Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
16
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 8 SB 566/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 SB 110/09
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Feststellung eines GdB von 100, Merkzeichen "G", Mitwirkung nach § 103
I. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 22.04.2009 sowie der Bescheid vom 01.07.2008 in Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 05.11.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.11.2008 abgeändert und der Beklagte wird verurteilt, beim Kläger einen Grad der Behinderung von 30 ab 20.01.2008 anzuerkennen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Der Beklagte trägt 1/10 der außergerichtlichen Kosten des Klägers.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der 1965 geborene Kläger begehrt die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft im Sinne von §§ 2 Abs. 2, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sowie die Zuerkennung des Merkzeichens "G".
Er beantragte erstmals am 20.01.2008 die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB), nachdem er am 11.11.2006 einen Unfall hatte, bei dem er eine Unterschenkelfraktur rechts, ein Compartment-Syndrom sowie eine Pseudoarthrose am Fibulaschaft erlitt. Im Antrag gab der Kläger an, dass er die Anerkennung nach der Chronikerregelung (GdB von 60), die Zuerkennung des Merkzeichen "G" und die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen einer Sonderparkberechtigung für den Freistaat Bayern (Bayern-aG) anstrebe.
Nach Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte des Klägers sowie eines Entlassungsberichts der S.-Klinik B-Stadt vom 16.10.2007 und eines Entlassungsberichts des Reha-Zentrums R. vom 06.05.2008 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 01.07.2008 die Feststellung einer Behinderung ab, da ein GdB von wenigstens 20 nicht erreicht werde. Er stellte folgende Gesundheitsstörungen fest:
1. chronisches Schmerzsyndrom am rechten Unterschenkel nach Compartment-Syndrom (Einzel-GdB 10)
2. seelische Störung (Einzel-GdB 10)
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 24.07.2008 Widerspruch ein und führte aus, dass er seit dem 28.02.2006 arbeitsunfähig sei. Er könne durch seinen seelischen Zustand und die körperlichen Fehlfunktionen nicht am Leben in der Gesellschaft teilnehmen. Er sei zu einer Schmerztherapie im Klinikum S. gewesen. Dort sei ein chronifiziertes Schmerzsyndrom mit Ausprägung des rechten Unterschenkels und Fußes mit bio-psycho-sozialen Konsequenzen und ein Schmerzstadium III nach Gerbershagen festgestellt worden. Ein Gehen ohne Hilfsmittel sei ihm nicht möglich.
Im Widerspruchsverfahren zog der Beklagte ein für die gesetzliche Rentenversicherung gefertigtes nervenärztliches Gutachten von Dr. S. vom 04.09.2008 sowie weitere ärztliche Unterlagen bei. Mit Teilabhilfebescheid vom 05.11.2008 erkannte der Beklagte ab dem 20.01.2008 einen GdB von 20 an. Nunmehr wurden die bestehenden Gesundheitsstörungen wie folgt beurteilt:
1. chronisches Schmerzsyndrom am rechten Unterschenkel mit Compartment-Syndrom (Einzel-GdB 20)
2. seelische Störung (Einzel-GdB 10)
Im Übrigen wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10.11.2008 zurückgewiesen.
Am 08.12.2008 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Bayreuth erhoben und beantragt, den Beklagten zu verurteilen, einen GdB von mindestens 50 und das Merkzeichen "G" zuzuerkennen. Er habe ein chronisches Schmerzsyndrom am rechten Unterschenkel und daraus bedingte seelische Störungen. Das Sozialgericht Bayreuth hat von der Unfallklinik M., der S.-Klinik B-Stadt, dem Klinikum S. und der C. Behandlungsunterlagen und vom behandelnden Allgemeinarzt des Klägers Dr. S. sowie von der Chirurgin Dr. B. Befundberichte angefordert.
Der Beklagte hat nach Auswertung der beigezogenen ärztlichen Unterlagen am 23.03.2009 eine ärztliche Stellungnahme abgegeben und ein Vergleichsangebot unterbreitet, in dem er sich bereit erklärt hat, folgende Gesundheitsstörungen festzustellen:
1. Funktionsbehinderung des oberen Sprunggelenkes rechts, Restbeschwerden nach Compartment-Syndrom, Fibula-Pseudarthrose rechts, Minderung der Beinmuskulatur rechts (Einzel-GdB 20)
2. seelische Störung, chronisches Schmerzsyndrom (Einzel-GdB 20).
Aufgrund dieser Gesundheitsstörungen sei der Beklagte bereit, ab dem 20.01.2008 einen Gesamt GdB von 30 festzustellen.
