Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 10 AL 103/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 165/09
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Soweit das SG in einem Wiederaufnahmeverfahren in Bezug auf ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes fehlerhaft durch Gerichtsbescheid entscheidet, eröffnet dies dem ASt - nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung - die Möglichkeit das objektiv zutreffende bzw. das subjektiv nach der Rechtsmittelbelehrung für zutreffend gehaltene Rechtsmittel einzulegen. Das Rechtsmittelgericht hat in der zutreffenden Form durch Beschluss zu entscheiden.
Zu den Voraussetzungen der fivtiven Klagerücknahme
Zu den Voraussetzungen der fivtiven Klagerücknahme
I. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Bayreuth vom 15.06.2009 im Verfahren S 10 AL 103/09 wird aufgehoben.
II. Es wird festgestellt, dass das Verfahren S 10/4 AL 144/08 ER vor dem Sozialgericht Bayreuth fortzuführen ist. Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
III. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die Hälfte der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Streitig ist die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes.
In der Zeit vom 09.12.1999 bis 23.01.2002 bezog der Antragsteller (ASt) Übergangsgeld wegen der Durchführung einer berufsfördernden Rehabilitationsmaßnahme. Darüber hinaus nahm der ASt in der Zeit vom 13.01.2003 bis 13.10.2003 an einer von der Antragsgegnerin (Ag) geförderten Maßnahme des Berufsförderungswerkes C. zur beruflichen Rehabilitation teil. Einen für die Folgezeit gestellten Antrag auf Arbeitslosenhilfe lehnte die Ag mit Bescheid vom 05.02.2004 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.05.2004) mangels Bedürftigkeit des ASt ab. Anlässlich der Klageerhebung zum Sozialgericht Bayreuth (SG) in Bezug auf den Widerspruchsbescheid vom 03.05.2004
(S 4 AL 276/04) machte der ASt geltend, dass sein Reha-Umschulungsverfahren zum Mikroelektroniker zu überprüfen sei. Zudem habe die Beklagte alle Möglichkeiten auszuschöpfen, ihn wieder in den Arbeitsprozess einzugliedern und ihm den Verdienstausfall seit Oktober 2003 zu erstatten. Die neben der Anfechtung des Widerspruchsbescheides geltend gemachten Begehren hat das SG mit Beschluss vom 08.12.2005 abgetrennt und unter dem Aktenzeichen S 4 AL 443/05 fortgeführt.
Am 24.06.2008 hat der ASt im Rahmen einer Vorsprache beim SG in Bezug auf das Verfahren S 4 AL 443/05 die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes geltend gemacht (S 10/4 AL 144/08 ER). Aufgrund eines Arbeitsunfalls vom 20.06.2008 sei seine Eingliederung in einen anderen Beruf dringend geboten. Den bislang ausgeübten Beruf eines Elektrikers könne er aus gesundheitlichen und fachlichen Gründen nicht mehr ausüben. Anlässlich eines an diesem Tag vor dem SG durchgeführten Erörterungstermins lehnte er den in diesem Verfahren zuständigen Richter am SG (RiSG) wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Der auch für das Eilverfahren zuständige RiSG. forderte den ASt mit Schreiben vom 01.07.2008 auf, dazu Stellung zu nehmen, ob sich der im Erörterungstermin am 24.06.2008 gestellte Befangenheitsantrag auch auf das Eilverfahren beziehe. Nach zwei Erinnerungsschreiben vom 25.07.2008 und 10.09.2008 hat das SG den ASt mit Schreiben vom 31.10.2008 darauf hingewiesen, dass es in der Weigerung, die angeforderte Auskunft zu erteilen, die Verletzung einer prozessualen Mitwirkungspflicht sehe, aus der es den Schluss ziehe, dass der ASt das Interesse an der Fortführung des Prozesses verloren habe. Das SG hat zudem darauf hingewiesen, dass der Antrag als zurückgenommen gelte, wenn der ASt das Verfahren trotz der gerichtlichen Aufforderung länger als drei Monate nicht betreibe.
Am 03.02.2009 hat das SG der Ag mitgeteilt, dass der ASt das Verfahren mehr als drei Monate nicht betrieben habe und die Klage somit als zurückgenommen gelte.
Am 20.04.2009 hat sich der ASt beim SG telefonisch nach dem Sachstand des Verfahrens erkundigt, worauf ihm mitgeteilt wurde, dass dieses bereits erledigt sei, weil er den Rechtsstreit - trotz Aufforderung - länger als drei Monate nicht betrieben habe.
