Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 46 AS 1141/11 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 452/11 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Unterhaltszahlungen als Absetzbeträge vom Einkommen nach § 11b SGB II
Nur tatsächliche Unterhaltszahlungen können nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II vom Einkommen abgesetzt werden.
Überweisungen auf ein Konto, auf das der Überweisende selbst verfügungsberechtigt ist, können eine tatsächliche Zahlung nicht belegen.
Nur tatsächliche Unterhaltszahlungen können nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II vom Einkommen abgesetzt werden.
Überweisungen auf ein Konto, auf das der Überweisende selbst verfügungsberechtigt ist, können eine tatsächliche Zahlung nicht belegen.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgericht München vom 19. Mai 2011 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Streitig ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutz, ob der Antragsgegner dem Antragsteller ab 01.05.2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu erbringen hat.
Die Unterkunft des im Jahr 1961 geborenen Antragstellers befindet sich in A-Stadt. Er ist wohl nach einer Urkunde des Jugendamtes verpflichtet, für drei Kinder Unterhalt zu leisten. Seine Ehefrau stammt von den Philippinen und befindet sich nach seinen Angaben in der Schweiz. Der Antragsteller überwies nach den für die Zeit von 30.06.2010 bis 07.10.2010 und für den 30.11.2010 vorgelegen Umsatzlisten bzw. Kontoauszügen von zwei Banken alle Leistungen des Antragsgegners als Kindesunterhalt auf ein Konto seiner Frau und 120,- Euro monatlich an seinen Vermieter. Abhebungen für den Lebensunterhalt enthielten die Kontoauszüge nicht. Für die einzelnen Unterhaltszahlungen legte er maschinenschriftlich ausgefüllte Quittungen vor, wonach, teilweise mehrmals monatlich, direkte Zahlungen an die Frau in B. und L. erfolgten. Der Antragsgegner forderte den Antragsteller wiederholt auf, den Unterhaltstitel wegen fehlender Leistungsfähigkeit ändern zu lassen. Dies lehnte der Antragsteller ab.
Der Antragsteller erhält eine Opferrente von monatlich 250,- Euro. Er ist als Taxifahrer bei verschiedenen Firmen erwerbstätig. Er verdiente nach den vorgelegten Unterlagen bis Mai 2011 monatlich etwa zwischen 900,- und 1300,- Euro brutto bzw. 720,- bis 984,- Euro netto. Im Mai 2011 verdiente er weniger, weil er das Arbeitsverhältnis im Mai kündigte. Er hat ab Juni wieder eine neue Stelle als Taxifahrer. Die Lohnzahlungen und die Opferrente sind in den vorgelegten Bankunterlagen nicht enthalten.
Dem Antragsteller wurde mit Bescheid vom 29.10.2010 Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 479,- Euro (Regelleistung 359,- Euro und Kosten für Unterkunft und Heizung von 120,- Euro) bewilligt. Einkommen wurde dabei nicht angerechnet.
Mit Schreiben vom 26.11.2010 teilte der Antragsteller unter einer Absenderanschrift auf den Philippinen der thüringischen Polizeiverwaltung mit, er habe am 22.09.2010 keine Tempoüberschreitung in Thüringen begehen können, weil er zu dieser Zeit auf den Philippinen gewesen sei. Dazu fügte er eine Rechnung für Flugtickets bei, wonach er von 17.09.2010 bis 26.02.2011 auf die Philippinen verreist war.
Nach Rücklauf mehrerer Postsendungen erfolgte am 17.01.2011 ein Hausbesuch. Der Antragsteller wurde nicht angetroffen. Es wurde festgestellt, dass weder ein Briefkasten noch eine Klingel auf den Antragsteller hinwiesen. Ein Nachbar erklärte, dass der Antragsteller seit zwei Monaten nicht mehr hier sei und ihn angewiesen habe, seine Post zurückzuschicken. Der Antragsgegner hob daraufhin die Bewilligung auf. In einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtete das Sozialgericht München den Antragsgegner für März und April 2011 jeweils 371,- Euro auszuzahlen (Beschluss vom 07.03.2011, S 8 AS 385/11 ER).
