L 10 AL 60/09

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 AL 627/07
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 60/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zu den Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 14.01.2009 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten auch des Berufungsverfahrens zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg).

Die Klägerin bezog nach der Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses zum 30.09.2003 erstmals mit Bescheid vom 11.12.2003 Alg (Bemessungsentgelt 230.- EUR wöchentlich; ursprüngliche Anspruchsdauer 780 Kalendertage) für die Zeit vom 01.10.2003 bis 27.11.2003. Der Leistungsbezug endete wegen der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit ab dem 28.11.2003.

Am 26.04.2007 sprach die Klägerin bei der Beklagten vor und gab - ausweislich eines Beratungsvermerkes der Beklagten - an, sich arbeitslos melden zu wollen. Sie müsse ihren Ehemann pflegen und könne "sich nicht mindestens 15 Stunden wöchentlich zur Verfügung stellen". Nach Erläuterungen durch die Mitarbeiterin der Beklagten, dass sie nicht verfügbar sei, habe die Klägerin von einer Arbeitslosmeldung Abstand genommen.

Mit ihrer persönlichen Arbeitslosmeldung am 02.11.2007 gab die Klägerin an, ihre selbständige Tätigkeit zum 31.10.2007 aufgegeben zu haben. Die Beklagte lehnte die Bewilligung von Alg mit Bescheid vom 21.11.2007 ab. Die Klägerin habe in der Rahmenfrist keine neue Anwartschaft erworben und ein Restanspruch sei gemäß § 147 Abs 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) erloschen. In ihrem Widerspruch hiergegen machte die Klägerin geltend, sie habe sich am 26.04.2007 arbeitslos melden wollen. Sie sei informiert worden, dass sie mindestens 15 Wochenstunden arbeiten müsse. Dies sei nicht möglich gewesen, weil die Pflege des Ehemannes dies nicht zugelassen habe. Mit der Hinzuziehung einer Fremdhilfe sei dies ab dem 02.11.2007 möglich gewesen. Den Widerspruch wie die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.12.2007 zurück.

Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Bei ordnungsgemäßer Aufklärung hätte sie zum 01.09.2007 die Verhältnisse so organisieren können, dass sie 15 Stunden hätte arbeiten können. Ab August 2007 habe sie einen Pflegedienst beauftragt. Sie wisse nicht, aus welchen Gründen nicht bereits zu diesem Zeitpunkt eine Arbeitslosmeldung erfolgt sei. Es sei absehbar gewesen, dass sie ihre selbständige Tätigkeit nicht weiterführen werden könne. Mit dem Pflegedienst sei abgesprochen gewesen, dass im Falle einer Erwerbstätigkeit eine mehrstündige Betreuung möglich sei. Vor der endgültigen Betriebsaufgabe seien ab Juni ihre Praxisräume im Gesundheitszentrum in B-Stadt ausgeräumt worden; Miete habe sie bis Ende September gezahlt, weil der Mietvertrag bis dahin gelaufen sei.

Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 14.01.2009 verpflichtet, Alg an die Klägerin für die Zeit ab dem 01.09.2007 zu zahlen. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, die Klägerin auf den Verfall des Anspruches hinzuweisen. Die Klägerin habe am 26.04.2007 ihren Restanspruch geltend gemacht. Dieser sei aufgrund der fehlerhaften Beratung der Beklagten nicht verwirklicht worden, so dass die Klägerin nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruch so zu stellen sei, als hätte sie zum 01.09.2007 sämtliche Anspruchsvoraussetzungen erfüllt

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Die Klägerin habe aus der Rechtsauskunft vom 26.04.2007 selbst erkennen können, dass eine Umorganisation zu einem Alg- Anspruch führen würde. Aufgrund der Sensibilität der Problematik habe keine Notwendigkeit bestanden, eine Umorganisation der Pflege anzuregen. Aus den im Jahr 2003 ausgehändigten Merkblättern habe sie erkennen können, dass der Alg- Anspruch verfallen werde. Das SG habe unterlassen, das Vorliegen der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen. Insbesondere habe eine Arbeitslosmeldung nicht vorgelegen.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichtes Nürnberg vom 14.01.2009 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 21.11.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides 10.12.2007 abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise der Klägerin eine Stellungnahmefrist zu Eigenbemühungen einzuräumen.

