L 2 U 233/08

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 41 U 195/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 233/08
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Berufskrankheiten sind den Arbeitsunfällen gleichwertige Versicherungsfälle nach § 7. Für sie gelten dieselben allgemeinen Voraussetzungen.
2. Zu den Voraussetzungen der Feststellung einer BK Nr. 1318.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 6. November 2007 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Die Beteiligten streiten um die Anerkennung einer Berufskrankheit nach den Nrn.1303, 1318 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).

Die 1938 geborene Klägerin arbeitete mit einer Unterbrechung von August 1963 bis August 1965 von 1957 bis 1984 als Sekretärin und Buchhalterin. Sie gab diesen Beruf auf und war nach einer Umschulung von März 1988 bis September 1989 in der ambulanten Altenpflege tätig.

Seit etwa 1982 seien Haut- und Atemwegserkrankungen, aber auch Irritationen des Nervensystems bei der Klägerin aufgetreten, die diese zunächst auf ihre Tätigkeit als Sekretärin zurückführte, bei der sie mit Chemikalien behandeltem Papier in Berührung gekommen sei. Eine am 28.02.1983 vom Landesamt für Gesundheitswesen durchgeführte chemisch-toxische Untersuchung habe keine Hinweise für das Vorhandensein von Giftstoffen erbracht. Die damals zuständige Süddeutsche Metall-Berufsgenossenschaft holte verschiedene Gutachten ein und lehnte mit Bescheid vom 23.07.1986 die Entschädigung von Berufskrankheiten nach Ziffern 5101, 4301 und 4302 ab. Mit Urteil vom 06.08.1993 wies das Sozialgericht die hiergegen gerichtete Klage ab. Die dagegen eingelegte Berufung wurde mit Urteil vom 22.05.1996 zurückgewiesen. Die dagegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde blieb erfolglos (Beschluss vom 07.10.1996).

Am 13.11.1989 zeigte Prof.S. den Verdacht des Vorliegens einer Berufskrankheit nach Nr.1303 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung bei der Beklagten an. Die Klägerin führe Beschwerden wie Schwindel, Kopfdruck, Merk- und Konzentrationsstörungen auf eine Exposition mit Benzol zurück. Die Klägerin selbst gab gegenüber der Beklagten an, dass sie ihre Konzentrationsstörungen, Wadenschmerzen, Verdauungsprobleme nunmehr auf ihre Tätigkeit als Altenpflegerin zurückführe. Sie legte dazu eine Stellungnahme des Energie- und Umweltbüros G. vor. Diese hatten das Fahrzeug der Klägerin, einen FIAT Uno, Erstzulassung 22.02.1988, mit dem die Klägerin zur ambulanten Altenbetreuung fuhr, untersucht und waren am 25.10.1989 zum Ergebnis gekommen, dass es wegen der fahrzeugtypischen Kraftstoffleitungen aus Kunststoff zu einer erhöhten Benzol- und Toluolbelastung in der Fahrgastzelle gekommen sei, die die Befindlichkeitsstörungen erklärten. Vom TÜV Berlin und vom TÜV Süd-West wurde nach umfangreichen Untersuchungen festgestellt, dass es auch bei längeren Fahrten in einem FIAT Uno nur zu einer extrem geringen Aufnahme an Benzol gekommen sei, die keinerlei Gesundheitsschädigung zur Folge hätte.

Eine am 16.10.1989 von Prof.Dr.von C. vom Klinikum I. der Technischen Universität A-Stadt durchgeführte Blutuntersuchung ergab keinen Nachweis für gesundheitsschädliche Benzol- oder Toluolwerte.

Die Beklagte holte zum Vorliegen einer BK Nr.1303 der Anlage 1 zur BKV ein Gutachten bei dem Arzt für Arbeitsmedizin Dr.H. ein. Dieser kam am 17.01.1991 zum Ergebnis, dass die von der Klägerin vorgetragenen Beschwerden aus vielerlei Gründen nicht auf ihre Tätigkeit als Altenpflegerin zurückzuführen seien. Die Befindlichkeitsstörungen der Klägerin, über die sie schon lange vor Aufnahme der Tätigkeit als Altenpflegerin im gleichen Umfang geklagt habe, seien nicht typisch für eine Benzolvergiftung.

