L 11 AS 655/10 B PKH

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 AS 279/10 ER
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 655/10 B PKH
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
kein Anordnungsgrung, wenn vor Antrag auf einstweiligenRechtsschutz geforderte Leistung bereits erbracht worden ist
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom
22.03.2010 (Bewilligung von Prozesskostenhilfe) wird zurückgewiesen.



Gründe:

I.
Streitig war, ob ein Betrag von 23,21 EUR auf dem Konto des Antragstellers (ASt) eingegangen ist.
Der ASt bezog zuletzt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II - Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis 30.06.2010.
Mit Schreiben vom 13.01.2010 monierte der ASt bei der Antragsgegnerin (Ag), die bewilligte Leistung sei nicht vollständig auf seinem Konto eingegangen, es fehle ein Betrag in Höhe von 23,21 EUR.
Die Ag teilte daraufhin dem ASt mit Schreiben vom 26.01.2010 und Erinnerung vom 15.02.2010 u.a. mit, nach ihren Unterlagen sei dieser Betrag auf sein Konto angewiesen worden, wobei Überweisungen systembedingt bis zu 5 Arbeitstagen dauern könnten. Um weitere Nachforschungen über den Verbleib des Betrages anstellen zu können, würden die Kontoauszüge des ASt für Januar 2010 vollständig und chronologisch geordnet benötigt werden. Die Ag wies auf die Mitwirkungspflichten und Folgen deren Verletzung hin. Am 19.02.2010 erklärte der ASt (Schreiben vom 17.02.2010), der fehlende Betrag sei zwischenzeitlich auf seinem Konto eingegangen; damit entfalle der ursprüngliche Grund der Vorlage.
Am 23.02.2010 hat der ASt beim Sozialgericht Nürnberg (SG) beantragt, die Ag im Wegen einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, es zu unterlassen, dem ASt die vollständige Versagung der laufenden Leistungsbezüge anzudrohen und diese zu vollziehen. Die Forderung zur Vorlage von Kontoauszügen und Androhung des Leistungsentzuges verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und werde plötzlich mit der Notwendigkeit eines Nachforschungsauftrages bezüglich eines Betrages von 23,21 EUR begründet, der zwischenzeitlich auf seinem Konto eingegangen sei. Für das einstweilige Rechtsschutzverfahren werde die Bewilligung von Prozesskostenhilfe begehrt.
Nachdem die Ag am 05.03.2010 vorgetragen hat, sie sei an einer Vorlage der Kontoauszüge nicht mehr interessiert, da der Betrag auf dem Konto des ASt eingegangen sei, erklärte der ASt den Rechtsstreit für erledigt, die Androhung der Versagung bestehe nicht mehr.
Mit Beschluss vom 22.03.2010 hat das SG entschieden, dass außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten seien. Mit Beschluss vom selben Tage hat es den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz habe von Anfang an keine Aussicht auf Erfolg gehabt. In Rechte des ASt sei nicht eingegriffen worden, eine Sanktion sei auch nicht eingetreten. Die Vorlage der Kontoauszüge sei zur Prüfung, wo der vom ASt zunächst monierte Betrag verblieben sei, erforderlich gewesen.
Dagegen hat der ASt Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Der Beschluss des SG sei rechtswidrig. Die Versagung der Leistung sei angedroht worden. Hiervon sei die Ag erst mit Schreiben vom 05.03.2010 abgerückt.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten der Ag sowie die Gerichtsakten der ersten und zweiten Instanz Bezug genommen.

II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz SGG-), denn streitig ist nicht lediglich der Betrag von 23,21 EUR sondern eine Versagungsandrohung des gesamten bewilligten Alg II gewesen. Mangels zutreffender Rechtsmittelbelehrung ist die Beschwerde auch fristgemäß eingelegt worden. Sie ist jedoch nicht begründet.
Gemäß § 73a SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Ist eine Vertretung durch Anwälte, wie vorliegend im sozialgerichtlichen Verfahren, nicht vorgeschrieben, wird dem Beteiligten zudem auf Antrag hin ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint (§ 121 Abs 2 ZPO).
Es genügt für die Annahme einer hinreichenden Erfolgsaussicht eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9.Aufl, § 73a Rdnr 7a). Der Erfolg braucht nicht mit Sicherheit festzustehen.
Eine solche hinreichende Erfolgsaussicht ist hier nicht gegeben, denn der Erlass einer einstweiligen Anordnung scheiterte von Anfang am Vorliegen eines Anordnungsgrundes.
Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im vorliegenden Rechtsstreit § 86b Abs 2 Satz 2 SGG dar.

Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1988 BVerfGE 79, 69/74, vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166/179 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel/Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, 5. Aufl. RdNr 652).

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiellrechtliche Anspruch, auf den der ASt sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der ASt glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 8.Aufl, § 86b RdNr 41).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.

Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist gegebenenfalls auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des ASt zu entscheiden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 aaO und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; zuletzt BVerfG vom 15.01.2007 -1 BvR 2971/06 -).

In diesem Zusammenhang ist eine Orientierung an den Erfolgsaussichten nur möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist, denn soweit schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht beseitigt werden können, darf die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern sie muss abschließend geprüft werden (BVerfG vom 12.05.2005 aaO).
Bereits mit Schreiben vom 22.02.2010 an das SG (Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz) und mit Schreiben vom 17.02.2010 - bei der Ag eingegangen am 19.02.2010 - hat der ASt mitgeteilt, der von ihm monierte Betrag in Höhe von 23,21 EUR sei auf seinem Konto eingegangen. In dem an die Ag gerichteten Schreiben vom 17.02.2010 führte er weiter aus, dass damit "- nach anwaltlicher Bestätigung - der ursprüngliche Grund zur Vorlage der vollständigen und chronologisch geordneten Kontoauszüge" entfalle. Dem ASt war somit klar, dass die geforderte Vorlage von Kontoauszügen für Januar 2010 allein die Frage des Einganges des von ihm geforderten Betrages auf seinem Konto betraf. Ihm war auch klar, dass mit dem zwischenzeitlichen Eingang dieses Betrages sich die Aufforderung zur Vorlage von Kontoauszügen durch die Ag erledigt hat. Nachdem das Geld bereits vor Stellung des Antrages auf einstweiligen Rechtsschutz auf dem Konto des ASt eingegangen ist, bestand bereits zu diesem Zeitpunkt kein Anordnungsgrund mehr, denn die von der Ag zunächst gewünschte Vorlage von Kontoauszügen war nicht mehr erforderlich und von dieser auch nicht mehr gefordert worden. Die Ag hat keinen Anlass gegeben, sie vorläufig zu einer Unterlassung dieser Aufforderung mit Androhung der Leistungsversagung zu verpflichten. Es stand somit bereits zu diesem Zeitpunkt fest, dass auf den ASt keine Leistungsversagung mehr zukommen würde.
Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen.
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei und ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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