L 10 AL 54/09

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 1 AL 545/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 54/09
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Der Kläger muss sich an den Vereinbarungen eines arbeitsgerichtlichen Vergleichs im Hinblick auf Arbeitsentgeltansprüche festhalten lassen, wenn es keine Anhaltspunkte für dessen Unwirksamkeit gibt.
2. Eine Abfindung nach §§ 9, 10 KSchG iVm § 3 Nr 9 EStG ist nicht insolvenzgeldfähig, wenn es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass diese Arbeitsentgeltansprüche abgelten soll.
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 02.02.2009 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitig ist die Bewilligung von Insolvenzgeld.

Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Polen. Er war seit dem 05.11.2003 als Bauhelfer bei der Firma C-Stadt-B. beschäftigt.

In seinem Antrag auf Insolvenzgeld gab der Kläger an, das Arbeitsverhältnis durch eigene Kündigung zum 29.07.2004 beendet zu haben. Für die Monate Juni und Juli würde noch ein Bruttoarbeitsentgelt von 2.014,68 EUR bzw 3.305,64 EUR ausstehen. Die Nichtzahlung sei mit Zahlungsunfähigkeit begründet worden. Wegen des Arbeitsentgelts sei beim C. Klage erhoben worden (Az ).

Im Rahmen des Rechtsstreits vor dem C. machte der Kläger eine Forderung von 5.320,32 EUR brutto (Junilohn 2.014,68 EUR, Julilohn 2.053,80 EUR, Urlaubsgeld 1.251,84 EUR) abzüglich eines bereits gewährten Vorschusses in Höhe von 1.100 EUR geltend. Im Rahmen dieses Rechtsstreites schloss der Kläger mit seinem ehemaligen Arbeitgeber folgenden außergerichtlichen Vergleich:

"1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass das Arbeitsverhältnis im gegenseitigen Einvernehmen mit dem Ablauf des 05.06.2004 sein Ende gefunden hat.

2. Die Parteien sind sich darüber einig, dass das Arbeitsverhältnis bis zum Beendigungszeitpunkt ordnungsgemäß abgerechnet und abgewickelt worden ist.

3. Der Beklagte zahlt an den Kläger für den Verlust des Arbeitsplatzes gemäß §§ 9,10 KSchG, § 3 EStG eine Abfindung in Höhe von 1.899,10 EUR netto.

... [Zahlungsmodalitäten]

4. Die Parteien sind sich darüber einig, dass mit diesem Vergleich sämtliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis gegeneinander abgegolten sind. Die Parteien sind sich einig, dass der Kläger seinen kompletten Urlaub eingebracht und genommen hat.

5 ... [Kosten]"

Das Zustandekommen des Vergleichs wurde mit Beschluss des Arbeitsgerichts C-Stadt vom 01.03.2005 festgestellt.

Die Beklagte lehnte den Insolvenzgeldantrag mit Bescheid vom 27.05.2008 ab. Es fehle ein Insolvenzereignis iSv § 183 Abs 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 04.09.2008 zurückgewiesen.

Der Kläger hat dagegen beim Sozialgericht Nürnberg (SG) Klage erhoben. Diese hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 02.02.2009 abgewiesen. Ein Insolvenzereignis nach § 183 Satz 1 Nr 1 und 2 SGB III liege mangels Insolvenzantrages nicht vor. Auch ein Insolvenzereignis nach § 183 Satz 1 Nr 3 SGB III sei nicht gegeben, da der Arbeitgeber die Lohnzahlungen nicht unter Hinweis auf seine Zahlungsunfähigkeit abgelehnt habe und auch sonst keine Anhaltspunkte für eine Zahlungsunfähigkeit vorliegen würde. Eine diesbezügliche Ungewissheit gehe zulasten des Klägers.

Dagegen hat der Kläger Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Beim Arbeitgeber habe Zahlungsunfähigkeit vorgelegen. Die Zahlungsaufforderungen seien erfolglos geblieben, ebenso wie die von einigen Arbeitnehmern unternommenen Vollstreckungsversuche. Die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung sei nur durch den Umzug des Arbeitgebers verhindert worden. Es gebe auch keine Anzeichen für eine Fortführung des Unternehmens. Der Arbeitgeber sei selbst nur als Subunternehmer für eine andere Firma tätig gewesen, die ihrerseits die Zahlungen eingestellt habe.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 02.02.2009 aufzuheben, sowie den Bescheid der Beklagten vom 11.06.2008 [wohl 27.05.2008] in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.09.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger das Insolvenzgeld antragsgemäß zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das Gericht hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass nach dem Vergleich beim Arbeitsgericht nur noch eine Abfindung geschuldet werde, die aber nicht insolvenzgeldfähig sein dürfte.

Mit Beschluss vom 25.05.2011 wurde die Berufung auf den Berichterstatter übertragen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, des Arbeitsgerichtes C-Stadt und der Gerichtsakten der ersten und zweiten Instanz Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerechte Berufung, §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG), über die gemäß § 153 Abs 5 SGG nach Übertragung durch den Berichterstatter mit den ehrenamtlichen Richtern entschieden werde konnte, ist zulässig, in der Sache aber unbegründet.

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung entscheiden, weil der Kläger auf die Folgen des Ausbleibens gemäß § 111 Abs 1 Satz 2 SGG hingewiesen worden ist.

Das SG hat die Klage zurecht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 27.05.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.09.2008 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Insolvenzgeld.

