Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
16
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 SB 411/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 SB 182/09
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zuerkennung des Merkzeichen "RF" bei Inkontinenz
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 10. November 2009 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "RF" erfüllt.
Die 1939 geborene Klägerin hat erstmals am 9.7.1985 einen Antrag nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) gestellt. Zuletzt stellte der Beklagte mit Bescheid vom 5.8.2008 einen GdB von 100 ab dem 7.5.2008 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "G", "aG" und "B" fest. Die Klägerin habe folgende Gesundheitsstörungen:
1. Herzleistungsminderung, Durchblutungsstörungen des Herzens, abgelaufener Herzinfarkt, Coronardilatation (Einzel-GdB 60)
2. Bronchialasthma, allergische Diathese, Lungenfunktionseinschränkung (Einzel-
GdB 40)
3. chronisch-venöse Insuffizienz, Lymphstauung des Beines beidseits (Einzel-
GdB 30)
4. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, muskuläre Schwäche, Nervenwurzelreizerscheinungen, rezidivierende Ellenbogengelenksentzündung (Einzel-GdB 30)
5. Zuckerkrankheit (mit Diät und Insulin einstellbar), Polyneuropathie (Einzel-GdB 30)
6. unwillkürlicher Harnabgang, Nierensteinleiden (Einzel-GdB 30)
7. chronisches Schmerzsyndromen (Einzel-GdB 20)
Der Antrag auf Zuerkennung des Merkzeichens "RF" sei abzulehnen, da die Klägerin nach Art und Ausmaß der Behinderung die geforderten gesundheitlichen Voraussetzungen nicht erfülle.
Am 8.12.2008 beantragte der Bevollmächtigte der Klägerin erneut die Feststellung des Merkzeichens "RF", da die Inkontinenz der Klägerin so schwer sei, dass selbst stärkste Windeln nicht ausreichen würden. Die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen sei daher nicht mehr möglich.
Der Beklagte holte einen Befundbericht des behandelnden Frauenarztes der Klägerin ein. Nach einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 25.4.2009 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 27.4.2009 die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" ab. Die Klägerin erfülle nicht die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen, da es ihr zumutbar sei, Inkontinenzartikel zu benutzen, die für die Dauer von bis zu zwei Stunden Geruchsbelästigungen verhindern könnten, um so eine öffentliche Veranstaltung zu besuchen. Den eingelegten Widerspruch lehnte der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.7.2009 ab.
Hiergegen hat die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten am 24.8.2009 Klage beim Sozialgericht Augsburg erhoben. Sie leide nicht nur unter einer schweren Harninkontinenz, sondern auch unter einer erheblichen Herzinsuffizienz sowie Störungen der Lungenfunktion und einer schweren klaustrophobischen Erkrankung. Daher könne sie nicht ständig an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen. Sie sei nicht in der Lage, sich bei den relativ kurzen Abständen, die das Wechseln der Windeln erforderten, ohne fremde Hilfe zu reinigen. Zuhause stehe ihr hierfür eine Hilfskraft zur Seite. Fremde Hilfe während des öffentlichen Besuches von Veranstaltungen anzunehmen, erscheine jedoch unzumutbar. Vorgelegt wurde ein Attest der Internisten Dr. S./Dr. C. vom 5.3.2009, wonach die Klägerin nicht am sozialen und öffentlichen Leben teilnehmen könne sowie ein Attest des Radiologiezentrums A-Stadt, wonach bei ihr am 29.11.2006 keine MRT-Unter-suchung durchgeführt werden konnte, da sie eine schwere klaustrophobische Reaktion gezeigt habe.
Mit Gerichtsbescheid vom 10.11.2009 hat das Sozialgericht Augsburg die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei weder seh- noch hörbehindert und könne, trotz ihrer Leiden an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen. Sie sei nicht an das Haus bzw. die Wohnung gebunden. Sie leide zwar unter Harninkontinenz, doch trage sie Windeln, die ihr ein Verlassen der Wohnung ermöglichen. Es sei nicht erkennbar, dass sie auch mit Windeln nicht länger als 30 Minuten an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könne. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass eine erhebliche Geruchsbelästigung auftrete, durch welche die Klägerin für andere Teilnehmer unzumutbar abstoßend wirken würde. Die aufgetretene klaustrophobische Reaktion stelle einen, seitdem nicht mehr aufgetretenen, Einzelfall dar.