Mit dieser Auskunft hat sich der ASt nicht einverstanden erklärt und telefonisch beantragt, das Verfahren fortzuführen. Schriftlich könne er dies nicht, weil er kein Geld mehr für Briefmarken habe. Am 29.04.2009 hat er die für das Verfahren zwischenzeitlich zuständig gewordene Richterin am SG wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Auch diesen Antrag hat das SG telefonisch aufgenommen, weil der ASt sich aus Geldmangel weder in der Lage gesehen habe, eine schriftlichen Antrag per Post zu übersenden noch persönlich bei Gericht vorzusprechen, um die entsprechenden Anträge zur Niederschrift aufzunehmen.
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 15.06.2009 festgestellt, dass der Rechtsstreit
S 10/4 AL 144/08 ER durch fiktive Rücknahme der Klage beendet worden sei. Über den telefonisch gestellten Befangenheitsantrag habe das Gericht zusammen mit der Hauptsache entscheiden können. Der Befangenheitsantrag sei mangels Begründung rechtsmissbräuchlich gewesen. Zudem sei der Antrag telefonisch und damit in unzulässiger Weise gestellt worden. Gegen die Entscheidung sei das Rechtsmittel der Berufung zulässig.
Gegen den Gerichtsbescheid hat der ASt Berufung beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt und geltend gemacht, seine Eingliederung in das Erwerbsleben sei dringend geboten. Seit Jahren würden ihm Leistungen der Grundsicherung verweigert und Vermögenswerte zugerechnet, die ihm nicht gehörten.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Das vom ASt eingelegte Rechtsmittel ist als Beschwerde zulässig (§§ 171, 172 Sozialgerichtsgesetz - SGG).
Verfahrensgegenstand des Verfahrens S 10/4 AL 144/08 ER ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes gemäß § 86b Abs 2 Satz 2 SGG, denn der ASt begehrt die Überprüfung bisher bewilligter und weiterer, umgehend zu gewährender Leistungen zur Eingliederung in Arbeit, die im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens im Wege einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zu verfolgen wäre. Über einen solchen Antrag hatte das SG - auch soweit wie vorliegend die Fortsetzung des Verfahrens im Streit steht - im Rahmen eines Beschlusses zu entscheiden
(§ 86b Abs 4 SGG). Soweit hier das SG jedoch fehlerhaft einen Gerichtsbescheid erlassen hat, eröffnet dies dem ASt - nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung - die Möglichkeit das objektiv zutreffende bzw. das subjektiv nach der Rechtsmittelbelehrung für zutreffend gehaltene Rechtsmittel einzulegen, über das der Senat als Rechtsmittelgericht allerdings in der zutreffenden Form (vgl. Leitherer in Meyer- Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9.Aufl., vor § 143 Rn. 14, 14a), d.h. durch Beschluss (§ 176 SGG) zu entscheiden hat.
Das als Beschwerde zu behandelnde Rechtsmittel des ASt ist im wesentlichen begründet, denn die Feststellung, das Verfahren sei durch fiktive Rücknahme der Klage beendet, ist unzutreffend, nachdem weder die formellen noch die materiellen Voraussetzungen für eine solche Feststellung erfüllt sind.
Eine Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger trotz Aufforderung des Gerichts das Verfahren länger als drei Monate nicht betreibt (§ 102 Abs 2 Satz 1 SGG). Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 ( ...) ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen (§ 102 Abs 2 Satz 2 SGG).
Es kann vorliegend offen bleiben, ob die Aufforderung das Verfahren zu betreiben, zwingend mit dem Hinweis auf die Rechtsfolge einer fiktiven Klagerücknahme verbunden sein muss, wie aus dem Wortlaut des § 102 Abs 2 Satz 2 SGG zu schließen ist, denn vorliegend ist nicht zu belegen, dass der ASt die Betreibensaufforderung vom 01.07.2008 erhalten und zur Kenntnis genommen hat. In der Akte findet sich lediglich ein Zustellungsnachweis in Bezug auf das gerichtliche Schreiben vom 31.10.2008, mit der ASt zwar auf die Folgen des Nichtbetreibens hingewiesen worden ist. Dieses Schreiben nimmt jedoch nur Bezug auf die Betreibensaufforderung vom 01.07.2008. Aus dem Schreiben vom 31.10.2008 selbst geht nicht hervor, welche Verfahrenshandlungen gefordert werden, und eine Abschrift des Schreibens vom 01.07.2008 war - nach Lage der Akten - dem Hinweis vom 31.10.2008 nicht beigefügt. Insofern ist nicht nachvollziehbar, ob der ASt wusste, welche Mitwirkungshandlung oder Erklärung von ihm verlangt wird, denn auch dem Vortrag des ASt ist nicht zu entnehmen, dass er vom Inhalt der Betreibensaufforderung vom 01.07.2008 Kenntnis hatte.
