L 2 U 476/09

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 24 U 719/07
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 476/09
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1.Die bloße Vermutung eines Versicherten, Gefahrklasse und Beitragsfuß seien ungerecht festgelegt, ohne im Einzelnen darzutun, worin die Rechtswidrigkeit liegen soll, löst keine Aufklärungspflicht des Gerichts aus. Ein Gericht braucht bloßen Vermutungen oder jedem unsubstantiierten Vorbringen der Beteiligten nicht nachzugehen.
2.Der Gefahrtarif 2007 wurde nach einer mehrjährigen Sondererhebung der Berufsgenossenschaft in der Zeitarbeit erstellt. Diese Sondererhebung hat in enger Abstimmung mit den Verbänden der Zeitarbeit zu einer neuen Aufgliederung dieser Gefahrengemeinschaft geführt. Wegen teils neuer Zuordnung von Überlassungen nach Maßgabe neuer Definitionen für die beiden Gefahrklassen ist der neue Gefahrtarif mit dem bisher geltenden nicht vergleichbar.
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 29. September 2009 wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert wird auf 58.986,81 Euro festgesetzt.



Tatbestand:


Die Beteiligten streiten um die Veranlagung der Klägerin zum Gefahrtarif der Beklagten ab dem Jahre 2007 und die Beiträge der Klägerin für das Jahr 2007.

Die Klägerin betreibt ein Unternehmen der gewerbemäßigen Arbeitnehmerüberlassung und ist Mitglied der Beklagten. Das Unternehmen besteht seit 1976.

Mit Schreiben vom 26.06.2007 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass ab 01.01.2007 ein neuer Gefahrtarif gelte. In den vergangenen vier Jahren war in Zusammenarbeit mit den Verbänden der Zeitarbeitsunternehmen, dem Bundesverband Zeitarbeit Personaldienstleistungen e.V., dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e.V. und dem Arbeitgeberverband mittelständischer Personaldienstleister e.V. die Gefahrtarifstelle "Zeitarbeitsunternehmen" untersucht worden. Die Vertreterversammlung der Beklagten beschloss am 14.12.2006 ein von allen Verbänden akzeptiertes Modell. Als Ergebnis wurde ab 01.01.2007 eine andere Aufteilung der Tätigkeiten bzw. Beschäftigungsbereiche der Zeitarbeitnehmer und des Stammpersonals vorgenommen. Der Gefahrtarif wies für den Bereich der Zeitarbeitsunternehmen im neuen Gefahrtarif eine Gefahrtarifstelle mit mehreren Gefahrklassen aus.

Gefahrtarifstelle 31 Zeitarbeitsunternehmen
- Gefahrtarifstelle 31.1: Beschäftigte in Dienstleistungsbereichen sowie Stammpersonal Gefahrklasse 0,86
- Gefahrtarifstelle 31.2: Beschäftigte in allen anderen Bereichen Gefahrklasse 8,54.

Der neue Gefahrtarif galt ab dem 01.01.2007. Er trat an die Stelle des alten vom 01.01.2001.

Mit Bescheid vom 27.06.2007 veranlagte die Beklagte die Klägerin mit Wirkung ab 01.01.2007 nach dem ab diesem Zeitpunkt geltenden Gefahrtarif der Beklagten (Gefahrtarif 2007). Hiergegen legte die Klägerin am 19.07.2007 Widerspruch ein. Nach dem ab 01.01.2007 gültigen Gefahrtarif habe es nun augenscheinlich für die Zeitarbeitsunternehmen mit der Veranlagung zur Gefahrtarifstelle 31.2 (nicht Dienstleistungsbereich) im Vergleich zu den Gefahrtarifen 1998 und 2001 eine Absenkung der Gefahrklasse von bislang 10,66 auf 8,54 gegeben. Diese Absenkung hätte jedoch wesentlich höher sein müssen, da die Unfallzahlen in der Zeitarbeitsbranche nach Angaben der Beklagten gesunken seien. Ob sich hierdurch eine Beitragsentlastung für die Zeitarbeitsunternehmen ergebe, werde sich erst durch die Beitragsbescheide 2007 zeigen. Sofern es hier zu einer Steigerung des Beitragsfußes von ca. 20 % käme, wäre die vermeintliche Entlastung durch die gesunkene Gefahrklasse von ca. 20 % nicht mehr gegeben. Wiederum sei bei der Gefahrtarifstelle 31.2 nicht berücksichtigt, welcher Gefährdungsgrad bei dem Unternehmen vorliege. Es seien weitere Untergliederungen nach Tätigkeitsgruppen vorzunehmen. So liege der Anteil der Entschädigungsleistungen für Hilfsarbeiter an den Gesamtschädigungsleistungen in der Zeitarbeit bei 42,22 %. Hiernach hätte zumindest für den Bereich der Hilfsarbeiter eine gesonderte Veranlagung erfolgen müssen. Diese nicht gesonderte Veranlagung habe nämlich dazu geführt, dass die Gefahrklasse im Nichtdienstleistungsbereich weiterhin mit 8,54 sehr hoch sei.

