L 7 AS 122/11 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 7 AS 957/10 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 122/11 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die Hilfebedürftigkeit ist in Frage gestellt, wenn ein Empfänger von Arbeitslosengeld II fortlaufend hohe Ausgaben tätigt, die nicht durch existenzsichernde Leistungen abgedeckt werden.
Verpflegung, die von Seiten der Verwandtschaft gewährt wird, ist kein Einkommen (§ 1 Abs. 1 Nr. 11 Alg II-V).
I. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 4. Januar 2011 abgeändert und der Antragsgegner vorläufig verpflichtet, der Antragstellerin für die Zeit von 1. Dezember 2010 bis 30. April 2011 monatlich 290,- Euro Arbeitslosengeld II zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin vier Zehntel der notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
III. Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung des Rechtsanwalts K. S. bewilligt.



Gründe:


I.

Streitig ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, ob der Antragstellerin Arbeitslosengeld II zusteht oder ob sie über sonstiges Einkommen oder Vermögen verfügt.

Die 1957 geborene Antragstellerin war selbständig erwerbstätig und Eigentümerin von zwei Wohnungen in einem Haus mit insgesamt drei Wohnungen. Im Jahr 2002 verkaufte sie ihre beiden Wohnungen an ihren Sohn. Im notariellen Kaufvertrag wurde für die von der Antragstellerin bewohnte Dreizimmerwohnung ein unbefristeter Mietvertrag mit einer Kaltmiete von 500,- Euro vereinbart. Diese Wohnung verfügt über 95 qm Wohnfläche (laut erster Mietbescheinigung), drei Zimmer und eine Küche. Die andere Wohnung bewohnt der Sohn selbst. Am 20.12.2006 leistete die Antragstellerin beim Gerichtsvollzieher eine eidesstattliche Versicherung.

Ab Januar 2007 erhielt die Antragstellerin Arbeitslosengeld II. Nach der sozialmedizinischen Stellungnahme vom 08.03.2007 könne die Antragstellerin trotz einer Herzerkrankung leichteste Tätigkeiten vollschichtig ausüben. Ab 01.05.2007 erkannte der Antragsgegner nur mehr 255,- Euro als angemessene Kosten für Unterkunft und Heizung an, bzw. 260,50 Euro ab 01.11.2008 und 320,50 Euro ab 01.11.2009. Nachdem der Vermieter und Sohn der Antragstellerin mit Mietbescheinigung vom 16.04.2010 die regelmäßige Bezahlung der Gesamtmiete von 660,- Euro bestätigte, wurden für die Zeit von Mai bis Oktober 2010 monatlich 719,33 Euro bewilligt, davon 360,33 Euro Kosten für Unterkunft und Heizung.

Auf den Weitergewährungsantrag für die Zeit ab November 2010 wurde die Antragstellerin aufgefordert, Kontoauszüge der letzten drei Monate zu übermitteln und mitzuteilen, wie sie ihren monatlichen Lebensunterhalt bestreite. Von den 719,33 Euro würden nach Abzug der Miete von 660,- Euro nur 59,33 Euro zum Leben verbleiben. Die Antragstellerin teilte mit, dass sie wenig Geld für Lebensmittel ausgebe und auch zum Essen eingeladen werde. Aus den vorgelegten Kontoauszügen ergibt sich, dass die Antragstellerin monatlich 24,50 Euro für ein Zeitungsabonnement, 33,90 Euro für eine Zusatzkrankenversicherung und 8,- Euro für den GKV-Zusatzbeitrag bezahlt. Am 09.06.2010 zahlte sie in einem Gartencenter 95,38 Euro und am 08.07.2010 zahlte sie 31,95 Euro in einer Kerzenfabrik. Als Miete wurden nur 500,- Euro oder 450,- Euro Kaltmiete überwiesen. Am 22.07.2010 zahlte sie in Leipzig in einem Kaufhaus 15,- Euro.

Mit Bescheid vom 29.09.2010 wurde die Bewilligung für die Zeit ab November 2010 abgelehnt. Die Hilfebedürftigkeit sei nicht nachgewiesen. Die Antragstellerin trage hierfür die materielle Beweislast. Im Widerspruch machte die Antragstellerin geltend, dass sie die Nebenkosten für die Wohnung nicht regelmäßig bezahle. Die Zeitung benötige sie, weil sie sicher über Aktuelles informieren wolle. Sie benötige wegen ihrer Krankheit die Unterstützung der Verwandten. Sie benötige auch die Krankenversicherung. Mit Widerspruchsbescheid vom 08.11.2010 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Dagegen wurde Klage erhoben.