Darüber hinaus muss eine Betreibensaufforderung vom zuständigen Richter verfügt und mit vollem Namen unterzeichnet werden, wenn sie Wirkungen für die Beteiligten erzeugen soll. Dies folgt aus den einschneidenden Rechtsfolgen einer (erfolglosen) Betreibensaufforderung. Erst die Beifügung der vollen Unterschrift des Richters macht deutlich, dass es sich bei dem unterzeichneten Text nicht um einen Entwurf handelt und dass der Unterzeichnende nicht von einer Routine-Verfügung ausgeht; hierüber muss aber bei einer Betreibensaufforderung auch für die Betroffenen Gewissheit bestehen. Deshalb muss sie nicht nur vom zuständigen Richter verfügt und unterschrieben sein, sondern auch die gemäß § 63 Abs 1 Satz 1 SGG zuzustellende Ausfertigung/beglaubigte Abschrift diesen Umstand erkennen lassen, d.h. durch Wiedergabe des vollen Namens des Richters ausweisen, dass die Betreibensaufforderung von ihm stammt (vgl. hierzu eingehend BSG, Urteil vom 01.07.2010 - B 13 R 74/09 R - Juris).
Auch diese Voraussetzungen erfüllt das sozialgerichtliche Verfahren erster Instanz nicht, denn keines der in diesem Zusammenhang verfassten Schreiben hat der zuständige Vorsitzende persönlich unterschrieben.
Zuletzt ist auch nicht ersichtlich, dass es sachlich begründete Anhaltspunkte dafür gab, dass das Rechtsschutzinteresse des ASt entfallen wäre. Allein dies würde rechtfertigen, dass die nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht zu ziehende Rücknahmefiktion zum Tragen kommt (vgl. Leitherer aaO § 102 Rn. 8a mwN).
Solche Anhaltspunkte können sich im sozialgerichtlichen Verfahren aus einer Verletzung der prozessualen Mitwirkungspflichten des ASt ergeben, wenn sie den Schluss auf den Wegfall des Sachbescheidungsinteresses zulassen. Für eine Betreibensaufforderung iS des § 102 Abs 2 Satz 1 SGG genügt daher nicht jede Art von Verletzung einer Mitwirkungspflicht, sondern nur eine solche, die ein erhebliches Unterlassen einer prozessualen Mitwirkungshandlung darstellt. Das Gericht muss sich - seine Rechtsansicht zugrunde gelegt - außerstande sehen entscheidungserhebliche Tatsachen festzustellen, um den für eine Sachentscheidung notwendigen Sachverhalt zu klären (vgl. BSG, Urteil vom 01.07.2010 - aaO).
Vorliegend war eine Mitwirkung des ASt in dem genannte Sinne jedoch nicht erforderlich, denn das SG hat den ASt lediglich aufgefordert eine - aus Sicht des Gerichtes - unklare Prozesserklärung, den Befangenheitsantrag aus dem Erörterungstermin vom 24.06.2008, zu erläutern. Für den Fortgang des Verfahrens und eine Entscheidung in der Sache hätte es einer solchen Erläuterung jedoch nicht zwingend bedurft, denn der Erklärungsgehalt unklarer prozessualer Erklärungen ist gegebenenfalls durch Auslegung zu ermitteln (vgl. Keller in Meyer- Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., vor § 60 Rn.11a), und das SG hätte - abhängig vom Auslegungsergebnis - den Rechtsstreit weiter betreiben und einer Entscheidung in der Sache zuführen können.
Im Ergebnis hat das SG am 03.02.2009 daher zu Unrecht das Weglegen der Akte wegen des Eintrittes der Klagerücknahmefiktion verfügt, womit sich die Feststellung des SG im Gerichtsbescheid vom 15.06.2009 als unzutreffend erweist und dieser aufzuheben war.
