L 16 AS 759/09 NZB

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
16
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 45 AS 1496/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 AS 759/09 NZB
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Grundsätzliche Bedeutung hat die Rechtsfrage,
- ob bereits aufgrund des § 2 Abs. 1 Nr. 6 BAföG jeder Hochschulstudiengang eine Ausbildung darstellt, die im Sinne des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II dem Grunde nach förderungsfähig ist,
oder
- ob ein Hochschuldstudiengang, der ein anderes abgeschlossenes Hochschulstudium als Zugangsvoraussetzung hat, aber die Voraussetzungen für die Förderung einer Zweitausbildung nach § 7 Abs. 1a und 2 BAföG nicht erfüllt, dem Grunde nach förderungsfähig im Sinne des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II ist.
I. Auf die Beschwerde der Klägerin wird die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts München vom 15.09.2009 aufgehoben und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 15.09.2009 zugelassen.

II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgen der Kostenentscheidung in der Hauptsache.



Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Anspruch der Klägerin (Kl.) im Zeitraum vom 01.10. bis zum 06.11.2006 auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II aufgrund eines von ihr betriebenen Master-Studiums ausgeschlossen war.

Die 1968 geborene Kl. war im streitgegenständlichen Zeitraum an der Fachhochschule B. im Studiengang Technologie- und Innovationsmanagement immatrikuliert. Dieser Studiengang aus dem Fachbereich Wirtschaft umfasste 4 Semester und führte zu dem Abschluss "Master of Arts (M. A.)". Voraussetzung waren ein abgeschlossenes Hochschulstudium, ausreichende Sprachkenntnisse in Deutsch und Englisch sowie mindestens eine einjährige Berufserfahrung.

Den von der Kl. und ihrem Ehemann am 26.09.2006 gestellten Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II lehnte die Beklagte (Bekl.) zunächst mit Bescheid vom 29.11.2006 wegen übersteigenden Vermögens vollständig ab. Mit Bescheid vom 19.03.2008 bewilligte sie hierauf Leistungen ausschließlich für den Ehemann für den Zeitraum vom 01.10. bis zum 30.11.2006. Auf den dagegen von den Eheleuten erhobenen Widerspruch hin erhöhte die Bekl. mit Bescheid vom 30.04.2008 die dem Ehemann bewilligten Leistungen. Den dagegen von der Kl. erhobenen Widerspruch wies die Bekl. mit Widerspruchsbescheid vom 12.05.2008, versandt am 27.05.2008, als unbegründet zurück.

Am 19.06.2008 hat die Kl. beim Sozialgericht München (SG) dagegen Klage erhoben.

Während des Klageverfahrens hat die Bekl. der Kl. mit Änderungsbescheid vom 15.04.2009 für die Zeit vom 07.11. bis zum 30.11.2006 Arbeitslosengeld II in Höhe von 248 EUR bewilligt, weil ihr Studium laut Exmatrikulationsbescheinigung am 06.11.2006 geendet habe.

Die Kl. hat in der mündlichen Verhandlung vor dem SG beantragt, den Bescheid vom 19.03.2008 und die Änderungsbescheide vom 30.04.2008 und vom 15.04.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.05.2008 aufzuheben und die Bekl. zu verurteilen, Leistungen nach dem SGB II auch für die Zeit vom 01.10.2006 bis zum 06.11.2006 zu zahlen.

Mit Urteil vom 15.09.2009 (Az. S 45 AS 1496/08) hat das SG die Klage abgewiesen. Ansprüche der Kl. auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts seien im Zeitraum vom 01.10. bis zum 06.11.2006 gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II ausgeschlossen gewesen, weil das von ihr betriebene Studium im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) dem Grunde nach förderungsfähig gewesen sei. Dem Grunde nach förderungsfähig sei diese Ausbildung bereits deshalb, weil es sich um ein Hochschulstudium im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 6 BAföG handle. Dass die Kl. keine Leistungen nach dem BAföG erhalten habe, weil sie die Voraussetzungen des § 7 (Förderungsfähigkeit einer weiteren Ausbildung) und wohl auch des § 10 BAföG (Höchstalter) nicht erfüllt habe, ändere nichts daran, dass die Ausbildung dem Grunde nach förderungsfähig sei. In der Rechtsmittelbelehrung ist ausgeführt, dass die Berufung ausgeschlossen und vom Gericht nicht zugelassen worden sei. Das Urteil ist der Kl. am 14.10.2009 zugestellt worden.