Am 18.04.2011 beantragte der Antragsteller mit Antragskopien die Weitergewährung von Arbeitslosengeld II ab 01.05.2011. Er übermittelte für die Zeit vom 17.03.2011 bis 04.04.2011 Kopien von Umsatzlisten bzw. Kontoauszügen einer Bank, wonach er erneut alle Leistungen des Antragsgegners als Kindesunterhalt auf ein Konto seiner Frau und 120,- Euro monatlich an seinen Vermieter zahlte. Ein Kontoauszug enthält eine Unterhaltsüberweisung vom 03.01.2011 und dann erst wieder eine Überweisung vom 17.03.2011. Lohnzahlungen, Opferrente und Abhebungen für den Lebensunterhalt enthielten die Unterlagen nicht.
Mit Schreiben vom 18.04.2011 wurde der Antragsteller aufgefordert, Originale des Weiterbewilligungsantrags, der Anlage EK zum Einkommen, der Einkommensbescheinigung des Arbeitgebers und der vollständigen Kontoauszüge der letzten drei Monate bei einer persönlichen Vorsprache vorzulegen. Der Antragsteller übermittelte nur Kopien der Anträge und eine Einkommensbescheinigung für den Monat März. Mit Bescheid vom 28.04.2011 wurden die Leistungen wegen mangelnder Mitwirkung versagt. Dagegen erhob der Antragsteller am 31.05.2011 Widerspruch. Der Bescheid sei ihm am 03.05.2011 zugegangen.
Am 03.05.2011 wurde zur Niederschrift des Sozialgerichts München ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Der Antragsteller habe am 18. und 26.04.2011 nachweislich die angeforderten Unterlagen abgegeben. Vorgelegt wurde eine Empfangsbestätigung der Infothek des Antragsgegners, wonach am 18. und 26.04.2011 "offene Schriftstücke" entgegengenommen worden seien.
Aufforderungen zu einer persönlichen Vorsprache am 03.05.2011 (Schreiben vom 28.04.2011) und am 10.05.2011 (Schreiben vom 04.05.2011) beim Antragsgegner sowie zur mündlichen Verhandlung am 19.05.2011 (angekündigt mit Schreiben vom 11.05.2011, Ladung zurück an das Gericht mit dem Vermerk "Adressat unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln") kam der Antragsteller nicht nach.
Mit Beschluss vom 19.05.2011 lehnte das Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Der Versagungsbescheid vom 28.04.2011 sei bestandskräftig. Außerdem sei ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft. Die Erreichbarkeit nach § 7 Abs. 4a SGB II sei nicht belegt und es seien keine lückenlose Kontoauszüge vorgelegt worden. Für die Aufklärung gegenwärtiger Ansprüche sei eine persönliche Vorsprache und die Vorlage des Reisepasses erforderlich.
Am 31.05.2011 hat der Antragsteller Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts eingelegt. Der Beschluss sei nicht verfassungskonform. Nach der vom Beschwerdegericht eingeholten Meldeauskunft ist der Antragsteller seit 07.07.2010 aus seiner bisherigen Unterkunft nach Unbekannt abgemeldet.
In Zusammenhang mit einer Anhörung zu einer Aufhebung der Bewilligung wegen dem Aufenthalt auf den Philippinen kam es am 09.06.2011 zu einer Besprechung beim Antragsgegner. Der Antragsteller teilte dabei mit, dass er die Rechnung des Flugtickets selbst gefälscht habe, um gegenüber der Bußgeldstelle einen Auslandsaufenthalt zu belegen. Er habe aber keinen entsprechenden Flug gebucht. Seinen Reisepass werde er am 10.06.2011 vorlegen. Die Erklärung seines Nachbarn, er sei seit zwei Monaten abwesend, sei falsch. Er habe regelmäßig Kontakt zu seiner Frau, der er Unterhalt teils überweise, teils in bar übergebe. Die angebotene Barauszahlung der Leistungen lehne er wegen 8,- Euro Gebühren für die nachfolgend notwendige Einzahlung ab. Seine Miete für Januar und Februar 2011 habe seine Frau bezahlt. Er könne theoretisch seine Unterhaltszahlungen an seine Kinder reduzieren, dann würden aber Schulden durch Unterhaltsvorschussleistungen in der Schweiz entstehen.