Am 25.11.2010 stellte die Antragstellerin beim Sozialgericht Landshut einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Sie zahle die Nebenkosten der Wohnung nur teilweise und lebe im übrigen sehr sparsam. Für die Haushaltsführung sei sie aufgrund ihrer Erkrankung auf die Hilfe ihrer Familie angewiesen. Deshalb müsse sie die relativ hohe Miete in Kauf nehmen. Allerdings sei die Miete ortsüblich. Die zusätzliche Krankenversicherung werde zwar vom Konto der Antragstellerin abgebucht, jedoch von ihrem Vater erstattet. Auch das Zeitungsabonnement werde der Antragstellerin von ihrem Sohn erstattet. Die Antragstellerin verfüge nicht über Rücklagen. Sie könne nun weder Lebensmittel noch Miete bezahlen. Ab Anfang Dezember drohe eine fristlose Kündigung der Wohnung. Im Gartencenter und in der Kerzenfabrik habe die Antragstellerin für ihre Verwandten Blumen bzw. eine Taufkerze eingekauft.

Mit Beschluss vom 04.01.2011 (zugestellt am 17.01.2011) lehnte das Sozialgericht Landshut der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Der Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht. Neben Kaltmiete, den tatsächlich gezahlten Nebenkosten von etwa 50,- Euro, dem Zeitungsabonnement und der zusätzlichen Krankenversicherung blieben für den Lebensunterhalt nur rund 90,- Euro monatlich. Das würde selbst bei sparsamer Lebensführung nicht ausreichen. Die Antragstellerin müsse zusätzliches Einkommen oder Vermögen haben.

Am 07.02.2011 hat die Antragstellerin Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts eingelegt. Zur Begründung wurde ergänzend vorgetragen, dass die Antragstellerin herzkrank und nicht im Besitz eines Fahrzeugs sei. Sie sei für notwendige Fahrten und die Haushaltsführung auf die Hilfe der Familie angewiesen. Eine eidesstattliche Versicherung des Sohnes wurde vorgelegt, in der u. a. die Kostenerstattung für die Zeitung und den Blumeneinkauf bestätigt wurde. Zugleich wurde Prozesskostenhilfe beantragt.

Die Beschwerdeführerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 04.01.2011 aufzuheben und den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, der Antragstellerin ab Antragseingang Leistungen nach SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Beschwerdegegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Es fehle an einer Glaubhaftmachung zu der zusätzlichen Krankenversicherung. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb das Zeitungsabonnement seit vier Jahren nicht auf den Sohn umgestellt worden sei. Der Blumenkauf ohne eigenes Fahrzeug im 30 km entfernten Gartencenter sei nicht nachvollziehbar. Die Miete sei viel zu hoch. Es sei unverständlich, weshalb gegen die Absenkung der Leistung auf die angemessene Miete nie Widerspruch erhoben worden sei. Eine Kündigung der Wohnung sei nicht zu erwarten.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Beschwerde ist teilweise begründet. Die Antragstellerin wird offenbar massiv von ihrer Familie unterstützt. Eine fehlende Hilfebedürftigkeit ist jedoch nicht zu erkennen.

Für die begehrte Begründung einer Rechtsposition im einstweiligen Rechtsschutz ist ein Antrag auf eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft. Der Antrag muss zulässig sein und die Anordnung muss zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen. Es muss glaubhaft sein, dass ein materielles Recht besteht, für das einstweiliger Rechtsschutz geltend gemacht wird (Anordnungsanspruch), und es muss glaubhaft sein, dass eine vorläufige Regelung notwendig ist, weil ein Abwarten auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zumutbar ist (Anordnungsgrund).

Der Antragsgegner hat die Bewilligung von Arbeitslosengeld II abgelehnt, weil er die Hilfebedürftigkeit nicht nachgewiesen sieht. Zu dieser Auffassung gelangt er durch eine Gegenüberstellung der bisher gewährten Leistung mit den nachgewiesenen Ausgaben der Antragstellerin. Dem Arbeitslosengeld II von monatlich 719,33 Euro stehen 500,- Euro Kaltmiete, rund 50,- Euro an Nebenkosten der Wohnung, 24,50 Euro für ein Zeitungsabonnement, 33,90 Euro für eine Zusatzkrankenversicherung und 8,- Euro für den GKV-Zusatzbeitrag gegenüber. Dann verbleiben tatsächlich nur noch rund 100,- Euro für den gesamten Lebensbedarf. Dabei ist dann nur ein Bruchteil der Nebenkosten der Wohnung bezahlt.