Darüber hinaus war festzustellen, dass der Ausgangsrechtsstreit, das Verfahren S 10/4 AL 144/08 ER (von Amtswegen) vor dem SG fortzuführen ist. Einer gesonderten Zurückverweisung zur erneuten Entscheidung an das SG bedurfte es insoweit nicht, denn nicht das Verfahren S 10/4 AL 144/08 ER ist mit dem Beschwerdeverfahren beim BayLSG rechtshängig geworden, sondern allein das "Wiederaufnahmeverfahren" S 10 AL 103/09, das als selbständiges Verfahren anzusehen ist.
Vorliegend war - nach Auffassung des SG - mit Ablauf der Drei-Monats-Frist des § 102 Abs 2 Satz 1 SGG der Rechtsstreit erledigt. Mangels Sachentscheidung war dies mit Rechtsmitteln nicht angreifbar. Somit ist der Streit über die Erledigung, wie ein Wiederaufnahmeverfahren nach § 179 SGG, kein ordentliches Rechtsmittel, sondern ein außerordentlicher Rechtsbehelf und damit ein vom Ausgangverfahren zu differenzierendes, selbständiges Verfahren (vgl. hierzu Leitherer in Meyer- Ladewig/Keller/Leitherer, SGG,
9. Aufl., § 179 Rn 2a, vor § 143 Rn 1 mwN). Allein die Entscheidung in dem Verfahren
S 10 AL 103/09 unterlag - mangels einer Entscheidung im Ausgangsverfahren
S 4 AL 144/08 ER - dem Devolutiveffekt des vom ASt eingelegten Rechtsmittels, so dass allein dieses beim BayLSG rechtshängig geworden ist. Mit Rechtskraft der Entscheidung des Senates, den Gerichtsbescheid vom 15.06.2009 aufzuheben und der Feststellung, dass das Ausgangsverfahren S 10/4 AL 144/08 ER - mangels Eintrittes der Klagerücknahmefiktion - vor dem SG fortzuführen ist, entfällt die Rechtshängigkeit des allein beim BayLSG rechtshängig gewesenen "Wiederaufnahmeverfahrens". Die Rechtshängigkeit des Ausgangsverfahrens S 4 AL 144/08 ER war zu keinem Zeitpunkt beim SG entfallen, so dass das SG von Amtswegen über das dort noch offene Verfahren zu entscheiden hat und der Senat an einer Entscheidung in der Sache gehindert ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Entscheidung, denn dem Antrag des ASt, eine Entscheidung in der Sache zu treffen, konnte nicht entsprochen werden.
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
II. Es wird festgestellt, dass das Verfahren S 10/4 AL 144/08 ER vor dem Sozialgericht Bayreuth fortzuführen ist. Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
III. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die Hälfte der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Streitig ist die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes.
In der Zeit vom 09.12.1999 bis 23.01.2002 bezog der Antragsteller (ASt) Übergangsgeld wegen der Durchführung einer berufsfördernden Rehabilitationsmaßnahme. Darüber hinaus nahm der ASt in der Zeit vom 13.01.2003 bis 13.10.2003 an einer von der Antragsgegnerin (Ag) geförderten Maßnahme des Berufsförderungswerkes C. zur beruflichen Rehabilitation teil. Einen für die Folgezeit gestellten Antrag auf Arbeitslosenhilfe lehnte die Ag mit Bescheid vom 05.02.2004 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.05.2004) mangels Bedürftigkeit des ASt ab. Anlässlich der Klageerhebung zum Sozialgericht Bayreuth (SG) in Bezug auf den Widerspruchsbescheid vom 03.05.2004
(S 4 AL 276/04) machte der ASt geltend, dass sein Reha-Umschulungsverfahren zum Mikroelektroniker zu überprüfen sei. Zudem habe die Beklagte alle Möglichkeiten auszuschöpfen, ihn wieder in den Arbeitsprozess einzugliedern und ihm den Verdienstausfall seit Oktober 2003 zu erstatten. Die neben der Anfechtung des Widerspruchsbescheides geltend gemachten Begehren hat das SG mit Beschluss vom 08.12.2005 abgetrennt und unter dem Aktenzeichen S 4 AL 443/05 fortgeführt.