Am 10.06.2011 erschien der Antragsteller nicht beim Antragsgegner und lehnte anschließend die Vorlage seines Reisepasses ab. Weiter übermittelte er Quittungen, wonach er seiner Ehefrau 400,- Euro am 09.04.2011, 380,- Euro am 29.04.2011, 250,- Euro am 08.05.2011, 370,- Euro am 15.05.2011 und 420,- Euro am 29.05.2011 gezahlt habe. Alle Quittungen enthalten identische Unterschriften. Er teilte ferner mit, dass er einen neuen Arbeitgeber habe. Bei einer weiteren Vorsprache am 14.06.2011 teilte der Antragsteller dem Antragsgegner mit, dass er seine Opferrente von monatlich 250,- Euro auf das Konto seiner Frau überweise, für das er auch Verfügungsgewalt habe. Auch die Unterhaltszahlungen gingen auf dieses Konto.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts München vom 19. Mai 2011 aufzuheben und den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, ihm ab 01.05.2011 Arbeitslosengeld II zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, weil das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt hat.
Der Antragsteller begehrt Arbeitslosengeld II ab 01.05.2011. Für die begehrte Begründung einer Rechtsposition im einstweiligen Rechtsschutz ist ein Antrag auf eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft. Der Antrag muss zulässig sein und die Anordnung muss zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen. Es muss glaubhaft sein, dass ein materielles Recht besteht, für das einstweiliger Rechtsschutz geltend gemacht wird (Anordnungsanspruch), und es muss glaubhaft sein, dass eine vorläufige Regelung notwendig ist, weil ein Abwarten auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zumutbar ist (Anordnungsgrund). Es besteht kein Anlass, den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab heranzuziehen, weil das Existenzminimum des Antragstellers monatlich 479,- Euro beträgt, er eine Opferrente von 250,- Euro monatlich erhält und seit Mitte Juni wieder Einkommen als Taxifahrer erzielt.
Der Versagungsbescheid vom 28.04.2011 steht einer einstweiligen Anordnung nicht entgegen. Er wurde nicht gemäß § 77 SGG bindend. Der Bescheid wurde wohl als einfacher Brief aufgegeben, so dass nach § 37 Abs. 2 SGB X vermutet wird, dass der Zugang am dritten Tag nach Aufgabe zur Post erfolgte, mithin am 01.05.2011. Am 31.05.2011 wurde innerhalb der Monatsfrist des § 84 SGG Widerspruch erhoben.
Das Beschwerdegericht ist jedoch nicht in der Lage, die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers nach § 9 SGB II zu bejahen. Diese ist nicht glaubhaft.
Die zum strittigen Leistungsantrag vorgelegten Kontoauszüge sind nicht vollständig. Die vorgelegte Umsatzliste enthält nur den Zeitraum vom 17.03.2011 bis 04.04.2011, also etwas mehr als zwei Wochen. Wie die Einzelüberweisung von 455,- Euro vom 03.01.2011 auf den Kontoauszug vom 18.03.2011 gekommen ist, bedarf weiterer Aufklärung. Weiter stellt sich die Frage, was aus dem Konto bei der Sparkasse wurde.
Die Unterhaltszahlungen sind nicht glaubhaft und können zumindest im Eilverfahren nicht vom Einkommen abgezogen werden. Nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II sind Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder einer notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegten Betrag vom Einkommen abzusetzen. Nur tatsächlich gezahlter titulierter Unterhalt ist absetzbar.
Die tatsächliche Zahlung von Unterhalt ist nicht feststellbar. Die Überweisungen erfolgen auf ein Konto, auf das der Antragsteller selbst Zugriff hat. Die Quittungen zu den Barzahlungen hat der Antragsteller scheinbar selbst erstellt. Die Unterschriften unter den zahlreichen Quittungen sind so identisch, dass alles dafür spricht, dass diese tatsächlich nicht geleistet, sondern eingescannt wurden. Auch Höhe und Frequenz der angeblichen Barzahlungen sind kaum nachvollziehbar. Nach seinen Angaben hat der Antragsteller z.B. im April seine Frau drei mal am Bodensee getroffen und ihr insgesamt 1030,- Euro Unterhalt bezahlt. Dazu kommt noch die Überweisung von 261,10 Euro am 04.04.2011. Manche Quittungen fallen in den Zeitraum, in dem der Antragsteller nach seinen Angaben auf den Philippinen war. Bei den bestehenden Unsicherheiten wird der Antragsteller die vollständigen Kontoauszüge des gemeinsamen Kontos im Original vorlegen müssen bzw. die Ehefrau persönlich aussagen müssen, welche Unterhaltsleistungen den Kindern tatsächlich zugeflossen sind. Ohne die Kontoauszüge kann nicht beurteilt werden, ob der Antragsteller die Gelder für sich verwendet hat. Um erwartbaren datenschutzrechtlichen Ausführungen vorzugreifen: Wenn die tatsächliche Bezahlung des Unterhalts auch im Hauptsacheverfahren nicht eindeutig bewiesen wird, kann ein Abzug von Unterhalt nicht erfolgen, weil der Antragsteller hierfür die objektive Beweislast hat.
