L 9 AL 204/10 B PKH

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 7 AL 140/10
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AL 204/10 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Vorläufigkeit im Sinne von § 328 Abs. 1 S. 2 SGB III und deren Verhältnis zu §§ 118 Abs. 2, 127 SGB III
Auch eine vorläufige Bewilligung von Arbeitslosengeld im Sinne von § 328Abs. 1 SGB III kann eine Entscheidung im Sinne von § 118 Abs. 2 SGB III enthalten.
I. Der Beschluss des Sozialgerichts München vom 21. Juli 2010 wird aufgehoben.
II. Dem Kläger wird ab Antragstellung für das Verfahren vor dem Sozialgericht München (Az.: S 7 AL 140/10) Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung der Sozietät der Rechtsanwälte B. u.a., B-Straße, B-Stadt bewilligt.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist in der Hauptsache vor dem Sozialgericht München (SG) die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld streitig. Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) durch das Sozialgericht München (SG) mit Beschluss vom 21. Juli 2010.

Der 1962 geborene Kläger und Beschwerdeführer meldete sich am 13. Januar 2009 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Der Kläger war am 12. Januar 2009 durch seine frühere Arbeitgeberin mit sofortiger Wirkung fristlos gekündigt worden. Der Kläger teilte der Beklagten mit, dass er gegen seine fristlose Kündigung Kündigungsschutzklage erhoben habe. Im Februar 2009 bewilligte die Beklagte Arbeitslosengeld mit einem Anspruchsbeginn ab 13. Januar 2009 bei einer Anspruchsdauer von 300 Tagen. In der Verfügung vom 13. Januar 2009 wurden wegen Ruhens aufgrund einer Sperrzeit nach § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) III die Leistungen tatsächlich ab 6. April 2009 zur Auszahlung verfügt. Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 17. Februar 2009 mit, dass über den Antrag nur vorläufig entschieden werden könne, da die Voraussetzungen eines Ruhens wegen Sperrzeit zu überprüfen sei. Vor dem Arbeitsgericht München wurde im Rahmen eines Vergleichs durch die Arbeitgeberin erklärt, es bestehe kein Sachverhalt, der eine außerordentliche Kündigung rechtfertige. Das Arbeitsverhältnis wurde aufgrund einer ordentlichen Arbeitgeberkündigung zum 15. Februar 2009 beendet.

Der Kläger beantragte am 15. Dezember 2009 von der Beklagten die Überprüfung der Bezugsdauer der Arbeitslosengeldbewilligung. Durch die Umwandlung der fristlosen Kündigung in eine ordentliche Kündigung zum 15. Februar 2009 sei er zwei Jahre beschäftigt gewesen und habe daher einen Anspruch auf Arbeitslosengeld nach § 127 Abs. 2 SGB III von 12 Monaten.

Mit Bescheid vom 22. Dezember 2009 lehnte die Beklagte eine Erhöhung der Anspruchsdauer mit der Begründung ab, der Anspruch auf Arbeitslosengeld sei am 13. Januar 2009 entstanden. Zu diesem Zeitpunkt habe nur eine Versicherungspflicht von 23,3 Monaten vorgelegen. Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit Bescheid vom 27. Januar 2010 zurückgewiesen.

Hiergegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht München erhoben. Zusammenfassend hat nach Auffassung des Klägerbevollmächtigten eine vorläufige Bewilligung nach § 328 Abs. 1 SGB III vorgelegen. Aufgrund dieser Vorläufigkeit könne der Kläger sein Wahlrecht nach § 118 Abs. 2 SGB III bis zur endgültigen Entscheidung ausüben. Hierauf hätte der Kläger durch die Beklagte hingewiesen werden müssen. Im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs müsse der Kläger so gestellt werden, als hätte er seinen Antrag auf Arbeitslosengeld erst zu einem späteren Zeitpunkt (ordentliche Kündigung zum 15. Februar 2009) gestellt. Gleichzeitig hat der Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.

Mit Beschluss des Sozialgerichts München vom 21. Juli 2010 hat das SG die Gewährung von PKH abgelehnt. Nach Auffassung des SG sei der Antrag des Klägers vom 13. Januar 2009 im Wege der Gleichwohlgewährung gemäß §§ 117 ff, 143 Abs. 3 SGB III maßgeblich. Zu diesem Zeitpunkt seien noch keine 2 Jahre versicherungspflichtige Zeiten erfüllt gewesen. Der Umstand, dass die fristlose Kündigung vom 12. Januar 2009 durch den arbeitsgerichtlichen Vergleich vom 26. März 2009 nachträglich in eine ordentliche Kündigung zum 15. Februar 2009 umgewandelt worden sei, habe beim Kläger nicht zu einer nachträglichen Änderung des Anspruchsbeginns und der Rahmenfrist geführt. Für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs fehle es an einem objektiven Fehlverhalten der Verwaltung.

Hiergegen hat der Kläger am 29. Juli 2010 Beschwerde erhoben. Zur Begründung hat der Klägerbevollmächtigte insbesondere auf die Vorläufigkeit der Bewilligung des Arbeitslosengeldes verwiesen. Ergänzend wird insbesondere auf die Schriftsätze vom 28. Juli 2010 und 17. Juni 2011 Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts München vom 21. Juli 2010 aufzuheben und Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Sozietät der Rechtsanwälte B. u.a., B-Straße, B-Stadt zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,
die Beschwerde gegen den Beschluss des SG 21. Juli 2010 zurückzuweisen.

Der Senat hat die Verfahrensakten der Beklagten und des Sozialgerichts beigezogen.

II.