Mit Bescheid vom 21.07.1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.1993 lehnte die Beklagte daraufhin die Anerkennung der Beschwerden als Berufskrankheit nach § 551 Abs.1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in Verbindung mit Nr.1303 der Anlage 1 zur BKV ab. Die Klägerin erhob hiergegen am 02.08.1993 Klage. Der Untersuchung von Dr.von C. lägen falsche Messungen zugrunde. Trotz mehrerer Versuche gelang es der Klägerin nicht, einen Gutachter nach § 109 SGG zu benennen. Mit Urteil vom 11.09.1997 wies das SG die Klage ab. Die Beklagte habe zu Recht Entschädigungsleistungen aus Anlass einer BK nach § 551 RVO in Verbindung mit Nr.1303 der Anlage 1 zur BKV abgelehnt. Bei der Klägerin fehle bereits der Nachweis einer Erkrankung, die durch Benzol hervorgerufen wird. Bei keiner Untersuchung oder Begutachtung habe das Beschwerdebild der Klägerin - soweit es überhaupt einer Benzolvergiftung zugeordnet werden könnte - objektiviert werden können. Im Übrigen sei es nicht nachvollziehbar, warum die Beschwerden, die lange vor Aufnahme der Tätigkeit als Altenpflegerin geäußert wurden, nunmehr auf diese Tätigkeit, die erst 1988 aufgenommen worden ist, zurückzuführen sein sollten. Bereits ab 1982 seien Beschwerden wie Konzentrationsschwäche, Schwindel, Nachlassen der Merkfähigkeit, Kopfdruck angegeben worden, die die Klägerin damals auf die Tätigkeit als Sekretärin und die Berührung mit selbstdurchschreibendem Papier zurückgeführt habe. Dr.H. habe in seinem Gutachten vom 17.01.1991 überzeugend festgestellt, dass das Beschwerdebild nicht mit den für eine Benzolintoxikation charakteristischen Symptomen übereinstimme. Das Blutbild der Klägerin sei unauffällig gewesen. Im Übrigen sei auch eine Exposition mit Benzol nicht nachgewiesen. Bei einer Vergiftung mit Vergaserstoffen hätte auch Toluol im Blut gefunden werden müssen, da im damaligen Benzin dreimal mehr Toluol als Benzol enthalten war. Die Einwirkung von Dämpfen von Vergaserkraftstoffen sei wenig wahrscheinlich.

Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und insbesondere Einwendungen hinsichtlich des Zustandekommens der Messergebnisse erhoben. Die Klägerin hat verlangt, dass die von ihr erhobenen Anschuldigungen gegen das Bayerische Landesamt für Arbeitsschutz (LfAS) unter Beweis gestellt werden müssten, damit der Nachweis der behaupteten Benzolintoxikation gelingen könne. Versuche, Unterlagen des Klinikums I. über seinerzeit erhobene Untersuchungsergebnisse beizuziehen, blieben ohne Erfolg, weil diese nicht mehr archiviert waren. Schließlich hat der Senat Prof.Dr.W. von der Universität U., Abteilung Pharmakologie und Toxikologie, zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt. Er ist in seinem Gutachten vom 02.10.2002 zum Ergebnis gekommen, dass bei der Klägerin keine krankhaften Befunde im Sinne einer BK Nr.1303 oder einer anderen Nummer der Gruppe 13 vorlägen. Unter Berücksichtigung sämtlicher in den Akten verzeichneter Tatsachen und wissenschaftlichen Erkenntnisse über die - möglicherweise - an den Arbeitsplätzen der Klägerin vorhandenen Schadstoffe sei bei dieser aus toxikologischer Sicht keine durch die Exposition gegenüber Lösungsmitteln hervorgerufene Erkrankung wahrscheinlich zu machen. Auch die Tatsache, dass im Bayerischen Landesamt für Arbeitsschutz eine fehlerhafte Analyse des Lösungsmittel-, insbesondere des Benzolgehalts im Blut durchgeführt wurde, könne zu keiner anderen Beurteilung führen. Der infolge der Benzolexposition im Dienstfahrzeug zu erwartende Benzolwert im Blut habe im umweltmedizinischen Bereich gelegen und wäre auch bei korrekter Durchführung der Analyse mit dem angewandten Verfahren keinesfalls zu detektieren gewesen. Toxikologische Wirkungen von Benzol oder der im PKW vorhandenen Kohlenwasserstoffmischung seien für die vorliegenden Innenraumluftkonzentrationen nicht wahrscheinlich zu machen, wobei neben den toxikogenetischen Eigenschaften der Substanz noch zu berücksichtigen sei, dass die Klägerin nur für die Dauer von vier Monaten mehrmals täglich jeweils nur kurze Zeit exponiert war. Irreversible chronisch-toxische Wirkungen seien unter diesen Voraussetzungen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten. Eine Erkrankung nach Gruppe 13 der BKV scheide aus. Mit Schreiben vom 11.12.2002 hat die Klägerin mitteilen lassen, bei ihr bestehe der Verdacht auf eine chronisch-lymphatische Leukämie. In der mündlichen Verhandlung vom 17.12.2002 hat die Klägerin die Berufung zurückgenommen.

