Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 R 279/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 R 721/08
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Zu der Frage der vollen bzw. teilweisen Erwerbsminderung eines Versicherten (hier: psychische Erkrankung).
2. Die Bestimmung des § 404 Abs 2 ZPO ist eine Ordnungsvorschrift.
2. Die Bestimmung des § 404 Abs 2 ZPO ist eine Ordnungsvorschrift.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 07.08.2008 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Bewilligung einer Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung.
Der 1962 geborene Kläger war zuletzt versicherungspflichtig bis 30.11.2004 als Kunststoffbearbeiter beschäftigt. Am 23.12.2004 beantragte er eine Rente wegen Erwerbsminderung. Die von der Beklagten beauftragte Neurologin und Psychiaterin Dr.S. kam am 01.02.2005 zu dem Ergebnis, der Kläger könne noch wenigstens 6 Stunden täglich Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit qualitativen Einschränkungen verrichten. Mit Bescheid vom 04.02.2005 lehnte die Beklagte die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab. Auf den Widerspruch des Klägers vom 07.03.2005 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.04.2005 den Widerspruch zurück.
Die dagegen gerichtete Klage vom 30.05.2005 hat der Kläger im Wesentlichen damit begründet, dass das Gutachten von Dr.S. nicht die neuropsychologischen Methoden genutzt hätte, mit denen die Auswirkungen des Schmerzes auf die verschiedensten Formen der Leistungsfähigkeit gemessen werden.
Das Sozialgericht Würzburg (SG) hat die medizinischen Unterlagen beigezogen und den Neuropsychologen Dr.E. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt.
Dieser beschreibt in seinem Gutachten vom 04.05.2007 einen chronischen Kopfschmerz vom Spannungstyp unter Beteiligung psychologischer und Verhaltensfaktoren. Im Rahmen des erfolgten Chronifizierungsprozesses sei es zu nachweisbaren Verschlechterungen des psychischen Erlebens, zur Beeinträchtigung kognitiver Funktionen und zur Entwicklung einer wahrscheinlich klinisch relevanten Depressivität gekommen. Der Kläger könne nur noch unter 6 Stunden täglich Tätigkeiten verrichten. Zu vermeiden seien Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung, an unfallgefährdeten Arbeitsplätzen, Tätigkeiten, die hohe Anforderungen an parallele Informationsverarbeitungsprozesse und an die Gedächtnisleistung stellen oder Tätigkeiten, die keine ausreichende und flexible Pausengestaltung ermöglichten.
Mit Bescheid vom 08.06.2007 hat die Beklagte dem Kläger eine vierwöchige Rehabilitationsmaßnahme in der psychosomatischen K. Klinik in W. genehmigt. Nach dem Widerspruch des Klägers vom 12.07.2007 hat die Beklagte mit Schreiben vom 31.07.2007 auf die Mitwirkungspflicht gemäß § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) hingewiesen. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.11.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Bescheid werde gemäß § 96 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Gegenstand des bereits anhängigen Klageverfahrens.
Im Verhandlungstermin am 12.02.2008 hat der Kläger angegeben, eine Rehabilitationsmaßnahme komme aufgrund der Erfahrungen bei einer Maßnahme im Jahr 2004 nicht in Betracht, da er die Trennung als schwere Belastung erlebt habe.
Das SG hat weiter den Neurologen und Psychiater Dr.S. beauftragt. Dieser hat am 14.04.2008 Spannungskopfschmerzen mit ängstlich phobischem Vermeidungsverhalten, Tinnitus aurium, medikamentös kompensiertes Glaukom und medikamentös kompensierte Schilddrüsenunterfunktion diagnostiziert. Der Kläger könne noch wenigstens 6 Stunden täglich leichte Tätigkeiten unter Vermeidung von Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung oder mit besonderer Lärmbelastung verrichten.
Mit Urteil vom 07.08.2008 hat das SG die Klage abgewiesen. Nach dem Gutachten von Dr.S. könne der Kläger noch wenigstens 6 Stunden täglich Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit qualitativen Einschränkungen verrichten. Da sich die von Dr.E. u.a. zur Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens herangezogene Depression jedoch fachärztlicherseits so habe nicht nachvollziehen lassen, werde der quantitativen Leistungseinschätzung durch Dr.E. nicht gefolgt. Im Übrigen seien sich aber beide Gutachter einig, dass durch entsprechende therapeutische Maßnahmen eine Besserung der gesundheitlichen Situation des Klägers erreicht werden könnte. Nachdem der Kläger am Verhandlungstermin am 12.02.2008 angegeben habe, eine Rehabilitationsmaßnahme komme aufgrund der Erfahrungen bei der Maßnahme im Jahr 2004 nicht in Betracht, da er die Trennung als schwere Belastung erlebt habe, sei damit aber die Unzumutbarkeit der Teilnahmeverpflichtung an der derartigen Maßnahme nicht hinreichend belegt. Unter Hinweis auf § 66 Abs 1 SGB I könne die Beklagte eine Rentengewährung für die Zeit nach dem Angebot der Rehabilitationsmaßnahme ebenfalls ablehnen.