Am 24.06.2008 hat der ASt im Rahmen einer Vorsprache beim SG in Bezug auf das Verfahren S 4 AL 443/05 die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes geltend gemacht (S 10/4 AL 144/08 ER). Aufgrund eines Arbeitsunfalls vom 20.06.2008 sei seine Eingliederung in einen anderen Beruf dringend geboten. Den bislang ausgeübten Beruf eines Elektrikers könne er aus gesundheitlichen und fachlichen Gründen nicht mehr ausüben. Anlässlich eines an diesem Tag vor dem SG durchgeführten Erörterungstermins lehnte er den in diesem Verfahren zuständigen Richter am SG (RiSG) wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Der auch für das Eilverfahren zuständige RiSG. forderte den ASt mit Schreiben vom 01.07.2008 auf, dazu Stellung zu nehmen, ob sich der im Erörterungstermin am 24.06.2008 gestellte Befangenheitsantrag auch auf das Eilverfahren beziehe. Nach zwei Erinnerungsschreiben vom 25.07.2008 und 10.09.2008 hat das SG den ASt mit Schreiben vom 31.10.2008 darauf hingewiesen, dass es in der Weigerung, die angeforderte Auskunft zu erteilen, die Verletzung einer prozessualen Mitwirkungspflicht sehe, aus der es den Schluss ziehe, dass der ASt das Interesse an der Fortführung des Prozesses verloren habe. Das SG hat zudem darauf hingewiesen, dass der Antrag als zurückgenommen gelte, wenn der ASt das Verfahren trotz der gerichtlichen Aufforderung länger als drei Monate nicht betreibe.
Am 03.02.2009 hat das SG der Ag mitgeteilt, dass der ASt das Verfahren mehr als drei Monate nicht betrieben habe und die Klage somit als zurückgenommen gelte.
Am 20.04.2009 hat sich der ASt beim SG telefonisch nach dem Sachstand des Verfahrens erkundigt, worauf ihm mitgeteilt wurde, dass dieses bereits erledigt sei, weil er den Rechtsstreit - trotz Aufforderung - länger als drei Monate nicht betrieben habe.
Mit dieser Auskunft hat sich der ASt nicht einverstanden erklärt und telefonisch beantragt, das Verfahren fortzuführen. Schriftlich könne er dies nicht, weil er kein Geld mehr für Briefmarken habe. Am 29.04.2009 hat er die für das Verfahren zwischenzeitlich zuständig gewordene Richterin am SG wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Auch diesen Antrag hat das SG telefonisch aufgenommen, weil der ASt sich aus Geldmangel weder in der Lage gesehen habe, eine schriftlichen Antrag per Post zu übersenden noch persönlich bei Gericht vorzusprechen, um die entsprechenden Anträge zur Niederschrift aufzunehmen.
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 15.06.2009 festgestellt, dass der Rechtsstreit
S 10/4 AL 144/08 ER durch fiktive Rücknahme der Klage beendet worden sei. Über den telefonisch gestellten Befangenheitsantrag habe das Gericht zusammen mit der Hauptsache entscheiden können. Der Befangenheitsantrag sei mangels Begründung rechtsmissbräuchlich gewesen. Zudem sei der Antrag telefonisch und damit in unzulässiger Weise gestellt worden. Gegen die Entscheidung sei das Rechtsmittel der Berufung zulässig.
Gegen den Gerichtsbescheid hat der ASt Berufung beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt und geltend gemacht, seine Eingliederung in das Erwerbsleben sei dringend geboten. Seit Jahren würden ihm Leistungen der Grundsicherung verweigert und Vermögenswerte zugerechnet, die ihm nicht gehörten.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Das vom ASt eingelegte Rechtsmittel ist als Beschwerde zulässig (§§ 171, 172 Sozialgerichtsgesetz - SGG).
Verfahrensgegenstand des Verfahrens S 10/4 AL 144/08 ER ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes gemäß § 86b Abs 2 Satz 2 SGG, denn der ASt begehrt die Überprüfung bisher bewilligter und weiterer, umgehend zu gewährender Leistungen zur Eingliederung in Arbeit, die im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens im Wege einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zu verfolgen wäre. Über einen solchen Antrag hatte das SG - auch soweit wie vorliegend die Fortsetzung des Verfahrens im Streit steht - im Rahmen eines Beschlusses zu entscheiden
(§ 86b Abs 4 SGG). Soweit hier das SG jedoch fehlerhaft einen Gerichtsbescheid erlassen hat, eröffnet dies dem ASt - nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung - die Möglichkeit das objektiv zutreffende bzw. das subjektiv nach der Rechtsmittelbelehrung für zutreffend gehaltene Rechtsmittel einzulegen, über das der Senat als Rechtsmittelgericht allerdings in der zutreffenden Form (vgl. Leitherer in Meyer- Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9.Aufl., vor § 143 Rn. 14, 14a), d.h. durch Beschluss (§ 176 SGG) zu entscheiden hat.
