau sei offenbar eifersüchtig, weil der Antragsteller die Scheidung beantragt habe. Zur anonymen Vorsprache am 23.04.3010 befragt, teilte sie mit, dass Sie nie bei der bezeichneten Stelle gewesen sei. Den Brief an Frau C. vom 05.03.2009 habe sie auf Bitten des Antragstellers geschrieben, weil Frau C. eine Beziehung zum Antragsteller wollte. Der Satz mit den zwei Jahren stimme nicht.
Mit Beschluss vom 26.07.2010 lehnte das Sozialgericht den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ab. Der Aufhebungsbescheid vom 23.02.2010 sei nicht offensichtlich rechtswidrig. Es liege zwar keine fehlende Erreichbarkeit im Sinn von § 7 Abs. 4a SGB II vor, jedoch sei davon auszugehen, dass der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Bezirk der Antragsgegnerin habe. Dies ergebe sich aus den Hausbesuchen und den Aussagen der getrennt lebenden Ehefrau, des Antragstellers sowie der Zeugin. Aus dem gleichen Grund bestehe kein Anordnungsanspruch für eine einstweilige Anordnung.
Am 26.08.2010 hat der Antragsteller Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts eingelegt. Der Antragsteller habe beim zweiten Hausbesuch keine Lebensmittel und keinen Kühlschrank gehabt, weil er bereits seit zwei Monaten keine Leistungen mehr bekommen hatte. In der Wohnung von Frau S. sei gar kein ausreichender Platz für den Antragsteller. Einer der zwei Söhne von Frau S. hätte als Zeuge vernommen werden können. Das Sozialgericht hätte sich nicht alleine auf die wahrheitswidrigen Aussagen der getrennt lebenden Ehefrau stützen dürfen. Diese sei nie in der Wohnung von Frau S. gewesen. Der Antragsteller habe keine Krankenversicherung. Die fällige Miete sei gestundet. Vorgelegt wurde ein nicht unterzeichnetes Telefax, das vom Sohn des Antragstellers aus dem Kosovo stamme. Dort wird ausführlich über die Zerrüttung der Familie berichtet und von einem undatierten Besuch des Absenders in der Wohnung in A-Stadt.
Von 24.08.2010 bis 17.09.2010 bezog der Antragsteller Arbeitslosengeld nach SGB III in Höhe von kalendertäglich 20,24 Euro. Die Antragsgegnerin teilte mit, dass einer Leistungsbewilligung grundsätzlich nichts entgegen stünde, wenn ein weiterer Hausbesuch ergebe, dass die Wohnung in A-Stadt bewohnbar sei und der Antragsteller tatsächlich dort wohne. Am 23.09.2010 erfolgte ein dritter Hausbesuch. Der Antragsteller war nicht anwesend. Die Wohnung konnte nicht betreten werden. Es wurde festgestellt, dass alle Jalousien geschlossen waren und der Briefkasten nicht gelehrt war. Bei einer Vorsprache bei der Antragsgegnerin am selben Tag verweigerte der Antragsteller lautstark einen weiteren Hausbesuch, weil er arbeitsunfähig sei. Zum 27.09.2010 erhielt der Antragsteller von der Antragsgegnerin einen Barscheck über 341,- Euro. Der Bevollmächtigte teilte mit, dass der Vermieter gegen die Hausbesuche sei. Mittlerweile habe der Antragsteller seine Möbel größtenteils in eine andere Wohnung im selben Haus verbracht. Ein Wasseranschluss, Strom und Heizung seien in der Wohnung "möglich".
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 26. Juli 2010 aufzuheben, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Aufhebungsbescheid vom 23.02.2010 und den Widerspruchsbescheid vom 14.04.2010 anzuordnen und die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten, dem Antragsteller ab Juni 2010 die Regelleistung von 359,- Euro zu gewähren.
Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts wegen der Einzelheiten auf die Akte der Antragsgegnerin, die Akte des Sozialgerichts und die Akte des Landessozialgerichts verwiesen.
II.
Das Beschwerdegericht schließt sich gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) der Begründung des Sozialgerichts an und weist die zulässige Beschwerde aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück. Eine Rechtswidrigkeit des Aufhebungsbescheids ist nicht erkennbar. Die Voraussetzungen für eine einstweilige Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG für die Zeit ab Juni 2010 liegen auch unter Berücksichtigung des Maßstabs des Bundesverfassungsgerichts nicht vor.