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Sie habe der Beklagten keinen Anlass gegeben zu glauben, sie pflege ihren Ehemann rund um die Uhr. Bereits bei ihrer Meldung im April 2007 sei sie von verschiedenen Seiten unterstützt worden. Ihre selbständige Tätigkeit habe sie nur noch drei Stunden pro Woche ausgeübt. Mit einer freiberuflichen Pflegefachkraft, C., sei zudem frühzeitig eine Vereinbarung getroffen gewesen, dass diese jederzeit die Pflege des Ehemannes kurzfristig habe übernehmen können.

Der Senat hat diese als Zeugin uneidlich vernommen. Diese hat angegeben, die Klägerin habe am 26.04.2007 mit ihr telefonisch Kontakt aufgenommen und mitgeteilt, dass bei ihrem Ehemann ein Pflegebedarf bestehe. Ein erstes Beratungsgespräch vor Ort habe am 08.05.2007 stattgefunden, wobei es auch darum gegangen sei, dass die Klägerin arbeiten gehen könne. Die dafür notwendigen Pflegeleistungen hätte die Klägerin jederzeit, gegebenenfalls in Absprache mit anderen freiberuflichen Pflegekräften, abrufen können. Erstmals sei sie am 01.06.2007 beim Ehemann der Klägerin zu einem Pflegeeinsatz gewesen.

Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten (§§ 171, 172 Sozialgerichtgesetz - SGG) ist unbegründet. Der Bescheid vom 21.11.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides 10.12.2007 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 54 Abs 2 Satz 1 SGG). Das SG hat die Beklagte im Ergebnis zu Recht verurteilt, an die Klägerin für die Zeit ab dem 01.09.2007 Alg zu bezahlen.

Unter Berücksichtigung der Arbeitslosmeldung zum 02.11.2007 hat die Klägerin zwar keinen Anspruch auf Alg aus einer zu diesem Zeitpunkt erworbenen Anwartschaftszeit (§ 118 Abs 1 Nr. 3 SGB III). Hierbei hat eine Anwartschaftszeit derjenige erfüllt, der in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat (§ 123 Satz 1 SGB III). Die Rahmenfrist beträgt zwei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld (§ 124 Abs 1 SGB III). Die Rahmenfrist reicht nicht in eine vorangegangene Rahmenfrist hinein, in der der Arbeitslose eine Anwartschaftszeit erfüllt hatte (§ 124 Abs 2 SGB III). In der Zeit vom 01.10.2003, dem Zeitpunkt des Entstehens des zuletzt in Anspruch genommenen Alg- Anspruches, der den Beginn der vorhergehenden Rahmenfrist festlegt, bis zur Arbeitslosmeldung am 02.11.2007 war die Klägerin selbständig tätig und damit nicht versicherungspflichtig iSd §§ 24ff SGB III, so dass die Klägerin keine neue Anwartschaftszeit erfüllt hat, sondern nur noch den Restanspruch von 722 Kalendertagen aus ihrem zum 01.10.2003 erworbenen Alg- Anspruch geltend machen kann. Dieser am 01.10.2003 entstandene Restanspruch ist jedoch ausgehend vom 02.11.2007, dem Zeitpunkt der hier streitgegenständlichen Arbeitslosmeldung, wegen Zeitablaufes erloschen, denn der Anspruch auf Arbeitslosengeld kann nicht mehr geltend gemacht werden, wenn nach seiner Entstehung vier Jahre verstrichen sind (§ 147 Abs 2 SGB III).

Das SG ist jedoch - auch wenn es versäumt hat, das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen, insbesondere das Vorliegen einer Arbeitslosmeldung zu prüfen - im Ergebnis zurecht davon ausgegangen, der Klägerin seien im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches Leistungen zu bewilligen, denn die Klägerin hat sämtliche Anspruchsvoraussetzungen spätestens ab dem 01.09.2007 erfüllt und ihren Restanspruch auf Alg bereits am 26.04.2007, somit noch vor Ablauf der Verfallfrist, geltend gemacht.