Das als Beschwerde zu behandelnde Rechtsmittel des ASt ist im wesentlichen begründet, denn die Feststellung, das Verfahren sei durch fiktive Rücknahme der Klage beendet, ist unzutreffend, nachdem weder die formellen noch die materiellen Voraussetzungen für eine solche Feststellung erfüllt sind.
Eine Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger trotz Aufforderung des Gerichts das Verfahren länger als drei Monate nicht betreibt (§ 102 Abs 2 Satz 1 SGG). Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 ( ...) ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen (§ 102 Abs 2 Satz 2 SGG).
Es kann vorliegend offen bleiben, ob die Aufforderung das Verfahren zu betreiben, zwingend mit dem Hinweis auf die Rechtsfolge einer fiktiven Klagerücknahme verbunden sein muss, wie aus dem Wortlaut des § 102 Abs 2 Satz 2 SGG zu schließen ist, denn vorliegend ist nicht zu belegen, dass der ASt die Betreibensaufforderung vom 01.07.2008 erhalten und zur Kenntnis genommen hat. In der Akte findet sich lediglich ein Zustellungsnachweis in Bezug auf das gerichtliche Schreiben vom 31.10.2008, mit der ASt zwar auf die Folgen des Nichtbetreibens hingewiesen worden ist. Dieses Schreiben nimmt jedoch nur Bezug auf die Betreibensaufforderung vom 01.07.2008. Aus dem Schreiben vom 31.10.2008 selbst geht nicht hervor, welche Verfahrenshandlungen gefordert werden, und eine Abschrift des Schreibens vom 01.07.2008 war - nach Lage der Akten - dem Hinweis vom 31.10.2008 nicht beigefügt. Insofern ist nicht nachvollziehbar, ob der ASt wusste, welche Mitwirkungshandlung oder Erklärung von ihm verlangt wird, denn auch dem Vortrag des ASt ist nicht zu entnehmen, dass er vom Inhalt der Betreibensaufforderung vom 01.07.2008 Kenntnis hatte.
Darüber hinaus muss eine Betreibensaufforderung vom zuständigen Richter verfügt und mit vollem Namen unterzeichnet werden, wenn sie Wirkungen für die Beteiligten erzeugen soll. Dies folgt aus den einschneidenden Rechtsfolgen einer (erfolglosen) Betreibensaufforderung. Erst die Beifügung der vollen Unterschrift des Richters macht deutlich, dass es sich bei dem unterzeichneten Text nicht um einen Entwurf handelt und dass der Unterzeichnende nicht von einer Routine-Verfügung ausgeht; hierüber muss aber bei einer Betreibensaufforderung auch für die Betroffenen Gewissheit bestehen. Deshalb muss sie nicht nur vom zuständigen Richter verfügt und unterschrieben sein, sondern auch die gemäß § 63 Abs 1 Satz 1 SGG zuzustellende Ausfertigung/beglaubigte Abschrift diesen Umstand erkennen lassen, d.h. durch Wiedergabe des vollen Namens des Richters ausweisen, dass die Betreibensaufforderung von ihm stammt (vgl. hierzu eingehend BSG, Urteil vom 01.07.2010 - B 13 R 74/09 R - Juris).
Auch diese Voraussetzungen erfüllt das sozialgerichtliche Verfahren erster Instanz nicht, denn keines der in diesem Zusammenhang verfassten Schreiben hat der zuständige Vorsitzende persönlich unterschrieben.
Zuletzt ist auch nicht ersichtlich, dass es sachlich begründete Anhaltspunkte dafür gab, dass das Rechtsschutzinteresse des ASt entfallen wäre. Allein dies würde rechtfertigen, dass die nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht zu ziehende Rücknahmefiktion zum Tragen kommt (vgl. Leitherer aaO § 102 Rn. 8a mwN).