Auf die Berufung des Klägers zum Bayer. Landessozialgericht hin hat der Senat aktuelle Befundberichte eingeholt und die Nervenärztin Dr.E. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt.
Dr.E. hat in ihrem Gutachten vom 25.03.2010 folgende Diagnosen gestellt: Chronisches Schmerzsyndrom mit deutlich somatoformer Komponente in Form eines Spannungskopfschmerzes, depressive Anpassungsstörung. Der Kläger könne jedoch noch wenigstens 6 Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte, gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten im Wechselrhythmus unter Vermeidung von unfallgefährdeten Arbeitsplätzen und unter Lärmexposition verrichten. Eine außergewöhnliche Pausen- oder Arbeitszeitgestaltung sei nicht erforderlich.
Der Kläger hat zum Gutachten von Dr.E. Stellung genommen. Dem Gutachten könne nicht gefolgt, denn Dr.E. sei persönlich unzuverlässig und deshalb unglaubwürdig. In einem Verfahren vor dem Landgericht E-Stadt habe sie auf Herausgabe von Behandlungsunterlagen an eine Patientin verklagt werden müssen. Das Landgericht E-Stadt habe sie für unzuverlässig gehalten. Auch solle das Gericht gemäß § 202 SGG iVm § 404 Abs 2 Zivilprozessordnung (ZPO) nur öffentlich bestellte Sachverständige mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragen. Weiter sei das Gutachten widersprüchlich. So ergebe das Beck Testverfahren einen Summenwert von 29 Punkten, was einer schweren depressiven Symptomatik entspreche. Nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit führe eine schwere Depression regelmäßig dazu, dass eine konkurrenzfähige Tätigkeit nicht mehr verrichtet werden könne. Folglich könne erst recht keine vollschichtige Tätigkeit verrichtet werden. Auch sei der "pain-detect" Test verwandt worden. Dies sei unzulässig, denn dieser sei lediglich ein screening-Test, der kaum zuverlässige und differenzierte Aussagen über den kognitiven und affektiven Zustand des Patienten zulasse (unter Verweis auf verschiedene medizinische Quellen).
Der Klägervertreter beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 07.08.2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 04.02.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.04.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 07.08.2008 zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten und die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat zu Recht entschieden, dass der Kläger weder einen Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung noch wegen teilweiser Erwerbsminderung hat, denn er ist noch in der Lage, wenigstens 6 Stunden täglich Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit qualitativen Einschränkungen zu verrichten.
Der Bescheid der Beklagten vom 08.06.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.11.2007 hinsichtlich der bewilligten Rehabilitationsmaßnahme ist nicht Gegenstand des Verfahrens geworden. Entgegen der fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung der Beklagten stellt die Bewilligung einer Rehabilitationsmaßnahme einen anderen Streitgegen-stand dar als die der Bewilligung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Für die Anwendung des § 96 SGG ist kein Raum.
Gemäß § 43 Abs 1 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
1. teilweise erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben gemäß § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Der Kläger ist noch in der Lage, wenigstens 6 Stunden täglich leichte, gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten zu verrichten. Zu vermeiden sind Tätigkeiten an unfallgefährdeten Arbeitsplätzen, unter Lärmexposition sowie Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung.