In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist als richterrechtliches Institut der sozialrechtliche Herstellungsanspruch entwickelt worden. Für den Fall, dass ein Versicherungsträger eine ihm gegenüber dem Versicherten obliegende Nebenpflicht aus dem Sozialrechtsverhältnis - insbesondere zur Auskunft, Beratung und Betreuung - verletzt und dem Versicherten dadurch sozialrechtlich ein Schaden zugefügt wird, kann der Versicherte einen Anspruch auf Vornahme einer mit Recht und Gesetz im Einklang stehenden Amtshandlung besitzen, die auf diejenigen Rechtsfolgen gerichtet ist, die eingetreten wären, wenn der Versicherungsträger die ihm obliegenden Pflichten ordnungsgemäß wahrgenommen hätte. Verschulden des Versicherungsträgers ist nicht erforderlich (vgl. Grube in Grube/ Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl., Einleitung Rn. 129; Stratmann in Niesel/Brand, SGB III, 5. Aufl., § 323 Rn. 27; Seewald in KassKomm, 69. EL, vor §§ 38-47 SGB X Rn. 30 jeweils mwN).

In sachlicher Hinsicht ist ein solcher Herstellungsanspruch von der Rechtsprechung des BSG unter folgenden Voraussetzungen bejaht worden:
(1) Vorliegen einer Pflichtverletzung, die sich der Sozialleistungsträger im Verhältnis zum Berechtigten zurechnen lassen muss,
(2) Eintritt eines rechtlichen Nachteils oder Schadens beim Berechtigten,
(3) Kausalzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Schadenseintritt,
(4) Möglichkeit der Herstellung des Zustandes, der ohne die Pflichtverletzung eingetreten wäre (vgl. BSG, Urteil vom 23.07.1986 - 1 RA 31/85 - BSGE 60, 158, 164 mwN; BSG, Urteil vom 12.06.1992 - 11 RAr 65/91 - BSGE 71, 17, 22).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend zweifelsfrei erfüllt. Die Beklagte hat ihre sich aus § 14 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) ergebende Beratungspflicht verletzt. Hiernach hat jeder Anspruch auf Beratung und Belehrung über seine Rechte und Pflichten nach diesem Gesetz (§ 14 Satz 1 SGB I). Eine Beratungspflicht besteht in der Regel zwar erst bei einem entsprechenden Beratungsbegehren (vgl. BSG, Urteil vom 12.11.1980 - 1 RA 45/79 - SozR 1200 § 14 Nr. 9; BSG, Urteil vom 23.09.1981 - 11 RA 78/80 - BSGE 52, 145, 148). Allerdings setzt eine Beratungspflicht auch dann ein, wenn ein Beratungsbegehren - wie hier - nicht vorliegt, und der Versicherungsträger aus einem konkreten Anlass auf klar zutage tretende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen hat, die sich offensichtlich als zweckmäßig aufdrängen und die von jedem verständigen Versicherten mutmaßlich genutzt werden (vgl. BSG, Urteil vom 7.04.1986 - 7 RAr 81/84 - BSGE 60, 79, 86). Insoweit hat die Rechtsprechung eine Beratungs- bzw. Hinweispflicht der Agentur für Arbeit hinsichtlich des Ablaufs der Verfallfrist nach § 147 Abs 2 SGB III angenommen, wenn der Leistungsbezug in größerer Zahl oder längerem Umfang unterbrochen wird (vgl. BSG, Urteil vom 29.09.1987 - 7 RAr 23/86 - SozR 4100 § 125 Nr. 3).

Ein Beratungsfehler der Beklagten in diesem Sinne ist vorliegend offenkundig, denn die Klägerin hat ihm Rahmen ihrer Vorsprache am 26.04.2007 die Absicht geäußert, sich arbeitslos melden zu wollen. Die Aufnahme dieses Gespräches wurde ihm Rahmen eines sogenannten Beratungsvermerkes festgehalten, aus dem sich ergibt, dass für die Klägerin bereits eine Kundennummer gespeichert war, so dass sich für die Mitarbeiterin der Beklagten die Prüfung des Bestehens eines vorhergehenden Leistungsanspruches aufdrängen musste, um die Klägerin über einen eventuellen Verfall dieses Anspruches und die damit in Zusammenhang stehenden Gestaltungsmöglichkeiten zu informieren. Dies wurde offenkundig unterlassen. Obgleich der Verfall des Anspruches innerhalb des nächsten halben Jahres drohte, wurde eine kurzfristige Lösungsmöglichkeit des im Rahmen der Beratung relevant gewordene Problems der Verfügbarkeit von der Beklagten in zurechenbarer Weise nicht angesprochen.