Der Kläger ist im Auftrag des Sozialgerichts Bayreuth am 07.04.2009 durch den gerichtlichen Sachverständigen Dr. B. untersucht worden. Dieser hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass bei den Gesundheitsstörungen des Klägers belastungsabhängige Schmerzen im rechten Unterschenkel und Fuß im Vordergrund stehen würden. Nach einem Compartment-Syndrom seien chronische Schmerzzustände nicht unüblich. Bei fehlenden Funktionsstörungen in den benachbarten Gelenken könne davon ausgegangen werden, dass ein chronisches Schmerzstadium vorliege, das einen selbstständigen Krankheitswert erlangt habe. Daher bestehe ein chronifiziertes Schmerzsyndrom im Stadium III nach Gerbershagen, das mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten sei. Die psychosomatische Störung des Klägers bewertete er mit einem Einzel-GdB von 10. Insgesamt sei daher der GdB ab dem 20.01.2008 mit 20 festzustellen. Aus medizinischer Sicht sei der Kläger in der Lage, Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden könnten. Im anschließenden Termin zur Erörterung des Sachverhalts und zur Beweisaufnahme hat der gerichtliche Sachverständige auf Nachfrage erklärt, dass die Bewegungseinschränkung im Bereich des rechten oberen Sprunggelenkes nur minimal sei. Der GdB hierfür betrage unter 10 als Einzel-GdB. Eine Änderung im Sinne einer Verschlechterung sei nicht eingetreten.
Mit Gerichtsbescheid vom 22.04.2009 hat das Sozialgericht Bayreuth die Klage abgewiesen, da der Beklagte zu Recht einen Gesamt-GdB von 20 ab dem 20.01.2008 zuerkannt habe. Ein höherer GdB könne ebenso wenig wie das Merkzeichen "G" festgestellt werden. Dies ergebe sich überzeugend aus dem Gutachten von Dr. B. und den beigezogenen medizinischen Befunden. Daher sei der Teilabhilfebescheid der Beklagten vom 05.11.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.11.2008 nicht zu beanstanden.
Mit der am 19.06.2009 beim Sozialgericht Bayreuth eingegangenen Berufung hat der Kläger geltend gemacht, dass er nicht einen GdB von mindestens 50 beantragt habe, sondern den GdB auf 100, und darüber hinaus das Merkzeichen "G" festzustellen. Er befinde sich in einer Schmerztherapie bei Dr. B. in B-Stadt. Der Gutachter Dr. B. habe seine Gesundheitsstörungen nicht richtig wiedergegeben. Er könne keinesfalls Wegstrecken im Ortsverkehr zurücklegen.
Nachdem die Berufung verfristet eingelegt wurde, ist dem Kläger mit Beschluss vom 26.08.2009 hinsichtlich der versäumten Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt worden.
Der Kläger hat einen Entlassungsbrief des D. Schmerzzentrums D-Stadt vorgelegt, in dem er sich vom 15.07.2009 bis zum 01.08.2009 in stationärer Behandlung befand. Hierzu hat der ärztliche Dienst des Beklagten in einer nervenärztlichen Stellungnahme vom 15.09.2009 ausgeführt, dass eine hoch chronifizierte, multilokuläre Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren mit hochgradiger, schmerzbedingter Beeinträchtigung angegeben werde. Im Untersuchungsbefund werde ein Gehen an zwei Unterarmgehstützen mit völliger Entlastung der rechten unteren Extremität, eine Umfangsminderung des rechten Unterschenkels, eine geringere Beschwielung der rechten Fußsohle, aber kein Anhalt für Paresen und eine ausgeglichene Stimmung beschrieben. Ein chronisches Schmerzsyndrom sei glaubhaft. Dies spreche für den Beurteilungsvorschlag in der nervenärztlichen Stellungnahme vom 23.03.2009. Daher sei die Berufung zurückzuweisen, soweit das Begehren des Klägers über das Vergleichsangebot vom 27.03.2009 hinausgehe.