Am 06.11.2009 hat die Kl. gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil Beschwerde eingelegt. Sie ist der Auffassung, dass die Frage, ob ein weiterführender Studiengang, der nicht als Erstausbildung betrieben werden könne, dem Grunde nach förderungsfähig nach dem BAföG sei, in der Rechtsprechung nicht geklärt sei, und zitiert drei landessozialgerichtliche Entscheidungen, die insoweit einen Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II verneinen. Im Übrigen sei sie im Umfang von mehr als 750 EUR beschwert, da ihre Klage nicht nur die Regelleistung, sondern auch die Kosten für Unterkunft und Heizung betreffe.

Die Bekl. ist ebenfalls der Auffassung, dass der Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung habe.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogenen Akten der Beklagten verwiesen.

II.

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung durch das Sozialgericht ist gemäß § 145 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt.

Die Beschwerde ist begründet. Die Zulassung, derer die Berufung gemäß § 144 Abs. 1 SGG bedarf, ist gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG auszusprechen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

Die Berufung bedarf nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 SGG der Zulassung, weil sie nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr, sondern eine Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft und der Wert des Beschwerdegegenstandes 750 EUR nicht übersteigt. Der Wert des Beschwerdegegenstandes ist danach zu bestimmen, was das SG dem Rechtsmittelkläger versagt hat und was von diesem mit seinen Berufungsanträgen weiter verfolgt wird (Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, SGG, 9. Aufl., 2008, § 144 Rdnr. 14). Die Kl. hat den von ihr begehrten Geldbetrag in der ersten Instanz der Höhe nach nicht beziffert. Der Klageantrag bezieht sich lediglich auf die Feststellung, dass Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Zeitraum vom 01.10. bis zum 06.11.2006 dem Grunde nach geschuldet waren. Die Höhe dieser Leistungen belief sich maximal auf 90 % der Regelleistung nach § 21 Abs. 3 SGB II für den Monat Oktober 2006 zuzüglich 6/30 dieses Wertes für die ersten 6 Tage des Monats November, also insgesamt einen Geldbetrag, der weit unterhalb des Betrages von 750 EUR lag. Die Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II zählten nicht hierzu, weil diese gemäß § 6 Abs. 1 Satz Nr. 2 SGB II vom zuständigen Landkreis getragen wurden, der mit der Bekl. keine Arbeitsgemeinschaft nach § 44b SGB II in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung gebildet hatte.

Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Die Streitsache wirft eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage auf, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern.

Entscheidungserheblich ist im vorliegenden Rechtsstreit die Rechtsfrage,
- ob bereits aufgrund des § 2 Abs. 1 Nr. 6 BAföG jeder Hochschulstudiengang eine Ausbildung darstellt, die im Sinne des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II dem Grunde nach förderungsfähig ist, oder
- ob ein Hochschulstudiengang, der ein anderes abgeschlossenes Hochschulstudium als Zugangsvoraussetzung hat, aber die Voraussetzungen für die Förderung einer Zweitausbildung nach § 7 Abs. 1a und 2 BAföG nicht erfüllt, dem Grunde nach förderungsfähig im Sinne des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II ist.

Die Frage bedarf der grundsätzlichen Klärung, weil die von der Kl. zitierten landessozialgerichtlichen Entscheidungen entgegen der Auffassung des SG in solchen Fällen den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II nicht für erfüllt halten und eine Entscheidung des Bundessozialgerichts für diese Frage noch nicht vorliegt.

