L 2 U 228/10

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 23 U 378/07
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 228/10
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Gesundheitsschaden muss mit einem an Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit feststehen.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 12.03.2010 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Zwischen den Beteiligten sind die Folgen des anerkannten Arbeitsunfalls vom 03.09.2003 streitig.

Der Kläger erlitt am 03.09.2003 als angeschnallter Beifahrer eines Geldtransporters einen Unfall. Der Geldtransporter stieß in einer starken Rechtskurve mit einem entgegenkommenden Lastkraftwagen (Kehrmaschine) trotz Ausweichmanövers zusammen. In der ärztlichen Unfallmeldung von Dr. R., A-Stadt, vom 04.09.2003 war eine HWS-Distorsion mit Nackenschmerzen beschrieben. Arbeitsunfähigkeit bestand bis 28.09.2003. Im Durchgangsarztbericht des Chirurgen Dr. L. vom 03.09.2003 wurden zusätzlich eine 50 Cent große Schürfwunde am Kopf und Prellungen des linken Beckenkamms diagnostiziert. Eine Prellmarke sei nicht erkennbar gewesen. Der Kläger nahm am 29.09.2003 seine Tätigkeit als Geldtransporteur wieder auf.

Ausweislich eines Auszugs der Krankenversicherung des Klägers lag vom 20.07.2004 bis 24.07.2004 Arbeitsunfähigkeit wegen einer Radikulopathie nicht näher bezeichneter Lokalisation vor. Erneute Arbeitsunfähigkeit wurde ab 06.03.2006 aufgrund einer Bandscheibenerkrankung diagnostiziert. Am 03.05.2006 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er aufgrund eines alten Unfalls arbeitsunfähig geschrieben sei und starke Schmerzen habe.

Laut eines Befundberichts von Dr. K., A-Stadt, vom 19.06.2006 sei am 20.04.2006 ein Bandscheibenvorfall C 5/C 6 diagnostiziert worden. Mit Bescheid vom 01.08.2006 wurden als Folgen des Arbeitsunfalls vom 03.09.2003 anerkannt: Folgenlos verheilte Prellungen im Bereich des Schädels und des linken Beckenkammes sowie folgenlos verheilte Zerrung der Halswirbelsäule. Nicht anerkannt wurden eine Bandscheibenvorwölbung (Protrusion) zwischen dem 4. und 5. Halswirbelkörper, ein Bandscheibenvorfall (Prolaps) zwischen dem 5. und 6. Halswirbelkörper sowie zwischen dem 7. Halswirbelkörper und dem 1. Brustwirbelkörper. Die Entscheidung wurde auf die medizinischen Befunde, insbesondere das Ergebnis der Kernspintomomgraphie vom 12.04.2006 gestützt.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Es wurden daraufhin die polizeilichen Ermittlungsakten beigezogen und der Chirurg Dr. R. zum Sachverständigen ernannt. Er kam in seinem Gutachten vom 14.02.2007 zum Ergebnis, dass beim Kläger degenerative Veränderungen im Hals- und Lendenwirbelsäulenbereich, insbesondere Bandscheibenprotrusionen HWK 5/6 und HWK 7/BWK 1 sowie Spondylolisthesis Grad Meyerding I L 4/5 vorlägen, jedoch nicht auf den Unfall vom 03.09.2003 zurückzuführen seien. Die durchgeführte Kernspintomographie und die Röntgenaufnahmen ergäben keinerlei radiologische Auffälligkeiten, welche für eine stattgehabte strukturelle Verletzung sprechen würden. Die Wirbelkörper zeigten eine anatomisch korrekte Höhe. Auffällig seien multisegmentale degenerative Veränderungen im Sinne von Spondyl- oder Uncovertebralarthrosen. Degenerative Veränderungen beträfen nicht singular die knöchernen Bestandteile der Wirbelsäule, sondern auch die stabilisierenden Weichteilstrukturen. Dementsprechend sei von einer degenerativen Genese der strukturellen Schädigung der stabilisierenden Weichteile auszugehen.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 29.05.2007 zurückgewiesen. Ein kausaler Zusammenhang zwischen den Beschwerden im Hals- und Lendenwirbelsäulenbereich über den 28.09.2003 und dem Unfall wurde verneint.

Hiergegen legte der Kläger am 28.06.2007 Klage beim Sozialgericht München (SG) ein. Dieses zog Befundberichte von Dr. K. sowie des Kreiskrankenhauses A-Stadt bei; des Weiteren einen ärztlichen Entlassungsbericht des Orthopädiezentrums Bad F. für die Rentenversicherung. Zur Klagebegründung legte der Kläger eine Bestätigung von Dr. W., N. vor. Danach sei er bis 08.04.2002 beschwerdefrei gewesen.

Das SG holte ein Gutachten bei dem Chirurgen, Unfallchirurgen Dr. L. vom 16.12.2008 ein. Durch den Unfall vom 03.09.2003 sei es beim Kläger zu harmlosen Prellungen und Distorsionen gekommen. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) messbaren Grades habe beim Kläger zu keiner Zeit bestanden.