Mit Schreiben vom 24.02.2003 stellte sie erneut Antrag auf Anerkennung einer Berufskrankheit wegen Benzolvergiftung im Jahre 1989. Sie legte einen Befundbericht des Städtischen Krankenhauses A-Stadt vom 17.12.2002 vor. Danach bestehe ein niedrigmalignes B-Zelllymphom vom lymphocytären Typ. Ein exaktes Lymphknotenstaging wurde von der Klägerin wegen Strahlenbelastung nicht gewünscht. Der Facharzt für Arbeitsmedizin Dr.M. vom Gewerbeaufsichtsamt A-Stadt Stadt führte in seiner Stellungnahme vom 14.04.2003 aus, es sei das kumulative Risikomaß zu ermitteln. Die Präventionsstelle der Beklagten - Bereich Gefahrstoffe - ermittelte 0,677 ml Benzol pro Kubikmeter. Es ergäben sich somit 0,2 ppm-Benzoljahre. Die kumulative Dosis sei somit äußerst gering. Der Gewerbeärztliche Dienst empfahl weiterhin nicht, eine BK 1303 anzuerkennen. Mit Bescheid vom 13.11.2003 lehnte die Beklagte daraufhin die Anerkennung der Berufskrankheit Nr.1303 ab. Die Klägerin sei bei ihrer Tätigkeit nur in sehr geringem Umfang einer Benzolbelastung ausgesetzt gewesen. Der hiergegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 26.02.2004).

Hiergegen erhob die Klägerin am 25.03.2004 Klage beim Sozialgericht München. Die Klägerin führte erneut an, dass die Berechnungen des Bayerischen Landesamtes für Arbeitsschutz falsch seien. Die praktische Ärztin Dr.K. übersandte den Bericht des Krankenhauses A-Stadt vom 17.12.2002. Das LfAS führte in einer Stellungnahme vom 03.01.2005 aus, dass Vergaserkraftstoff Benzol enthalte, jedoch auch hier der Toluolgehalt um den Faktor 3 bis 5 höher als der Benzolgehalt sei. Das bedeutet, dass das Fehlen eines Toluolsignals im Krumatogramm angesichts der nur um den Faktor 2 niedrigeren Bestimmungsgrenze für Benzol auch kein Benzolsignal hätte erwarten lassen. Die Klägerin vertrat weiterhin die Ansicht, dass das LfAS seine Fehler zu berichtigen habe. Das LfAS führte in einer weiteren Stellungnahme aus, dass sich Benzol im Blut wesentlich besser detektieren lasse als Aceton.

Mit Urteil vom 06.11.2007 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung berief es sich im Wesentlichen auf die Stellungnahme des Dr.M ...

Hiergegen hat die Klägerin am 03.06.2008 Berufung eingelegt. Diese hat sie am 22.04.2009 begründet. Der Grenzwert von Benzol für die Normalbevölkerung solle laut EU-Richtlinien 2000/69/EG ab dem Jahr 2010 0 % betragen. Prof.W. sei von falschen Voraussetzungen ausgegangen, es lägen keine benzoltypischen Gesundheitsstörungen vor.