Der Senat hat nochmals Befundberichte des Universitätsklinikums C-Stadt, des D. Schmerz-Zentrums D-Stadt und der Chirurgin Dr. B. eingeholt und anschließend den Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Spezielle Schmerztherapie Dr. F. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Nachdem der Kläger trotz dreimaliger Aufforderung zur Begutachtung nicht erschienen ist, ist das Gutachten nach Aktenlage erstellt worden. Folgende Funktionsbeeinträchtigungen hat Dr. F. in seinem Gutachten nach Aktenlage vom 23.07.2010 aufgeführt:
1. chronisches Schmerzsyndrom des rechten Unterschenkels nach Unterschenkelfraktur und Compartment-Syndrom (Einzel-GdB 20)
2. seelische Störung, depressive Verstimmung (Einzel-GdB 20)
Der Gesamt GdB des Klägers sei mit 30 einzuschätzen. Der Kläger sei nicht nachweislich gehbehindert. Ohne Zweifel liege eine Schmerzchronifizierung mit psychischer Komorbidität vor. Aus algesiologischer Sicht sei hierfür ein Einzel-GdB von jeweils 20 möglich. Allerdings komme auch ein Gesamt-GdB von 30 in Frage. Eine hierüber hinausreichende Gesamtbewertung sei nach den in den Akten dokumentierten Befunden nicht gerechtfertigt. Ebenso wenig könne eine erhebliche Einschränkung der Mobilität des Klägers festgestellt werden. Diese könne insbesondere nicht aus der Weigerung des Klägers, einen Untersuchungstermin in F-Stadt wahrzunehmen, abgeleitet werden. Auch einem schwer kranken oder an starken Schmerzen leidenden Menschen sei es prinzipiell möglich, eine Praxis aufzusuchen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 22.04.2009 insoweit zurückzuweisen, als das Begehren über das Vergleichsangebot vom 27.03.2009 hinausgeht.
Der Senat hat die Akten des Beklagten und die des Sozialgerichts Bayreuth beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Berufungsakte sowie der beigezogenen Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die formgerecht eingelegte Berufung ist nach der gemäß §§ 67 Abs. 1,153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gewährten Wiedereinsetzung gemäß §§ 143,151 SGG statthaft und zulässig sowie teilweise begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 30 für die Zeit ab 20.1.2008. Der angefochtene Gerichtsbescheid des Sozialgerichts und die Bescheide des Beklagten sind insoweit abzuändern. Das Merkzeichen "G" ist nicht zuzuerkennen.
1. Der Antrag des Klägers einen GdB von 100 festzustellen, war abzuweisen, soweit die Zuerkennung eines höheren GdB als 30 beantragt wird.
Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB-Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 17 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. In diesem Zusammenhang waren bis zum 31.12.2008 die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993, Az.: 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997, Az.: 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003, Az.: B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990, Az.: 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1).
Seit dem 01.01.2009 ist an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 17 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. Eine inhaltliche Änderung der bisher angewandten Grundsätze und Kriterien erfolgte hierdurch nicht. Die VG haben vielmehr die AHP - jedenfalls soweit vorliegend relevant - übernommen und damit gewährleistet, dass gegenüber dem bisherigen Feststellungsverfahren keine Schlechterstellung möglich ist. In den VG ist ebenso wie in den AHP (BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22) der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben.
Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Teil A Nr. 3 Seite 10 der VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP).
Hiervon ausgehend hat der Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung eines GdB von über 30. Die Gutachter haben übereinstimmend einen Zustand nach Unterschenkelbruch, ein Schmerzsyndrom sowie eine bestehende depressive Störung festgestellt. Eine wesentliche Funktionsstörung der dem Unterschenkelbruch benachbarten Gelenke war nicht dokumentiert. Der gelenkferne Unterschenkelbruch hat nicht zu einem Gelenkschaden geführt. Die vorliegenden Röntgenaufnahmen zeigen einen ohne Fehlstellung verheilten Schienbeinbruch ohne Gelenkbeteiligung und eine bedeutungslose Pseudoarthrose des Wadenbeines. Wegen der vorliegenden Schmerzchronifizierung ist für diese Unterschenkelfraktur ein Einzel-GdB von 20 gerechtfertigt. Wie der Sachverständige Dr. F. ausführt, ist eine weiterreichende Feststellung eines GdB aufgrund der in den Akten dokumentierten medizinischen Befunde nicht gerechtfertigt. Insoweit geht die Unaufklärbarkeit des Sachverhaltes nach § 103 SGG zu Lasten des Klägers. Dem Kläger war es zumutbar mit öffentlichen Verkehrsmitteln den Gutachter aufzusuchen; dass er sich subjektiv dazu nicht in der Lage sah, ist nicht ausreichend (vgl. hierzu auch Leitherer in Meyer-Lade-wig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 103 Rn. 15 ff). Der Senat hat den Kläger darauf hingewiesen, dass ein Gutachten nach Aktenlage erstellt wird, wenn er sich der Begutachtung nach § 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG nicht unterzieht. Der Kläger ist vom Gutachter dreimal zu Begutachtungen eingeladen worden. Er ist ohne ausreichende Entschuldigung nicht erschienen.