Nach § 183 Abs 1 Satz 1 SGB III setzt ein Anspruch auf Insolvenzgeld voraus, dass bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers (Nr 1), Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse (Nr 2) oder vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (Nr. 3), (Insolvenzereignis) für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt bestanden hat. Über das Vermögen des Arbeitgebers des Klägers ist ein Insolvenzverfahren weder eröffnet worden, noch ist ein entsprechender Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgewiesen worden. Ein Insolvenzereignis im Sinne von § 183 Abs 1 Satz 1 Nr 1 oder Nr 2 SGB III liegt damit nicht vor. Allenfalls könnte sich die Frage stellen, ob ein Insolvenzereignis im Sinne von § 183 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB III vorliegt.

Dies kann jedoch dahin stehen, da es bereits an einem Anspruch auf Arbeitsentgelt für die streitigen Zeiträume Juni und Juli 2004 fehlt. Mit dem im arbeitsgerichtlichen Verfahren geschlossenen Vergleich hat der Kläger wirksam auf eventuell bestehende Arbeitsentgeltansprüche für diese Zeiträume verzichtet. In diesem Vergleich haben sich die Beteiligten geeinigt, dass das Arbeitsverhältnis mit dem Ablauf des 05.06.2004 sein Ende gefunden hat (Ziffer 1) und dieses ordnungsgemäß abgerechnet und abgewickelt worden ist (Ziffer 2). Zusätzlich ist festgehalten worden, dass durch den Vergleich sämtliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis abgegolten sind (Ziffer 4). Den einzig verbleibenden Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis gegen den Arbeitgeber stellt die vereinbarte Abfindung iHv 1.899,10 EUR (Ziffer 3) dar.

Für einen Verzicht auf die geltend gemachten Arbeitsentgeltansprüche im Wege des Vergleiches gab es auch nachvollziehbare Gründe. Für den Kläger bot sich damit der Vorteil, im Gegenzug einen mit der Klage nicht geltend gemachten Abfindungsanspruch nach §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz (KSchG), § 3 Einkommensteuergesetz (EStG) zu erhalten, der anders als der Arbeitsentgeltanspruch steuer- und sozialversicherungsfrei war, § 3 Nr 9 EStG in der bis zum 31.12.2005 geltenden Fassung.

Soweit die Parteien eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens rechtsgestaltende Erklärungen in Bezug auf einen Anspruch abgegeben haben, die - wie im Falle eines Verzichtes - dessen Bestand beseitigen, sind diese Erklärungen und die daraus resultierenden Rechtsfolgen, dh das Erlöschen des Anspruches auch zu beachten (vgl Urteil des Senats vom 06.03.2008 - L 10 AL 406/06 - mwN).

Es ist auch weder ersichtlich, noch wurde vom Kläger hierzu vorgetragen, dass der Vergleich unwirksam oder dessen Wirksamkeit durch rechtsgestaltende Erklärungen wie Anfechtung oder Rücktritt beseitigt worden sei. Das Gericht hat den Kläger darauf hingewiesen, dass die Abfindung nicht insolvenzgeldfähig sein könnte. Dennoch ist hierzu nichts weiter vorgetragen worden. Zudem ergeben sich weder aus den Akten des Arbeitsgerichts noch aus anderen Umständen Anhaltspunkte, weshalb die eindeutig und klar formulierte Vereinbarung im Vergleich keine Geltung haben sollte.

Unerheblich ist auch, dass die Abfindung gegebenenfalls noch nicht erbracht worden ist. Die Formulierung des Vergleiches (Ziffer 4: Die Parteien sind sich darüber einig, dass mit diesem Vergleich sämtliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis gegeneinander abgegolten sind.) lässt keinen zweifelsfreien Schluss zu, dass der Verzicht auf Arbeitsentgelt davon abhängig war, dass die Verpflichtung des Arbeitgebers - die Auszahlung der Abfindung - erfüllt werde. Aus der Vereinbarung ergibt sich lediglich, dass der Abfindungsanspruch mit seiner Zahlung erfüllt ist. Auf die Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, die Arbeitsentgeltansprüche, hatte der Kläger bereits in Ziffer 2 des Vergleiches verzichtet; der diesbezüglichen Erklärung in Ziffer 4 kann nur deklaratorischer Wert beigemessen werden, denn Arbeitsentgeltansprüche, die mit der Zahlung der Abfindung erlöschen könnten, haben nach dem Verzicht nicht mehr bestanden (Urteil des Senats aaO).

Die Abfindung selbst in Höhe von 1.899,10 EUR netto ist nicht insolvenzgeldfähig. Es handelt sich um einen Anspruch, der wegen der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses zu beanspruchen ist, dessen Berücksichtigung insofern nach § 184 Abs 1 Nr 1 SGB III jedoch ausgeschlossen ist (vgl Urteil des Senats aaO; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB III, Stand 07/2010, § 183 Rn 86; Krodel in Niesel/Brand, 5. Aufl 2010, SGB III, § 183 Rn 64). Die Abfindung gilt als sozialer Ausgleich wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, nicht aber als Gegenleistung für erbrachte Arbeit (vgl auch Sächsisches LSG, Urteil vom 03.01.2008 - L 3 AL 215/06). Da der Kläger und sein Arbeitgeber im Vergleich auch ausdrücklich im Hinblick auf die Abfindung auf §§ 9, 10 KSchG, § 3 EStG verwiesen haben, handelt es sich alleine um eine Entschädigung, die den Verlust des sozialen Besitzstandes "Arbeitsplatz" entschädigen soll, und nicht um verdeckte Arbeitsentgeltausfälle oder Schadensersatz für Arbeitsentgeltausfall (vgl Krodel aaO). Die entsprechenden Formulierungen im Vergleich sind unmissverständlich und klar. Anhaltspunkte für eine anderweitige Auslegung sind weder vorgetragen, noch ersichtlich (siehe auch die obigen Ausführungen).

Die Berufung ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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