Das BSG hat im Urteil vom 09.11.2011, B 4 AS 78/10 R, Rn. 13 und 23f festgestellt, dass der Betroffene auf die Abänderung eines falschen Unterhaltstitels hinwirken muss. Soweit das BSG ausführt, dass für die typisierende gesetzliche Regelung spricht, dass der Titel durch fachkundige familienrechtliche Stellen erstellt wurde, betrifft diese Typisierung nicht den vorliegenden Fall, in dem der Antragsteller einen zeitlich überholten, seiner Leistungsfähigkeit offensichtlich nicht entsprechenden Titel zur Optimierung seines Leistungsanspruchs einsetzt.
Fraglich ist ferner, ob der Anspruch wegen Ortsabwesenheit nach § 7 Abs. 4a SGB II entfällt. Dabei kann für den streitigen Zeitraum offen bleiben, ob der Antragsteller von 17.09.2010 bis 26.03.2011 auf den Philippinen war. Die vorgelegte Flugrechnung, der fehlende Briefkasten und die Auskunft des Nachbarn sprechen sehr dagegen. Aber auch die angegebenen häufigen Aufenthalte am Bodensee, die fehlende postalische Erreichbarkeit, die melderechtliche Abmeldung und das Versäumen von Vorspracheterminen sprechen gegen eine Ortsanwesenheit. Die Tätigkeit als Taxifahrer und punktuelle persönliche Vorsprachen sprechen dagegen für eine Anwesenheit. Die Vorsprachen beim Informationsschalter des Antragsgegners belegen mangels Identitätsprüfung aber nicht, dass der Antragsteller dort vorgesprochen hat. Dies kann der Antragsteller zumindest teilweise leicht dadurch klären, indem er Nachweise seines Arbeitgebers vorlegt, an welchen Tagen er gearbeitet hat.
Abschließend weist das Gericht auf Folgendes hin: Gerade bei den vielen Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten ist eine gründliche Klärung des Sachverhalts unerlässlich. Verweise auf den Datenschutz genügen nicht, um einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II zu begründen. Es ist im Endeffekt Sache des Antragstellers, seine Hilfebedürftigkeit und seine Erreichbarkeit nachzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Streitig ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutz, ob der Antragsgegner dem Antragsteller ab 01.05.2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu erbringen hat.
Die Unterkunft des im Jahr 1961 geborenen Antragstellers befindet sich in A-Stadt. Er ist wohl nach einer Urkunde des Jugendamtes verpflichtet, für drei Kinder Unterhalt zu leisten. Seine Ehefrau stammt von den Philippinen und befindet sich nach seinen Angaben in der Schweiz. Der Antragsteller überwies nach den für die Zeit von 30.06.2010 bis 07.10.2010 und für den 30.11.2010 vorgelegen Umsatzlisten bzw. Kontoauszügen von zwei Banken alle Leistungen des Antragsgegners als Kindesunterhalt auf ein Konto seiner Frau und 120,- Euro monatlich an seinen Vermieter. Abhebungen für den Lebensunterhalt enthielten die Kontoauszüge nicht. Für die einzelnen Unterhaltszahlungen legte er maschinenschriftlich ausgefüllte Quittungen vor, wonach, teilweise mehrmals monatlich, direkte Zahlungen an die Frau in B. und L. erfolgten. Der Antragsgegner forderte den Antragsteller wiederholt auf, den Unterhaltstitel wegen fehlender Leistungsfähigkeit ändern zu lassen. Dies lehnte der Antragsteller ab.
Der Antragsteller erhält eine Opferrente von monatlich 250,- Euro. Er ist als Taxifahrer bei verschiedenen Firmen erwerbstätig. Er verdiente nach den vorgelegten Unterlagen bis Mai 2011 monatlich etwa zwischen 900,- und 1300,- Euro brutto bzw. 720,- bis 984,- Euro netto. Im Mai 2011 verdiente er weniger, weil er das Arbeitsverhältnis im Mai kündigte. Er hat ab Juni wieder eine neue Stelle als Taxifahrer. Die Lohnzahlungen und die Opferrente sind in den vorgelegten Bankunterlagen nicht enthalten.