Der Klägerin ist durch die fehlerhafte Beratung auch ein Schaden entstanden, denn mit der Arbeitslosmeldung zum 02.11.2007 ist ihr am 01.10.2003 entstandener Alg-Anspruch erloschen.

Zuletzt war der Beratungsfehler auch kausal für den Eintritt des Schadens, denn bei zutreffender Beratung hätte die Klägerin vor dem 01.10.2003, d.h. vor dem Ende der Verfallfrist, die Bewilligung des Alg beantragt, insbesondere nachdem nach ihren Angaben ab 01.09.2007 ein Pflegedienst engagiert war, der ihr den zeitlichen Freiraum geschaffen hat, eine mehr als 15 Wochenstunden umfassende Beschäftigung aufzunehmen.

Ein Verschulden des Arbeitslosen ist allenfalls bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beachtlich. Dies ist Folge des Grundsatzes, dass der sozialrechtliche Herstellungsanspruch nur gegeben sein kann, wenn zwischen Fehlverhalten der Behörde und eingetretenem Rechtsnachteil des Versicherten Kausalität besteht, und die Verletzung der behördlichen Hinweispflicht wesentliche Bedingung des Nachteileintritts gewesen ist, was jedoch zu verneinen ist, wenn der Versicherte wissentlich oder (grob) fahrlässig gegen sich selbst gehandelt hat (Gagel in Gagel, SGB III, 39. EL, vor § 323 Rn. 108 mwN)

Eine in diesem Sinne schuldhafte Rechtsunkenntnis der Klägerin, die die Beklagte mit ihrem Hinweis auf den Erhalt des Merkblattes 1 für Arbeitslose im August 2003 und des Flyers zur Existenzgründung unterstellt, ist jedoch nicht zu erkennen. Sowohl das von der Klägerin anlässlich der Arbeitslosmeldung zum 01.10.2003 in Empfang und zur Kenntnis genommene Merkblatt 1 (Stand April 2003) als auch der Flyer über die Leistungen anlässlich einer Existenzgründung enthalten zwar den Hinweis auf das Erlöschen des Leistungsanspruches vier Jahre nach Anspruchsbeginn. Die Hinweise erläutern jedoch weder, was unter dem Begriff Anspruchsbeginn zu verstehen ist, noch wird erklärt, wie sich die Vierjahresfrist berechnet, so dass einem juristischen Laien ohne Kenntnis der einschlägigen sozialrechtlichen Vorschriften eine Berechnung des Erlöschenszeitpunktes und damit eine "fristgerechte" Arbeitslosmeldung - unabhängig von einer Beratung durch die Beklagte - nicht möglich ist. Anhaltspunkte dafür, dass andere Gründe als die fehlerhafte Beratung durch die Beklagte ursächlich für eine Arbeitslosmeldung erst am 02.11.2007 waren, sind nicht zu erkennen. Insbesondere hatte die Klägerin ohne einen Hinweis der Beklagten auch keinen Anlass sich um den Verfall ihres Anspruches Sorgen zu machen, so dass der unterlassene Hinweis der Beklagten auf das drohende Erlöschen des Anspruches und die daraus resultierende Sorglosigkeit der Klägerin, wenn schon nicht die alleinige so doch zumindest wesentliche Ursache für die Arbeitslosmeldung erst im November 2007 waren.

Zuletzt besteht - entgegen der Auffassung der Beklagten - auch die Möglichkeit, den sozialrechtliche Zustand herzustellen, der ohne die Pflichtverletzung der Beklagten eingetreten wäre, denn die Klägerin erfüllt für die Zeit ab dem 01.09.2007 die materiell- rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Alg, insbesondere lag am 01.09.2007 noch eine wirksame Arbeitslosmeldung der Klägerin vor, und sie war verfügbar im Sinne der gesetzlichen Regelungen.

Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf Vornahme einer Amtshandlung gerichtet, um den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der Sozialleistungsträger seine Nebenpflichten aus dem Sozialrechtsverhältnis ordnungsgemäß erfüllt hätte. Mit dem Herstellungsanspruch lassen sich vor allem Fristversäumnisse heilen (verspätete Antragstellung, Beitragsentrichtung, Urkundenvorlage), die auf einem pflichtwidrigen Verhalten des Leistungsträgers beruhen. Dagegen kann der Sozialleistungsträger fehlende Tatbestandsmerkmale oder anspruchsschädliche Tatsachen, die außerhalb des Sozialrechtsverhältnisses liegen, nicht durch rechtmäßige Amtshandlungen fingieren oder beseitigen. Veränderungen in der Lebens- oder Verhaltenssituation des Betroffenen, die Voraussetzung eines Anspruchs sind, können durch den Herstellungsanspruch weder negiert noch geschaffen werden. Es kann weder Beschäftigungslosigkeit (§ 119 Abs 1 Nr. 1 SGB III), Verfügbarkeit (§ 119 Abs 1 Nr. 3 SGB III) noch eine Arbeitslosmeldung (§§ 118 Abs 1 Nr. 2, 122 Abs 1 S 1 SGB III) durch eine rechtmäßige Amtshandlung fingiert werden, denn solche Fiktionen sind im Recht der Arbeitsförderung unbekannt (vgl. Karmanski in Niesel/ Brand, SGB III, 5. Aufl. § 147 Rn. 24f mwN).

Auch wenn das SG versäumt hat, im Detail zu prüfen, dass die Klägerin sämtliche Anspruchsvoraussetzungen für den Alg- Bezug ab dem 01.09.2007 erfüllt hat, hat es zumindest im Ergebnis zutreffend erkannt, dass die Beklagte dem Grunde nach verpflichtet ist, der Klägerin für die Zeit ab dem 01.09.2007, entsprechend dem erstinstanzlichen Antrag und unter Beachtung der gesetzlichen Regelungen, den Restanspruch an Alg aus der zum 01.10.2003 entstandenen Anwartschaft auszuzahlen. Nach der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senates fest, dass die Klägerin bereits ab dem 01.06.2007 sämtliche Voraussetzungen für den Bezug von Alg erfüllt hat. Diese Voraussetzungen lagen am 01.09.2007 - dem Zeitpunkt, den die Klägerin im Rahmen ihrer Dispositionsbefugnis in Bezug auf den Leistungsbeginn bestimmt hat (§ 118 Abs 2 SGB III) - und darüber hinaus noch vor. Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit haben Arbeitnehmer, die arbeitslos sind und sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet haben (§ 118 Abs 1 Nr. 1 und 2 SGB III), wobei vorliegend die Klägerin keine Anwartschaftszeit (§ 118 Abs 1 Nr. 3 SGB III) erfüllt haben musste, nachdem sie allein ihren Restanspruch auf dem vorhergehenden Alg- Bezug geltend gemacht hat. Insoweit ist die Vorsprache der Klägerin am 26.04.2007 als wirksame Arbeitslosmeldung iSd § 118 Abs 1 Nr. 2 SGB III anzusehen. Zudem hat die Beweisaufnahme ergeben, dass diese Arbeitslosmeldung zu dem Zeitpunkt, zu dem die Klägerin Alg beantragt hat, nicht erloschen war. Der Arbeitslose hat sich persönlich bei der zuständigen Agentur für Arbeit arbeitslos zu melden (§ 122 Abs 1 Satz 1 SGB III). Die Wirkung der Meldung erlischt bei einer mehr als sechswöchigen Unterbrechung der Arbeitslosigkeit (§ 122 Abs 2 Nr. 1 SGB III). Die Arbeitslosmeldung ist materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung, mit der der BA der tatsächliche Eintritt des Versicherungsfalles der Arbeitslosigkeit angezeigt wird. Insoweit stellt zwar nicht jede Vorsprache eines Arbeitslosen bei der BA bereits eine Arbeitslosmeldung dar. Aus dem Zweck der Arbeitslosmeldung, der BA die Kenntnis von der Arbeitslosigkeit zu verschaffen und sie zugleich in die Lage zu versetzen, durch geeignete Maßnahmen die Arbeitslosigkeit zu beenden, ergeben sich Mindestanforderungen an den Inhalt der Meldung. Aus ihr muss erkennbar sein, dass die Agentur für Arbeit aufgesucht wir, um ihm den Eintritt oder jedenfalls das Fortbestehen des Versicherungsfalles mitzuteilen (vgl. Steinmeyer in Gagel, SGB III, 39. EL, § 122 Rn. 16f mwN).