Zur Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit des Klägers stützt sich der Senat sowohl auf die Feststellungen der Sachverständigen Dr.E. sowie des vom SG als Sachverständigen gehörten Dr.S ... Eingeschränkt ist die Erwerbsfähigkeit des Klägers im Wesentlichen durch ein chronisches Schmerzsyndrom mit deutlich somatoformer Komponente in Form eines Spannungskopfschmerzes und einer depressiven Anpassungsstörung. Diese Beschwerden bedingen jedoch keine Minderung des quantitativen Leistungsvermögens sondern ergeben die o.g. qualitativen Einschränkungen. Die Gutachten der Sachverständigen sind schlüssig und nachvollziehbar. Dr.E. legt dar, dass nach den Schilderungen des Klägers der Tagesablauf mit Kümmern um den 5-Personen-Haushalt, Einkaufen und Hausarbeiten ausgefüllt sei. Auch nach längerem Gesprächsverlauf hätten sich keine Beeinträchtigung der Vigilanz, krankhafte Störungen der Konzentration, des Langzeitgedächtnisses oder der Merkfähigkeit ergeben. Die von dem Kläger beklagten Schmerzen würden dadurch stark relativiert, dass der Kläger abgesehen von einer Bedarfsmedikation mit Tramal keine schmerzdistanzierenden Maßnahmen durchführe. Zwar sei er in psychotherapeutischer Behandlung, unternehme aber sonst keinerlei Therapieanstrengungen. Bei zumutbarer Willensanspannung wäre der Kläger durchaus in der Lage, seine Krankheit zu überwinden.
Das Gutachten von Dr.E. ist auch verwertbar. Die Auswahl der Sachverständigen liegt im Ermessen des Senats. § 404 Abs 2 ZPO ist insoweit lediglich eine Ordnungsvorschrift (vgl. Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 30. Aufl. 2009, § 404 RdNr 3), die nicht das Ermessen einschränkt. Relevant für die Auswahl sind Sachkunde und fachliche Kenntnisse. Diese Kriterien erfüllt die Sachverständige, die auch eine Fortbildung zur Zertifizierung als medizinische Sachverständige erfolgreich absolviert hat. Das Verhalten der Sachverständigen in einem Zivilprozess, der nicht mit ihrer gutachterlichen Tätigkeit im Zusammenhang steht, ist bei der Auswahl unerheblich.
Soweit auf die Ergebnisse des Beck-Depressions-Inventar (BDI) verwiesen wird, und der Kläger bei der Diagnose einer schweren Depression als nicht vollschichtig leistungsfähig angesehen werden müsse, ist dem entgegenzuhalten: Wie Frau Dr.E. ausführt, handelt es sich beim BDI um ein Selbstbeurteilungsverfahren, das ausdrücklich nur für klinische Fragestellungen entwickelt wurde. Es kann als Screeninginstrument - mit der notwendigen kritischen Zurückhaltung, wie sie für alle Selbstratingverfahren notwendig ist - auch für gutachterliche Fragestellungen Verwendung finden. Der Test ist jedoch nicht geeignet, die Diagnose einer Depression zu begründen. Vielmehr sind im Rahmen des Gutachtens die Ergebnisse unter Würdigung des psychopathologischen Befundes zu interpretieren. So hat Dr.E. unter Berücksichtigung der Befunde und der Untersuchung auch nicht die Diagnose einer schweren Depression gestellt, sondern eine depressive Anpassungsstörung. Darüber hinaus widerspricht sich der Kläger selbst, wenn er einerseits angibt, Screeningtests dürften in einem Gutachten nicht verwendet werden, dieses Ergebnis aber für sich gelten lassen möchte. Selbst bei Annahme einer schweren Depression lassen sich über die Anhaltspunkte bezüglich der Bewertung von Behinderungen keine Erkenntnisse gewinnen. Zum einen gilt ab 01.01.2009 die Versorgungsmedizinverordnung, hinsichtlich der Bewertung die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundlagen" zu § 2 der Versorgungsmedizinverordnung. Punkt 3.7 der Anlage erfasst die Bewertung von depressiven Störungen, Rückschlüsse auf die Erwerbsfähigkeit lassen sich dadurch aber nicht ziehen.
Soweit der Kläger weiter die Verwendung des Schmerzfragebogens "pain-detect" rügt, ist - auch nach dem vom Kläger gegebenen Hinweis auf die Habilitationsschrift von Rainer Freynhagen "Neuropathischer Schmerz: Klinische und experimentelle Untersuchungen" - der pain-detect Test durchaus geeignet, Hinweise auf eine neuropathische Schmerzkomponente zu geben. Dieser ersetzt selbstverständlich nicht eine adäquate Diagnostik, Teile davon wurden jedoch in den Schmerzfragebogen der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie aufgenommen. Es ist durchaus üblich, mit Hilfe von Screeningtests Erkenntnisse zu gewinnen, auch wenn immer noch eine adäquate Diagnostik erforderlich ist. Diese hat Dr.E. im Rahmen der Untersuchung, der Einbeziehung der vorliegenden Befunde und der anschließenden sozialmedizinischen Beurteilung durchgeführt. Die Ausführungen zur neuropsychologischen Untersuchung in Widder, Gaidzik, "Begutachtung in der Neurologie", beziehen sich eben auf neuropsychologische Begutachtungen (Erfassung und Bewertung von Störungen höherer Hirnleistungen) und betreffen nicht den vorliegenden Fall eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens.
