L 5 R 848/08

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 14 R 4498/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 848/08
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zum Bestimmtheitsgrundsatz für Betriebsprüfungsbescheide
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 12. September 2008 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten auch der Berufung.

III. Der Streitwert wird auf 4.000,00 Euro festgesetzt.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beigeladenen beim Kläger in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis standen.
Der Kläger betrieb ein Unternehmen zur Verlegung von Fußböden. Anlässlich einer Betriebsprüfung am 22.11.2001 stellte die Beklagte mit Bescheid vom 24.06.2002 gegenüber dem Kläger fest, dass für die "Auftragnehmer dieses Unternehmens, Herr C. und Herr D. ein dem Grunde nach sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis gegen Arbeitsentgelt nach § 7 Abs. 1 SGB IV in der von ihnen als Verleger von Fußböden besteht". Die Beklagte begründet dies damit, dass die Beigeladenen insbesondere aufgrund Fehlens eines unternehmerischen Risikos keine selbstständige Tätigkeit ausgeübt hätten. Angaben zum Prüfzeitraum oder zum fraglichen Beschäftigungszeitraum enthält der Bescheid nicht. Der Kläger erhob hiergegen Widerspruch mit Schreiben vom 22.07.2002.

Mit Bescheid vom 19.09.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück mit dem Tenor: "Die Feststellung, dass für die beiden Auftragnehmer Herr C. und Herr D. ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis gegen Arbeitsentgelt nach § 7 Abs. 1 SGB IV vorliegt, bleibt bestehen." Auch der Widerspruchsbescheid enthält keine Angaben zum Prüfzeitraum oder einem fraglichen Beschäftigungszeitraum. Weder im Bescheid vom 24.06.2002 noch im Widerspruchsbescheid finden sich Feststellungen zur Beitragspflicht zu den einzelnen Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung noch zur Beitragshöhe.

Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben zum Sozialgericht Augsburg.

Das Sozialgericht Augsburg hat den Bescheid der Beklagten vom 24.06.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.09.2003 aufgehoben mit der Begründung, dass die Gesamtbewertung der einzelnen Tätigkeitsmerkmale der Beigeladenen zum Ergebnis führe, dass beide Beigeladenen im streitigen Zeitraum selbstständig tätig gewesen seien.

Gegen dieses Urteil des Sozialgerichts vom 12.09.2008 hat die Beklagte Berufung eingelegt. Sie begründet die Berufung damit, dass aus ihrer Sicht die Gesamtbewertung der Tätigkeit der Beigeladenen die Voraussetzungen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses erfüllen.

Am 21.07.2009 hat das Bayer. Landessozialgericht einen Erörterungstermin durchgeführt. In diesem Termin wurde insbesondere der Hinweis erteilt, dass ein unzulässiger Elementenfeststellungsbescheid vorliege. Die Beklagte sei bei Betriebsprüfungen verpflichtet, zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe zu entscheiden. Die vorliegende Entscheidung sei daher rechtswidrig. Im Übrigen spreche auch die erstinstanzlich vorgelegte Menge an Rechnungen für ein selbstständiges Tätigwerden des Beigeladenen.
Zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung hat der Senatsvorsitzende die Beklagte am 12.05.2011 nochmals per Telefax darauf hingewiesen, dass der streitgegenständliche Bescheid eine unzulässige Elementenfeststellung beinhaltet. In der mündlichen Verhandlung vom 17.05.2011 hat das Bayer. Landessozialgericht mit Beschluss die beiden Rechtsstreitigkeiten L 5 R 848/08 und L 5 R 938/09 zur gemeinsamen Entscheidung unter dem führenden Az.: L 5 R 848/08 verbunden.

Die Beklagte ist nach wie vor der Auffassung, dass die streitgegenständlichen Bescheide rechtmäßig seien.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 12.09.2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die Akten des Sozialgerichts Augsburg, die Akten des Bayer. Landessozialgerichts sowie auf die Akten der Beklagten.