Diesen Anforderungen genügt die Vorsprache am 26.04.2007, denn die Klägerin hat sich ausweislich des Beratungsvermerkes arbeitslos melden, d.h. den Eintritt des Versicherungsfalles anzeigen wollen. Nachdem es sich bei der Arbeitslosmeldung nicht um eine Willenserklärung, sondern um die bloße Anzeige einer Tatsache handelt (BSG, Urteil vom 19.03.1986 - 7 RAr 17/84 - SozR 1300 § 28 Nr. 1; BSG, Urteil vom 19.03.1986 - 7 RAr 48/84 - SozR 4100 § 105 Nr. 2; BSG, Urteil vom 14.12.1995 - 11 RAr 75/95 - SozR
3-4100 § 105 Nr. 2), kann sie weder zurückgenommen (BSG, Urteil vom 09.12.1958 - 7 RAr 152/55 - BSGE 9, 7, 12) noch angefochten oder auf andere Weise beseitigt werden. Lediglich in den engen Grenzen des § 118 Abs 2 SGB III obliegt es dem Arbeitslosen zu bestimmen, zu welchem Zeitpunkt nach Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen der Anspruch auf Alg bei Arbeitslosigkeit entstehen soll. Im Übrigen kann sie nur durch den Eintritt tatsächlicher Umstände gegenstandslos werden. Insoweit ist der Vermerk der Beklagten, die Klägerin wolle sich nach der Erläuterung des Begriffes Verfügbarkeit nicht arbeitslos melden, als Willenserklärung unbeachtlich. Die Wirkung der Arbeitslosmeldung war somit nur durch eine Unterbrechung der Arbeitslosigkeit für mehr als sechs Wochen oder die Aufnahme einer nicht angezeigten Beschäftigung zu beseitigen.

Eine solche, mehr als sechs Wochen dauernde Unterbrechung der am 26.04.2007 eingetretenen Arbeitslosigkeit hat jedoch zu keinem Zeitpunkt stattgefunden. Arbeitslos ist ein Arbeitnehmer, der nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit), sich bemüht, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen) und den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit), § 119 Abs 1 SGB III. Die Ausübung einer Beschäftigung, selbständigen Tätigkeit oder Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger (Erwerbstätigkeit) schließt die Beschäftigungslosigkeit nicht aus, wenn die Arbeits- oder Tätigkeitszeit (Arbeitszeit) weniger als 15 Stunden wöchentlich umfasst; gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer bleiben unberücksichtigt. Die Arbeitszeiten mehrerer Erwerbstätigkeiten werden zusammengerechnet (§ 119 Abs 3 SGB III). Den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit steht zur Verfügung, wer u.a. eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes ausüben kann und darf (Nr. 1), Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann (Nr. 2), bereit ist, jede Beschäftigung im Sinne der Nummer 1 anzunehmen und auszuüben (Nr. 3) und bereit ist, an Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung in das Erwerbsleben teilzunehmen (Nr. 4), § 119 Abs 5 SGB III.