Dr.S. legt dar, während der Untersuchung hätte weniger die Klage über die Kopfschmerzen als die der Schwäche und Erschöpfung nach Arbeiten wie Autowaschen, Reifenwechsel etc. dominiert. Auffällig gewesen sei jedoch die rigide Ablehnung jeglicher stationärer klinischer Rehabilitationsversuche, deren Begründung mit der Belastung durch die Trennung von der Familie wenig überzeugt habe. Die Tatsache, dass sich der Kläger am Vortag vor der Untersuchung über den Computer ausführliche Ausdrucke der Fahrstrecke A-Stadt bis W. und der Parkmöglichkeiten in W. erstellt habe und auch, wenn auch mit einer gewissen Anspannung, allein mit dem Pkw habe fahren können, lasse erkennen, dass er Versagensbefürchtungen auch überwinden könne und diese Anforderung unterhalb der Zumutbarkeitsgrenze liege. Die psychische Beeinträchtigung liege eher in einer Angststörung. Angst werde durch Vermeiden chronifiziert und durch Konfrontation des Erlebens ihres Abklingens beim Verbleiben in der Angst auslösenden Situation bewältigbar. Im Rahmen einer verhaltenstherapeutischen Behandlung könne der Kläger seine krankhafte Angst vor Kopfschmerzen, Schwindeltinnitus und körperlicher Erschöpfbarkeit überwinden lernen.
Nicht gefolgt wird dem Gutachten von Dr.E. hinsichtlich des quantitativen Leistungsvermögens. Dr.E. hat dies damit begründet, dass es im Rahmen des Chronifizierungsprozesses der chronischen Kopfschmerzsymptomatik zu einer nachweisbaren Verschlechterung des psychischen Belastungserlebens und zur Entwicklung einer wahrscheinlich klinisch relevanten Depressivität gekommen sei. Bei der durchgeführten neuropsychologischen Untersuchung hätten sich Einschränkungen kognitiver Funktionen in den Bereichen Aufmerksamkeit und Konzentration und Gedächtnis und exekutiver Funktionen verifizieren lassen. Dr.E. hingegen legt dar, dass nach Durchsicht des psychologischen Gutachtens auffalle, dass selbst nach einer 5 1/2 -stündigen Untersuchung - mit nicht unerheblicher mentaler Beanspruchung - kein bedeutsamer Abfall des Arbeitstempos oder der Leistungsqualität beobachtbar gewesen sei. Auch Dr.E. gibt an, dass sich qualitative oder quantitative Einschränkungen der konzentrativen Dauerbelastbarkeit i.S. eines signifikant nachlassenden Leistungsniveaus auch nach mehrstündiger Beanspruchung nicht beobachten ließen. Es sei mit einiger Sicherheit davon auszugehen, dass der Kläger im Rahmen der Untersuchung die wahrscheinlich aufgrund der Kopfschmerzsymptomatik bestehende Minderung der längerfristigen mentalen Belastbarkeit durch eine erhöhte Anstrengung kompensiert habe. Dies spreche zwar dafür, dass er punktuell in der Lage sei, mehrstündige mentale Beanspruchungssituationen zu bewältigen, dies jedoch zu Lasten eines deutlich ausgeprägten Schmerz- und Belastungserlebens. Dass eine derartige Kompensation im Rahmen einer Vollzeitbeschäftigung dauerhaft möglich sein werde, erscheine aus neuropsychologischer Sicht sehr unwahrscheinlich. Gegen die Annahme des Gutachters spricht jedoch, dass weder Dr.E. noch Dr.S. im Rahmen der Untersuchungssituation eine solche Überanstrengungssymptomatik wahrnahmen. Dr.S. legt dar, Selbstständigkeit des Denkens und Handelns, Unterscheidungs- und Beurteilungsvermögens bezüglich Arbeitsprozesse seien nicht beeinträchtigt, wohl aber die Bewertung der eigenen Lei-stungsfähigkeit. Die praktische Anstelligkeit und Findigkeit sei gegeben, trotz ängstlicher Befürchtungen wie aus der Planung und Durchführung für die angstbesetzte Reise erkennbar sei. Die Ausdauer werde als subjektiv vermindert erlebt, sei aber bei der neuropsychologischen Austestung nicht eingeschränkt gewesen. Unter Berücksichtigung dieser Punkte konnte der quantitativen Leistungsbewertung durch Dr. E. nicht gefolgt werden.
