S 7 SF 90/13 E

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 7 SF 90/13 E
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
keinen
Auf die Erinnerung des Klägers wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 31. Januar 2013 – S 17 AS 662/08 - abgeändert und die dem Kläger von dem Beklagten zu erstattenden Kosten auf 725,90 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die von dem Kläger - vertreten durch seine Bevollmächtigte - am 1. März 2013 erhobene Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 31. Januar 2013 – S 17 AS 662/08 -, zugestellt am 1. Februar 2013, ist zulässig und teilweise begründet.

Der Kostenfestsetzungsbeschluss, mit dem die von dem Beklagten zu erstattenden außergerichtlichen Kosten des Klägers auf insgesamt 654,50 Euro festgesetzt worden sind, ist hinsichtlich der Höhe der Verfahrensgebühr nach der Nr. 3103 des Vergütungsverzeichnisses der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG (VV-RVG) nicht zu beanstanden. Eine höhere Verfahrensgebühr steht der Bevollmächtigten des Klägers auch unter dem Gesichtspunkt eines Toleranzrahmens nicht zu. Allerdings wurde die (fiktive) Terminsgebühr in dem angegriffenen Beschluss gemäß Nr. 3106 Satz 2 Ziff.3 VV-RVG unter Berücksichtigung der Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid mit 100,00 Euro zu niedrig bemessen ist.

1. Die Verfahrensgebühr ist nach Nr. 3103 VV-RVG zutreffend festgesetzt, weil die Bevollmächtigte des Klägers bereits in dem dem Rechtsstreit vorausgegangenen Verfahren tätig war; dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Die Verfahrensgebühr nach der Nr. 3103 VV-RVG beträgt für Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen Betragsrahmengebühren im Sinne des § 3 RVG entstehen, 20,00 EUR bis 320,00 Euro. Die Mittelgebühr beträgt 170,00 Euro. Vorliegend hat die Urkundsbeamtin zu Recht die Mittelgebühr festgesetzt, denn bei dem Ausgangsrechtsstreit S 17 AS 662/08 handelte es sich um einen Normalfall vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit.

Bei Rahmengebühren bestimmt nach § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umstandes und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts kann bei der Bemessung herangezogen werden. Dies ist jedoch wegen des im sozialgerichtlichen Verfahren herrschenden Amtsermittlungsgrundsatzes und der Möglichkeit von Überprüfungsanträgen in der Regel zu vernachlässigen. Daher ist im Wesentlichen entscheidend der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit, der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, die Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber und die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers (vgl. Entscheidung des Kostensenats des LSG Hessen vom 9. November 2011 - L 2 AS 524/11 B -).

Zur Überprüfung dieses Ermessens ist nach Auffassung der Kammer im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens durch die Urkundsbeamten und die Gerichte zunächst eine Parallelwertung durchzuführen, mit der die angemessene Gebühr errechnet wird (vgl. Hinne, Anwaltsvergütung im Sozialrecht, 1. Aufl. 2010, § 2 Rn. 54). Liegt die von dem Rechtsanwalt geforderte Gebühr innerhalb eines Toleranzrahmens von 20 v.H. um die im Wege der Parallelwertung ermittelte Gebühr (vgl. zu diesem Toleranzrahmen u. a. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - B 4 AS 21/09 R; BGH, Urteil vom 31. Oktober 2006 - VI ZR 261/05; BVerwG, Urteil vom 17. August 2005 - 6 C 13/04 - jeweils mit weiteren Nachweisen), ist die Gebühr in der begehrten Höhe festzusetzen. Andernfalls erfolgt eine Festsetzung der angemessenen Gebühr.

Bei der Bestimmung der Betragsrahmengebühr im konkreten Einzelfall ist von der Mittelgebühr auszugehen, die bei einem Normal-/Durchschnittsfall als billige Gebühr zu Grunde zu legen ist. Unter einem "Normalfall" ist ein Fall zu verstehen, in dem sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts unter Beachtung der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG nicht nach oben oder unten vom Durchschnitt aller sozialrechtlichen Fälle abhebt (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 a.a.O.). Ob ein Durchschnittsfall vorliegt, ergibt sich aus dem Vergleich mit den sonstigen bei den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit anhängigen Streitsachen.