Der Antrag des Klägers ist zulässig (§§ 73a Sozialgerichtsgesetz -SGG- iVm. 127 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung - ZPO) und begründet. Zu Unrecht hat das SG den Antrag auf Bewilligung von PKH abgelehnt.

Nach § 73a Abs. 1 SGG ( i.V.m. § 114 ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der PKH nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Ist eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben, wird der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist (§ 121 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Zur Beurteilung der Erfolgsaussichten kommt es auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag an (vgl. Leitherer in Meyer/Ladewig/Keller/ Leitherer, Komm. zum SGG, 9. Aufl., 2008, Rdnr. 7d zu § 73 a). Bei der Prüfung der hinreichenden Aussicht auf Erfolg im Rahmen der PKH erfolgt nur eine vorläufige Prüfung. Dabei ist der verfassungsrechtlich gezogene Rahmen (Art. 3 Abs. 1, 20 Abs. 3, 19 Abs. 4 Grundgesetz) zu beachten. Deshalb dürfen keine allzu überspannten Anforderungen gestellt werden (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 07.04.2000, Az.: 1 BvR 81/00, NJW 2000,1936). Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist anzunehmen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (Leitherer, a.a.O.). Denn der Zweck der PKH, dem Unbemittelten weitgehend gleichen Zugang zu Gericht wie dem Bemittelten zu gewähren, gebietet lediglich, ihn einem solchen Bemittelten gleichzustellen, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko mitberücksichtigt (BVerfGE 81, 347, 356 ff = NJW 1991, 413 f; BVerfG FamRZ 1993, 664, 665). Dabei ist zu berücksichtigen, dass aus verfassungsrechtlichen Gründen das Verfahren in der Hauptsache nicht in nennenswertem Umfang in das PKH-Verfahren verlagert werden darf. Die Klärung schwieriger Rechtsfragen sowie Beweiserhebungen haben dort grundsätzlich keinen Platz.

Soweit der Klägerbevollmächtigte vorträgt, das SG habe die Bedeutung der vorläufigen Bewilligung (Zwischenmitteilung vom 17. Februar 2009) und damit § 328 Abs. 1 SGB III verkannt, weist der Senat bei der gebotenen summarischen Prüfung darauf hin, dass eine vorläufige Bewilligung nicht zu einer völligen Unverbindlichkeit der Regelung führt und der Antragsteller nunmehr im Nachhinein etwa im Hinblick auf § 127 Abs. 2 SGB III den Zeitpunkt des Antrages neu festlegen kann. Gemäß § 118 Abs. 2 SGB III wird dem Kläger die Gestaltung bis "zur Entscheidung" der Beklagten über den Antrag eingeräumt. Bei der gebotenen summarischen Prüfung geht der Senat davon aus, dass auch eine Bewilligung nach § 328 Abs. 1 SGB III eine "Entscheidung" im Sinne von § 118 Abs. 2 SGB III darstellt. Dies leitet der Senat insbesondere aus der Begründungspflicht in § 328 Abs. 1 S. 2 und Abs. 4 SGB III ab. Die Begründungspflicht des § 328 Abs. 1 S. 2 SGB III kann nämlich nicht nur als Ergänzung zur allgemeinen Begründungspflicht der §§ 35, 41 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2, 42 SGB X verstanden werden, da sie dann keine wesentliche rechtliche Relevanz besäße (vergleiche Eicher in Eicher/Schlegel, SGB III, § 328, Rz.: 49). Der vorläufige Bescheid muss nicht nur überhaupt als vorläufig erkennbar sein, sondern darüber hinaus auch den maßgeblichen Grund der Vorläufigkeit und vor allem den Umfang der Vorläufigkeit erkennen lassen (vergleiche Eicher, a.a.O.). Aus dieser gesetzlichen Anordnung ist zu schließen, dass die Beklagte notwendigerweise zwischen vorläufigen - und damit nicht bindenden - und endgültigen - und damit bindenden-Teilen der vorläufigen Leistungsbewilligung zu unterscheiden hat (Eicher, a.a.O., Rz.: 50). Dies deutet auch das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 28. November 2007 an (Az.: B 11 a AL 47/06 R, zitiert nach juris Rz.: 22), wenn es ausführt, es könne über die Erbringung von Geldleistungen vorläufig entschieden werden, mit der Folge, dass die unter Vorläufigkeitsvorbehalt stehende Verfügung als Rechtsgrund für gewährte Leistungen ohne Einschränkungen wieder beseitigt werden kann. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Elemente, die nicht unter dem Vorläufigkeitsvorbehalt stehen, eine Bindungswirkung entfalten. Diese Auslegung findet insbesondere auch im Hinblick auf das verfassungsrechtlich normierte Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz) und der vom Gesetzgeber in den §§ 37 ff SGB X festgelegten Bedeutung der Bestandskraft von Verwaltungsakten seinen Ausdruck, da hierdurch für den Bürger Rechtsklarheit und letztlich Schutz vor Willkür gewährt wird. Dabei bestehen jedoch gewisse Zweifel, ob die "Zwischenmitteilung" mit Schreiben vom 17. Februar 2009 überhaupt eine wirksame vorläufige Festsetzung im Sinne von § 328 SGB III darstellt.

Obwohl bei dieser Auslegung die Erfolgsaussichten als nicht hinreichend zu betrachten sind, musste dennoch Prozesskostenhilfe gewährt werden, da die vorliegenden Fragestellungen als besonders schwierig (vergleiche z.B. Bundesverfassungsgericht vom 19. Februar 2008, Az.: 1 BvR 1807/07) zu betrachten sind und auch die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe vorliegen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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