Daraus lässt sich folgern, dass die Antragstellerin in erheblichem Umfang von ihren Verwandten unterstützt wird. Eine fehlende Hilfebedürftigkeit ergibt sich daraus nicht.

Über Vermögen verfügt die Antragstellerin nicht. Sie ist restlos überschuldet und hat eine eidesstattliche Versicherung abgegeben.

Anrechenbares Einkommen ist nicht nachweisbar. Aus den Kontoauszügen ergeben sich sehr geringe Ausgaben für Lebensmittel. Soweit die Antragstellerin von ihrem Sohn im Haus Verpflegung erhält, ist dies kein Einkommen (§ 1 Abs. 1 Nr. 11 Arbeitslosengeld II-Verordnung, vgl. auch BSG, Urteil vom 18.06.2008, B 14 AS 46/07 R). Dass der Sohn das Zeitungsabonnement bezahlt, ist glaubhaft - wer die Zeitung im Haus wem gibt, sei angesichts der Äußerung im Widerspruch dahingestellt. Dass die Antragstellerin bei einer chronischen Unterfinanzierung der Miete eine nicht existenznotwendige Zusatzkrankenversicherung unterhält, ist erstaunlich. Wer deren Kosten im Endeffekt trägt, ist ungeklärt, was aber die Hilfebedürftigkeit nicht beseitigt.

Dass die Antragstellerin in einer viel zu großen und viel zu teueren Wohnung wohnt, ist offensichtlich. Die Antragstellerin zahlt scheinbar die Kaltmiete und einen Teil der Nebenkosten. Die hohe Miete mag ein Finanzierungsbaustein für den Sohn sein (vgl. § 21 Abs. 2 EStG). Für einen Rückfluss der Mietzahlungen an die Antragstellerin gibt es keine Anhaltspunkte. Es gibt auch keine überzeugenden Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin aufgrund einer Erkrankung nur in der teueren Wohnung wohnen kann. Sie ist vollschichtig erwerbsfähig und ist nach eigenen Angaben in der Lage, für die Verwandtschaft einzukaufen. Auch eine Reise nach Leipzig ist scheinbar möglich. Es spricht alles dafür, dass die Antragstellerin in ihrer ehemaligen Eigentumswohnung und in der Nähe ihrer Familie bleiben will. Das ist nachvollziehbar, führt aber zu einer Leistungslücke für die Miete. Dies hat die Antragstellerin seit Mai 2007 auch akzeptiert - ein weiterer Anhalt dafür, dass die teure Wohnung Wunsch und nicht Notwendigkeit ist. Der Sohn nimmt die fehlenden Zahlungen für die Nebenkosten offenbar klaglos hin.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Antragstellerin in einer viel zu teueren Wohnung lebt und erhebliche Unterstützungen durch ihre Familie erhält. Für Vermögen oder Einkommen gibt es aber keine belastbaren Anhaltspunkte. Eine Leistungsablehnung im Wege einer Beweislastentscheidung lässt sich damit nicht begründen.

Ein Anordnungsgrund im Sinne einer Notwendigkeit der Abwendung wesentlicher Nachteile (vgl. § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG) besteht nur in Höhe von etwa 80 % der Regelleistung. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05 Rn. 26) kann auch bei existenzsichernden Leistungen im einstweiligen Rechtsschutz ein Abschlag vorgenommen werden. Der Abschlag ist hier schon deswegen möglich, weil die Antragstellerin nach eigenen Angaben für den Regelbedarf wenig Geld benötigt. Durch die einstweilige Leistung ist auch die Krankenversicherung sichergestellt. Die Unterkunft ist nicht in Gefahr.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Die Antragstellerin hat nur zu vier Zehnteln obsiegt (280 zu 719).

Der Antragsstellerin wird antragsgemäß Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Rechtsanwalts S. gewährt. Sie kann die Kosten der Prozessführung nicht tragen. Die notwendige Erfolgsaussicht ergibt sich aus diesem Beschluss.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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