Somit ist nach Aktenlage beim Kläger ein chronisches Schmerzsyndrom am rechten Unterschenkel nach Unterschenkelfraktur und Compartment-Syndrom mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Für die bestehende seelische Störung beziehungsweise depressive Verstimmung ist ein Einzel-GdB von 20 nach den AHP 26.3 angemessen. Hiernach sind leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem GdB zwischen 0 und 20 zu bewerten. Erst stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit werden mit einem GdB von 30 bis 40 bewertet. Ob eine solche wesentliche Einschränkung beim Kläger bereits vorliegt, ließ sich aufgrund der Weigerung des Klägers den Sachverständigen aufzusuchen, nicht feststellen. Daher muss es bei einer Feststellung eines GdB von 20 für die bestehende psychische Störung bleiben. Insgesamt ist daher ein Gesamt-GdB von 30 festzustellen.
2. Der Antrag des Kägers das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festzustellen wurde zu Recht abgewiesen.
Anspruchsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "G" sind die §§ 69 Abs. 4, 145 Abs. 1 Satz 1 SGB IX. Hiernach hat die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständige Behörde das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festzustellen, wenn ein schwerbehinderter Mensch infolge seiner Behinderung in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist. Nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.
Die AHP bzw. die seit dem 01.01.2009 an ihre Stelle getretenen Bestimmungen der Anlage zu § 2 VersMedV beschreiben in Nr. 30 Abs. 3 bis 5 bzw. Teil D Nr. 1 d) - f) Regelfälle, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" als erfüllt anzusehen sind und die bei der Beurteilung einer dort nicht erwähnten Behinderung als Vergleichsmaßstab dienen können. Sie geben an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, bevor angenommen werden kann, dass ein behinderter Mensch infolge der Einschränkung des Gehvermögens "in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist", und tragen damit dem Umstand Rechnung, dass das menschliche Gehvermögen keine statische Messgröße ist, sondern von verschiedenen Faktoren geprägt und variiert wird, zu denen neben den anatomischen Gegebenheiten des Körpers, also Körperbau und etwaige Behinderungen, vor allem der Trainingszustand, die Tagesform, Witterungseinflüsse, die Art des Gehens (ökonomische Beanspruchung der Muskulatur, Gehtempo und Rhythmus) sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem die Motivation, gehören. Von all diesen Faktoren filtern die AHP bzw. die in der Anlage zu § 2 VersMedV getroffenen Bestimmungen all jene heraus, die nach dem Gesetz außer Betracht zu bleiben haben, weil sie die Bewegungsfähigkeit des behinderten Menschen im Straßenverkehr nicht infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung seines Gehvermögens, sondern möglicherweise aus anderen Gründen, erheblich beeinträchtigen.
Nach Nr. 30 Abs. 3 AHP bzw. Teil D Nr. 1 d) der Anlage zu § 2 VersMedV sind die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens in erster Linie dann als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei einer Behinderung an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderung sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirkt, z. B. bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- und Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40. Soweit innere Leiden zur Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr führen können, kommt es ebenfalls entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden und bei Lungenschäden mit einem Einzel-GdB von mindestens 50 anzunehmen. Auch bei anderen inneren Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, wie z. B. bei einer chronischen Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie, sind die Voraussetzungen als erfüllt anzusehen.
Diese Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" sind im Fall des Klägers nicht erfüllt, was sich für den Senat aus den Gutachten der Sachverständigen Dr. F. und Dr. B. ergibt. Nach diesen Gutachten, die auf einer körperlichen Untersuchung des Klägers (Dr. B.) sowie einer umfassenden Auswertung der vorhandenen medizinischen Unterlagen beruht und überzeugend begründet worden sind, bedingen die bestehenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßnahmen und/oder der Lendenwirbelsäule einen Einzel-GdB von 50 ersichtlich nicht. Der Senat folgt insoweit den Feststellungen der Gutachter.
Die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" sind auch nicht nach Nr. 30 Abs. 4 und 5 AHP bzw. Teil D Nr. 1 e) und f) der Anlage zu § 2 VersMedV als erfüllt anzusehen. Soweit danach im Einklang mit § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX bestimmte Anfallsleiden sowie bestimmte Störungen der Orientierungsfähigkeit zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr führen können, liegen derartige Leiden hier nicht vor.
Besondere Umstände, die dazu führen könnten, die medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" außerhalb der in Nr. 30 Abs. 3 bis 5 AHP bzw. Teil D Nr. 1 d) bis f) der Anlage zu § 2 VersMedV beschriebenen Regelfälle zu bejahen, hat der Kläger nicht
dargelegt. Sie lassen sich zur Überzeugung des Senats aus den vorliegenden ärztlichen Unterlagen nicht entnehmen.