Im erstinstanzlichen sozialgerichtlichen Verfahren liegt eine durchschnittliche anwaltliche Tätigkeit vor, wenn Klage erhoben oder ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt, Akteneinsicht genommen, die Klage bzw. der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz begründet und zu vom Gericht veranlassten Ermittlungen Stellung genommen wird (LSG Hessen, Beschluss vom 9. November 2011 - L 2 AS 524/11 B -). Durchschnittlich schwierig vor dem Sozialgericht sind Verfahren, in denen wegen einmaliger oder laufender Leistungen gestritten wird, in denen zusätzlich zu den juristischen Fragen auch zum Beispiel medizinische Sachverhalte zu würdigen sind (LSG Hessen, Beschluss vom 9. November 2011 a.a.O.). Eine besondere Schwierigkeit ergibt sich zwar nicht ohne Weiteres dadurch, dass das Gericht im Rahmen der Sachermittlungen von Amts wegen (§ 103 SGG) weitere medizinische Ermittlungen anstellt. Erst die damit verbundene, anschließende Auseinandersetzung des Prozessbevollmächtigten mit den Ergebnissen der medizinischen Sachverhaltsaufklärung kann im Rahmen der Bestimmung der Gebühr Berücksichtigung finden (LSG Hessen, Beschluss vom 1. September 2011 – L 2 SF 162/10 E -). Die Bedeutung der Angelegenheit ist dann grundsätzlich als durchschnittlich anzusehen, wenn nur wegen einer einmaligen Leistung gestritten wird (LSG Hessen, Beschluss vom 9. November 2011 a. a. O.). Sofern dagegen wegen Leistungen mit Dauerwirkung gestritten wird, wird grundsätzlich eine überdurchschnittliche Bedeutung anzunehmen sein (LSG Hessen, Beschluss vom 9. November 2011 a. a. O.).

Nach dieser Maßgabe war die Festsetzung der Verfahrensgebühr in dem Kostenbeschluss vom 31. Januar 2013 - S 17 AS 662/08 - in Höhe der Mittelgebühr nicht zu beanstanden. Die anwaltliche Tätigkeit war in dem Ausgangsverfahren allenfalls durchschnittlich. Die Klage wurde erhoben und begründet (anwaltlicher Schriftsatz vom 5. Mai 2008), Akteneinsicht wurde nicht genommen. Die Stellungnahmen vom 8. August 2008, 24. Februar 2009 und 12. September 2011 sind kurz und lassen eine besonders umfangreiche anwaltliche Tätigkeit nicht erkennen. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass es sich um eine besonders schwierige anwaltliche Tätigkeit gehandelt haben könnte. Eine möglicherweise gegebene überdurchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit würde im vorliegenden Einzelfall jedenfalls vollständig kompensiert durch die weit unterdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II bezieht (vgl. in diesem Zusammenhang: BSG, Urteil vom 1. Juli 20009 – B 4 AS 21/09 R -, zitiert nach juris Rn. 38).

Unter wertender Berücksichtigung der hier maßgeblichen Kriterien des § 14 RVG, d. h. der durchschnittlich umfangreichen und schwierigen anwaltliche Tätigkeit einerseits und die sich gegenseitig kompensierenden Kriterien der Bedeutung der Angelegenheit und der Einkommens- und Vermögensverhältnisse andererseits, ist die Festsetzung der Mittelgebühr durch die Urkundsbeamtin nicht zu beanstanden.

Die von der Bevollmächtigten geforderte um rund 15% erhöhte Mittelgebühr lässt sich anhand der Kriterien des § 14 RVG nicht begründen. Im Übrigen ist nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 26. Januar 1992 – 9 a RVs 3/90 -) bei insgesamt durchschnittlichen Verfahren, die mit der Mittelgebühr zu vergüten sind, kein Toleranzrahmen zuzuerkennen.

Die Mittelgebühr war daher ausreichend, aber auch angemessen mit der Mittelgebühr zu vergüten.

2. Die dem Bevollmächtigten des Klägers unstreitig zustehende Terminsgebühr nach Nr. 3106 Satz 2 Nr. 2 VV-RVG, ist demgegenüber mit 100,00 Euro in dem angegriffenen Kostenbeschluss zu niedrig bemessen. Die Terminsgebühr beträgt in Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen Betragsrahmengebühren nach § 3 RVG entstehen, 20,00 bis 380,00 EUR.

Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer rechtfertigt das Fehlen einer mündlichen Verhandlung grundsätzlich nicht eine Minderung der Terminsgebühr. Weder der Wortlaut noch die Gesetzessystematik sprechen für eine solche Minderung, vielmehr zeigt ein Vergleich mit den Wertgebühren, dass der Gesetzgeber eine solche Reduzierung nicht beabsichtigt hat (Beschluss der Kammer vom 1. Februar 2012 - S 7 SF 292/11 E -; ebenso Müller/Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl. 2010, VV 3106 Rn. 12, zum angenommenen Anerkenntnis).Vielmehr ist die Höhe der Terminsgebühr eigenständig unter Berücksichtigung der Kriterien des § 14 RVG zu bestimmen.

Hinsichtlich der Kriterien der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit und den Einkommens- und Vermögensverhältnissen wird auf die Ausführungen zur Verfahrensgebühr verwiesen; Gesichtspunkte die im Fall der Terminsgebühr eine andere Sicht der Dinge rechtfertigen könnten sind nicht ersichtlich.