Mit ihrer Arbeitslosmeldung am 26.04.2007 und der damit verbundenen Anzeige des Versicherungsfalles hatte die Klägerin sämtliche Anspruchsvoraussetzungen für einen Leistungsbezug erfüllt, denn sie war - zumindest für eine logische Sekunde - arbeitslos. Die Klägerin ging zu diesem Zeitpunkt keiner Beschäftigung nach und ihre selbständige Tätigkeit mit einer Wochenarbeitszeit von weniger als 15 Stunden stand der Beschäftigungslosigkeit (§ 119 Abs 1 Nr. 1, Abs 3 SGB II) nicht entgegen. Darüber hinaus hat die Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar erklärt, sie habe sich selbst um Arbeit bemüht, so dass auch fehlende Eigenbemühungen (§ 119 Abs 1 Nr. 2 SGB III) ihre Arbeitslosigkeit nicht ausgeschlossen haben. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass wegen fehlender Eigenbemühungen das Vorliegen von Arbeitslosigkeit regelmäßig nur verneint werden, wenn die Agentur für Arbeit die allgemeine Obliegenheit zu Eigenbemühungen ausdrücklich und zumutbar konkretisiert hat; ist dies nicht erfolgt, kann von unzureichenden Eigenbemühungen nur ausgegangen werden, wenn der Arbeitslose über die Einschaltung der Dienste der Agentur für Arbeit hinaus selbst nichts unternimmt (vgl. BSG, Urteil vom 20.10.2005 - B 7a AL 18/05 R - BSGE 95, 176-191). Insoweit war eine weitergehende Beweisaufnahme entbehrlich, denn der Senat hält die Angaben der Klägerin für glaubhaft und unter Beachtung der oben genannten rechtlichen Überlegungen hätte es vorliegend genügt, dass die Klägerin bereits durch das - nicht beweisbare - Lesen von Stellenanzeigen in einer Zeitung Eigenbemühungen in hinreichendem Umfang unternommen hätte, denn die Beklagte hatte der Klägerin im Anschluss an die Vorsprache vom 26.04.2007 weder ein Arbeitsplatzangebot unterbreitet noch hat sie die Klägerin zu konkreten Eigenbemühungen aufgefordert. Zudem gibt es keine Anhaltspunkte dafür, die Angaben der Klägerin zu bezweifeln, und auch die Beklagte ist dem Vorbringen der Klägerin nicht substantiiert entgegengetreten. Erst durch die im Rahmen des Gespräches am 26.04.2007 abgegebenen, der persönlichen Arbeitslosmeldung nachfolgenden Tatsachenerklärungen zu den Umständen der Pflegesituation bezüglich ihres Ehemannes war die Verfügbarkeit (§ 119 Abs 1 Nr. 3, Abs 5 SGB II) der Klägerin als dritte Voraussetzung der Arbeitslosigkeit ab dem 26.04.2007 in Frage zu stellen.

Nach der Beweisaufnahme steht zwar zur Überzeugung des Senates fest, dass die Klägerin mit ihrer Erklärung gegenüber der Beklagten am 26.04.2007, sie müsse ihren Ehemann pflegen, zumindest erhebliche Einschränkungen hinsichtlich der Vermittlungsmöglichkeiten in eine Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes geltend gemacht hat, die im Hinblick auf § 119 Abs 5 Nr. 1 SGB III der Verfügbarkeit entgegengestanden haben könnten. In diesem Zusammenhang bedarf es keiner tiefgehenden Auseinandersetzung, mit dem Vermerk der Beklagten vom 26.04.2007, die Klägerin könne sich nicht mindestens 15 Stunden wöchentlich zur Verfügung stellen. Insoweit handelt es lediglich um eine rechtlich wertende Zusammenfassung des Sachverhaltes, wie ihn die Mitarbeiterin der Beklagten erfasst hat, ohne einen Beweis dafür zu erbringen, was die Klägerin in diesem Gespräch tatsächlich vorgetragen hat.