Der Bevollmächtigte der Klägerin hat am 14.12.2009 Berufung beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung hat er vorgetragen, dass das Tragen von Windelhosen aus anatomischen Gründen nicht erfolgversprechend sei, da diese nicht dicht genug abschließen würden und deswegen beim Tragen von Windelhosen regelmäßig die Kleidung benässt werde. Die Klaustrophobie der Klägerin gestatte ihr nicht, öffentliche Toiletten aufzusuchen. Im Übrigen sei die klaustrophobische Reaktion der Klägerin kein Einzelfall gewesen, sondern es liege eine chronische Erkrankung vor.
Der Beklagte hat zur Berufungserwiderung eine versorgungsärztliche Stellungnahme nach Aktenlage vom 27.1.2010 vorgelegt. Die Internistin und Sozialmedizinerin Dr. W. hat ausgeführt, dass die Klägerin unter einer höhergradigen Harninkontinenz leide. Trotz dieser Inkontinenz liege eine Bindung an das Haus nicht vor, da es im Handel eine Reihe von verschiedenen Inkontinenzartikeln mit hoher Saugleistung gebe, die selbst bei schwerer Harninkontinenz eine optimale Versorgung gewährleisten. Im Regelfall sei der Bedarf an Inkontinenzhosen nicht höher als zwei pro Tag. Darüber hinaus spiele die geltend gemachte Klaustrophobie, die nach Auffassung des Klägerbevollmächtigten eine Benutzung öffentlicher Toilette verbiete, für die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" keine gravierende Rolle, da das Tragen von Inkontinenzartikeln zumutbar sei.
Der Senat hat Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin angefordert. Der Dr. R. hat mitgeteilt, dass die Klägerin das letzte Mal im August 2006 in seiner Behandlung war. Der Dr. C. hat in seinem Befundbericht vom 20.3.2010 mitgeteilt, dass die Befunde der Klägerin im Wesentlichen gleich geblieben wären und die Praxis in jedem Quartal mehrfach aufgesucht werde.
Die behandelnde Physiotherapeutin der Klägerin hat dem Senat auf Nachfrage mitgeteilt, dass die Klägerin seit April 2001 regelmäßig zweimal wöchentlich in der Praxis behandelt werde und die Praxisräume aufsuche.
Im Auftrag des Senats hat der und Arbeitsmediziner Dr. G. die Klägerin im Rahmen eines Hausbesuches am 26.7.2010 untersucht und begutachtet. Dr. G. hat in seinem Gutachten vom 9.8.2010 die im Bescheid vom 5.8.2008 festgestellten Funktionsbehinderungen im Wesentlichen bestätigt.
Zur Frage der Zuerkennung des Merkzeichens "RF" hat der Gutachter ausgeführt, dass aufgrund von Rn. 33 der Anhaltspunkte die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" nicht gerechtfertigt sei, da die Klägerin wegen ihrer Gesundheitsstörungen nicht daran gehindert sei, ständig an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Sie sei in der Lage, mit ihrem Auto zur Praxis des Hausarztes und zweimal in der Woche zur Lymphdrainage zu fahren, außerdem könne sie noch ausreichend gut laufen und Treppen steigen, so dass ihr das Verlassen der Wohnung zum Zwecke eines Veranstaltungsbesuches zuzumuten sei. Für die Klägerin würden in Größe und Form passende Windelhosen mit allseitiger Abdichtung am Markt zur Verfügung stehen. Mit einer solchen Windelhose könne sie an Veranstaltungen teilnehmen. Sie sei auch dazu in der Lage, sich selbst an- und auszu- kleiden. Aufgrund des Verdachts einer Angststörung sei derzeit das Merkzeichen "RF" nicht zu zuerkennen, da die Klägerin nicht in einer entsprechenden psychiatrischen bzw. psychotherapeutischen Behandlung ist. Mit entsprechender Behandlung könnten bei ihr eventuell bestehende Ängste zumindest abgebaut werden, so dass diese nicht dauerhaft bestehen. Zusammenfassend hat der Gutachter festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichen "RF" nicht vorliegen würden.
Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Augsburg vom 10.11.2009 und unter Aufhebung des Bescheides vom 27.4.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.7.2009 zu verurteilen, das Merkzeichen "RF" anzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGB) zulässig, jedoch unbegründet. Das Sozialgericht Augsburg hat die Klage zu Recht mit Gerichtsbescheid vom 10.11.2009 abgewiesen.
Bei der Klägerin liegen die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht nicht vor. Nach § 6 Rundfunkgebührenstaatsvertrag (RGebStV) werden auf Antrag folgende natürliche Personen und deren Ehegatten im privaten Bereich von der Rundfunkgebührenpflicht u.a. befreit
- nach § 6 Nr.7a RGebStV blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von 60 v.H. allein wegen der Sehbehinderung,
- nach § 6 Nr. 7b RGebStV hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist oder
- nach § 6 Nr. 8 RGebStV behinderte Menschen, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigstens 80 v.H. beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.
Die Klägerin gehört nicht zu dem vorstehend bezeichneten Personenkreis. Sie ist weder schwer seh- noch hörgeschädigt, noch kann sie wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes sind als öffentliche Veranstaltungen Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art zu verstehen, die länger als 30 Minuten dauern. Öffentliche Veranstaltungen sind damit nicht nur Ereignisse kultureller Art sondern auch Sportveranstaltungen, Volksfeste, Messen, Märkte und Gottesdienste (vgl. BSG, Urteil vom 12.02.1997, Az.: 9/9a RVs 2/96, SozR 3-3780 § 4 Nr. 17; Urteil vom 10.08.1993, Az.: 9/9a RVs 7/91, SozR 3-3870 § 48 Nr. 2; Urteil vom 17.03.1982, Az.: 9a/9 RVs 6/81, SozR 3870 § 3 Nr. 15 = BSGE 53, 175). Die Unmöglichkeit der Teilnahme an solchen Veranstaltungen ist nur dann gegeben, wenn der Schwerbehinderte wegen seines Leidens ständig, d.h. allgemein und umfassend, vom Besuch ausgeschlossen ist. Nicht ausreichend ist es, wenn er nur von der Teilnahme einzelner Veranstaltungen ausgeschlossen ist. Bei dieser vom Bundessozialgericht vertretenen Auslegung muss der Schwerbehinderte praktisch an das Haus gebunden sein, um seinen Ausschluss an öffentlichen Veranstaltungen begründen zu können. Es kommt nicht darauf an, ob jene Veranstaltungen, an denen er noch teilnehmen kann, seinen persönlichen Vorlieben, Bedürfnissen, Neigungen und Interessen entsprechen. Sonst müsste jeder nach einem anderen, in sein Belieben gestellten Maßstab von der Rundfunkgebührenpflicht befreit werden. Das wäre mit dem Gebührenrecht nicht vereinbar, denn die Gebührenpflicht selbst wird nicht bloß nach dem individuell unterschiedlichen Umfang der Sendungen, an denen die einzelnen Teilnehmer interessiert sind, bemessen, sondern nach dem gesamten Sendeprogramm. Mit dieser sehr engen Auslegung soll gewährleistet werden, dass der Nachteilsausgleich "RF" nur Personengruppen zugute kommt, die den gesetzlich ausdrücklich genannten Schwerbehinderten (Blinden und Hörgeschädigten) und den aus wirtschaftlicher Bedrängnis sozial Benachteiligten vergleichbar sind.
Nach dem schlüssigen und überzeugenden Gutachten des Internisten Dr. G., dem der Senat folgt, ist die Klägerin nicht an das Haus gebunden. Sie ist in der Lage, Treppen zu steigen und selbstständig Auto zu fahren. Dies wird auch von den behandelnden Ärzten und der behandelnden Physiotherapeutin der Klägerin bestätigt. Diese werden von der Klägerin regelmäßig aufgesucht. Auch die bei der Klägerin bestehende Inkontinenz führt nicht dazu, dass sie an öffentlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen kann. Ausweislich des Gutachtens ist die Inkontinenz der Klägerin nicht so außergewöhnlich, dass sie nicht durch entsprechende gut schließende Inkontinenzartikel versorgt werden könnte und mit diesen in der Lage wäre, das Haus zu verlassen, ohne dass diese Artikel während des Besuchs einer Veranstaltung gewechselt werden müssten. Bei einer ordnungsgemäßen Versorgung ist es nach den Angaben des Gutachters nicht notwendig, einen solchen Wechsel durchzuführen. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin während der Begutachtung nicht die Toilette aufsuchen musste. Auch der fehlende Feuchtschutz im Bett weißt darauf hin, dass die Inkontinenz nicht so ausgeprägt ist, dass dies durch Inkontinenzartikel nicht ordnungsgemäß versorgt werden kann.