Entscheidungsgründe:


Die zulässige Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) ist in der Sache nicht erfolgreich.
Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 24.06.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.09.2003, mit dem die Beklagte festgestellt hat, dass "die Auftragnehmer des Unternehmens, Herr C. und Herr D., ein dem Grunde nach sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis gegen Arbeitsentgelt nach § 7 Abs. 1 SGB IV" ausgeübt hätten.

Gemäß § 28 p Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) prüfen die Träger der Rentenversicherung mindestens alle vier Jahre bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach diesem Gesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen (§ 28 p Abs. 1 S.1 SGB IV). Die Träger der Rentenversicherung erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. In allen Zweigen der Sozialversicherung sind nach Maßgabe der besonderen Vorschriften für die einzelnen Versicherungszweige Personen versichert, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind (§ 2 Abs. 2 Ziff. 2 SGB IV).

Maßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung i. S. v. § 2 Abs. 2 SGB IV ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach ist unter Beschäftigung die nicht selbstständige Arbeit, die insbesondere in einem Arbeitsverhältnis erbracht wird, zu verstehen. Das Bundessozialgericht hat in ständiger Rechtsprechung (Urteil vom 04.06.1998, B 12 KR 5/97 R, Urteil vom 12.02.2004, Az.: B 12 KR 26/02 R) die Merkmale einer Beschäftigung und diejenigen einer selbständigen Tätigkeit sowie die Grundsätze, nach denen die festgestellten Merkmale gegeneinander abzuwägen sind, entwickelt. Danach setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert sein.

Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit dann anzunehmen, wenn sie durch ein eigenes Unternehmensrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeiten über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestellte Tätigkeit und Arbeitszeit geprägt ist. Ob jemand abhängig beschäftigt ist oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Weichen die Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen ab, geben letztere den Ausschlag. Aufgrund der Ermittlungen der Beklagten und der übereinstimmenden glaubhaften Angaben der Beteiligten im Verwaltungsverfahren sowie in beiden Rechtszügen sprechen gewichtige Gründe dafür, dass die Beigeladenen eine selbstständige und damit nicht sozialversicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt haben.

Dies kann jedoch dahingestellt bleiben, da die Beklagte mit Bescheid vom 24.06.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.09.2003 eine unzulässige Elementenfeststellung vorgenommen hat. Die Beklagte hat in der angefochtenen Entscheidung festgestellt, dass der Kläger die beiden Beigeladenen sozialversicherungspflichtig beschäftigt habe. Sie hat jedoch keine Feststellung hinsichtlich der Versicherungspflicht in der Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung getroffen. Außerdem ist aus den angegriffenen Verwaltungsakten nicht ersichtlich, auf welchen Zeitraum und auf welche konkrete Tätigkeit sich die Feststellung beziehen soll (vgl. BSG vom 11.03.2009, B 12 R 11/07, zitiert nach Juris).

Die angegriffenen Verwaltungsakte enthalten lediglich die Feststellung des Vorliegens einer abhängigen Beschäftigung. Diese Feststellung ist nur dann hinreichend bestimmt, i.S.v. § 33 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), wenn sich im Einzelfall zumindest durch Auslegung vor dem Hintergrund der den beteiligten bekannten Umstände erschließt, auf welche konkreten Umstände Bezug genommen werden und in welchem zeitlichem Umfang insofern das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung festgestellt werden soll (vgl. BSG, Urteil vom 04.06.2009, B 12 R 6/08 R, Rdnr. 11, zitiert nach juris). Dem genügen die angegriffenen Bescheide nicht. Eine nähere inhaltliche Konkretisierung durch die Beklagte ist auch im Laufe des Berufungsverfahrens nicht erfolgt.

