L 2 U 554/10 B PKH

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 U 178/10
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 554/10 B PKH
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Bei der Beurteilung der hinreichenden Aussicht einer Klage auf Erfolg kann das Gericht grundsätzlich auch allein auf ein Verwaltungsgutachten abstellen.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 8. November 2010 wird zurückgewiesen.




Gründe:


I.
Streitig ist, ob dem Kläger und Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf.) für das Verfahren vor dem Sozialgericht Augsburg Prozesskostenhilfe zu gewähren ist.
Der Bf. verletzte sich am 11. Mai 2007 an der rechten Hand. Der Durchgangsarzt stellte eine Trümmerfraktur im PIP-Gelenk D 3 der rechten Hand und der Mittelphalanx D 2 rechts mit Strecksehnendurchtrennung an beiden Fingern und einer Nervenläsion N 5 fest. Der von der Beklagten und Beschwerdegegnerin (im Folgenden: Bg.) beauftragte Orthopäde Dr. G. schätzte die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) aufgrund einer bestehenden Behinderung des vollen Faustschlusses des Zeige- und Mittelfingers der rechten Hand mit Gefühlsstörungen an der Streckseite sowie Aufbraucherscheinungen im Mittelfingermittelgelenk in seinem Gutachten vom 7. Januar 2009 auf 20 v.H. bis 28. Februar 2009. Mit Bescheid vom 10. Februar 2009 gewährte die Bg. daraufhin eine Verletztenrente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 20 v.H. für die Zeit vom 13. August 2007 bis 28. Februar 2009. Im Widerspruchsverfahren bewilligte sie mit Bescheid vom 26. August 2009 die Rente über den 28. Februar 2009 hinaus.
Die Orthopädin Dr. N. beurteilte die MdE in ihrem Gutachten vom 22. Januar 2010 mit 10 v.H ... Mit Bescheid vom 19. Februar 2010 entzog die Bg. die Rente zum 1. März 2010 und lehnte eine Rente auf unbestimmte Zeit ab. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 5. Mai 2010 zurück.
Die hiergegen zunächst beim Sozialgericht Bayreuth am 26. Mai 2010 eingegangene Klage hat der Bf. mit einem Zwischenbericht des Klinikums A-Stadt vom 20. Oktober 2008 begründet, in dem festgestellt werden, dass ein Endzustand erreicht sei. Zu diesem Zeitpunkt sei das Vorliegen einer MdE um 20 v.H. unstreitig gewesen. Eine Besserung sei nicht möglich und nicht eingetreten.
Am 15. Juni 2010 hat der Bf. die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt. Das Sozialgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 8. November 2010 abgelehnt und zur Begründung auf das Gutachten der Dr. N. sowie die Fachliteratur verwiesen.
Zur Begründung der Beschwerde hat der Bf. die Ansicht vertreten, bei dem Gutachten der Dr. N. handele es sich um ein Parteigutachten. Diesem widerspreche der Zwischenbericht des Klinikums A-Stadt. Die Klage sei nicht mutwillig; zur Klärung der gegensätzlichen ärztlichen Feststellungen sei vom Sozialgericht ein Gutachten einzuholen.
Die Bg. hat dargelegt, dass es sich bei dem Gutachten nicht um ein Parteigutachten gehandelt habe, sondern das Verfahren gemäß § 200 Abs. 2 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) - richtig: des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VII) - eingehalten worden sei. Der Bf. habe sich telefonisch für eine Begutachtung durch Dr. N. ausgesprochen. Darüber hinaus sei der fachärztliche Befund des Klinikums A-Stadt nicht geeignet, eine Aussage über das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen einer Rente für unbestimmte Zeit zu treffen, über die Anfang des Jahres 2010 zu entscheiden gewesen sei.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Nach § 73 a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. §§ 114 ff Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe. Voraussetzung ist die Glaubhaftmachung der Bedürftigkeit, des Ausschlusses der Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung und eine hinreichende Aussicht auf Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung. Ist, wie im sozialgerichtlichen Verfahren, eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht vorgeschrieben, wird der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist (§ 121 Abs. 2 ZPO).

Unstreitig ist die Rechtsverfolgung durch den Bf. nicht mutwillig. Das Sozialgericht ging jedoch zu Recht davon aus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Zur Beurteilung der Erfolgsaussicht darf und muss sich das Gericht mit einer vorläufigen Prüfung der Erfolgsaussicht begnügen. Der Erfolg braucht zwar nicht gewiss zu sein, muss aber nach den bisherigen Umständen eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich haben.

