Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 R 4077/08
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 R 557/10 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die Aussetzungsmöglichkeit des § 114 Abs. 2 S. 2 SGG bezieht sich nur auf Verfahrens- und Formfehler, die im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens geschehen sind, das zu dem angefochtenen Bescheid geführt hat und nicht auf eventuelle Verfahrens- oder Formfehler in anderen, für den zu entscheidenden Rechtsstreit vorgreiflichen Verfahrens.
Auf die Beschwerde der Beklagten hin wird der Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 6. Mai 2010 aufgehoben.
Gründe:
I.
In dem vor dem Sozialgericht Regensburg SG) anhängigen Rechtsstreit ist streitig, ob
die Beschwerdegegnerin und Klägerin (Klägerin) verpflichtet ist, Rente in Höhe von 32.370,25 Euro aufgrund einer Überschreitung der Hinzuverdienstgrenzen im Zeitraum 1. Juli 2003 bis 31. Oktober 2006 zu erstatten.
Mit Bescheid vom 5. Juni 2003 gewährte die Beschwerdeführerin und Beklagte (Beklagte) der Klägerin Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab 1. Juli 2003 mit einem anfänglichen monatlichen Zahlbetrag von 816,10 EUR.
Im Rahmen einer Betriebsprüfung gemäß § 28 p Abs. 1 SGB IV erhob der Prüfdienst der DRV Bayern Süd - Prüfzentrum A-Stadt - eine Nachforderung an Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von insgesamt 19.455,29 Euro durch Bescheid vom 8. Juni 2007, abgeändert durch einen Bescheid ohne Datum, gegen die Erbengemeinschaft D./ P ... Grundlage hierfür war die Feststellung, dass die Klägerin vom März 2003 bis 8. November 2006 bei dem am 8. November 2006 verstorbenen Herrn D. mit einem Entgelt von 1000.- EUR brutto/monatlich ohne Beitragszahlung beschäftigt gewesen ist. An der Betriebsprüfung war die Klägerin nicht beteiligt.
Mit Schreiben vom 21. September 2007 hörte die Beklagte die Klägerin zu einer beabsichtigten Rücknahme des Bescheids vom 5. Juni 2003 gemäß § 45 SGB X ab 1. Juli 2003 und einer Rückzahlung überzahlter Rente in Höhe von 32.370,25 Euro an. Im Rahmen einer Betriebsprüfung sei festgestellt worden, dass in der Zeit vom 1. Juli 2003 bis 31. Oktober 2006 ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis bestanden habe, aus der die Klägerin einen monatlichen Verdienst in Höhe von 1000 EUR erzielt habe. Damit würden die zulässigen Hinzuverdienstgrenzen einer Altersrente überschritten. Ein Rentenanspruch bestehe für diesen Zeitraum nicht.
Hiergegen wandte die Klägerin insbesondere ein, in dem genannten Zeitraum habe sie zeitweise kein Arbeitsentgelt, zeitweise Arbeitsentgelt in geringerer Höhe (265.- Euro bis 600.- Euro) erhalten. Es gebe keinen schriftlichen Arbeitsvertrag. Es seien auch keine
Vereinbarungen des Inhalts getroffen worden, dass monatlich 1000.- Euro zu zahlen seien.
Mit angefochtenem Bescheid vom 20. November 2007 nahm die Beklagte den Rentenbescheid vom 20. November 2007 zurück und forderte eine Überzahlung in Höhe von 32.370.- Euro zurück. Bei einem monatlichen Entgelt von 1000.- Euro seien sämtliche Hinzuverdienstgrenzen für eine Vollrente überschritten, so dass kein Anspruch auf Altersrente mehr bestehe. Die vorgetragenen Einwendungen seien nicht geeignet, von der Bescheidrücknahme abzusehen. Maßgebend sei das Gesamtergebnis der Betriebsprüfung, das als Grundlage für die Überprüfung des bisherigen Rentenanspruchs herangezogen worden und an das die Beklagte gebunden sei. Danach sei eine Beschäftigung ausgeübt worden, mit deren Entgelt die Klägerin die zulässigen Hinzuverdienstgrenzen überschritten habe.
Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin u.a. geltend, dass sie bei der Betriebsprüfung nicht angehört worden sei. Auch sei es rechtsfehlerhaft, dass die Beklagte sich darauf stütze, an das Gesamtergebnis der Betriebsprüfung gebunden zu sein. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 2008 zurückgewiesen.
Mit der hiergegen zum Sozialgericht Regensburg (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Die Erben des Herrn D. hätten wahrheitswidrig behauptet, sie habe von Beginn an 1000.- Euro verdient. Die Beklagte habe diese wahrheitswidrigen Angaben ungeprüft übernommen. Im Rahmen der Betriebsprüfung sei die Klägerin niemals angehört worden. Es stehe nicht fest, in welchem Monat die Klägerin über die Hinzuverdienstgrenzen hinaus Arbeitsentgelt erhalten hätte. Eine eigene Aufstellung über den Hinzuverdienst im Zeitraum 1. Juli 2003 bis 31. Oktober 2006 wurde vorgelegt.
Das SG hat die Prüfungsunterlagen der DRV Bayern Süd Prüfzentrum A-Stadt beigezogen.
Mit angefochtenem Beschluss vom 6. Mai 2010 hat das SG das Verfahren bis zum ordnungsgemäßen Abschluss des Verfahrens gemäß § 28p SGB IV ausgesetzt. Die DRV Bayern Süd habe gemäß § 28p SGB IV im Jahr 2007 eine Betriebsprüfung durchgeführt. Die dortigen Feststellungen seien der Klägerin gegenüber nicht bindend, da sie im dortigen Verfahren nicht beteiligt worden sei. Die Entscheidung im anhängigen Rechtsstreit hänge davon ab, ob die Feststellungen der Betriebsprüfung im Verhältnis zur Klägerin bindend seien. Sie sei daher am dortigen Verfahren zu beteiligen. Bis zum bindenden Abschluss des dortigen Verfahrens sei daher der hier anhängige Rechtsstreit gemäß § 114 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - auszusetzen. Die Aussetzung erfolge, um Doppelermittlungen und widersprechende Entscheidungen zu vermeiden. Eine unangemessene Verzögerung ergebe sich dadurch nicht.
Mit der hiergegen erhobenen Beschwerde macht die Beklagte geltend, das anhängige Verfahren sei nicht davon abhängig, ob die Feststellungen der Betriebsprüfung im Verhältnis zur Klägerin bindend seien. Im vorliegenden Fall habe kein Erfordernis bestanden, die Klägerin bei der Betriebsprüfung zu beteiligen, weil die Beschäftigung im Zeitpunkt der Betriebsprüfung bereits beendet gewesen sei und somit der Bescheid keine Wirkung für die Zukunft entfalte. Die DRV Bayern Süd habe festgestellt, dass das gezahlte Arbeitsentgelt beitragspflichtig gewesen und bisher keine Beitragszahlung erfolgt sei. Die Klägerin sei weder zur Beitragszahlung herangezogen worden noch sei erkennbar gewesen, dass sie auf andere Weise durch die getroffene Entscheidung beschwert werde. Die Klägerin sei daher am Verfahren gemäß § 28p SGB IV nicht zu beteiligen. Wenn die Rechtmäßigkeit bezweifelt werde, könne ein Überprüfungsantrag gestellt werden.
Die Klägerin hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Es werde mit Nichtwissen bestritten, ob der Beschluss rechtzeitig angefochten worden sei. Auch hätte die Klägerin an der Betriebsprüfung beteiligt werden müssen. Sie sei dadurch beschwert, dass die Beklagte im angegriffenen Bescheid von einer Rentenüberzahlung ausgehe. Zu dieser Rückzahlung käme es wohl nicht, wenn die Klägerin an der Betriebsprüfung beteiligt worden wäre. Dies sei aber nicht geschehen. Die Klägerin sei durch die Betriebsprüfung und die in der Betriebsprüfung getroffenen Feststellungen also beschwert. Diese verstoße im Übrigen gegen das Grundgesetz, nämlich gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Ein Grund für die Aussetzung des Verfahrens besteht nicht.
Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist gemäß § 172 Abs. 1 SGG statthaft. Ein Ausschlussgrund gemäß § 172 Abs. 2 oder 3 SGG liegt nicht vor; insbesondere handelt es sich bei
einem Aussetzungsbeschluss nicht um eine prozessleitende Verfügung iSd § 172 Abs. 2 SGG (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Auflage, § 172 Rn. 3). Die Beschwerde wurde auch form- und fristgerecht eingelegt. Der Beschluss des SG vom 6. Mai 2010 wurde der Beklagten ausweislich ihres Empfangsbekenntnisses am 28. Mai 2010 zugestellt. Die Beschwerde ist beim SG am 28. Juni 2010 und damit binnen eines Monats eingegangen (vgl. § 173 S. 1 SGG).
Die Beschwerde ist auch begründet. Ein Aussetzungsgrund liegt nicht vor.
Hängt die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer anderen Verwaltungsstelle festzustellen ist, so kann das Gericht anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsstelle auszusetzen ist (§ 114 Abs. 2 S. 1 SGG).
Die Entscheidung des vor dem SG anhängigen Rechtsstreits hängt davon ab, ob und ggf. für welche Zeiträume die Klägerin bei Herrn D. ein Arbeitsentgelt erzielt hat, das über den maßgeblichen Hinzuverdienstgrenzen für die von der Beklagten bezogenen Altersrente liegt. Gegenstand der von der DRV Bayern Süd vorgenommenen Prüfung nach § 28p SGB IV ist, ob der Arbeitgeber seine Meldepflichten und seine sonstigen Verpflichtungen nach dem SGB, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllt hat; überprüft wird hierbei insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen mindestens alle vier Jahre (vgl. § 28p Abs. 1 S. 1 SGB IV). Bei der Überprüfung der Richtigkeit der Beitragszahlungen hat der Träger der Rentenversicherung notwendigerweise festzustellen, ob und in welcher Höhe sozialversicherungspflichtige Arbeitsentgelte entrichtet worden sind. Die Feststellungen des den Arbeitgeber prüfenden Rentenversicherungsträgers in Bezug auf die Höhe des von der Klägerin eventuell bezogenen Arbeitsentgelts sind daher durchaus vorgreiflich iSd § 114 Abs. 2 S. 1 SGG für das beim SG anhängige Verfahren, da insoweit ausreichend ist, dass das andere Verfahren irgendwie für die Entscheidung erheblich ist (Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, Kommentar zum SGG, § 114 Rn. 2).
Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 114 Abs. 2 S. 1 SGG kann eine Aussetzung aber nur bis zur Entscheidung der Verwaltungsstelle erfolgen. Die Feststellung der Verwaltungsbehörde liegt mit Bestandskraft des Verwaltungsaktes vor (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O., Rn. 3 a). Die von der DRV Bayern Süd erlassenen Bescheide, deren Inhalt die Festsetzung von Sozialversicherungsbeiträgen aufgrund eines zwischen der Klägerin und Hr. D. bestehenden Arbeitsverhältnisses mit einem monatlichen Entgelt von 1000.-Euro brutto ist, sind bereits bestandskräftig geworden. Die Bescheidadressaten, die Erbengemeinschaft D./P., haben die Bescheide nicht angefochten. Die Klägerin hat keine Anfechtungsbefugnis, da sie durch die Bescheide nicht beschwert ist. Eine Beitragspflicht wird ihr durch die Bescheide nicht auferlegt. Für eine mögliche, zur Anfechtung berechtigende Drittbetroffenheit genügt es nicht, dass in den angefochtenen Bescheiden über für die Klägerin präjudizielle Vorfragen entschieden wurde (vgl. Mayer-Ladewig, § 54 Rn. 14b). Eine Bindungswirkung in Bezug auf das von der DRV Bayern Süd angenommene monatliche Einkommen in Höhe von 1.000.- Euro durch deren Bescheide besteht nicht, da die Klägerin an dem Betriebsprüfungsverfahren nicht beteiligt wurde; die dort getroffenen Feststellungen sind mithin für sie auch nicht bindend (vgl. § 77 SGG). Da die Bescheide der DRV Bayern Süd nicht angefochten wurden und auch nicht mehr anfechtbar sind, scheidet eine Aussetzung gemäß § 114 Abs. 2 S. 1 SGG damit aus.