Nach dem ab 01.01.2007 geltenden Gefahrtarif sei es wiederum für die Klägerin nicht möglich, einen entsprechenden Beitragsnachlass zu erhalten, wenn sie wegen abweichender Betriebsweise oder abweichender Betriebseinrichtungen verhältnismäßig geringen Unfallgefahren unterliege. Die in Teil 1 des ab 01.01.2007 geltenden Gefahrtarifs festgesetzten Gefahrklassen geben nur die durchschnittlichen Versicherungsrisiken der Tarifstellen wieder. Das Beitragsausgleichsverfahren bewirkte hingegen eine dem konkreten betrieblichen Unfallgeschehen angepasste Beitragsdifferenzierung.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 26.11.2007 insbesondere unter Hinweis auf die dazu bereits vorliegende höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 24.06.2003 (Az.: B 2 U 21/02 R) und 24.02.2004 (Az.: B 2 U 31/03 R) und des Bundesverfassungsgerichts vom 04.07.2007 (Az.: 1 BvR 1696/03) und 19.07.2007 (Az.: 1 BvR 2344/04) zurück.

Mit Bescheid vom 21.04.2008 erhob die Beklagte den Beitrag für das Jahr 2007 unter Zugrundelegung dieses Gefahrtarifs. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde damit begründet, dass die Beitragsbelastung der Zeitarbeitsfirmen z.B. gegenüber denen der Banken und Versicherungen ein deutliches Missverhältnis zeige. Mit Widerspruchsbescheid vom 11.07.2008 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 26.11.2007 erhob die Klägerin am 27.12.2007 Klage beim Sozialgericht München (Az.: S 24 U767/07). Gegen den Widerspruchsbescheid vom 11.07.2008 wurde am 14.08.2008 ebenfalls Klage beim Sozialgericht München erhoben (Az.: S 24 U 468/08).

Hinsichtlich des Veranlagungsbescheids vom 27.06.2007 wurde die Klage damit begründet, dass in dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht nach einer Fragebogenaktion bekannt geworden sei, dass bei der Beklagten die Banken und Versicherungen eine Beitragsbelastung in der Größe von etwa 0,11 % der Lohnsumme zu tragen hätten. Für die Zeitarbeitsunternehmen betrage die Beitragslast nach wie vor etwa 4,5 % der Lohnsumme. Dieses Missverhältnis zeige, dass die Beitragsbelastung der Zeitarbeitsunternehmen unverhältnismäßig sei.

Die Beklagte wies darauf hin, dass die Streitpunkte:
- Zuständigkeit der VBG für Zeitarbeitunternehmen
- Veranlagung der Zeitarbeitsunternehmen zu (nur) zwei Gefahrtarifsstellen
- Qualität des den Gefahrtarifen zugrunde liegenden Datenmaterials
- Erhebung der sogenannten Rentenaltlastumlage von Zeitarbeitsunternehmen
- Beitragserhebung der Zeitarbeitsunternehmen
- Beschränkung auf ein reines Beitragszuschlagsverfahren ohne Beitragsnachlass oder Prämienverfahren
höchstrichterlich entschieden seien.

Daraufhin ergänzte der Klägerbevollmächtigte sein Vorbringen dahingehend, dass gegen die Beklagte strafrechtliche Ermittlungen im Gange seien. Die Beklagte wies den Vorwurf zurück, in vorangegangenen gerichtlichen Verfahren gefälschte Unterlagen vorgelegt oder falsche Aussagen gemacht zu haben.

Mit Beschluss vom 09.09.2009 verband das Sozialgericht die Verfahren gegen den Veranlagungsbescheid und gegen den Beitragsbescheid zur gemeinsamen Entscheidung.

Mit Gerichtsbescheid vom 29.09.2009 wies das Sozialgericht die Klagen ab. Das Landgericht Hamburg habe am 13.02.2009 (Az.: 324 O 601/08) entschieden, dass die von der Klägerin behaupteten vorsätzlichen Manipulationen bei der Beitragsberechnung jeder objektiv fassbaren Grundlage entbehrten. Die Pflichtversicherung sei nicht europarechtswidrig, weil Art.49 EG und 50 EG dahingehend auszulegen seien, dass sie einer Pflichtmitgliedschaft des Arbeitgebers bei der Beklagten zum Zwecke der Versicherung gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten nicht entgegenstehen (vgl. Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 05.03.2009 Az.: C-350/07). Nach all dem sei der Beitragsbescheid für das Umlagejahr 2007 nicht zu beanstanden.

Gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 29.09.2009 hat die Klägerin am 11.11.2009 Berufung eingelegt. Mit dem Klagebegehren würden nicht mehr die Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Beitragsveranlagung, wie insbesondere die Bildung der Gefahrtarifstellen, die Umlage der DDR-Altlasten oder auch die Vereinbarungen mit dem Profifußballsport weiter verfolgt. Diese Fragen seien zwischenzeitlich höchstrichterlich entschieden und damit auch für den vorliegenden Rechtsstreit erledigt. Nach wie vor sei allerdings die Frage der Gefahrklassenberechnung streitig sowie auch des jeweils der Beitragsforderung zugrunde gelegten Beitragsfußes. Es bleibe bei den Vorwürfen gegenüber der Beklagten, dass durch die Gefahrtarifumstellung seinerzeit
600.000.000,00 DM zu viel eingenommen worden seien und nicht ordnungsgemäß verbucht worden seien. Die Beitragserhebung auf der Grundlage der Gefahrtarife sei offensichtlich völlig falsch. Zeuge hierfür sei Dr.J ... Das Bundesversicherungsamt habe zwar die Jahresabschlüsse und auch die jeweiligen Gefahrtarife ohne Einschränkung genehmigt. Diese Genehmigungen seien jedoch erschlichen worden. Ordnungsgemäßes Material zur Berechnung der Gefahrklassen habe es auch für den Gefahrtarif 1998 wie in den Vorjahren nicht gegeben. Das gelte auch für den Gefahrtarif 2001. Beide seien das Ergebnis von Schätzungen. Die Entschädigungslasten lägen noch unter einem Viertel des Beitragsaufkommens. Bei einer Gefahrklasse von 8,54 und einem Beitragsfuß von 4,3 errechne sich ein durchschnittliches jährliches Beitragsaufkommen dieser Tarifstelle in Höhe von 141.686.000,00 EUR. Die Entschädigungslasten hätten im Vergleich dazu durchschnittlich in den Jahren 2003 bis 2005 bei 32.937.413,00 EUR jährlich betragen.

Die Staatsanwaltschaft D. sowie die Staatsanwaltschaft B. haben die Ermittlungen gegen die Beklagte eingestellt.

Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 29.09.2009 sowie den Veranlagungsbescheid der Beklagten vom 27.06.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.11.2007 sowie den Beitragsbescheid der Beklagten vom 21.04.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.07.2008 aufzuheben, hilfsweise wiederholt er seine Beweisanträge aus den Schriftsätzen vom 14.12.2009 und 20.09.2011.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht München die Klagen abgewiesen.

Die Klage richtet sich gegen den Veranlagungs- und Beitragsbescheid.
Rechtsgrundlage für den Veranlagungsbescheid ist § 159 Abs.1 Satz 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII). Danach hat der Unfallversicherungsträger die Unternehmen für die Tarifzeit nach dem Gefahrtarif zu den Gefahrklassen zu veranlagen. Rechtsgrundlage für den Beitragsbescheid ist § 168 SGB VII.

Die von den Unternehmen allein aufzubringenden Beiträge berechnen sich nach dem Finanzbedarf der Berufsgenossenschaften, den Arbeitsentgelten der Versicherten und dem in der Gefahrklasse zum Ausdruck kommenden Grad der Unfallgefahr im Unternehmen (§§ 153 Abs.1, 157 Abs.1 Satz 2 SGB VII). Um eine Abstufung der Beiträge nach dem Grad der Unfallgefahr zu ermöglichen, muss jede Berufsgenossenschaft einen Gefahrtarif aufstellen und diesen nach Tarifstellen gliedern, denen jeweils eine aus dem Verhältnis der gezahlten Leistungen zu den Arbeitsentgelten errechnete Gefahrklasse zugeordnet ist. In den Tarifstellen sind unter Berücksichtigung eines versicherungsmäßigen Risikoausgleichs Gruppen von Unternehmen oder Tätigkeitsbereiche mit gleichen oder ähnlichen Gefährdungsrisiken zu Gefahrgemeinschaften zusammenzufassen (§ 157 Abs.1 bis Abs.3 SGB VII).