Hiergegen wandte der Kläger ein, die Darstellung des Verkehrsunfalls sei unzutreffend. So habe das Geldtransportfahrzeug umfangreiche Beschädigungen auch an der linken Vorderseite. Beim Unfallgegner sei der Dieseltank aufgerissen worden. Es sei noch am Unfallort eine Halskrawatte angelegt worden. Der Sachverständige habe nicht berücksichtigt, dass der Bruch in der Lendenwirbelsäule und der Muskelsehnenanriss in der Schulter Folge einer plötzlichen Einwirkung erheblicher Kräfte sein müssten. In einer ergänzenden Stellungnahme bestätigte Dr. L. sein Ergebnis.

Mit Urteil vom 12.03.2010 wies das SG die Klage ab. Es stützte sich im Wesentlichen auf das Gutachten der Dres. R. und L ...

Hiergegen hat der Kläger am 12.05.2010 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er darauf hingewiesen, dass der ADAC-Hubschrauberrettungsdienst im Einsatz gewesen sei. Dieser sei mit einer hypertensiven Entgleisung, Prellungen und Verdacht auf HWS-Trauma begründet worden. Nach einem solchen Aufprall (kein Airbag) und bei Schleudertrauma, Schulterkontusion und Beckenprellung sei es Pflicht gewesen, abzuklären, ob Schädigungen vorliegen. Dr. R. habe seine Pflichten verletzt. Nach dem Unfall hätte ein unfallanalytisches Gutachten eingeholt werden müssen. Auch ein Schleudertrauma könne zu Bandscheibenschäden führen. Er könne seinen Beruf als Geld- und Werttransporteur nicht mehr ausüben.

Der Vertreter der Beklagten hat Gutachten des Dr. Dr. K. vom 13.01.2011 übergeben, die in weiteren Verfahren des Klägers gegen die Beklagte durch das Sozialgericht München eingeholt wurden. Diese betreffen jeweils einen Unfall vom 19.07.2004 und vom 06.03.2006 sowie das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 bis 2110 der Berufskrankheitenverordnung.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 12.03.2010 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 01.08.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.05.2007 insoweit abzuändern, dass als weitere Unfallfolgen Bandscheibenverletzungen der Halswirbelsäule (mit Ausnahme Aufbruch C5/C6), ein Bruch der Lendenwirbelsäule sowie eine Schulterverletzung festzustellen sind und ihm hieraus eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 v.H. und sonstige Leistungen der Unfallversicherung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich jedoch nicht begründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht München die Klage abgewiesen. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird abgesehen, da der Senat die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Auch das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren konnte zu keiner anderen Beurteilung der Sach- und Rechtslage führen. Insbesondere konnte das Vorbringen nicht die überzeugenden Gutachten des Dr. R. und des Dr. L. widerlegen.

Dr. L. standen sämtliche radiologischen und ärztlichen Befunde für seine Beurteilung zur Verfügung. Entscheidend ist nicht allein die Schwere des Unfalls. Vielmehr wurde der Kläger bereits 1 1/2 Stunden nach dem Ereignis in der Unfallambulanz des örtlichen Krankenhauses untersucht. Mit Ausnahme einer etwas mehr als fingernagelgroßen Schürfwunde am Kopf wurden keinerlei Verletzungen festgestellt. Allein dieser Erstbefund schließt in Verbindung mit den biomechanischen Gegebenheiten des Unfalles eine wie auch immer geartete Gewebeverletzung nach Ansicht des Dr. L. ohne jeden Zweifel aus. Die Unterlassung bildgebender Diagnostik ist also nicht als Versäumnis, sondern als befundangemessene Entscheidung zu werten. Hierauf kommt es jedoch im laufenden Verfahren nicht an.

Die Beschwerden des Klägers an der Halswirbelsäule haben eine degenerative Ursache. Sie sind laut Befundung des Dr. L. leicht altersbedingt, insgesamt aber keineswegs als traumatisch einzuschätzen. Bei der Veränderung an der Lendenwirbelsäule handelt es sich nach Ansicht des Sachverständigen um eine schwere, angeborene anatomische Normvariante, nämlich ein angeborenes Wirbelgleiten im Segment L 4/L 5 mit inzwischen weitgehend aufgebrauchter zwischengeschalteter Bandscheibe. Für eine Schulterverletzung ergeben sich aus den Erstbefunden ebenfalls keine Anhaltspunkte.

Auch aus den Gutachten des Dr. Dr. K. ergeben sich keine neuen Erkenntnisse, die zu einer Änderung der Beweislage zugunsten des Klägers führen würden. Traumatisch bedingte Veränderungen konnte der Sachverständige nicht feststellen. Das Kernspintomogramm der HWS von 2006 ergab einen übersegmentalen (damit schicksalhaften) Verschleiß der unteren Bandscheiben, aber keine Verletzungsspezifika. Die Schäden an der LWS sind laut Dr. Dr. K. anlagebedingt.

Die Berufung hat deshalb keine Aussicht auf Erfolg.

Die Kostenfolge richtet sich nach § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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