Eine Aussetzung kommt auch nicht gemäß § 114 Abs. 2 S. 2 SGG in Betracht. Danach kann das Gericht die Verhandlung zur Heilung von Verfahrens- und Formfehlern aussetzen, soweit dies im Sinne der Verfahrenskonzentration sachdienlich ist. Bei dem Erlass des hier streitigen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids vom 20. November 2007 ist der Beklagten kein Verfahrens- oder Formfehler unterlaufen. Nach Auffassung des Senats bezieht sich die Aussetzungsmöglichkeit des § 114 Abs. 2 S. 2 SGG nur auf Verfahrens- und Formfehler, die im Rahmen des Verwaltungsverfahrens geschehen sind, das zu dem angefochtenen Bescheid geführt hat und nicht auf eventuelle Verfahrens- oder Formfehler in anderen, für den zu entscheidenden Rechtsstreit vorgreiflichen Verfahren. Denn nur im ersteren Fall liegt es in der Hand des durch die Aussetzung des Verfahrens betroffenen Verwaltungsträgers, den Verfahrens- oder Formfehler etwa durch eine Nachholung der unterlassenen Verfahrenshandlung zu korrigieren. Dies ist ihm jedoch nicht möglich, wenn der Verfahrens- oder Formfehler in einem anderen Verwaltungsverfahren geschehen ist, das vorgreiflich für die Entscheidung des Rechtsstreits ist.
Hinzu kommt, dass der im Rahmen der Betriebsprüfung durch die DRV Bayern Süd dieser unterlaufene Verfahrensfehler nicht mehr heilbar ist. Die von der DRV Bayern Süd erlassenen Bescheide sind fehlerhaft, da die der DRV Bayern Süd bekannte Klägerin von dieser nicht über die Einleitung des Verfahrens informiert worden ist (vgl. § 12 Abs. 2 S. 2 SGB X). Eine derartige Information hat dann zu erfolgen, wenn der Ausgang des Verfahrens rechtsgestaltende Wirkung für den Dritten hat (Kassler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Band 2, § 12 SGB X, Rn. 20). Das BSG bezieht dabei auch solche Verwaltungsakte in den Anwendungsbereich des § 12 Abs. 2 S. 2 SGB X mit ein, die - wie ein Verfahren zur Feststellung der Versicherungspflicht von Beschäftigten - den Erlass eines feststellenden Verwaltungsaktes zum Ziel haben, sofern der Verwaltungsakt die Rechtsstellung eines Dritten derart berührt, dass dieser in einem anschließenden Gerichtsverfahren nach § 75 Abs. 2 SGG notwendig beizuladen wäre (BSG, Urteil vom 22. Juni 1983, Az. 12 RK 73/82, in BSGE 55, 160, 162). Die Feststellung einer Versicherungspflicht des Versicherten greift auch dann in diesem Sinn in dessen Rechtssphäre ein, wenn er selbst keine Beiträge zu entrichten hat, da hiervon jedenfalls Leistungsansprüche des Versicherten abhängen (BSG, a.a.O.).
Die entsprechenden Bescheide der DRV Bayern Süd sind damit zwar nach der Rechtsprechung des BSG rechtswidrig, sie sind jedoch - im Gegensatz zu dem vom BSG, a.a.O. entschiedenen Fall - bereits bestandskräftig geworden. Eine Heilung des Verfahrensfehlers durch eine Nachholung der Beteiligung ist mit Bestandkraft des Bescheids nicht mehr möglich. Der Verfahrensfehler ist jedoch auch nicht so gravierend, dass er zu einer Nichtigkeit der Bescheide mit der Folge führen würde, dass das Betriebsprüfungsverfahren erneut durchzuführen wäre. Denn grundsätzlich heilbare Fehler (hier § 41 Abs. 1 Nr. 6 SGB X: Nachholung einer erforderlichen Hinzuziehung eines Beteiligten) stellen keine besonders schwerwiegenden Fehler iSd § 40 Abs. 1 SGB X dar, die eine Nichtigkeit des Verwaltungsaktes begründen könnten (Kass-Komm, Band 2, § 40 SGB X Rn. 12).
Eine Aussetzung gem. § 114 Abs. 2 S. 2 SGG kommt damit ebenfalls nicht in Betracht. Da andere Aussetzungsgründe nicht ersichtlich sind, war der Aussetzungsbeschluss des SG aufzuheben.