Nach alledem hat die Berufung keine Aussicht auf Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Bewilligung einer Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung.
Der 1962 geborene Kläger war zuletzt versicherungspflichtig bis 30.11.2004 als Kunststoffbearbeiter beschäftigt. Am 23.12.2004 beantragte er eine Rente wegen Erwerbsminderung. Die von der Beklagten beauftragte Neurologin und Psychiaterin Dr.S. kam am 01.02.2005 zu dem Ergebnis, der Kläger könne noch wenigstens 6 Stunden täglich Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit qualitativen Einschränkungen verrichten. Mit Bescheid vom 04.02.2005 lehnte die Beklagte die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab. Auf den Widerspruch des Klägers vom 07.03.2005 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.04.2005 den Widerspruch zurück.
Die dagegen gerichtete Klage vom 30.05.2005 hat der Kläger im Wesentlichen damit begründet, dass das Gutachten von Dr.S. nicht die neuropsychologischen Methoden genutzt hätte, mit denen die Auswirkungen des Schmerzes auf die verschiedensten Formen der Leistungsfähigkeit gemessen werden.
Das Sozialgericht Würzburg (SG) hat die medizinischen Unterlagen beigezogen und den Neuropsychologen Dr.E. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt.
Dieser beschreibt in seinem Gutachten vom 04.05.2007 einen chronischen Kopfschmerz vom Spannungstyp unter Beteiligung psychologischer und Verhaltensfaktoren. Im Rahmen des erfolgten Chronifizierungsprozesses sei es zu nachweisbaren Verschlechterungen des psychischen Erlebens, zur Beeinträchtigung kognitiver Funktionen und zur Entwicklung einer wahrscheinlich klinisch relevanten Depressivität gekommen. Der Kläger könne nur noch unter 6 Stunden täglich Tätigkeiten verrichten. Zu vermeiden seien Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung, an unfallgefährdeten Arbeitsplätzen, Tätigkeiten, die hohe Anforderungen an parallele Informationsverarbeitungsprozesse und an die Gedächtnisleistung stellen oder Tätigkeiten, die keine ausreichende und flexible Pausengestaltung ermöglichten.
Mit Bescheid vom 08.06.2007 hat die Beklagte dem Kläger eine vierwöchige Rehabilitationsmaßnahme in der psychosomatischen K. Klinik in W. genehmigt. Nach dem Widerspruch des Klägers vom 12.07.2007 hat die Beklagte mit Schreiben vom 31.07.2007 auf die Mitwirkungspflicht gemäß § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) hingewiesen. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.11.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Bescheid werde gemäß § 96 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Gegenstand des bereits anhängigen Klageverfahrens.
Im Verhandlungstermin am 12.02.2008 hat der Kläger angegeben, eine Rehabilitationsmaßnahme komme aufgrund der Erfahrungen bei einer Maßnahme im Jahr 2004 nicht in Betracht, da er die Trennung als schwere Belastung erlebt habe.
Das SG hat weiter den Neurologen und Psychiater Dr.S. beauftragt. Dieser hat am 14.04.2008 Spannungskopfschmerzen mit ängstlich phobischem Vermeidungsverhalten, Tinnitus aurium, medikamentös kompensiertes Glaukom und medikamentös kompensierte Schilddrüsenunterfunktion diagnostiziert. Der Kläger könne noch wenigstens 6 Stunden täglich leichte Tätigkeiten unter Vermeidung von Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung oder mit besonderer Lärmbelastung verrichten.
Mit Urteil vom 07.08.2008 hat das SG die Klage abgewiesen. Nach dem Gutachten von Dr.S. könne der Kläger noch wenigstens 6 Stunden täglich Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit qualitativen Einschränkungen verrichten. Da sich die von Dr.E. u.a. zur Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens herangezogene Depression jedoch fachärztlicherseits so habe nicht nachvollziehen lassen, werde der quantitativen Leistungseinschätzung durch Dr.E. nicht gefolgt. Im Übrigen seien sich aber beide Gutachter einig, dass durch entsprechende therapeutische Maßnahmen eine Besserung der gesundheitlichen Situation des Klägers erreicht werden könnte. Nachdem der Kläger am Verhandlungstermin am 12.02.2008 angegeben habe, eine Rehabilitationsmaßnahme komme aufgrund der Erfahrungen bei der Maßnahme im Jahr 2004 nicht in Betracht, da er die Trennung als schwere Belastung erlebt habe, sei damit aber die Unzumutbarkeit der Teilnahmeverpflichtung an der derartigen Maßnahme nicht hinreichend belegt. Unter Hinweis auf § 66 Abs 1 SGB I könne die Beklagte eine Rentengewährung für die Zeit nach dem Angebot der Rehabilitationsmaßnahme ebenfalls ablehnen.
