L 11 AS 288/10 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 14 AS 2/10 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 288/10 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zur Frage der Bewilligung von Leistungen für bereits abgelaufene Leistungszeiträume im Rahmen eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom
25.03.2010 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdenverfahren wird
abgelehnt.



Gründe:


I.
Der Antragsteller (ASt) begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.01.2010 bis 08.02.2010.

Der ASt ist Eigentümer eines landwirtschaftlichen Anwesens, zu dem neben dem Wohnhaus mehrere unbebaute Grundstücke gehören. Dieses Wohnhaus bewohnt der ASt zusammen mit seiner Mutter, die im Rahmen eines im Grundbuch eingetragenen Leibgedinges die Nebenkosten ihres dinglich gesicherten Wohnrechtes selbst zu tragen hat.

Nach dem Ende eines Beschäftigungsverhältnisses zum 30.09.2008 bezog der ASt ab 01.10.2008 für die Dauer von 76 Kalendertagen Arbeitslosengeld. Nachdem dieser Anspruch erschöpft war, beantragte der ASt bei der Antragsgegnerin (Ag) am 16.12.2008, 06.04.2009 und zuletzt am 10.08.2009 - nach der Beendigung eines zwischenzeitlich aufgenommenen Arbeitsverhältnisses - die Bewilligung von Alg II. Nach Versagung der Leistungen wegen fehlender Mitwirkung in Bezug auf die Anträge vom 16.12.2008 und 06.04.2009 lehnte die Ag den Leistungsantrag vom 10.08.2009 mit Bescheid vom 13.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.03.1010 in der Sache ab, weil der ASt aufgrund von Einkünften aus seiner landwirtschaftlichen (Neben-) Tätigkeit und Zahlungen seiner Mutter, die als Einkommen bewertet werden müssten, nicht bedürftig sei.

Am 10.12.2009 und 30.12.2009 beantragte der ASt - formlos - erneut Alg II nunmehr für die Zeit ab dem 01.01.2010. Dies lehnte die Ag mit den Bescheiden vom 27.01.2010 und 12.02.2010 ab, weil der ASt trotz Aufforderung das ihm übermittelte Antragsformular nicht abgegeben habe, so dass die Frage der Bedürftigkeit nicht habe geklärt werden können. Über die hiergegen erhobenen Widersprüche hat die Ag bislang nicht entschieden.

Am 11.02.2010 hat der ASt beim Sozialgericht Bayreuth (SG) vorgesprochen und einen am 09.02.2010 unterschriebenen Antragsvordruck auf Bewilligung von Alg II mit der Maßgabe übergeben, diesen an die Ag weiterzuleiten. Mit Bescheid vom 11.05.2010 hat die Ag dem ASt - unter Anrechnung von Einkommen aus Pacht - für die Zeit ab 09.02.2010 (bis 31.07.2010) Alg II in Höhe von monatlich 243,95 EUR bewilligt.

Bereits am 04.01.2010 hat der ASt beim SG - zum wiederholten Male - beantragt, die Ag im Wege des einstweiligen Rechtschutzes zu verpflichten, ihm Alg II zu zahlen (S 14 AS 2/10 ER). Er habe am 30.12.2009 bei der Ag vorgesprochen; dort man habe sich jedoch geweigert, ihm ein Antragsformular auszuhändigen. Seit dem 01.01.2010 habe er seine Grundstücke verpachtet.

Das SG hat mit Beschluss vom 25.03.2010 den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Ein Anordnungsgrund sei nicht glaubhaft gemacht. Durch den erneuten Leistungsantrag vom 09.02.2010 werde der im Eilverfahren streitgegenständliche Leistungszeitraum auf die Zeit bis 08.02.2010 begrenzt. Insoweit handle es sich um Leistungen für bereits abgelaufene Leistungszeiträume, für die eine Eilbedürftigkeit in aller Regel nicht zu belegen sei. Hierbei habe es sich bei dem Antragsvordruck vom 09.02.2010 nicht lediglich um die Ergänzung des formlosen Antrages vom 30.12.2010 sondern um einen erneuten eigenständigen Antrag gehandelt. Dies sei mit den Beteiligten im Rahmen einer Erörterung am 17.03.2010 besprochen worden und ergebe sich auch aus dem Vorbringen des ASt. Dieser habe den ihm überlassenen Antragsvordruck - entgegen der Aufforderung der Ag - nicht an diese übersandt, sondern unter Hinnahme des ablehnenden Bescheides vom 12.02.2010 (in Bezug auf den formlosen Antrag vom 30.12.2010) das SG am 11.02.2010 aufgefordert, den neuen Antrag an die Ag zu übersenden.

Gegen den Beschluss vom 25.03.2010 hat der ASt Beschwerde beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Akten der Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerechte Beschwerde ist zulässig, §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG), in der Sache jedoch unbegründet.

Gegenstand des Verfahrens ist die Verpflichtung der Ag zur Erbringung vorläufiger Leistungen für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis 08.02.2010.

Nachdem die Ag im Anschluss an dessen Anträge vom 10.12.2010 und 30.12.2010 mit den Bescheiden vom 27.01.2010 und 12.02.2010 Leistungen in der Sache abgelehnt hat, hat der ASt in der Hauptsache die Möglichkeit eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zu erheben, so dass § 86 Abs 2 Satz 2 SGG die maßgebliche Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes darstellt.