So hat das Thüringer Landessozialgericht mit Beschluss vom 08.03.2006 (Az. L 7 AS 63/06 ER (bei Juris)) einen postgradualen Masterstudiengang, der nicht auf einen Bachelor- oder Bakkalauresstudiengang im Sinne des § 7 Abs. 1a BAföG aufbaute, für dem Grunde nach förderungsfähig nach § 7 Abs. 5 SGB II gehalten (aaO. Rdnrn. 28 bis 30). Das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt hat mit Urteil vom 03.04.2008 Az. L 2 AS 71/06 (FEVS 60, 243) den Ausschlussgrund des § 7 Abs. 5 SGB II für ein Promotionsstudium verneint, weil ein Promotionsstudium - jedenfalls wenn es nicht in der sog. grundständigen Form durchgeführt werde - nicht zu einem berufsqualifizierenden Abschluss im Sinne des § 7 Abs. 1 BAföG führe (aaO. Rdnrn. 27 ff. bei Juris). Das Sächsische Landessozialgericht hat mit Urteil vom 21.08.2008 (Az. L 3 AS 62/06) einen Aufbaustudiengang, der weder nach § 7 Abs. 1a noch nach § 7 Abs. 2 BAföG förderungsfähig war, nicht als Leistungsausschlussgrund nach § 7 Abs. 5 SGB II angesehen.

Auch in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist diese Frage noch nicht geklärt. Im Urteil des 14. Senats vom 06.09.2007 (BSGE 99, 67 ff.) ging es um den Wechsel in ein anderes Studium, für das nur wegen des Abbruchs eines vorhergehenden Studiums nach § 7 Abs. 3 BAföG keine Ausbildungsförderung geleistet wurde, das aber an sich kein anderes Studium voraussetzte und als Erststudium auch förderungsfähig gewesen wäre.

Der 4. Senat setzte diese Rechtsprechung in seinem Urteil 30.09.2008 (SozR 4-4200 § 7 Nr. 7) fort, indem er den Ausschluss der Förderungsfähigkeit von Zweitausbildungen nach § 60 Abs. 2 SGB III für einen individuellen Versagensgrund hielt, dessen ungeachtet die Ausbildung dem Grunde nach förderungsfähig nach § 7 Abs. 5 SGB II bleibe. Aber auch aus dieser Entscheidung lässt sich keine Aussage zu dem sich im vorliegenden Fall darstellenden Problem entnehmen, dass die zweite Ausbildung allgemein - also unabhängig von den individuellen Verhältnissen des Hilfebedürftigen - eine Erstausbildung voraussetzt. Denn in der zitierten Entscheidung des BSG war die zweite Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten von der zuvor abgeleisteten Ausbildung zur Bürokauffrau unabhängig und hätte auch als Erstausbildung aufgenommen werden können.

Nichts anderes ergibt sich aus dem Urteil des BSG vom 01.07.2009 Az. B 4 AS 67/08 R (FEVS 61, 104). Hier war ein Zweitstudium nach § 7 Abs. 2 BAföG nicht förderungsfähig, ohne dass ein Fall des Studienabbruchs nach § 7 Abs. 3 BAföG vorlag. Auch hier hätte das Zweitstudium von einer anderen Person auch als Erststudium betrieben werden können.

Da die Berufung zugelassen wird, bleibt die Kostenentscheidung der Entscheidung über die Berufung vorbehalten, die dann die Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde umfasst (Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, SGG, 9. Aufl., 2008, § 145 Rdnr. 10; zur Zulassung der Revision auf Nichtzulassungsbeschwerde BSG, Beschluss vom 01.12.1988 Az. 8/5a RKn 11/87 = SozR 1500 § 193 Nr. 7).

Das Beschwerdeverfahren wird als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht (§ 145 Abs. 5 Satz 1 SGG).

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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