Auf die Berufung des Klägers zum Bayer. Landessozialgericht hin hat der Senat aktuelle Befundberichte eingeholt und die Nervenärztin Dr.E. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt.
Dr.E. hat in ihrem Gutachten vom 25.03.2010 folgende Diagnosen gestellt: Chronisches Schmerzsyndrom mit deutlich somatoformer Komponente in Form eines Spannungskopfschmerzes, depressive Anpassungsstörung. Der Kläger könne jedoch noch wenigstens 6 Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte, gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten im Wechselrhythmus unter Vermeidung von unfallgefährdeten Arbeitsplätzen und unter Lärmexposition verrichten. Eine außergewöhnliche Pausen- oder Arbeitszeitgestaltung sei nicht erforderlich.
Der Kläger hat zum Gutachten von Dr.E. Stellung genommen. Dem Gutachten könne nicht gefolgt, denn Dr.E. sei persönlich unzuverlässig und deshalb unglaubwürdig. In einem Verfahren vor dem Landgericht E-Stadt habe sie auf Herausgabe von Behandlungsunterlagen an eine Patientin verklagt werden müssen. Das Landgericht E-Stadt habe sie für unzuverlässig gehalten. Auch solle das Gericht gemäß § 202 SGG iVm § 404 Abs 2 Zivilprozessordnung (ZPO) nur öffentlich bestellte Sachverständige mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragen. Weiter sei das Gutachten widersprüchlich. So ergebe das Beck Testverfahren einen Summenwert von 29 Punkten, was einer schweren depressiven Symptomatik entspreche. Nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit führe eine schwere Depression regelmäßig dazu, dass eine konkurrenzfähige Tätigkeit nicht mehr verrichtet werden könne. Folglich könne erst recht keine vollschichtige Tätigkeit verrichtet werden. Auch sei der "pain-detect" Test verwandt worden. Dies sei unzulässig, denn dieser sei lediglich ein screening-Test, der kaum zuverlässige und differenzierte Aussagen über den kognitiven und affektiven Zustand des Patienten zulasse (unter Verweis auf verschiedene medizinische Quellen).
Der Klägervertreter beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 07.08.2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 04.02.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.04.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 07.08.2008 zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten und die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat zu Recht entschieden, dass der Kläger weder einen Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung noch wegen teilweiser Erwerbsminderung hat, denn er ist noch in der Lage, wenigstens 6 Stunden täglich Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit qualitativen Einschränkungen zu verrichten.
Der Bescheid der Beklagten vom 08.06.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.11.2007 hinsichtlich der bewilligten Rehabilitationsmaßnahme ist nicht Gegenstand des Verfahrens geworden. Entgegen der fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung der Beklagten stellt die Bewilligung einer Rehabilitationsmaßnahme einen anderen Streitgegen-stand dar als die der Bewilligung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Für die Anwendung des § 96 SGG ist kein Raum.
Gemäß § 43 Abs 1 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
1. teilweise erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben gemäß § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Der Kläger ist noch in der Lage, wenigstens 6 Stunden täglich leichte, gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten zu verrichten. Zu vermeiden sind Tätigkeiten an unfallgefährdeten Arbeitsplätzen, unter Lärmexposition sowie Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung.
Zur Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit des Klägers stützt sich der Senat sowohl auf die Feststellungen der Sachverständigen Dr.E. sowie des vom SG als Sachverständigen gehörten Dr.S ... Eingeschränkt ist die Erwerbsfähigkeit des Klägers im Wesentlichen durch ein chronisches Schmerzsyndrom mit deutlich somatoformer Komponente in Form eines Spannungskopfschmerzes und einer depressiven Anpassungsstörung. Diese Beschwerden bedingen jedoch keine Minderung des quantitativen Leistungsvermögens sondern ergeben die o.g. qualitativen Einschränkungen. Die Gutachten der Sachverständigen sind schlüssig und nachvollziehbar. Dr.E. legt dar, dass nach den Schilderungen des Klägers der Tagesablauf mit Kümmern um den 5-Personen-Haushalt, Einkaufen und Hausarbeiten ausgefüllt sei. Auch nach längerem Gesprächsverlauf hätten sich keine Beeinträchtigung der Vigilanz, krankhafte Störungen der Konzentration, des Langzeitgedächtnisses oder der Merkfähigkeit ergeben. Die von dem Kläger beklagten Schmerzen würden dadurch stark relativiert, dass der Kläger abgesehen von einer Bedarfsmedikation mit Tramal keine schmerzdistanzierenden Maßnahmen durchführe. Zwar sei er in psychotherapeutischer Behandlung, unternehme aber sonst keinerlei Therapieanstrengungen. Bei zumutbarer Willensanspannung wäre der Kläger durchaus in der Lage, seine Krankheit zu überwinden.