Eine Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten ist im Hauptsacheverfahren zu treffen (§ 193 SGG), da es sich um eine Beschwerde gegen eine Zwischenentscheidung
in einem noch anhängigen Rechtsstreit handelt. Insoweit gilt der Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung (BSG SozR 3-1500 § 193 Nr. 10).
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
In dem vor dem Sozialgericht Regensburg SG) anhängigen Rechtsstreit ist streitig, ob
die Beschwerdegegnerin und Klägerin (Klägerin) verpflichtet ist, Rente in Höhe von 32.370,25 Euro aufgrund einer Überschreitung der Hinzuverdienstgrenzen im Zeitraum 1. Juli 2003 bis 31. Oktober 2006 zu erstatten.
Mit Bescheid vom 5. Juni 2003 gewährte die Beschwerdeführerin und Beklagte (Beklagte) der Klägerin Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab 1. Juli 2003 mit einem anfänglichen monatlichen Zahlbetrag von 816,10 EUR.
Im Rahmen einer Betriebsprüfung gemäß § 28 p Abs. 1 SGB IV erhob der Prüfdienst der DRV Bayern Süd - Prüfzentrum A-Stadt - eine Nachforderung an Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von insgesamt 19.455,29 Euro durch Bescheid vom 8. Juni 2007, abgeändert durch einen Bescheid ohne Datum, gegen die Erbengemeinschaft D./ P ... Grundlage hierfür war die Feststellung, dass die Klägerin vom März 2003 bis 8. November 2006 bei dem am 8. November 2006 verstorbenen Herrn D. mit einem Entgelt von 1000.- EUR brutto/monatlich ohne Beitragszahlung beschäftigt gewesen ist. An der Betriebsprüfung war die Klägerin nicht beteiligt.
Mit Schreiben vom 21. September 2007 hörte die Beklagte die Klägerin zu einer beabsichtigten Rücknahme des Bescheids vom 5. Juni 2003 gemäß § 45 SGB X ab 1. Juli 2003 und einer Rückzahlung überzahlter Rente in Höhe von 32.370,25 Euro an. Im Rahmen einer Betriebsprüfung sei festgestellt worden, dass in der Zeit vom 1. Juli 2003 bis 31. Oktober 2006 ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis bestanden habe, aus der die Klägerin einen monatlichen Verdienst in Höhe von 1000 EUR erzielt habe. Damit würden die zulässigen Hinzuverdienstgrenzen einer Altersrente überschritten. Ein Rentenanspruch bestehe für diesen Zeitraum nicht.
Hiergegen wandte die Klägerin insbesondere ein, in dem genannten Zeitraum habe sie zeitweise kein Arbeitsentgelt, zeitweise Arbeitsentgelt in geringerer Höhe (265.- Euro bis 600.- Euro) erhalten. Es gebe keinen schriftlichen Arbeitsvertrag. Es seien auch keine
Vereinbarungen des Inhalts getroffen worden, dass monatlich 1000.- Euro zu zahlen seien.
Mit angefochtenem Bescheid vom 20. November 2007 nahm die Beklagte den Rentenbescheid vom 20. November 2007 zurück und forderte eine Überzahlung in Höhe von 32.370.- Euro zurück. Bei einem monatlichen Entgelt von 1000.- Euro seien sämtliche Hinzuverdienstgrenzen für eine Vollrente überschritten, so dass kein Anspruch auf Altersrente mehr bestehe. Die vorgetragenen Einwendungen seien nicht geeignet, von der Bescheidrücknahme abzusehen. Maßgebend sei das Gesamtergebnis der Betriebsprüfung, das als Grundlage für die Überprüfung des bisherigen Rentenanspruchs herangezogen worden und an das die Beklagte gebunden sei. Danach sei eine Beschäftigung ausgeübt worden, mit deren Entgelt die Klägerin die zulässigen Hinzuverdienstgrenzen überschritten habe.
Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin u.a. geltend, dass sie bei der Betriebsprüfung nicht angehört worden sei. Auch sei es rechtsfehlerhaft, dass die Beklagte sich darauf stütze, an das Gesamtergebnis der Betriebsprüfung gebunden zu sein. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 2008 zurückgewiesen.