Dem Antragsteller wurde mit Bescheid vom 29.10.2010 Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 479,- Euro (Regelleistung 359,- Euro und Kosten für Unterkunft und Heizung von 120,- Euro) bewilligt. Einkommen wurde dabei nicht angerechnet.
Mit Schreiben vom 26.11.2010 teilte der Antragsteller unter einer Absenderanschrift auf den Philippinen der thüringischen Polizeiverwaltung mit, er habe am 22.09.2010 keine Tempoüberschreitung in Thüringen begehen können, weil er zu dieser Zeit auf den Philippinen gewesen sei. Dazu fügte er eine Rechnung für Flugtickets bei, wonach er von 17.09.2010 bis 26.02.2011 auf die Philippinen verreist war.
Nach Rücklauf mehrerer Postsendungen erfolgte am 17.01.2011 ein Hausbesuch. Der Antragsteller wurde nicht angetroffen. Es wurde festgestellt, dass weder ein Briefkasten noch eine Klingel auf den Antragsteller hinwiesen. Ein Nachbar erklärte, dass der Antragsteller seit zwei Monaten nicht mehr hier sei und ihn angewiesen habe, seine Post zurückzuschicken. Der Antragsgegner hob daraufhin die Bewilligung auf. In einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtete das Sozialgericht München den Antragsgegner für März und April 2011 jeweils 371,- Euro auszuzahlen (Beschluss vom 07.03.2011, S 8 AS 385/11 ER).
Am 18.04.2011 beantragte der Antragsteller mit Antragskopien die Weitergewährung von Arbeitslosengeld II ab 01.05.2011. Er übermittelte für die Zeit vom 17.03.2011 bis 04.04.2011 Kopien von Umsatzlisten bzw. Kontoauszügen einer Bank, wonach er erneut alle Leistungen des Antragsgegners als Kindesunterhalt auf ein Konto seiner Frau und 120,- Euro monatlich an seinen Vermieter zahlte. Ein Kontoauszug enthält eine Unterhaltsüberweisung vom 03.01.2011 und dann erst wieder eine Überweisung vom 17.03.2011. Lohnzahlungen, Opferrente und Abhebungen für den Lebensunterhalt enthielten die Unterlagen nicht.
Mit Schreiben vom 18.04.2011 wurde der Antragsteller aufgefordert, Originale des Weiterbewilligungsantrags, der Anlage EK zum Einkommen, der Einkommensbescheinigung des Arbeitgebers und der vollständigen Kontoauszüge der letzten drei Monate bei einer persönlichen Vorsprache vorzulegen. Der Antragsteller übermittelte nur Kopien der Anträge und eine Einkommensbescheinigung für den Monat März. Mit Bescheid vom 28.04.2011 wurden die Leistungen wegen mangelnder Mitwirkung versagt. Dagegen erhob der Antragsteller am 31.05.2011 Widerspruch. Der Bescheid sei ihm am 03.05.2011 zugegangen.
Am 03.05.2011 wurde zur Niederschrift des Sozialgerichts München ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Der Antragsteller habe am 18. und 26.04.2011 nachweislich die angeforderten Unterlagen abgegeben. Vorgelegt wurde eine Empfangsbestätigung der Infothek des Antragsgegners, wonach am 18. und 26.04.2011 "offene Schriftstücke" entgegengenommen worden seien.
Aufforderungen zu einer persönlichen Vorsprache am 03.05.2011 (Schreiben vom 28.04.2011) und am 10.05.2011 (Schreiben vom 04.05.2011) beim Antragsgegner sowie zur mündlichen Verhandlung am 19.05.2011 (angekündigt mit Schreiben vom 11.05.2011, Ladung zurück an das Gericht mit dem Vermerk "Adressat unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln") kam der Antragsteller nicht nach.
Mit Beschluss vom 19.05.2011 lehnte das Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Der Versagungsbescheid vom 28.04.2011 sei bestandskräftig. Außerdem sei ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft. Die Erreichbarkeit nach § 7 Abs. 4a SGB II sei nicht belegt und es seien keine lückenlose Kontoauszüge vorgelegt worden. Für die Aufklärung gegenwärtiger Ansprüche sei eine persönliche Vorsprache und die Vorlage des Reisepasses erforderlich.