Auch die behauptete Angststörung, die die Klägerin an einen Besuch von öffentlichen Veranstaltungen hindern soll, kann nicht zur Zuerkennung des Merkzeichens "RF" führen, da sie wegen einer solchen Störung nicht in Behandlung ist. Es ist ihr zumutbar, eine solche Angststörung psychiatrisch oder psychotherapeutisch behandeln zu lassen. Für den Senat ist es jedenfalls nicht erkennbar, dass die Klägerin aufgrund einer solchen Angststörung nicht mehr in der Lage ist, ihr Haus zu verlassen. Zwar hat sie bei der Begutachtung angegeben, dass sie jede Ansammlung von Menschen nicht ertragen könne und sie allein aus diesem Grund an öffentlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen könne. Deswegen meide sie auch Treffen im familiären Kreis oder im Bekanntenkreis. Bei diesem Verhalten könnte es sich nach Einschätzung des Gutachters um eine seelische Störung handeln, die neben einer vermehrten subjektiven Schmerzwahrnehmung mit depressiven und Angstsymptomen einhergeht. In jedem Falle sei eine solche Störung jedoch behandelbar. Eine solche Behandlung werde durch die Klägerin nicht durchgeführt. Der Klägerin fehle auch krankheitsbedingt nicht die Einsicht in die Zweckmäßigkeit einer solchen Behandlung. Daher ist es ihr nach der Einschätzung des Sachverständigen, der der Senat folgt, zumutbar, ihre bestehenden Ängste, die nach ihren Angaben, zu einem sozialen Rückzug führen, unter zu Hilfenahme therapeutischer Behandlung aus eigener Willensanstrengung zu überwinden. Ihr kann somit das Merkzeichen "RF" nicht aufgrund einer psychischen Gesundheitsstörung zuerkannt werden.
Daher ist die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 10.11.2009 zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "RF" erfüllt.
Die 1939 geborene Klägerin hat erstmals am 9.7.1985 einen Antrag nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) gestellt. Zuletzt stellte der Beklagte mit Bescheid vom 5.8.2008 einen GdB von 100 ab dem 7.5.2008 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "G", "aG" und "B" fest. Die Klägerin habe folgende Gesundheitsstörungen:
1. Herzleistungsminderung, Durchblutungsstörungen des Herzens, abgelaufener Herzinfarkt, Coronardilatation (Einzel-GdB 60)
2. Bronchialasthma, allergische Diathese, Lungenfunktionseinschränkung (Einzel-
GdB 40)
3. chronisch-venöse Insuffizienz, Lymphstauung des Beines beidseits (Einzel-
GdB 30)
4. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, muskuläre Schwäche, Nervenwurzelreizerscheinungen, rezidivierende Ellenbogengelenksentzündung (Einzel-GdB 30)
5. Zuckerkrankheit (mit Diät und Insulin einstellbar), Polyneuropathie (Einzel-GdB 30)
6. unwillkürlicher Harnabgang, Nierensteinleiden (Einzel-GdB 30)
7. chronisches Schmerzsyndromen (Einzel-GdB 20)
Der Antrag auf Zuerkennung des Merkzeichens "RF" sei abzulehnen, da die Klägerin nach Art und Ausmaß der Behinderung die geforderten gesundheitlichen Voraussetzungen nicht erfülle.
Am 8.12.2008 beantragte der Bevollmächtigte der Klägerin erneut die Feststellung des Merkzeichens "RF", da die Inkontinenz der Klägerin so schwer sei, dass selbst stärkste Windeln nicht ausreichen würden. Die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen sei daher nicht mehr möglich.
Der Beklagte holte einen Befundbericht des behandelnden Frauenarztes der Klägerin ein. Nach einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 25.4.2009 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 27.4.2009 die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" ab. Die Klägerin erfülle nicht die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen, da es ihr zumutbar sei, Inkontinenzartikel zu benutzen, die für die Dauer von bis zu zwei Stunden Geruchsbelästigungen verhindern könnten, um so eine öffentliche Veranstaltung zu besuchen. Den eingelegten Widerspruch lehnte der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.7.2009 ab.