Differenziert zu betrachten ist im Fall der (fiktiven) Terminsgebühr allerdings das Kriterium des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit. Fällt die Terminsgebühr als Anwesenheitsgebühr an, ist bei der Beurteilung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit maßgebend auf den tatsächlich aufgewendeten Arbeits- und Zeitaufwand für die Terminsteilnahme, der auch wesentlich durch die Anzahl und die Dauer der anberaumten Termine bestimmt wird, abzustellen. Dabei wird die durchschnittliche Terminsdauer vor den Sozialgerichten geschätzt auf ca. 30 Minuten, sodass in diesem Fall eine Vergütung in Höhe der Mittelgebühr angemessen ist (vgl. Kostensenat des LSG Hessen, Beschluss vom 13. Januar 2011 - L 2 SF 72/10 und L 2 SF 73/10 E -, m.w.N.).

Vorliegend ist die Terminsgebühr nicht als Anwesenheitsgebühr, sondern lediglich fiktiv angefallen, nachdem der Ausgangsrechtsstreit S 17 AS 662/08 ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid vom 8. März 2012 entschieden wurde. Der tatsächliche Aufwand des Anwalts kann mithin nicht festgestellt werden. In diesem Fall ist der Urkundsbeamtin zwar zuzustimmen, dass eine mündliche Verhandlung keine durchschnittliche Dauer erreicht hätte, so dass der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit als unterdurchschnittlich zu bewerten wäre, was zwangsläufig zu einem Abschlag auf die Mittelgebühr führen muss. Denn der Sachverhalt war bereits geklärt und die Sache wies keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher oder rechtlicher Art auf, weswegen zum Gerichtsbescheid angehört wurde. Diese Einschätzung des Vorsitzenden der 17. Kammer wurde von den Beteiligten zu keinem Zeitpunkt angegriffen. Auch die Kostenkammer sieht keine Veranlassung diese Beurteilung in Frage zu stellen. Im Ergebnis war angesichts dessen zu erwarten gewesen, dass die mündliche Verhandlung keinen durchschnittlichen Zeitrahmen von mindestens 30 Minuten und damit keine anwaltliche Tätigkeit von durchschnittlichem Umfang erreichen würde. Eine Absetzung der Gebührenhöhe war damit im Grundsatz gerechtfertigt.

Allerdings ist die Kammer der Auffassung, dass die Festsetzung der hälftigen Mittelgebühr durch die Urkundsbeamtin zu niedrig bemessen ist. Die Kammer lässt sich insofern davon leiten, dass der Kostensenat des LSG Hessen die fiktive Terminsgebühr bereits bei Erledigung der Untätigkeitsklage durch Anerkenntnis im Rechtssinne mit 100,00 Euro bemisst (Beschluss vom 28. November 2011 - L 2 AS 517/11 B -, zitiert nach juris Rn. 24). Damit ist der vorliegende Fall, der durch Gerichtsbescheid entschieden wurde, nicht zu vergleichen, weil - anders als bei einem Anerkenntnis - hier eine streitige mündliche Verhandlung hätte durchgeführt werden müssen. Daher hält die Kammer eine höhere (fiktive) Terminsgebühr als 100,00 Euro für gerechtfertigt. Diese ist im Fall der Entscheidung durch Gerichtsbescheid in aller Regel mit einer um 20 % reduzierten Mittelgebühr angemessen, aber auch ausreichend festzusetzen (so auch SG Kassel, Beschluss vom 29. Mai 2012 - S 10 SF 41/12 E -, zitiert nach juris Rn. 30). Dies entspricht vorliegend 160,00 Euro.

Die vom Bevollmächtigten des Klägers beantragte Terminsgebühr von 200,00 Euro ist auch unter Beachtung des Toleranzrahmens (120% von 160,00 Euro = 192,00 Euro) unbillig.

Im Ergebnis waren damit Kosten in Höhe von 725,90 Euro festzusetzen. Im Einzelnen:

I. Widerspruchsverfahren
Geschäftsgebühr gem. Nr. 2400 RVGVZ 240,00 EUR
Entgeltpauschale gem. Nr. 7002 RVGVZ 20,00 EUR
19 % Umsatzsteuer von 200,00 EUR gem. Nr. 7008 RVGVZ 49,40 EUR
Summe I 309,40 EUR

II. Gerichtsverfahren vor dem Sozialgericht
Verfahrensgebühr gem. Nr. 3103 RVGVZ 170,00 EUR
Terminsgebühr gem. Nr. 3106 RVGVZ 160,00 EUR
Entgeltpauschale gem. Nr. 7002 RVGVZ 20,00 EUR 19 % Umsatzsteuer von 294,00 EUR gem. Nr. 7008 RVGVZ 66,50 EUR
Summe II 416,50 EUR
Summen I und II 725,90 EUR

Diese Entscheidung ist endgültig und damit unanfechtbar, vgl. § 197 Abs. 2 SGG (vgl. auch LSG Hessen, Beschluss vom 13. Mai 2011 – L 2 R 54/11 B -).
Rechtskraft
Aus
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