Das Sozialgericht hat demgegenüber zutreffend auf das Gutachten der Dr. N. verwiesen. Zwar stellte diese eine Behinderung des vollen Faustschlusses des Zeige- und Mittelfingers der rechten Hand mit Aufbraucherscheinungen der Mittel- und Endgelenke fest. Die ambulante Untersuchung ergab jedoch auch, dass z.B. der Spitzgriff mit allen Fingern möglich und die Sensibilität an allen Fingern bei Belastung ungestört war. Auch war die Streckung mit allen Fingern vollständig möglich außer einer endgradigen Streckhemmung im Mittelgelenk des 3. Fingers. Damit ergeben sich insgesamt lediglich Einschränkungen im Bereich des Grobgriffs. Insbesondere liegt aber kein Totalverlust des Grobgriffs vor, der eine MdE um 30 v.H. rechtfertigen würde (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., S. 534), sondern nur eine Behinderung des vollen Grobgriffs, so dass eine deutliche Abstufung vorzunehmen ist.

Ferner ergibt sich auch beim Vergleich der Gutachten des Dr. G. und der Dr. N., dass es in der Zwischenzeit zu einer Reduzierung der Gesundheitsbeeinträchtigung gekommen ist - im Übrigen schätzte auch Dr. G. die MdE aus damaliger Sicht für die Zeit ab 1. März 2009 mit voraussichtlich nur mehr 10 v.H. ein. Dr. G. hatte eine Behinderung des vollen Faustschlusses des Zeige- und Mittelfingers der rechten Hand mit Gefühlsstörungen an der Streckseite sowie Aufbraucherscheinungen im Mittelfingermittelgelenk sowie Narbenbildungen festgestellt gehabt. Anders als bei der Begutachtung durch Dr. N. waren auch die Hautverfärbungen auffällig; das Mittelfingermittelgelenk rechts war deutlich verdickt. Die Langfinger 2 und 3 konnten nicht zur Hohlhand eingeschlagen werden. Das Hautgefühl war am Mittelfinger an der Streckseite ab dem Mittelgelenk sowie an der Speichenseite herabgesetzt. Bei der späteren Untersuchung waren die Mittelgelenke des 2. und 3. Fingers nur leicht aufgetrieben; die Sensibilität war an allen Fingern bei Belastung ungestört.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Zwischenbericht des Klinikums A-Stadt, der beiden Gutachtern im Rahmen der Begutachtung vorgelegen hatte.

Nicht zu beanstanden ist ferner, dass die Bg. nun im Rahmen der Feststellung einer Verletztenrente auf unbestimmte Zeit zu dem Ergebnis gelangt ist, dass keine rentenberechtigende MdE mehr vorliegt. Hat der Unfallversicherungsträger im Rahmen der Gewährung einer vorläufigen Rente eine bestimmte MdE festgestellt, so ist er aus Anlass der Feststellung der Dauerrente dazu berechtigt, entgegen der Bindungswirkung dieses früheren Bescheides die MdE nunmehr abweichend festzustellen; dies gilt selbst dann, wenn sich die Verhältnisse nicht geändert haben (§ 62 Abs. 2 S. 2 SGB VII; zum Ganzen z.B.: Beck`scher Online-Kommentar/Marschner, § 62 SGB VII Rdnr. 10).

Schließlich weist die Bg. zu Recht darauf hin, dass es sich bei dem Gutachten der Dr. N. nicht um ein Parteigutachten der Bg. handelt, sondern um das vom Gesetz vorgesehene Begutachtungsverfahren (vgl. insbesondere § 200 Abs. 2 SGG), das die Bg. mit Schreiben vom 3. Dezember 2009 eingeleitet hatte. Es handelt sich damit um ein Verwaltungsgutachten, das im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden kann und nicht lediglich als Privatgutachten zu werten ist (BSG v. 8.12.1988, Az.: 2/9 b RU 66/87). Diesem Gutachten kommt nicht von vornherein ein geringerer Beweiswert als einem gerichtlichen Sachverständigengutachten zu. Das Gericht ist auch nicht generell gehindert, einem Verwaltungsgutachten als alleiniger Entscheidungsgrundlage zu folgen (BSG v. 26.5.2000, Az.: B 2 U 90/00 B; vgl. auch: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 128 Rdnr. 7 f m.w.N.). Wie oben dargelegt, ist das Gutachten der Dr. N. schlüssig und unter Einbezug des Vorgutachtens überzeugend.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass dem Bf. die Möglichkeit offen steht, gemäß § 109 SGG die Einholung eines Gutachtens durch einen Arzt des Vertrauens zu beantragen. Diese Möglichkeit hat jedoch auf die im Rahmen der Gewährung von Prozesskostenhilfe zu entscheidende Frage, ob der Rechtsstreit hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, grundsätzlich keine Auswirkung, da ansonsten durch die Stellung eines derartigen Antrags ohne Weiteres die Erfolgsaussicht des PKH-Antrags beeinflusst werden könnte.
Eine Entscheidung zur Tragung der außergerichtlichen Kosten unterbleibt wegen § 73 a Abs. 1 S. 1 SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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