Somit war die Berufung des Klägers, soweit die Zuerkennung eines höheren GdB als 30 und das Merkzeichen "G" beantragt waren, zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf den §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt das anteilige Obsiegen beziehungsweise Unterliegen beider Parteien.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG).
II. Der Beklagte trägt 1/10 der außergerichtlichen Kosten des Klägers.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der 1965 geborene Kläger begehrt die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft im Sinne von §§ 2 Abs. 2, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sowie die Zuerkennung des Merkzeichens "G".
Er beantragte erstmals am 20.01.2008 die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB), nachdem er am 11.11.2006 einen Unfall hatte, bei dem er eine Unterschenkelfraktur rechts, ein Compartment-Syndrom sowie eine Pseudoarthrose am Fibulaschaft erlitt. Im Antrag gab der Kläger an, dass er die Anerkennung nach der Chronikerregelung (GdB von 60), die Zuerkennung des Merkzeichen "G" und die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen einer Sonderparkberechtigung für den Freistaat Bayern (Bayern-aG) anstrebe.
Nach Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte des Klägers sowie eines Entlassungsberichts der S.-Klinik B-Stadt vom 16.10.2007 und eines Entlassungsberichts des Reha-Zentrums R. vom 06.05.2008 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 01.07.2008 die Feststellung einer Behinderung ab, da ein GdB von wenigstens 20 nicht erreicht werde. Er stellte folgende Gesundheitsstörungen fest:
1. chronisches Schmerzsyndrom am rechten Unterschenkel nach Compartment-Syndrom (Einzel-GdB 10)
2. seelische Störung (Einzel-GdB 10)
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 24.07.2008 Widerspruch ein und führte aus, dass er seit dem 28.02.2006 arbeitsunfähig sei. Er könne durch seinen seelischen Zustand und die körperlichen Fehlfunktionen nicht am Leben in der Gesellschaft teilnehmen. Er sei zu einer Schmerztherapie im Klinikum S. gewesen. Dort sei ein chronifiziertes Schmerzsyndrom mit Ausprägung des rechten Unterschenkels und Fußes mit bio-psycho-sozialen Konsequenzen und ein Schmerzstadium III nach Gerbershagen festgestellt worden. Ein Gehen ohne Hilfsmittel sei ihm nicht möglich.
Im Widerspruchsverfahren zog der Beklagte ein für die gesetzliche Rentenversicherung gefertigtes nervenärztliches Gutachten von Dr. S. vom 04.09.2008 sowie weitere ärztliche Unterlagen bei. Mit Teilabhilfebescheid vom 05.11.2008 erkannte der Beklagte ab dem 20.01.2008 einen GdB von 20 an. Nunmehr wurden die bestehenden Gesundheitsstörungen wie folgt beurteilt:
1. chronisches Schmerzsyndrom am rechten Unterschenkel mit Compartment-Syndrom (Einzel-GdB 20)
2. seelische Störung (Einzel-GdB 10)
Im Übrigen wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10.11.2008 zurückgewiesen.
Am 08.12.2008 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Bayreuth erhoben und beantragt, den Beklagten zu verurteilen, einen GdB von mindestens 50 und das Merkzeichen "G" zuzuerkennen. Er habe ein chronisches Schmerzsyndrom am rechten Unterschenkel und daraus bedingte seelische Störungen. Das Sozialgericht Bayreuth hat von der Unfallklinik M., der S.-Klinik B-Stadt, dem Klinikum S. und der C. Behandlungsunterlagen und vom behandelnden Allgemeinarzt des Klägers Dr. S. sowie von der Chirurgin Dr. B. Befundberichte angefordert.
Der Beklagte hat nach Auswertung der beigezogenen ärztlichen Unterlagen am 23.03.2009 eine ärztliche Stellungnahme abgegeben und ein Vergleichsangebot unterbreitet, in dem er sich bereit erklärt hat, folgende Gesundheitsstörungen festzustellen:
1. Funktionsbehinderung des oberen Sprunggelenkes rechts, Restbeschwerden nach Compartment-Syndrom, Fibula-Pseudarthrose rechts, Minderung der Beinmuskulatur rechts (Einzel-GdB 20)
2. seelische Störung, chronisches Schmerzsyndrom (Einzel-GdB 20).
Aufgrund dieser Gesundheitsstörungen sei der Beklagte bereit, ab dem 20.01.2008 einen Gesamt GdB von 30 festzustellen.