Am 31.05.2011 hat der Antragsteller Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts eingelegt. Der Beschluss sei nicht verfassungskonform. Nach der vom Beschwerdegericht eingeholten Meldeauskunft ist der Antragsteller seit 07.07.2010 aus seiner bisherigen Unterkunft nach Unbekannt abgemeldet.
In Zusammenhang mit einer Anhörung zu einer Aufhebung der Bewilligung wegen dem Aufenthalt auf den Philippinen kam es am 09.06.2011 zu einer Besprechung beim Antragsgegner. Der Antragsteller teilte dabei mit, dass er die Rechnung des Flugtickets selbst gefälscht habe, um gegenüber der Bußgeldstelle einen Auslandsaufenthalt zu belegen. Er habe aber keinen entsprechenden Flug gebucht. Seinen Reisepass werde er am 10.06.2011 vorlegen. Die Erklärung seines Nachbarn, er sei seit zwei Monaten abwesend, sei falsch. Er habe regelmäßig Kontakt zu seiner Frau, der er Unterhalt teils überweise, teils in bar übergebe. Die angebotene Barauszahlung der Leistungen lehne er wegen 8,- Euro Gebühren für die nachfolgend notwendige Einzahlung ab. Seine Miete für Januar und Februar 2011 habe seine Frau bezahlt. Er könne theoretisch seine Unterhaltszahlungen an seine Kinder reduzieren, dann würden aber Schulden durch Unterhaltsvorschussleistungen in der Schweiz entstehen.
Am 10.06.2011 erschien der Antragsteller nicht beim Antragsgegner und lehnte anschließend die Vorlage seines Reisepasses ab. Weiter übermittelte er Quittungen, wonach er seiner Ehefrau 400,- Euro am 09.04.2011, 380,- Euro am 29.04.2011, 250,- Euro am 08.05.2011, 370,- Euro am 15.05.2011 und 420,- Euro am 29.05.2011 gezahlt habe. Alle Quittungen enthalten identische Unterschriften. Er teilte ferner mit, dass er einen neuen Arbeitgeber habe. Bei einer weiteren Vorsprache am 14.06.2011 teilte der Antragsteller dem Antragsgegner mit, dass er seine Opferrente von monatlich 250,- Euro auf das Konto seiner Frau überweise, für das er auch Verfügungsgewalt habe. Auch die Unterhaltszahlungen gingen auf dieses Konto.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts München vom 19. Mai 2011 aufzuheben und den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, ihm ab 01.05.2011 Arbeitslosengeld II zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, weil das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt hat.
Der Antragsteller begehrt Arbeitslosengeld II ab 01.05.2011. Für die begehrte Begründung einer Rechtsposition im einstweiligen Rechtsschutz ist ein Antrag auf eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft. Der Antrag muss zulässig sein und die Anordnung muss zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen. Es muss glaubhaft sein, dass ein materielles Recht besteht, für das einstweiliger Rechtsschutz geltend gemacht wird (Anordnungsanspruch), und es muss glaubhaft sein, dass eine vorläufige Regelung notwendig ist, weil ein Abwarten auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zumutbar ist (Anordnungsgrund). Es besteht kein Anlass, den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab heranzuziehen, weil das Existenzminimum des Antragstellers monatlich 479,- Euro beträgt, er eine Opferrente von 250,- Euro monatlich erhält und seit Mitte Juni wieder Einkommen als Taxifahrer erzielt.
Der Versagungsbescheid vom 28.04.2011 steht einer einstweiligen Anordnung nicht entgegen. Er wurde nicht gemäß § 77 SGG bindend. Der Bescheid wurde wohl als einfacher Brief aufgegeben, so dass nach § 37 Abs. 2 SGB X vermutet wird, dass der Zugang am dritten Tag nach Aufgabe zur Post erfolgte, mithin am 01.05.2011. Am 31.05.2011 wurde innerhalb der Monatsfrist des § 84 SGG Widerspruch erhoben.
Das Beschwerdegericht ist jedoch nicht in der Lage, die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers nach § 9 SGB II zu bejahen. Diese ist nicht glaubhaft.
Die zum strittigen Leistungsantrag vorgelegten Kontoauszüge sind nicht vollständig. Die vorgelegte Umsatzliste enthält nur den Zeitraum vom 17.03.2011 bis 04.04.2011, also etwas mehr als zwei Wochen. Wie die Einzelüberweisung von 455,- Euro vom 03.01.2011 auf den Kontoauszug vom 18.03.2011 gekommen ist, bedarf weiterer Aufklärung. Weiter stellt sich die Frage, was aus dem Konto bei der Sparkasse wurde.