Die Beklagte ist darüber hinaus verpflichtet, im Rahmen einer Prüfung bei dem Arbeitgeber Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung zu erlassen (§ 28 p Abs. 1 S. 5 SGB IV). Als bloßes Tatbestandselement ist das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen einer Beschäftigung einer isolierten Feststellung nicht zugänglich. Dies folgt aus der Formulierung in § 28 p Abs. 1 S. 5 SGB IV, der die Beklagte zur Feststellung der Soziaversicherungspflicht Beschäftigter ermächtigt, nicht jedoch zur Feststellung einer Beschäftigung (vgl. BSG, aaO). Die Beklagte darf sich nicht darauf beschränken, nur ein oder mehrere Elemente des jeweiligen Versicherungspflichttatbestandes wie etwa das Vorliegen einer Beschäftigung festzustellen (vgl. BSG, Urteil vom 10.05.2006, B 12 KR 5/05, BSG vom 04.06.2009, B 12 R 6 /08 R, Rdnr. 23, zitiert nach juris).

Schließlich enthalten die angegriffenen Bescheide keine Angabe des Prüfzeitraums, weder im Tenor der Bescheide noch in den Begründungen. Es ist daher nicht ersichtlich, auf welchen Prüfzeitraum sich die Bescheide beziehen sollen. Dies lässt sich auch nicht im Wege der Auslegung ermitteln. Aufgrund des Bestimmtheitsgrundsatzes in § 33 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist die Angabe des Prüfzeitraumes jedoch unerlässlich. Eine hinreichende inhaltliche Bestimmtheit i. S. v. § 33 Abs. 1 SGB X ist dann gegeben, wenn der Adressat des Verwaltungsaktes in der Lage ist, das von ihm geforderte zu erkennen. Der Verwaltungsakt muss zudem eine geeignete Grundlage für seine zwangsweise Durchsetzung bilden (BVerwG Urteil vom 20.04.2005, 4 C 18/03, Rnr. 53, zitiert nach juris). Die Anforderungen an die Bestimmtheit richten sich nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenen Rechts (BVerwG, aaO). Anzuwenden ist hier § 28 p Abs. 1 SGB IV. Nach § 28 p Abs. 1 S. 1 SGB IV finden die Betriebsprüfungen "mindestens alle vier Jahre" statt. Damit lässt sich mit Hilfe des Gesetzes nicht erschließen, auf welchen Prüfungszeitraum sich die angegriffenen Bescheide beziehen. Der Prüfzeitraum könnte vier Jahre betragen, aber auch mehr oder weniger. Weder Anfang noch Ende lassen sich ohne weitere konkrete Angaben ermitteln. Die Angabe des Prüfzeitraumes bei einem Bescheid im Rahmen einer Betriebsprüfung nach § 28 p Abs. 1 ist jedoch für alle Beteiligten unerlässlich, da durch ihn festgelegt wird, für welchen Zeitraum die Regelungen der Verwaltungsakte Wirksamkeit entfalten sollen. Dies ist insbesondere auch im Hinblick auf weitere Betriebsprüfungen und daran anknüpfende Bescheide von Bedeutung. Es käme sonst unweigerlich zu divergierenden Regelungen, wenn die jeweiligen Regelungszeiträume nicht klar differenziert werden können. Eine solche zeitliche Differenzierung lassen die angegriffenen Bescheide nicht zu.

Die streitigen Verwaltungsakte genügen wegen des Fehlens unzweifelhafter zeitlicher und tätigkeitsbezogener Bezeichnungen, dem Fehlen der Feststellung hinsichtlich der Versicherungspflicht in der Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie dem Fehlen einer Angabe des Prüfzeitraums nicht dem Bestimmtheitserfordernis nach § 33 Abs. 1 SGB X. Die streitgegenständlichen Bescheide sind daher in mehrfacher Hinsicht rechtswidrig, sodass das erstinstanzliche Urteil im Ergebnis allein schon deswegen zu Recht ergangen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Der Streitwert wird entsprechend der vorangegangenen Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren auf 4.000,00 EUR festgesetzt (§ 197a Abs. 1 S. 1 SGG, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2, § 63 Abs. 2 S. 1 Gerichtskostengesetz).

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich, § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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