Der Kläger ist im Auftrag des Sozialgerichts Bayreuth am 07.04.2009 durch den gerichtlichen Sachverständigen Dr. B. untersucht worden. Dieser hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass bei den Gesundheitsstörungen des Klägers belastungsabhängige Schmerzen im rechten Unterschenkel und Fuß im Vordergrund stehen würden. Nach einem Compartment-Syndrom seien chronische Schmerzzustände nicht unüblich. Bei fehlenden Funktionsstörungen in den benachbarten Gelenken könne davon ausgegangen werden, dass ein chronisches Schmerzstadium vorliege, das einen selbstständigen Krankheitswert erlangt habe. Daher bestehe ein chronifiziertes Schmerzsyndrom im Stadium III nach Gerbershagen, das mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten sei. Die psychosomatische Störung des Klägers bewertete er mit einem Einzel-GdB von 10. Insgesamt sei daher der GdB ab dem 20.01.2008 mit 20 festzustellen. Aus medizinischer Sicht sei der Kläger in der Lage, Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden könnten. Im anschließenden Termin zur Erörterung des Sachverhalts und zur Beweisaufnahme hat der gerichtliche Sachverständige auf Nachfrage erklärt, dass die Bewegungseinschränkung im Bereich des rechten oberen Sprunggelenkes nur minimal sei. Der GdB hierfür betrage unter 10 als Einzel-GdB. Eine Änderung im Sinne einer Verschlechterung sei nicht eingetreten.
Mit Gerichtsbescheid vom 22.04.2009 hat das Sozialgericht Bayreuth die Klage abgewiesen, da der Beklagte zu Recht einen Gesamt-GdB von 20 ab dem 20.01.2008 zuerkannt habe. Ein höherer GdB könne ebenso wenig wie das Merkzeichen "G" festgestellt werden. Dies ergebe sich überzeugend aus dem Gutachten von Dr. B. und den beigezogenen medizinischen Befunden. Daher sei der Teilabhilfebescheid der Beklagten vom 05.11.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.11.2008 nicht zu beanstanden.
Mit der am 19.06.2009 beim Sozialgericht Bayreuth eingegangenen Berufung hat der Kläger geltend gemacht, dass er nicht einen GdB von mindestens 50 beantragt habe, sondern den GdB auf 100, und darüber hinaus das Merkzeichen "G" festzustellen. Er befinde sich in einer Schmerztherapie bei Dr. B. in B-Stadt. Der Gutachter Dr. B. habe seine Gesundheitsstörungen nicht richtig wiedergegeben. Er könne keinesfalls Wegstrecken im Ortsverkehr zurücklegen.
Nachdem die Berufung verfristet eingelegt wurde, ist dem Kläger mit Beschluss vom 26.08.2009 hinsichtlich der versäumten Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt worden.
Der Kläger hat einen Entlassungsbrief des D. Schmerzzentrums D-Stadt vorgelegt, in dem er sich vom 15.07.2009 bis zum 01.08.2009 in stationärer Behandlung befand. Hierzu hat der ärztliche Dienst des Beklagten in einer nervenärztlichen Stellungnahme vom 15.09.2009 ausgeführt, dass eine hoch chronifizierte, multilokuläre Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren mit hochgradiger, schmerzbedingter Beeinträchtigung angegeben werde. Im Untersuchungsbefund werde ein Gehen an zwei Unterarmgehstützen mit völliger Entlastung der rechten unteren Extremität, eine Umfangsminderung des rechten Unterschenkels, eine geringere Beschwielung der rechten Fußsohle, aber kein Anhalt für Paresen und eine ausgeglichene Stimmung beschrieben. Ein chronisches Schmerzsyndrom sei glaubhaft. Dies spreche für den Beurteilungsvorschlag in der nervenärztlichen Stellungnahme vom 23.03.2009. Daher sei die Berufung zurückzuweisen, soweit das Begehren des Klägers über das Vergleichsangebot vom 27.03.2009 hinausgehe.