Hiergegen hat die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten am 24.8.2009 Klage beim Sozialgericht Augsburg erhoben. Sie leide nicht nur unter einer schweren Harninkontinenz, sondern auch unter einer erheblichen Herzinsuffizienz sowie Störungen der Lungenfunktion und einer schweren klaustrophobischen Erkrankung. Daher könne sie nicht ständig an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen. Sie sei nicht in der Lage, sich bei den relativ kurzen Abständen, die das Wechseln der Windeln erforderten, ohne fremde Hilfe zu reinigen. Zuhause stehe ihr hierfür eine Hilfskraft zur Seite. Fremde Hilfe während des öffentlichen Besuches von Veranstaltungen anzunehmen, erscheine jedoch unzumutbar. Vorgelegt wurde ein Attest der Internisten Dr. S./Dr. C. vom 5.3.2009, wonach die Klägerin nicht am sozialen und öffentlichen Leben teilnehmen könne sowie ein Attest des Radiologiezentrums A-Stadt, wonach bei ihr am 29.11.2006 keine MRT-Unter-suchung durchgeführt werden konnte, da sie eine schwere klaustrophobische Reaktion gezeigt habe.
Mit Gerichtsbescheid vom 10.11.2009 hat das Sozialgericht Augsburg die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei weder seh- noch hörbehindert und könne, trotz ihrer Leiden an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen. Sie sei nicht an das Haus bzw. die Wohnung gebunden. Sie leide zwar unter Harninkontinenz, doch trage sie Windeln, die ihr ein Verlassen der Wohnung ermöglichen. Es sei nicht erkennbar, dass sie auch mit Windeln nicht länger als 30 Minuten an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könne. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass eine erhebliche Geruchsbelästigung auftrete, durch welche die Klägerin für andere Teilnehmer unzumutbar abstoßend wirken würde. Die aufgetretene klaustrophobische Reaktion stelle einen, seitdem nicht mehr aufgetretenen, Einzelfall dar.
Der Bevollmächtigte der Klägerin hat am 14.12.2009 Berufung beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung hat er vorgetragen, dass das Tragen von Windelhosen aus anatomischen Gründen nicht erfolgversprechend sei, da diese nicht dicht genug abschließen würden und deswegen beim Tragen von Windelhosen regelmäßig die Kleidung benässt werde. Die Klaustrophobie der Klägerin gestatte ihr nicht, öffentliche Toiletten aufzusuchen. Im Übrigen sei die klaustrophobische Reaktion der Klägerin kein Einzelfall gewesen, sondern es liege eine chronische Erkrankung vor.
Der Beklagte hat zur Berufungserwiderung eine versorgungsärztliche Stellungnahme nach Aktenlage vom 27.1.2010 vorgelegt. Die Internistin und Sozialmedizinerin Dr. W. hat ausgeführt, dass die Klägerin unter einer höhergradigen Harninkontinenz leide. Trotz dieser Inkontinenz liege eine Bindung an das Haus nicht vor, da es im Handel eine Reihe von verschiedenen Inkontinenzartikeln mit hoher Saugleistung gebe, die selbst bei schwerer Harninkontinenz eine optimale Versorgung gewährleisten. Im Regelfall sei der Bedarf an Inkontinenzhosen nicht höher als zwei pro Tag. Darüber hinaus spiele die geltend gemachte Klaustrophobie, die nach Auffassung des Klägerbevollmächtigten eine Benutzung öffentlicher Toilette verbiete, für die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" keine gravierende Rolle, da das Tragen von Inkontinenzartikeln zumutbar sei.
Der Senat hat Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin angefordert. Der Dr. R. hat mitgeteilt, dass die Klägerin das letzte Mal im August 2006 in seiner Behandlung war. Der Dr. C. hat in seinem Befundbericht vom 20.3.2010 mitgeteilt, dass die Befunde der Klägerin im Wesentlichen gleich geblieben wären und die Praxis in jedem Quartal mehrfach aufgesucht werde.