Solche Anhaltspunkte können sich im sozialgerichtlichen Verfahren aus einer Verletzung der prozessualen Mitwirkungspflichten des ASt ergeben, wenn sie den Schluss auf den Wegfall des Sachbescheidungsinteresses zulassen. Für eine Betreibensaufforderung iS des § 102 Abs 2 Satz 1 SGG genügt daher nicht jede Art von Verletzung einer Mitwirkungspflicht, sondern nur eine solche, die ein erhebliches Unterlassen einer prozessualen Mitwirkungshandlung darstellt. Das Gericht muss sich - seine Rechtsansicht zugrunde gelegt - außerstande sehen entscheidungserhebliche Tatsachen festzustellen, um den für eine Sachentscheidung notwendigen Sachverhalt zu klären (vgl. BSG, Urteil vom 01.07.2010 - aaO).
Vorliegend war eine Mitwirkung des ASt in dem genannte Sinne jedoch nicht erforderlich, denn das SG hat den ASt lediglich aufgefordert eine - aus Sicht des Gerichtes - unklare Prozesserklärung, den Befangenheitsantrag aus dem Erörterungstermin vom 24.06.2008, zu erläutern. Für den Fortgang des Verfahrens und eine Entscheidung in der Sache hätte es einer solchen Erläuterung jedoch nicht zwingend bedurft, denn der Erklärungsgehalt unklarer prozessualer Erklärungen ist gegebenenfalls durch Auslegung zu ermitteln (vgl. Keller in Meyer- Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., vor § 60 Rn.11a), und das SG hätte - abhängig vom Auslegungsergebnis - den Rechtsstreit weiter betreiben und einer Entscheidung in der Sache zuführen können.
Im Ergebnis hat das SG am 03.02.2009 daher zu Unrecht das Weglegen der Akte wegen des Eintrittes der Klagerücknahmefiktion verfügt, womit sich die Feststellung des SG im Gerichtsbescheid vom 15.06.2009 als unzutreffend erweist und dieser aufzuheben war.
Darüber hinaus war festzustellen, dass der Ausgangsrechtsstreit, das Verfahren S 10/4 AL 144/08 ER (von Amtswegen) vor dem SG fortzuführen ist. Einer gesonderten Zurückverweisung zur erneuten Entscheidung an das SG bedurfte es insoweit nicht, denn nicht das Verfahren S 10/4 AL 144/08 ER ist mit dem Beschwerdeverfahren beim BayLSG rechtshängig geworden, sondern allein das "Wiederaufnahmeverfahren" S 10 AL 103/09, das als selbständiges Verfahren anzusehen ist.
Vorliegend war - nach Auffassung des SG - mit Ablauf der Drei-Monats-Frist des § 102 Abs 2 Satz 1 SGG der Rechtsstreit erledigt. Mangels Sachentscheidung war dies mit Rechtsmitteln nicht angreifbar. Somit ist der Streit über die Erledigung, wie ein Wiederaufnahmeverfahren nach § 179 SGG, kein ordentliches Rechtsmittel, sondern ein außerordentlicher Rechtsbehelf und damit ein vom Ausgangverfahren zu differenzierendes, selbständiges Verfahren (vgl. hierzu Leitherer in Meyer- Ladewig/Keller/Leitherer, SGG,
9. Aufl., § 179 Rn 2a, vor § 143 Rn 1 mwN). Allein die Entscheidung in dem Verfahren
S 10 AL 103/09 unterlag - mangels einer Entscheidung im Ausgangsverfahren
S 4 AL 144/08 ER - dem Devolutiveffekt des vom ASt eingelegten Rechtsmittels, so dass allein dieses beim BayLSG rechtshängig geworden ist. Mit Rechtskraft der Entscheidung des Senates, den Gerichtsbescheid vom 15.06.2009 aufzuheben und der Feststellung, dass das Ausgangsverfahren S 10/4 AL 144/08 ER - mangels Eintrittes der Klagerücknahmefiktion - vor dem SG fortzuführen ist, entfällt die Rechtshängigkeit des allein beim BayLSG rechtshängig gewesenen "Wiederaufnahmeverfahrens". Die Rechtshängigkeit des Ausgangsverfahrens S 4 AL 144/08 ER war zu keinem Zeitpunkt beim SG entfallen, so dass das SG von Amtswegen über das dort noch offene Verfahren zu entscheiden hat und der Senat an einer Entscheidung in der Sache gehindert ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Entscheidung, denn dem Antrag des ASt, eine Entscheidung in der Sache zu treffen, konnte nicht entsprochen werden.
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
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