Mit der hiergegen zum Sozialgericht Regensburg (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Die Erben des Herrn D. hätten wahrheitswidrig behauptet, sie habe von Beginn an 1000.- Euro verdient. Die Beklagte habe diese wahrheitswidrigen Angaben ungeprüft übernommen. Im Rahmen der Betriebsprüfung sei die Klägerin niemals angehört worden. Es stehe nicht fest, in welchem Monat die Klägerin über die Hinzuverdienstgrenzen hinaus Arbeitsentgelt erhalten hätte. Eine eigene Aufstellung über den Hinzuverdienst im Zeitraum 1. Juli 2003 bis 31. Oktober 2006 wurde vorgelegt.
Das SG hat die Prüfungsunterlagen der DRV Bayern Süd Prüfzentrum A-Stadt beigezogen.
Mit angefochtenem Beschluss vom 6. Mai 2010 hat das SG das Verfahren bis zum ordnungsgemäßen Abschluss des Verfahrens gemäß § 28p SGB IV ausgesetzt. Die DRV Bayern Süd habe gemäß § 28p SGB IV im Jahr 2007 eine Betriebsprüfung durchgeführt. Die dortigen Feststellungen seien der Klägerin gegenüber nicht bindend, da sie im dortigen Verfahren nicht beteiligt worden sei. Die Entscheidung im anhängigen Rechtsstreit hänge davon ab, ob die Feststellungen der Betriebsprüfung im Verhältnis zur Klägerin bindend seien. Sie sei daher am dortigen Verfahren zu beteiligen. Bis zum bindenden Abschluss des dortigen Verfahrens sei daher der hier anhängige Rechtsstreit gemäß § 114 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - auszusetzen. Die Aussetzung erfolge, um Doppelermittlungen und widersprechende Entscheidungen zu vermeiden. Eine unangemessene Verzögerung ergebe sich dadurch nicht.
Mit der hiergegen erhobenen Beschwerde macht die Beklagte geltend, das anhängige Verfahren sei nicht davon abhängig, ob die Feststellungen der Betriebsprüfung im Verhältnis zur Klägerin bindend seien. Im vorliegenden Fall habe kein Erfordernis bestanden, die Klägerin bei der Betriebsprüfung zu beteiligen, weil die Beschäftigung im Zeitpunkt der Betriebsprüfung bereits beendet gewesen sei und somit der Bescheid keine Wirkung für die Zukunft entfalte. Die DRV Bayern Süd habe festgestellt, dass das gezahlte Arbeitsentgelt beitragspflichtig gewesen und bisher keine Beitragszahlung erfolgt sei. Die Klägerin sei weder zur Beitragszahlung herangezogen worden noch sei erkennbar gewesen, dass sie auf andere Weise durch die getroffene Entscheidung beschwert werde. Die Klägerin sei daher am Verfahren gemäß § 28p SGB IV nicht zu beteiligen. Wenn die Rechtmäßigkeit bezweifelt werde, könne ein Überprüfungsantrag gestellt werden.
Die Klägerin hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Es werde mit Nichtwissen bestritten, ob der Beschluss rechtzeitig angefochten worden sei. Auch hätte die Klägerin an der Betriebsprüfung beteiligt werden müssen. Sie sei dadurch beschwert, dass die Beklagte im angegriffenen Bescheid von einer Rentenüberzahlung ausgehe. Zu dieser Rückzahlung käme es wohl nicht, wenn die Klägerin an der Betriebsprüfung beteiligt worden wäre. Dies sei aber nicht geschehen. Die Klägerin sei durch die Betriebsprüfung und die in der Betriebsprüfung getroffenen Feststellungen also beschwert. Diese verstoße im Übrigen gegen das Grundgesetz, nämlich gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Ein Grund für die Aussetzung des Verfahrens besteht nicht.
Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist gemäß § 172 Abs. 1 SGG statthaft. Ein Ausschlussgrund gemäß § 172 Abs. 2 oder 3 SGG liegt nicht vor; insbesondere handelt es sich bei
einem Aussetzungsbeschluss nicht um eine prozessleitende Verfügung iSd § 172 Abs. 2 SGG (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Auflage, § 172 Rn. 3). Die Beschwerde wurde auch form- und fristgerecht eingelegt. Der Beschluss des SG vom 6. Mai 2010 wurde der Beklagten ausweislich ihres Empfangsbekenntnisses am 28. Mai 2010 zugestellt. Die Beschwerde ist beim SG am 28. Juni 2010 und damit binnen eines Monats eingegangen (vgl. § 173 S. 1 SGG).