Die behandelnde Physiotherapeutin der Klägerin hat dem Senat auf Nachfrage mitgeteilt, dass die Klägerin seit April 2001 regelmäßig zweimal wöchentlich in der Praxis behandelt werde und die Praxisräume aufsuche.
Im Auftrag des Senats hat der und Arbeitsmediziner Dr. G. die Klägerin im Rahmen eines Hausbesuches am 26.7.2010 untersucht und begutachtet. Dr. G. hat in seinem Gutachten vom 9.8.2010 die im Bescheid vom 5.8.2008 festgestellten Funktionsbehinderungen im Wesentlichen bestätigt.
Zur Frage der Zuerkennung des Merkzeichens "RF" hat der Gutachter ausgeführt, dass aufgrund von Rn. 33 der Anhaltspunkte die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" nicht gerechtfertigt sei, da die Klägerin wegen ihrer Gesundheitsstörungen nicht daran gehindert sei, ständig an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Sie sei in der Lage, mit ihrem Auto zur Praxis des Hausarztes und zweimal in der Woche zur Lymphdrainage zu fahren, außerdem könne sie noch ausreichend gut laufen und Treppen steigen, so dass ihr das Verlassen der Wohnung zum Zwecke eines Veranstaltungsbesuches zuzumuten sei. Für die Klägerin würden in Größe und Form passende Windelhosen mit allseitiger Abdichtung am Markt zur Verfügung stehen. Mit einer solchen Windelhose könne sie an Veranstaltungen teilnehmen. Sie sei auch dazu in der Lage, sich selbst an- und auszu- kleiden. Aufgrund des Verdachts einer Angststörung sei derzeit das Merkzeichen "RF" nicht zu zuerkennen, da die Klägerin nicht in einer entsprechenden psychiatrischen bzw. psychotherapeutischen Behandlung ist. Mit entsprechender Behandlung könnten bei ihr eventuell bestehende Ängste zumindest abgebaut werden, so dass diese nicht dauerhaft bestehen. Zusammenfassend hat der Gutachter festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichen "RF" nicht vorliegen würden.
Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Augsburg vom 10.11.2009 und unter Aufhebung des Bescheides vom 27.4.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.7.2009 zu verurteilen, das Merkzeichen "RF" anzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGB) zulässig, jedoch unbegründet. Das Sozialgericht Augsburg hat die Klage zu Recht mit Gerichtsbescheid vom 10.11.2009 abgewiesen.
Bei der Klägerin liegen die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht nicht vor. Nach § 6 Rundfunkgebührenstaatsvertrag (RGebStV) werden auf Antrag folgende natürliche Personen und deren Ehegatten im privaten Bereich von der Rundfunkgebührenpflicht u.a. befreit
- nach § 6 Nr.7a RGebStV blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von 60 v.H. allein wegen der Sehbehinderung,
- nach § 6 Nr. 7b RGebStV hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist oder
- nach § 6 Nr. 8 RGebStV behinderte Menschen, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigstens 80 v.H. beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.
Die Klägerin gehört nicht zu dem vorstehend bezeichneten Personenkreis. Sie ist weder schwer seh- noch hörgeschädigt, noch kann sie wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes sind als öffentliche Veranstaltungen Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art zu verstehen, die länger als 30 Minuten dauern. Öffentliche Veranstaltungen sind damit nicht nur Ereignisse kultureller Art sondern auch Sportveranstaltungen, Volksfeste, Messen, Märkte und Gottesdienste (vgl. BSG, Urteil vom 12.02.1997, Az.: 9/9a RVs 2/96, SozR 3-3780 § 4 Nr. 17; Urteil vom 10.08.1993, Az.: 9/9a RVs 7/91, SozR 3-3870 § 48 Nr. 2; Urteil vom 17.03.1982, Az.: 9a/9 RVs 6/81, SozR 3870 § 3 Nr. 15 = BSGE 53, 175). Die Unmöglichkeit der Teilnahme an solchen Veranstaltungen ist nur dann gegeben, wenn der Schwerbehinderte wegen seines Leidens ständig, d.h. allgemein und umfassend, vom Besuch ausgeschlossen ist. Nicht ausreichend ist es, wenn er nur von der Teilnahme einzelner Veranstaltungen ausgeschlossen ist. Bei dieser vom Bundessozialgericht vertretenen Auslegung muss der Schwerbehinderte praktisch an das Haus gebunden sein, um seinen Ausschluss an öffentlichen Veranstaltungen begründen zu können. Es kommt nicht darauf an, ob jene Veranstaltungen, an denen er noch teilnehmen kann, seinen persönlichen Vorlieben, Bedürfnissen, Neigungen und Interessen entsprechen. Sonst müsste jeder nach einem anderen, in sein Belieben gestellten Maßstab von der Rundfunkgebührenpflicht befreit werden. Das wäre mit dem Gebührenrecht nicht vereinbar, denn die Gebührenpflicht selbst wird nicht bloß nach dem individuell unterschiedlichen Umfang der Sendungen, an denen die einzelnen Teilnehmer interessiert sind, bemessen, sondern nach dem gesamten Sendeprogramm. Mit dieser sehr engen Auslegung soll gewährleistet werden, dass der Nachteilsausgleich "RF" nur Personengruppen zugute kommt, die den gesetzlich ausdrücklich genannten Schwerbehinderten (Blinden und Hörgeschädigten) und den aus wirtschaftlicher Bedrängnis sozial Benachteiligten vergleichbar sind.