Eine einstweilige Regelung ist zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 BVerfGE 79, 69 (74); vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166 (179), vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236 und vom 25.02.2009 NZS 2009, 674; Niesel/ Herold- Tews , Der Sozialgerichtsprozess, 5. Aufl. Rn. 652)

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der ASt sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der Ast glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG i.V.m. § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 86b Rn. 41).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.

Unter Beachtung dieser Kriterien ist dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nicht zu entsprechen, denn ein Anordnungsgrund ist nicht glaubhaft gemacht. Eine vorläufige Regelung ist nicht geboten, denn der streitgegenständliche Leistungszeitraum (01.01.2010 bis 08.02.2010) ist bereits abgelaufen, so dass lediglich Leistungen für die Vergangenheit im Streit stehen und die Dringlichkeit der Angelegenheit nicht zu belegen ist. Durch die neuerliche Antragstellung des ASt am 09.02.2010 sowie durch die daran anschließende Bewilligung von Alg II (Bescheid vom 11.05.2010) für die Zeit ab dem 09.02.2010 ist das streitgegenständliche Leistungsbegehren - in der Hauptsache und daraus folgend auch im darauf bezugnehmenden Eilverfahren - zeitlich begrenzt (vgl. BSG, Urteil 11.12.2007
- B 8/9b SO 12/06 R -, Urteil des Senats vom 23.04.2009 - L 11 AS 312/08 -), so dass mit dem neuen Leistungsantrag der streitgegenständliche Leistungszeitraum allein die Zeit vom 01.10.2010 bis 08.02.2010 umfasst.

In diesem Zusammenhang ist die rechtliche Bewertung des SG, es habe sich beim dem Antragsvordruck vom 09.02.2010 um einen eigenständigen Antrag gehandelt, nicht zu bestanden. Das gesamte Verhalten des ASt lässt einen anderen Schluss nicht zu, denn er hat ausdrückliche Aufforderungen der Ag vom 10.12.2009 und 11.01.2010 bzw. 26.01.2010, den ausgefüllten Vordruck bis spätestens zum 23.01.2010 bzw. 09.02.2010 bei der Ag abzugeben, ignoriert und mit seinem Verhalten, den Antragsvordruck erst am 11.02.2010 über das SG an die Ag weiterzuleiten (Eingang bei der Ag am 15.02.2010), die ablehnende Entscheidungen vom 27.01.2010 und 12.02.2010 bewusst in Kauf genommen, so dass die im Antragsvordruck gemachten Angaben nicht lediglich in Ergänzung der formlosen Anträge vom 10.12.2009 und 30.12.2009 zu verstehen waren. Zudem ist der Zeitraum, für den keinerlei Leistungsansprüche zugesprochen werden, durch nunmehr erfolgte Bewilligung von Alg II für die Zeit ab dem 09.02.2010 tatsächlich beschränkt.

Es ist ständige Rechtsprechung des Senates, dass für Leistungsansprüche, die allein für die Vergangenheit im Streit stehen, in aller Regel ein Anordnungsgrund, d.h. die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit nicht glaubhaft zu machen ist. Hierbei ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Anordnungsgrundes in jeder Lage des Verfahrens, insbesondere auch noch im Beschwerdeverfahren, der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. Beschluss des Senates vom 12.01.2009 - L 11 B 785/08 AS ER - veröffentlicht in juris). Im Rahmen einer Regelungsanordnung ist Anordnungsgrund die Notwendigkeit, wesentliche Nachteile abzuwenden, um zu vermeiden, dass der ASt vor vollendete Tatsachen gestellt wird, ehe er wirksamen Rechtsschutz erlangen kann (vgl. Keller aaO § 86b Rn.27a). Charakteristisch ist daher für den Anordnungsgrund die Dringlichkeit der Angelegenheit, die in aller Regel nur in die Zukunft wirkt. Es ist rechtlich zwar nicht auszuschließen, dass auch für vergangene Zeiträume diese Dringlichkeit angenommen werden kann; diese überholt sich jedoch regelmäßig durch Zeitablauf. Ein Anordnungsgrund für Zeiträume vor einer gerichtlichen Entscheidung ist daher nur ausnahmsweise anzunehmen, wenn ein noch gegenwärtig schwerer, irreparabler und unzumutbarer Nachteil glaubhaft gemacht wird, und ein besonderer Nachholbedarf durch die Verweigerung der Leistungen in der Vergangenheit auch in der Zukunft noch fortwirkt oder ein Anspruch eindeutig besteht. Beides ist vorliegend nicht gegeben. Der ASt hat - wie auch in den vorangegangenen Verfahren - weder dargelegt, welche existenzielle Gefährdung durch eine Nachzahlung für vergangene Zeiträume beseitigt werden könnte oder beseitigt werden müsste, noch ist ersichtlich, dass der Leistungsanspruch des ASt im streitgegenständlichen Zeitraum offensichtlich bestehe.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und ergibt sich aus dem Unterliegen des ASt.

Mangels Erfolgsaussichten (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung -ZPO-) im Beschwerdeverfahren besteht auch kein Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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