Die Beschwerde ist auch begründet. Ein Aussetzungsgrund liegt nicht vor.
Hängt die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer anderen Verwaltungsstelle festzustellen ist, so kann das Gericht anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsstelle auszusetzen ist (§ 114 Abs. 2 S. 1 SGG).
Die Entscheidung des vor dem SG anhängigen Rechtsstreits hängt davon ab, ob und ggf. für welche Zeiträume die Klägerin bei Herrn D. ein Arbeitsentgelt erzielt hat, das über den maßgeblichen Hinzuverdienstgrenzen für die von der Beklagten bezogenen Altersrente liegt. Gegenstand der von der DRV Bayern Süd vorgenommenen Prüfung nach § 28p SGB IV ist, ob der Arbeitgeber seine Meldepflichten und seine sonstigen Verpflichtungen nach dem SGB, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllt hat; überprüft wird hierbei insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen mindestens alle vier Jahre (vgl. § 28p Abs. 1 S. 1 SGB IV). Bei der Überprüfung der Richtigkeit der Beitragszahlungen hat der Träger der Rentenversicherung notwendigerweise festzustellen, ob und in welcher Höhe sozialversicherungspflichtige Arbeitsentgelte entrichtet worden sind. Die Feststellungen des den Arbeitgeber prüfenden Rentenversicherungsträgers in Bezug auf die Höhe des von der Klägerin eventuell bezogenen Arbeitsentgelts sind daher durchaus vorgreiflich iSd § 114 Abs. 2 S. 1 SGG für das beim SG anhängige Verfahren, da insoweit ausreichend ist, dass das andere Verfahren irgendwie für die Entscheidung erheblich ist (Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, Kommentar zum SGG, § 114 Rn. 2).
Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 114 Abs. 2 S. 1 SGG kann eine Aussetzung aber nur bis zur Entscheidung der Verwaltungsstelle erfolgen. Die Feststellung der Verwaltungsbehörde liegt mit Bestandskraft des Verwaltungsaktes vor (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O., Rn. 3 a). Die von der DRV Bayern Süd erlassenen Bescheide, deren Inhalt die Festsetzung von Sozialversicherungsbeiträgen aufgrund eines zwischen der Klägerin und Hr. D. bestehenden Arbeitsverhältnisses mit einem monatlichen Entgelt von 1000.-Euro brutto ist, sind bereits bestandskräftig geworden. Die Bescheidadressaten, die Erbengemeinschaft D./P., haben die Bescheide nicht angefochten. Die Klägerin hat keine Anfechtungsbefugnis, da sie durch die Bescheide nicht beschwert ist. Eine Beitragspflicht wird ihr durch die Bescheide nicht auferlegt. Für eine mögliche, zur Anfechtung berechtigende Drittbetroffenheit genügt es nicht, dass in den angefochtenen Bescheiden über für die Klägerin präjudizielle Vorfragen entschieden wurde (vgl. Mayer-Ladewig, § 54 Rn. 14b). Eine Bindungswirkung in Bezug auf das von der DRV Bayern Süd angenommene monatliche Einkommen in Höhe von 1.000.- Euro durch deren Bescheide besteht nicht, da die Klägerin an dem Betriebsprüfungsverfahren nicht beteiligt wurde; die dort getroffenen Feststellungen sind mithin für sie auch nicht bindend (vgl. § 77 SGG). Da die Bescheide der DRV Bayern Süd nicht angefochten wurden und auch nicht mehr anfechtbar sind, scheidet eine Aussetzung gemäß § 114 Abs. 2 S. 1 SGG damit aus.