Die Klägerin hat Prof.Dr.B. als Sachverständigen benannt. Des Weiteren hat sie eine Stellungnahme zur Gesundheitsgefährdung durch Benzol des Medizinischen Instituts für Gutachten, Evaluation und Laboranalytik des Privatdozenten Dr.I., B., vorgelegt. Dieser hat eine Konzentration von Benzol von ca. 0,4 bis 0,5 mg pro Liter Blut diagnostiziert. Eine toxische Wirkung sei wahrscheinlich. Vor Bezahlung des Vorschusses für das Gutachten des Prof.B. solle geklärt werden, ob das LfAS Benzol im Blut der Klägerin gefunden habe oder nicht.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 06.11.2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13.11.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2004 aufzuheben und festzustellen, dass eine Berufskrankheit nach Nr. 1318 der Anlage 1 der BKV vorliegt ...

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Klage- und Berufungsakte sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung einer BK nach § 551 Abs.1 RVO in Verbindung mit Nr.1318 der Anlage 1 zur BKV (Erkrankungen durch Benzol).

Vorliegend richtet sich der Rechtsstreit nach den Regelungen der § 547 ff RVO und nicht nach denen des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VII), da es gemäß § 241 Abs. 3 SGB VII bei vor dem 1. Januar 1997 eingetretenen Versicherungsfällen bei der Anwendbarkeit der RVO verbleibt, wenn, wie hier, Leistungen, sofern ein Anspruch begründet wäre, schon vor dem 1. Januar 1997 erstmals festzusetzen gewesen wären. Der Klägerin begehrt - über § 44 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch - dabei durch die Feststellung der Berufskrankheit im Weiteren Leistungen für die Zeit ab 13. November 1989. Im Übrigen ergäbe sich auch bei der vom Sozialgericht vorgenommenen Anwendung des § 9 Abs. 1 SGB VII im Ergebnis nichts Abweichendes.

Nach § 551 Abs. 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch eine Berufskrankheit, d.h. eine Krankheit, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnete und die der Kläger bei seiner beruflichen Tätigkeit erlitten hat. Dies setzt voraus, dass eine Krankheit vorliegt, die in der zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls (§ 551 Abs. 3 RVO) geltenden BKV aufgeführt ist (vgl. Verordnung zur Änderung der Berufskrankheitenverordnung vom 08.12.1976 (BGBl. I S. 3329, 3331), vom 22.03.1988 (BGBl. I 400), seit 1.12.1997 die BKV vom 31.10.1997 - BGBl. I S. 2623).

Die Nr.1318 der Berufskrankheitenliste wurde mit Wirkung vom 01.09.2007 durch die 2. Verordnung zur Änderung der BKV (BR-Drs. 242/09) neu aufgenommen. Angesichts der Heterogenität der bisher unter der Nr.1303 der Berufskrankheitenliste zusammengefassten Krankheitsbilder und der sie verursachenden Chemikalien war es erforderlich, die durch Benzol verursachten Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und des lymphatischen Systems aus dieser Nummer auszugliedern und als eigene Berufskrankheit zu umreißen. Die neu geschaffene BK 1318 ist lex specialis gegenüber der BK 1303 und stellt insoweit in dem Rechtsstreit keinen neuen Versicherungsfall im Sinne der §§ 7, 9 Abs. 1 SGB VII bzw. 551 Abs. 1 RVO dar. Diese Trennung hat somit keinen Einfluss auf das Verfahren, da sich an der Sache (Anerkennung einer Berufskrankheit durch beruflichen Benzolkontakt) nichts ändert.

Aus der wissenschaftlichen Begründung zur Berufskrankheit Nr. 1318 (Bek. des BMAS vom 01.09.2007) ist zu entnehmen, dass Benzolbelastungen unter bestimmten Bedingungen bösartige Erkrankungen des myeloischen und lymphatischen Systems verursachen. Epidemiologische Studien weisen auf die Verursachung sowohl durch kürzere hohe wie auch länger andauernde Belastungen hin. Sie lassen aber die Ableitung eines präzisen Dosisgrenzwertes nicht zu.