Der Senat hat nochmals Befundberichte des Universitätsklinikums C-Stadt, des D. Schmerz-Zentrums D-Stadt und der Chirurgin Dr. B. eingeholt und anschließend den Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Spezielle Schmerztherapie Dr. F. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Nachdem der Kläger trotz dreimaliger Aufforderung zur Begutachtung nicht erschienen ist, ist das Gutachten nach Aktenlage erstellt worden. Folgende Funktionsbeeinträchtigungen hat Dr. F. in seinem Gutachten nach Aktenlage vom 23.07.2010 aufgeführt:
1. chronisches Schmerzsyndrom des rechten Unterschenkels nach Unterschenkelfraktur und Compartment-Syndrom (Einzel-GdB 20)
2. seelische Störung, depressive Verstimmung (Einzel-GdB 20)
Der Gesamt GdB des Klägers sei mit 30 einzuschätzen. Der Kläger sei nicht nachweislich gehbehindert. Ohne Zweifel liege eine Schmerzchronifizierung mit psychischer Komorbidität vor. Aus algesiologischer Sicht sei hierfür ein Einzel-GdB von jeweils 20 möglich. Allerdings komme auch ein Gesamt-GdB von 30 in Frage. Eine hierüber hinausreichende Gesamtbewertung sei nach den in den Akten dokumentierten Befunden nicht gerechtfertigt. Ebenso wenig könne eine erhebliche Einschränkung der Mobilität des Klägers festgestellt werden. Diese könne insbesondere nicht aus der Weigerung des Klägers, einen Untersuchungstermin in F-Stadt wahrzunehmen, abgeleitet werden. Auch einem schwer kranken oder an starken Schmerzen leidenden Menschen sei es prinzipiell möglich, eine Praxis aufzusuchen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 22.04.2009 insoweit zurückzuweisen, als das Begehren über das Vergleichsangebot vom 27.03.2009 hinausgeht.
Der Senat hat die Akten des Beklagten und die des Sozialgerichts Bayreuth beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Berufungsakte sowie der beigezogenen Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die formgerecht eingelegte Berufung ist nach der gemäß §§ 67 Abs. 1,153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gewährten Wiedereinsetzung gemäß §§ 143,151 SGG statthaft und zulässig sowie teilweise begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 30 für die Zeit ab 20.1.2008. Der angefochtene Gerichtsbescheid des Sozialgerichts und die Bescheide des Beklagten sind insoweit abzuändern. Das Merkzeichen "G" ist nicht zuzuerkennen.
1. Der Antrag des Klägers einen GdB von 100 festzustellen, war abzuweisen, soweit die Zuerkennung eines höheren GdB als 30 beantragt wird.
Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB-Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 17 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. In diesem Zusammenhang waren bis zum 31.12.2008 die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993, Az.: 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997, Az.: 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003, Az.: B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990, Az.: 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1).
Seit dem 01.01.2009 ist an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 17 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. Eine inhaltliche Änderung der bisher angewandten Grundsätze und Kriterien erfolgte hierdurch nicht. Die VG haben vielmehr die AHP - jedenfalls soweit vorliegend relevant - übernommen und damit gewährleistet, dass gegenüber dem bisherigen Feststellungsverfahren keine Schlechterstellung möglich ist. In den VG ist ebenso wie in den AHP (BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22) der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben.
Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Teil A Nr. 3 Seite 10 der VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP).
Hiervon ausgehend hat der Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung eines GdB von über 30. Die Gutachter haben übereinstimmend einen Zustand nach Unterschenkelbruch, ein Schmerzsyndrom sowie eine bestehende depressive Störung festgestellt. Eine wesentliche Funktionsstörung der dem Unterschenkelbruch benachbarten Gelenke war nicht dokumentiert. Der gelenkferne Unterschenkelbruch hat nicht zu einem Gelenkschaden geführt. Die vorliegenden Röntgenaufnahmen zeigen einen ohne Fehlstellung verheilten Schienbeinbruch ohne Gelenkbeteiligung und eine bedeutungslose Pseudoarthrose des Wadenbeines. Wegen der vorliegenden Schmerzchronifizierung ist für diese Unterschenkelfraktur ein Einzel-GdB von 20 gerechtfertigt. Wie der Sachverständige Dr. F. ausführt, ist eine weiterreichende Feststellung eines GdB aufgrund der in den Akten dokumentierten medizinischen Befunde nicht gerechtfertigt. Insoweit geht die Unaufklärbarkeit des Sachverhaltes nach § 103 SGG zu Lasten des Klägers. Dem Kläger war es zumutbar mit öffentlichen Verkehrsmitteln den Gutachter aufzusuchen; dass er sich subjektiv dazu nicht in der Lage sah, ist nicht ausreichend (vgl. hierzu auch Leitherer in Meyer-Lade-wig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 103 Rn. 15 ff). Der Senat hat den Kläger darauf hingewiesen, dass ein Gutachten nach Aktenlage erstellt wird, wenn er sich der Begutachtung nach § 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG nicht unterzieht. Der Kläger ist vom Gutachter dreimal zu Begutachtungen eingeladen worden. Er ist ohne ausreichende Entschuldigung nicht erschienen.