Die Unterhaltszahlungen sind nicht glaubhaft und können zumindest im Eilverfahren nicht vom Einkommen abgezogen werden. Nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II sind Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder einer notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegten Betrag vom Einkommen abzusetzen. Nur tatsächlich gezahlter titulierter Unterhalt ist absetzbar.
Die tatsächliche Zahlung von Unterhalt ist nicht feststellbar. Die Überweisungen erfolgen auf ein Konto, auf das der Antragsteller selbst Zugriff hat. Die Quittungen zu den Barzahlungen hat der Antragsteller scheinbar selbst erstellt. Die Unterschriften unter den zahlreichen Quittungen sind so identisch, dass alles dafür spricht, dass diese tatsächlich nicht geleistet, sondern eingescannt wurden. Auch Höhe und Frequenz der angeblichen Barzahlungen sind kaum nachvollziehbar. Nach seinen Angaben hat der Antragsteller z.B. im April seine Frau drei mal am Bodensee getroffen und ihr insgesamt 1030,- Euro Unterhalt bezahlt. Dazu kommt noch die Überweisung von 261,10 Euro am 04.04.2011. Manche Quittungen fallen in den Zeitraum, in dem der Antragsteller nach seinen Angaben auf den Philippinen war. Bei den bestehenden Unsicherheiten wird der Antragsteller die vollständigen Kontoauszüge des gemeinsamen Kontos im Original vorlegen müssen bzw. die Ehefrau persönlich aussagen müssen, welche Unterhaltsleistungen den Kindern tatsächlich zugeflossen sind. Ohne die Kontoauszüge kann nicht beurteilt werden, ob der Antragsteller die Gelder für sich verwendet hat. Um erwartbaren datenschutzrechtlichen Ausführungen vorzugreifen: Wenn die tatsächliche Bezahlung des Unterhalts auch im Hauptsacheverfahren nicht eindeutig bewiesen wird, kann ein Abzug von Unterhalt nicht erfolgen, weil der Antragsteller hierfür die objektive Beweislast hat.
Das BSG hat im Urteil vom 09.11.2011, B 4 AS 78/10 R, Rn. 13 und 23f festgestellt, dass der Betroffene auf die Abänderung eines falschen Unterhaltstitels hinwirken muss. Soweit das BSG ausführt, dass für die typisierende gesetzliche Regelung spricht, dass der Titel durch fachkundige familienrechtliche Stellen erstellt wurde, betrifft diese Typisierung nicht den vorliegenden Fall, in dem der Antragsteller einen zeitlich überholten, seiner Leistungsfähigkeit offensichtlich nicht entsprechenden Titel zur Optimierung seines Leistungsanspruchs einsetzt.
Fraglich ist ferner, ob der Anspruch wegen Ortsabwesenheit nach § 7 Abs. 4a SGB II entfällt. Dabei kann für den streitigen Zeitraum offen bleiben, ob der Antragsteller von 17.09.2010 bis 26.03.2011 auf den Philippinen war. Die vorgelegte Flugrechnung, der fehlende Briefkasten und die Auskunft des Nachbarn sprechen sehr dagegen. Aber auch die angegebenen häufigen Aufenthalte am Bodensee, die fehlende postalische Erreichbarkeit, die melderechtliche Abmeldung und das Versäumen von Vorspracheterminen sprechen gegen eine Ortsanwesenheit. Die Tätigkeit als Taxifahrer und punktuelle persönliche Vorsprachen sprechen dagegen für eine Anwesenheit. Die Vorsprachen beim Informationsschalter des Antragsgegners belegen mangels Identitätsprüfung aber nicht, dass der Antragsteller dort vorgesprochen hat. Dies kann der Antragsteller zumindest teilweise leicht dadurch klären, indem er Nachweise seines Arbeitgebers vorlegt, an welchen Tagen er gearbeitet hat.
Abschließend weist das Gericht auf Folgendes hin: Gerade bei den vielen Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten ist eine gründliche Klärung des Sachverhalts unerlässlich. Verweise auf den Datenschutz genügen nicht, um einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II zu begründen. Es ist im Endeffekt Sache des Antragstellers, seine Hilfebedürftigkeit und seine Erreichbarkeit nachzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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