Für die ab Juni 2010 begehrte Begründung einer Rechtsposition im einstweiligen Rechtsschutz ist ein Antrag auf eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft. Der Antrag muss zulässig sein und die Anordnung muss zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen. Es muss glaubhaft sein, dass ein materielles Recht besteht, für das einstweiliger Rechtsschutz geltend gemacht wird (Anordnungsanspruch), und es muss glaubhaft sein, dass eine vorläufige Regelung notwendig ist, weil ein Abwarten auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zumutbar ist (Anordnungsgrund).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (insb. Beschluss des BVerfG vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05) ist eine abschließende (nicht nur summarische) Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache vorzunehmen oder, sofern diese nicht möglich ist, eine Güter- und Folgenabwägung vorzunehmen, wenn bei den Betroffenen ohne die Gewährung von einstweiligen Rechtsschutz eine schwere Verletzung ihrer Rechte auch nur möglich ist. Dies folgt aus dem Schutzauftrag für die Menschenwürde (Art 1 Abs. 1 Grundgesetz - GG) und der Notwendigkeit wirksamen Rechtsschutzes (Art 19 Abs. 4 GG). Kriterien der Interessensabwägung sind die drohende Verletzung von (Grund-) Rechten, ausnahmsweise entgegenstehende überwiegende besonders gewichtige Gründe und die hypothetischen Folgen bei einer Versagung bzw. Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz.
Der Maßstab des Bundesverfassungsgerichts ist anzuwenden, weil es um einen vollständigen Wegfall existenzsichernder Leistungen geht, der nicht durch Schonvermögen oder Hilfe Dritter aufgefangen wird. Eine abschließende Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache ist nicht möglich ist, weil die Aussagen der beteiligten Frauen sich eklatant widersprechen und der Antragsteller nur geringe Beiträge zur Aufklärung des Sachverhalts leistet. So hat z.B. die eidesstattliche Versicherung vom 05.05.2010, in der der Antragsteller erklärt, dass er "zurzeit" in A-Stadt wohne, nur den auf diesen Zeitpunkt begrenzten Informationswert.
Es ist denkbar, dass der Antragsteller "zwischen die Fronten" wohl konkurrierender Frauen geraten ist. So erstaunt, dass die wohl als Hauptzeugin gedachte Frau S. auch anonym Belastendes gegen den Antragsteller vorbrachte und in der mündlichen Verhandlung beim Sozialgericht die Stirn besaß, diese anonyme Vorsprache zu leugnen. Der Erklärungsversuch zum Brief vom 05.03.2010 an Frau C. ist nicht glaubhaft. Es ist denkbar, dass auch die Aussagen seiner getrennt lebenden Ehefrau falsch sind. Dies bedeutet aber nicht, dass damit ein gewöhnlicher Aufenthalt in der Wohnung in A-Stadt belegt ist. Das Gericht folgt keineswegs nur den Aussagen der Ehefrau. Entscheidend ist das Gesamtbild aus den unterschiedlichen Aussagen der beteiligten Frauen, die Ergebnisse der Hausbesuche und das Verhalten des Antragstellers.
Der dritte Hausbesuch am 23.09.2010 bestätigte erneut, dass nichts für einen gewöhnlichen Aufenthalt in A-Stadt spricht. Die Jalousien waren alle unten, der Briefkasten war nicht geleert. Unterstützt wird dieser Eindruck mittelbar durch das letzte Schreiben des Bevollmächtigten, wonach ein Wasseranschluss, Strom und Heizung nur "möglich" seien. Es ist nicht vorstellbar, dass der Antragsteller seit November 2009 ohne Wasser, Strom und Heizung in der Wohnung in A-Stadt lebt. Dass der Antragsteller für eine derartige Wohnung 200,- Euro Miete und 95,- Euro Betriebskosten bezahlt, erscheint so gut wie ausgeschlossen. Es handelt sich ausweislich der Fotos des ersten und des zweiten Hausbesuchs eher um ein Möbellager, als um eine bewohnte Wohnung. Diese massiven Zweifel muss der Antragsteller selbst beseitigen. Die Einwände des Antragstellers gegen einen erneuten Hausbesuch überzeugen nicht. Bei der Vorsprache am 23.09.2010 machte er gesundheitliche Gründe geltend, obwohl er offenkundig in der Lage war, persönlich bei der Antragsgegnerin vorzusprechen und dort lautstark Leistungen für den Lebensunterhalt einzufordern. Im letzten Schreiben des Bevollmächtigten wurden Schwierigkeiten mit dem Vermieter vorgetragen. Das überzeugt ebenso wenig, weil der Vermieter dem Mieter grundsätzlich nicht untersagen kann, wem der Mieter das Betreten der Wohnung gestattet.
Bei der Güter- und Folgenabwägung steht der aktuelle Zeitraum im Vordergrund. Deshalb sind die Pirouetten in den Aussagen von Frau S. nicht von tragender Bedeutung. Es spricht aber, wie dargelegt, auch aktuell sehr wenig für einen gewöhnlichen Aufenthalt in A-Stadt. Die Antragsgegnerin ist jedoch bereit, sich vom Gegenteil durch einen Hausbesuch überzeugen zu lassen und künftig Leistungen zu erbringen. Wenn der Antragsteller dies unterbindet, hat er die Konsequenzen zu tragen. Es besteht auch keine akute Notlage, weil der Antragsteller Mitte September 506,- Euro Arbeitslosengeld nach SGB II erhalten hat und Ende September von der Antragsgegnerin einen Barscheck über 341,- Euro. Bei Anlegung des verfassungsrechtlichen Maßstabs fällt die Güter- und Folgenabwägung deshalb zulasten des Antragstellers aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
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