Das Erfordernis aus Sicht der Klägerin, die Pflege ihres Ehemannes sicher zu stellen, um mindestens 15 Wochenstunden unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes arbeiten zu können, war jedoch spätestens ab dem 01.06.2007 gewährleistet. Ab diesem Zeitpunkt bestand nach der glaubwürdigen und nachvollziehbaren Aussage der Zeugin zwischen ihr und der Klägerin eine Vereinbarung dergestalt, dass die Zeugin jederzeit und ohne Verzug selbst oder unter Einschaltung weiterer freiberuflicher Kolleginnen die Pflege des Ehemannes der Klägerin für Zeiträume gewährleisten konnte, die es der Klägerin ermöglicht hätten, einer mindestens 15 Wochenstunden umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes nachzugehen. In diesem Zusammenhang hat die Zeugin angegeben, dass sich die Klägerin bereits am 26.04.2007 mit ihr telefonisch in Verbindung gesetzt habe und am 04.05.2007 ein Telefongespräch sowie am 08.05.2007 ein persönliches Gespräch im Hause der Klägerin stattgefunden habe. Bereits zu diesem Zeitpunkt sei der Wunsch der Klägerin problematisiert worden, dass diese wieder arbeiten wolle und insoweit Hilfe zur Pflege ihres Ehemannes benötige. Am 01.06.2007 habe der erste Pflegeeinsatz stattgefunden, und die Zeugin hat erklärt, dass sie jederzeit - gegebenenfalls in Absprache mit anderen selbständigen Krankenschwestern - die Pflege des Ehemannes der Klägerin in einem Umfang hätte sicher stellen können, der es der Klägerin ermöglich hätte, arbeiten zu gehen. Der Senat hat insoweit keinen Anlass, die Angaben der Zeugin zu bezweifeln, insbesondere nachdem diese erläutert hat, sie könne sich an die Vorgänge erinnern, weil sie nicht so viele Patienten habe und seit dieser Zeit mit der Familie zusammenarbeite. Zudem wird die Glaubwürdigkeit der Zeugin durch den Umstand gestützt, dass sie die vor ihr genannten Daten in der mündlichen Verhandlung auf der Grundlage ihres Auftragskalenders des Jahres 2007 nachvollzogen hat.

Darüber hinaus sind keine Gesichtspunkte (iSd § 119 Abs 5 Nr. 2 bis 4 SGB III) ersichtlich, die - ausgehend vom 26.04.2007 - zu einer mehr als sechswöchigen Unterbrechung der Verfügbarkeit der Klägerin hätten führen können, so dass die Klägerin mit ihrer Arbeitslosmeldung am 26.04.2007 - zumindest für einen logische Sekunde (vgl. oben) - arbeitslos war, wobei deren Verfügbarkeit spätestens am 01.06.2007 wieder hergestellt war, so dass die Arbeitslosigkeit der Klägerin allenfalls für den Zeitraum vom 26.04.2007 bis 31.05.2007 (37 Tage) mithin weniger als sechs Wochen unterbrochen war. Damit war die Arbeitslosmeldung vom 26.04.2007 am 01.06.2007 weiterhin (bis 01.09.2007 und darüber hinaus) wirksam, nachdem auch für die Zeit ab dem 01.06.2007 Gründe für ein Erlöschen der Arbeitslosmeldung nicht ersichtlich sind.

Im Hinblick auf die obigen Feststellungen zur Wirksamkeit der Arbeitsmeldung zum 01.06.2007 (und darüber hinaus) ist zugleich festgestellt, dass die Klägerin bereits ab dem 01.06.2007 zweifelsfrei arbeitslos im Sinne des § 118 Abs 1 Nr. 1, § 119 Abs 1 SGB III war, denn sie war ab dem 01.06.2007 und über den 01.09.2007 hinaus nachweislich beschäftigungslos (§ 119 Abs 1 Nr.1 SGB III), hat Eigenbemühungen unternommen (§ 119 Abs 1 Nr. 2 SGB III) und stand insbesondere den Eingliederungsbemühungen der Beklagten zur Verfügung (§ 119 Abs 1 Nr. 3 SGB III). Sie hat nicht zu vertreten, dass die Beklagte trotz der auch für sie als Arbeitslosmeldung erkennbaren Vorsprache der Klägerin am 26.04.2007 keine Vermittlungsbemühungen unternommen hat.

Damit sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Leistungsanspruches spätestens zum 01.09.2007, dem Zeitpunkt, zu dem die Klägerin die Bewilligung der Leistungen begehrt, nachgewiesen und die Klägerin ist im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches so zu stellen, als ob sie die Bewilligung der Leistungen bereits zu diesem Zeitpunkt beantragt hätte, so dass die Berufung zurückzuweisen war. Nachdem die Klägerin gegen das Grundurteil vom 14.01.2009 keine Anschlussberufung eingelegt hat, hatte der Senat keine Veranlassung, weitergehende Ermittlungen insbesondere zu einem früheren Leistungsbeginn, zur Leistungshöhe und Dauer des Anspruches anzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und ergibt sich aus dem Unterliegen der Beklagten.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Absatz 2 Nr.1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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