Benzol wird durch die Atemwege und die Haut aufgenommen und wirkt lokal reizend. Die akute Einwirkung ruft eine primär zentralnervöse Symptomatik hervor. Nach nur kurz dauerndem Rauschstadium mit Euphorie kann es rasch zu einer Narkose kommen. Die chronische und erhebliche Benzoleinwirkung verursacht im Unterschied zu seinen Homologen (Toluol, Xylole) in erster Linie Schädigungen des hämatopoetischen Systems (Knochenmarkblutbild). Die wichtigste toxische Wirkung von Benzol findet im Knochenmark statt. Diese Schädigung ist konzentrationsabhängig und tritt außergewöhnlich stark bei "Intoxikationen" auf.

Ergänzend kann das Merkblatt zur Berufskrankheit Nummer 1318 (Bek. des BMAS vom 30.12.2009) herangezogen werden. Zwar stellt dieses kein antizipiertes Sachverständigengutachten dar, sondern einen rechtlich unverbindlichen Hinweis für die Beurteilung im Einzelfall aus arbeitsmedizinischer Sicht (vgl. BSG vom 11.08.1998 - Az.: B 2 U 261/97 B, HVBG-INFO 1999, 1373; BSG SozR 3-5670 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2). Es enthält jedoch regelmäßig wichtige Informationen, insbesondere wenn eine zeitnahe Überarbeitung erfolgt.

Danach sind die Anforderungen an die Belastung durch Benzol auch durch das Krankheitsbild bestimmt. Bei Krankheitsbildern mit epidemiologischer Information zur Dosis-Wirkungsbeziehung (Gruppe A), worunter auch Non-Hodgkin-Lymphome oder eine chronisch lymphatische B-Zell-Leukämie (BCLL) gerechnet werden können, ist eine entsprechend hohe kumulative berufliche Benzolexposition erforderlich. Im Einzelfall kann eine differenzierte Arbeitsanamnese unter Einschluss einer Berechnung der ppm-Jahre erforderlich sein.

Grundsätzlich kann eine Einteilung von beruflichen Tätigkeiten nach der Belastungsintensität (von extremer bis hin zu geringer Belastungsintensität) erfolgen, wie dies in der wissenschaftlichen Begründung zur BK Nr. 1318 vorgenommen wurde. Regelmäßig ist hierbei auch die Expositionszeit berücksichtigungsfähig. Die von der Klägerin angeführte Belastung im Rahmen der Fahrt mit dem Fiat Uno kann jedoch unter keine der dort genannten Tätigkeiten subsumiert werden.

Als bestimmte Personengruppe, die durch ihre Arbeit der besonderen Einwirkung von Benzol in erheblich höherem Maß als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind, sind Versicherte anzusehen, bei denen nach Intensität und Dauer der beruflichen Benzoleinwirkung eine der nachfolgend beschriebenen Fallkonstellationen zutrifft. Liegen die dort genannten Bedingungen vor, handelt es sich um Expositionsbedingungen, die aus arbeitsmedizinisch toxikologischer Sicht grundsätzlich geeignet sind, die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs im Einzelfall zu begründen.

Bei einer extremen Belastungsintensität (Expositionsintensität) ist in der Regel ein Jahr ausreichend. Dies trifft z. B. beim offenen Umschlag von Ottokraftstoffen oder hinsichtlich des Benzolgehaltes vergleichbaren Kohlenwasserstoffgemischen auf Tankschiffen, Tank- und Kesselwagen sowie Tankcontainern bis 1982 zu. Des Weiteren ist beispielhaft zu nennen die Innenreinigung von Behältern für Benzol bzw. Ottokraftstoffen oder hinsichtlich des Benzolgehaltes vergleichbaren Kohlenwasserstoffgemischen ohne geeignete Schutzmaßnahmen. Eine solche Konstellation ist bei der Klägerin offensichtlich nicht gegeben.