Eine Aussetzung kommt auch nicht gemäß § 114 Abs. 2 S. 2 SGG in Betracht. Danach kann das Gericht die Verhandlung zur Heilung von Verfahrens- und Formfehlern aussetzen, soweit dies im Sinne der Verfahrenskonzentration sachdienlich ist. Bei dem Erlass des hier streitigen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids vom 20. November 2007 ist der Beklagten kein Verfahrens- oder Formfehler unterlaufen. Nach Auffassung des Senats bezieht sich die Aussetzungsmöglichkeit des § 114 Abs. 2 S. 2 SGG nur auf Verfahrens- und Formfehler, die im Rahmen des Verwaltungsverfahrens geschehen sind, das zu dem angefochtenen Bescheid geführt hat und nicht auf eventuelle Verfahrens- oder Formfehler in anderen, für den zu entscheidenden Rechtsstreit vorgreiflichen Verfahren. Denn nur im ersteren Fall liegt es in der Hand des durch die Aussetzung des Verfahrens betroffenen Verwaltungsträgers, den Verfahrens- oder Formfehler etwa durch eine Nachholung der unterlassenen Verfahrenshandlung zu korrigieren. Dies ist ihm jedoch nicht möglich, wenn der Verfahrens- oder Formfehler in einem anderen Verwaltungsverfahren geschehen ist, das vorgreiflich für die Entscheidung des Rechtsstreits ist.
Hinzu kommt, dass der im Rahmen der Betriebsprüfung durch die DRV Bayern Süd dieser unterlaufene Verfahrensfehler nicht mehr heilbar ist. Die von der DRV Bayern Süd erlassenen Bescheide sind fehlerhaft, da die der DRV Bayern Süd bekannte Klägerin von dieser nicht über die Einleitung des Verfahrens informiert worden ist (vgl. § 12 Abs. 2 S. 2 SGB X). Eine derartige Information hat dann zu erfolgen, wenn der Ausgang des Verfahrens rechtsgestaltende Wirkung für den Dritten hat (Kassler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Band 2, § 12 SGB X, Rn. 20). Das BSG bezieht dabei auch solche Verwaltungsakte in den Anwendungsbereich des § 12 Abs. 2 S. 2 SGB X mit ein, die - wie ein Verfahren zur Feststellung der Versicherungspflicht von Beschäftigten - den Erlass eines feststellenden Verwaltungsaktes zum Ziel haben, sofern der Verwaltungsakt die Rechtsstellung eines Dritten derart berührt, dass dieser in einem anschließenden Gerichtsverfahren nach § 75 Abs. 2 SGG notwendig beizuladen wäre (BSG, Urteil vom 22. Juni 1983, Az. 12 RK 73/82, in BSGE 55, 160, 162). Die Feststellung einer Versicherungspflicht des Versicherten greift auch dann in diesem Sinn in dessen Rechtssphäre ein, wenn er selbst keine Beiträge zu entrichten hat, da hiervon jedenfalls Leistungsansprüche des Versicherten abhängen (BSG, a.a.O.).
Die entsprechenden Bescheide der DRV Bayern Süd sind damit zwar nach der Rechtsprechung des BSG rechtswidrig, sie sind jedoch - im Gegensatz zu dem vom BSG, a.a.O. entschiedenen Fall - bereits bestandskräftig geworden. Eine Heilung des Verfahrensfehlers durch eine Nachholung der Beteiligung ist mit Bestandkraft des Bescheids nicht mehr möglich. Der Verfahrensfehler ist jedoch auch nicht so gravierend, dass er zu einer Nichtigkeit der Bescheide mit der Folge führen würde, dass das Betriebsprüfungsverfahren erneut durchzuführen wäre. Denn grundsätzlich heilbare Fehler (hier § 41 Abs. 1 Nr. 6 SGB X: Nachholung einer erforderlichen Hinzuziehung eines Beteiligten) stellen keine besonders schwerwiegenden Fehler iSd § 40 Abs. 1 SGB X dar, die eine Nichtigkeit des Verwaltungsaktes begründen könnten (Kass-Komm, Band 2, § 40 SGB X Rn. 12).
Eine Aussetzung gem. § 114 Abs. 2 S. 2 SGG kommt damit ebenfalls nicht in Betracht. Da andere Aussetzungsgründe nicht ersichtlich sind, war der Aussetzungsbeschluss des SG aufzuheben.
Eine Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten ist im Hauptsacheverfahren zu treffen (§ 193 SGG), da es sich um eine Beschwerde gegen eine Zwischenentscheidung
in einem noch anhängigen Rechtsstreit handelt. Insoweit gilt der Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung (BSG SozR 3-1500 § 193 Nr. 10).
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
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