Das Gutachten von Dr.E. ist auch verwertbar. Die Auswahl der Sachverständigen liegt im Ermessen des Senats. § 404 Abs 2 ZPO ist insoweit lediglich eine Ordnungsvorschrift (vgl. Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 30. Aufl. 2009, § 404 RdNr 3), die nicht das Ermessen einschränkt. Relevant für die Auswahl sind Sachkunde und fachliche Kenntnisse. Diese Kriterien erfüllt die Sachverständige, die auch eine Fortbildung zur Zertifizierung als medizinische Sachverständige erfolgreich absolviert hat. Das Verhalten der Sachverständigen in einem Zivilprozess, der nicht mit ihrer gutachterlichen Tätigkeit im Zusammenhang steht, ist bei der Auswahl unerheblich.
Soweit auf die Ergebnisse des Beck-Depressions-Inventar (BDI) verwiesen wird, und der Kläger bei der Diagnose einer schweren Depression als nicht vollschichtig leistungsfähig angesehen werden müsse, ist dem entgegenzuhalten: Wie Frau Dr.E. ausführt, handelt es sich beim BDI um ein Selbstbeurteilungsverfahren, das ausdrücklich nur für klinische Fragestellungen entwickelt wurde. Es kann als Screeninginstrument - mit der notwendigen kritischen Zurückhaltung, wie sie für alle Selbstratingverfahren notwendig ist - auch für gutachterliche Fragestellungen Verwendung finden. Der Test ist jedoch nicht geeignet, die Diagnose einer Depression zu begründen. Vielmehr sind im Rahmen des Gutachtens die Ergebnisse unter Würdigung des psychopathologischen Befundes zu interpretieren. So hat Dr.E. unter Berücksichtigung der Befunde und der Untersuchung auch nicht die Diagnose einer schweren Depression gestellt, sondern eine depressive Anpassungsstörung. Darüber hinaus widerspricht sich der Kläger selbst, wenn er einerseits angibt, Screeningtests dürften in einem Gutachten nicht verwendet werden, dieses Ergebnis aber für sich gelten lassen möchte. Selbst bei Annahme einer schweren Depression lassen sich über die Anhaltspunkte bezüglich der Bewertung von Behinderungen keine Erkenntnisse gewinnen. Zum einen gilt ab 01.01.2009 die Versorgungsmedizinverordnung, hinsichtlich der Bewertung die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundlagen" zu § 2 der Versorgungsmedizinverordnung. Punkt 3.7 der Anlage erfasst die Bewertung von depressiven Störungen, Rückschlüsse auf die Erwerbsfähigkeit lassen sich dadurch aber nicht ziehen.
Soweit der Kläger weiter die Verwendung des Schmerzfragebogens "pain-detect" rügt, ist - auch nach dem vom Kläger gegebenen Hinweis auf die Habilitationsschrift von Rainer Freynhagen "Neuropathischer Schmerz: Klinische und experimentelle Untersuchungen" - der pain-detect Test durchaus geeignet, Hinweise auf eine neuropathische Schmerzkomponente zu geben. Dieser ersetzt selbstverständlich nicht eine adäquate Diagnostik, Teile davon wurden jedoch in den Schmerzfragebogen der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie aufgenommen. Es ist durchaus üblich, mit Hilfe von Screeningtests Erkenntnisse zu gewinnen, auch wenn immer noch eine adäquate Diagnostik erforderlich ist. Diese hat Dr.E. im Rahmen der Untersuchung, der Einbeziehung der vorliegenden Befunde und der anschließenden sozialmedizinischen Beurteilung durchgeführt. Die Ausführungen zur neuropsychologischen Untersuchung in Widder, Gaidzik, "Begutachtung in der Neurologie", beziehen sich eben auf neuropsychologische Begutachtungen (Erfassung und Bewertung von Störungen höherer Hirnleistungen) und betreffen nicht den vorliegenden Fall eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens.