Somit ist nach Aktenlage beim Kläger ein chronisches Schmerzsyndrom am rechten Unterschenkel nach Unterschenkelfraktur und Compartment-Syndrom mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Für die bestehende seelische Störung beziehungsweise depressive Verstimmung ist ein Einzel-GdB von 20 nach den AHP 26.3 angemessen. Hiernach sind leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem GdB zwischen 0 und 20 zu bewerten. Erst stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit werden mit einem GdB von 30 bis 40 bewertet. Ob eine solche wesentliche Einschränkung beim Kläger bereits vorliegt, ließ sich aufgrund der Weigerung des Klägers den Sachverständigen aufzusuchen, nicht feststellen. Daher muss es bei einer Feststellung eines GdB von 20 für die bestehende psychische Störung bleiben. Insgesamt ist daher ein Gesamt-GdB von 30 festzustellen.
2. Der Antrag des Kägers das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festzustellen wurde zu Recht abgewiesen.
Anspruchsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "G" sind die §§ 69 Abs. 4, 145 Abs. 1 Satz 1 SGB IX. Hiernach hat die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständige Behörde das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festzustellen, wenn ein schwerbehinderter Mensch infolge seiner Behinderung in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist. Nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.
Die AHP bzw. die seit dem 01.01.2009 an ihre Stelle getretenen Bestimmungen der Anlage zu § 2 VersMedV beschreiben in Nr. 30 Abs. 3 bis 5 bzw. Teil D Nr. 1 d) - f) Regelfälle, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" als erfüllt anzusehen sind und die bei der Beurteilung einer dort nicht erwähnten Behinderung als Vergleichsmaßstab dienen können. Sie geben an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, bevor angenommen werden kann, dass ein behinderter Mensch infolge der Einschränkung des Gehvermögens "in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist", und tragen damit dem Umstand Rechnung, dass das menschliche Gehvermögen keine statische Messgröße ist, sondern von verschiedenen Faktoren geprägt und variiert wird, zu denen neben den anatomischen Gegebenheiten des Körpers, also Körperbau und etwaige Behinderungen, vor allem der Trainingszustand, die Tagesform, Witterungseinflüsse, die Art des Gehens (ökonomische Beanspruchung der Muskulatur, Gehtempo und Rhythmus) sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem die Motivation, gehören. Von all diesen Faktoren filtern die AHP bzw. die in der Anlage zu § 2 VersMedV getroffenen Bestimmungen all jene heraus, die nach dem Gesetz außer Betracht zu bleiben haben, weil sie die Bewegungsfähigkeit des behinderten Menschen im Straßenverkehr nicht infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung seines Gehvermögens, sondern möglicherweise aus anderen Gründen, erheblich beeinträchtigen.
Nach Nr. 30 Abs. 3 AHP bzw. Teil D Nr. 1 d) der Anlage zu § 2 VersMedV sind die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens in erster Linie dann als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei einer Behinderung an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderung sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirkt, z. B. bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- und Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40. Soweit innere Leiden zur Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr führen können, kommt es ebenfalls entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden und bei Lungenschäden mit einem Einzel-GdB von mindestens 50 anzunehmen. Auch bei anderen inneren Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, wie z. B. bei einer chronischen Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie, sind die Voraussetzungen als erfüllt anzusehen.
Diese Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" sind im Fall des Klägers nicht erfüllt, was sich für den Senat aus den Gutachten der Sachverständigen Dr. F. und Dr. B. ergibt. Nach diesen Gutachten, die auf einer körperlichen Untersuchung des Klägers (Dr. B.) sowie einer umfassenden Auswertung der vorhandenen medizinischen Unterlagen beruht und überzeugend begründet worden sind, bedingen die bestehenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßnahmen und/oder der Lendenwirbelsäule einen Einzel-GdB von 50 ersichtlich nicht. Der Senat folgt insoweit den Feststellungen der Gutachter.
Die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" sind auch nicht nach Nr. 30 Abs. 4 und 5 AHP bzw. Teil D Nr. 1 e) und f) der Anlage zu § 2 VersMedV als erfüllt anzusehen. Soweit danach im Einklang mit § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX bestimmte Anfallsleiden sowie bestimmte Störungen der Orientierungsfähigkeit zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr führen können, liegen derartige Leiden hier nicht vor.
Besondere Umstände, die dazu führen könnten, die medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" außerhalb der in Nr. 30 Abs. 3 bis 5 AHP bzw. Teil D Nr. 1 d) bis f) der Anlage zu § 2 VersMedV beschriebenen Regelfälle zu bejahen, hat der Kläger nicht
dargelegt. Sie lassen sich zur Überzeugung des Senats aus den vorliegenden ärztlichen Unterlagen nicht entnehmen.
Somit war die Berufung des Klägers, soweit die Zuerkennung eines höheren GdB als 30 und das Merkzeichen "G" beantragt waren, zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf den §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt das anteilige Obsiegen beziehungsweise Unterliegen beider Parteien.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG).
Rechtskraft
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