Nach dem schlüssigen und überzeugenden Gutachten des Internisten Dr. G., dem der Senat folgt, ist die Klägerin nicht an das Haus gebunden. Sie ist in der Lage, Treppen zu steigen und selbstständig Auto zu fahren. Dies wird auch von den behandelnden Ärzten und der behandelnden Physiotherapeutin der Klägerin bestätigt. Diese werden von der Klägerin regelmäßig aufgesucht. Auch die bei der Klägerin bestehende Inkontinenz führt nicht dazu, dass sie an öffentlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen kann. Ausweislich des Gutachtens ist die Inkontinenz der Klägerin nicht so außergewöhnlich, dass sie nicht durch entsprechende gut schließende Inkontinenzartikel versorgt werden könnte und mit diesen in der Lage wäre, das Haus zu verlassen, ohne dass diese Artikel während des Besuchs einer Veranstaltung gewechselt werden müssten. Bei einer ordnungsgemäßen Versorgung ist es nach den Angaben des Gutachters nicht notwendig, einen solchen Wechsel durchzuführen. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin während der Begutachtung nicht die Toilette aufsuchen musste. Auch der fehlende Feuchtschutz im Bett weißt darauf hin, dass die Inkontinenz nicht so ausgeprägt ist, dass dies durch Inkontinenzartikel nicht ordnungsgemäß versorgt werden kann.
Auch die behauptete Angststörung, die die Klägerin an einen Besuch von öffentlichen Veranstaltungen hindern soll, kann nicht zur Zuerkennung des Merkzeichens "RF" führen, da sie wegen einer solchen Störung nicht in Behandlung ist. Es ist ihr zumutbar, eine solche Angststörung psychiatrisch oder psychotherapeutisch behandeln zu lassen. Für den Senat ist es jedenfalls nicht erkennbar, dass die Klägerin aufgrund einer solchen Angststörung nicht mehr in der Lage ist, ihr Haus zu verlassen. Zwar hat sie bei der Begutachtung angegeben, dass sie jede Ansammlung von Menschen nicht ertragen könne und sie allein aus diesem Grund an öffentlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen könne. Deswegen meide sie auch Treffen im familiären Kreis oder im Bekanntenkreis. Bei diesem Verhalten könnte es sich nach Einschätzung des Gutachters um eine seelische Störung handeln, die neben einer vermehrten subjektiven Schmerzwahrnehmung mit depressiven und Angstsymptomen einhergeht. In jedem Falle sei eine solche Störung jedoch behandelbar. Eine solche Behandlung werde durch die Klägerin nicht durchgeführt. Der Klägerin fehle auch krankheitsbedingt nicht die Einsicht in die Zweckmäßigkeit einer solchen Behandlung. Daher ist es ihr nach der Einschätzung des Sachverständigen, der der Senat folgt, zumutbar, ihre bestehenden Ängste, die nach ihren Angaben, zu einem sozialen Rückzug führen, unter zu Hilfenahme therapeutischer Behandlung aus eigener Willensanstrengung zu überwinden. Ihr kann somit das Merkzeichen "RF" nicht aufgrund einer psychischen Gesundheitsstörung zuerkannt werden.
Daher ist die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 10.11.2009 zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
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