Dr.S. legt dar, während der Untersuchung hätte weniger die Klage über die Kopfschmerzen als die der Schwäche und Erschöpfung nach Arbeiten wie Autowaschen, Reifenwechsel etc. dominiert. Auffällig gewesen sei jedoch die rigide Ablehnung jeglicher stationärer klinischer Rehabilitationsversuche, deren Begründung mit der Belastung durch die Trennung von der Familie wenig überzeugt habe. Die Tatsache, dass sich der Kläger am Vortag vor der Untersuchung über den Computer ausführliche Ausdrucke der Fahrstrecke A-Stadt bis W. und der Parkmöglichkeiten in W. erstellt habe und auch, wenn auch mit einer gewissen Anspannung, allein mit dem Pkw habe fahren können, lasse erkennen, dass er Versagensbefürchtungen auch überwinden könne und diese Anforderung unterhalb der Zumutbarkeitsgrenze liege. Die psychische Beeinträchtigung liege eher in einer Angststörung. Angst werde durch Vermeiden chronifiziert und durch Konfrontation des Erlebens ihres Abklingens beim Verbleiben in der Angst auslösenden Situation bewältigbar. Im Rahmen einer verhaltenstherapeutischen Behandlung könne der Kläger seine krankhafte Angst vor Kopfschmerzen, Schwindeltinnitus und körperlicher Erschöpfbarkeit überwinden lernen.
Nicht gefolgt wird dem Gutachten von Dr.E. hinsichtlich des quantitativen Leistungsvermögens. Dr.E. hat dies damit begründet, dass es im Rahmen des Chronifizierungsprozesses der chronischen Kopfschmerzsymptomatik zu einer nachweisbaren Verschlechterung des psychischen Belastungserlebens und zur Entwicklung einer wahrscheinlich klinisch relevanten Depressivität gekommen sei. Bei der durchgeführten neuropsychologischen Untersuchung hätten sich Einschränkungen kognitiver Funktionen in den Bereichen Aufmerksamkeit und Konzentration und Gedächtnis und exekutiver Funktionen verifizieren lassen. Dr.E. hingegen legt dar, dass nach Durchsicht des psychologischen Gutachtens auffalle, dass selbst nach einer 5 1/2 -stündigen Untersuchung - mit nicht unerheblicher mentaler Beanspruchung - kein bedeutsamer Abfall des Arbeitstempos oder der Leistungsqualität beobachtbar gewesen sei. Auch Dr.E. gibt an, dass sich qualitative oder quantitative Einschränkungen der konzentrativen Dauerbelastbarkeit i.S. eines signifikant nachlassenden Leistungsniveaus auch nach mehrstündiger Beanspruchung nicht beobachten ließen. Es sei mit einiger Sicherheit davon auszugehen, dass der Kläger im Rahmen der Untersuchung die wahrscheinlich aufgrund der Kopfschmerzsymptomatik bestehende Minderung der längerfristigen mentalen Belastbarkeit durch eine erhöhte Anstrengung kompensiert habe. Dies spreche zwar dafür, dass er punktuell in der Lage sei, mehrstündige mentale Beanspruchungssituationen zu bewältigen, dies jedoch zu Lasten eines deutlich ausgeprägten Schmerz- und Belastungserlebens. Dass eine derartige Kompensation im Rahmen einer Vollzeitbeschäftigung dauerhaft möglich sein werde, erscheine aus neuropsychologischer Sicht sehr unwahrscheinlich. Gegen die Annahme des Gutachters spricht jedoch, dass weder Dr.E. noch Dr.S. im Rahmen der Untersuchungssituation eine solche Überanstrengungssymptomatik wahrnahmen. Dr.S. legt dar, Selbstständigkeit des Denkens und Handelns, Unterscheidungs- und Beurteilungsvermögens bezüglich Arbeitsprozesse seien nicht beeinträchtigt, wohl aber die Bewertung der eigenen Lei-stungsfähigkeit. Die praktische Anstelligkeit und Findigkeit sei gegeben, trotz ängstlicher Befürchtungen wie aus der Planung und Durchführung für die angstbesetzte Reise erkennbar sei. Die Ausdauer werde als subjektiv vermindert erlebt, sei aber bei der neuropsychologischen Austestung nicht eingeschränkt gewesen. Unter Berücksichtigung dieser Punkte konnte der quantitativen Leistungsbewertung durch Dr. E. nicht gefolgt werden.
Nach alledem hat die Berufung keine Aussicht auf Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
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