Auch eine hohe Belastungsintensität, bei der eine Expositionszeit von in der Regel zwei bis fünf Jahren ausreichend ist, ist zu verneinen. Dies scheitert bereits daran, dass die Klägerin nur einige wenige Monate mit dem Fiat Uno unterwegs war. Beispielhaft für eine hohe Belastungsintensität sind z. B. die Roh- und Reinbenzolherstellung vor 1999 zu nennen sowie Arbeiten im Kfz-Handwerk an Ottokraftstoff führenden Teilen bis 1980.

Bei einer mittleren Belastungsintensität ist eine Expositionszeit von in der Regel sechs bis zehn Jahren ausreichend. Auch dies wird von der Klägerin bei Weitem nicht erreicht. Beispielhaft ist hier der Tankwagenfahrer für Ottokraftstoffe bis 1999 zu nennen.

In den Fällen, in denen die Merkmale der geringen Belastung zutreffen, kann ebenfalls nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalles eine kumulative Benzolbelastung im hohen einstelligen bzw. unteren zweistelligen Bereich der "ppm-Jahre" bzw. "Benzoljahre" (Tätigkeitsdauer in Jahren mal durchschnittliche arbeitstägliche Bezolkonzentration über acht Stunden in der Luft am Arbeitsplatz in ppm), d. h. oberhalb ca. acht ppm-Jahren, erreicht werden. In diesen Fällen ist die individuelle Benzolbelastung zu prüfen. Insbesondere zu beachten sind ein besonders intensiver Hautkontakt mit Benzol oder benzolhaltigen Produkten, körperliche Arbeit mit erhöhter inhalativer Aufnahme, juveniles Expositionsalter, hohe Belastungsspitzen und eine ungewöhnlich lange Dauer der Einwirkung. In solchen Einzelfällen kann die kumulative Benzolbelastung ein arbeitsmedizinisch/toxikologisch relevantes Maß betragen.

Bei einer geringen Belastungsintensität ist eine Einzelfallprüfung erforderlich. Hierzu zählt z. B. das Betanken von Kraftfahrzeugen mit benzolhaltigen Ottokraftstoffen ohne Gaspendelsystem als Tankwart seit 1970. Auch dies ist jedoch von der Belastung her mit der Klägerin nicht vergleichbar, da sie den Fiat Uno nur vier Monate benutzt hat und ihre Tätigkeit als Altenpflegerin zeitlich dominiert hat gegenüber den dabei verbrachten Fahrtzeiten. Im Rahmen der individuellen Arbeitsanamnese ist entscheidend die kumulative Benzoldosis. Diese ist den Benzol-ppm-Jahren zu entnehmen. Nach den Feststellungen des Präventionsdienstes ergab sich - sogar unter Berücksichtigung der Zeit von 1988 und 1989, als die Klägerin einen Fiat Panda fuhr - eine Expositionszeit von 0,234 Jahren und 0,159 ppm-Jahre, somit aufgerundet 0,2 ppm-Benzoljahre. Die kumulative Dosis ist äußerst gering gewesen. Hierbei wurde vom höchsten Belastungswert im Innenraum der Fahrzeuge, nämlich 2,2 mg ausgegangen. Dieser Wert basiert auf Messungen an Fahrzeugen, die der TÜV Hannover ermittelt hatte. Das bei der Klägerin diagnostizierte Lymphom kann deshalb nicht mit Wahrscheinlichkeit auf diese Emission zurückgeführt werden.

Im Ergebnis wird nicht bestritten, dass die Klägerin Benzol ausgesetzt war. Diese Einwirkung war jedoch zu gering, um nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen das Lymphom bei der Klägerin mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu verursachen. Zwischen dem Auftreten des Lymphoms und der Einwirkung liegen 13 Jahre. Prof.Dr.W. hat in seinem Gutachten ausführlich dargelegt, dass bei der Dauer der Exposition irreversible chronisch-toxische Wirkungen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten sind. Dies gilt auch unter dem Gesichtspunkt, dass die Europäische Gemeinschaft Benzol als Humankarzinogen eingestuft hat. Hieraus ist nicht im Umkehrschluss zu folgern, dass jeder Mensch, der einer Benzoleinwirkung in geringem Maße ausgesetzt ist oder war, an Krebs erkranken wird.

Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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