Der Gefahrtarif ist vom Unfallversicherungsträger als autonomes Recht festzusetzen. Das Bundessozialgericht (BSG) hat in seinem Urteil vom 24.06.2003 (B 2 U 21/02 R, SozR 4-2700, § 157 Nr.1) entschieden, dass bei der Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das SGB VII keine grundlegende Neuregelung des Beitragsrechts erfolgt ist. Es ist vielmehr im Wesentlichen das zuvor geltende Recht der Reichsversicherungsordnung (RVO) übernommen worden. Neu ist jedoch die Vorschrift über die Bildung der Gefahrtarifstellen in § 157 Abs.2 Satz 1 SGB VII, die die Kriterien benennt, nach denen der Gefahrtarif aufzustellen ist.

Das Bundessozialgericht hat weiter ausgeführt, dass der Gefahrtarif nur darauf überprüfbar ist, ob er mit dem Gesetz, das die Ermächtigungsgrundlage beinhaltet, also dem SGB VII, und mit sonstigem höherrangigen Recht vereinbar ist. Als gesetzliche Vorgaben sind die in §§ 152 ff., 157, 162 SGB VII zum Ausdruck kommenden Zielvorstellungen und Wertentscheidungen sowie die tragenden Grundsätze des Unfallversicherungsrechts zu beachten. Die Prüfung, ob der Gefahrtarif die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Regelung trifft, ist nicht Aufgabe der Gerichte. Aufgrund dieser eingeschränkten gerichtlichen Überprüfungsbefugnis kann nicht jeder Fehler Beachtung finden. Die Bildung des Gefahrtarifs muss aber auf gesichertem Zahlenmaterial fußen und versicherungsmathematischen Grundsätzen entsprechen. Denn Veranlagungs- und Beitragsbescheide sind eingreifende Verwaltungsakte, die nur auf einer klaren rechtlichen und tatsächlichen Grundlage erlassen werden dürfen (BSG, a.a.O., Rdnr.21).

Der Bevollmächtigte der Klägerin hat in seinem Schriftsatz vom 14.12.2009 ausgeführt, dass die Gefahrtarifstellen selbst nicht mehr Gegenstand des Verfahrens sind. Nach wie vor streitig ist die Frage der Gefahrklassenberechnung sowie auch des jeweils der Beitragsforderung zugrunde gelegten Beitragsfußes. Als Argument, dass sowohl die Gefahrklassenberechnung als auch der der Beitragsforderung zugrunde gelegte Beitragsfuß nicht rechtmäßig sind, führt der Bevollmächtigte der Klägerin die seinerzeit zu viel eingenommenen Gelder in Höhe von 600.000.000,00 DM und deren nicht ordnungsgemäße Verbuchung und zum anderen auch das fehlerhafte Datenmaterial an, das bei der Berechnung der Gefahrklassen zugrunde gelegt wurde.

Der Gefahrtarif 2007 ist jedoch nicht rechtswidrig, weil die Gefahrtarifstelle 31.1 mit der Gefahrklasse 0,86 und die Gefahrtarifstelle 31.2 mit der Gefahrklasse 8,54 fehlerhaft festgestellt ist. Hierfür ergeben sich Anhaltspunkte weder nach Lage der Akten noch nach dem Vorbringen der Klägerin. Die Behauptung der Klägerin, infolge des Urteils des Bundessozialgerichts vom 18.10.1994 (2 RU 6/94) seien Mehreinnahmen in Höhe von 600.000.000,00 DM entstanden, die bei der Bestimmung der Gefahrklassen hätten berücksichtigt werden müssen, hat keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit der Bildung der Gefahrklassen im Gefahrtarif 2007. Deshalb war auch den Beweisanträgen, die hilfsweise gestellt wurden, nicht stattzugeben. Es ist Sache des einzelnen Prozessbeteiligten, dem Gericht den Sachverhalt, aus dem er die für ihn günstigen Rechtsfolgen herleiten will, vollständig und richtig darzulegen. Es ist hier aber gerade nicht dargelegt worden, wie die angeblich nicht ordnungsgemäß verbuchten 600.000.000,00 DM sich auf den Gefahrtarif 2007 auswirken sollen (zum Gefahrtarif 2001 bereits: LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29.06.2010, Az.: L 3 U 261/08).

Nach § 157 Abs.3 SGB VII werden die Gefahrklassen aus dem Verhältnis der gezahlten Leistungen zu den Arbeitsentgelten berechnet. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 15.04.2003; Az.: B 2 U 31/03 R) kein reiner Rechenakt. Es handelt sich vielmehr um einen Zusammenfluss rechnerischer und wertender bzw. gewichtender Faktoren. Aufgrund der eingeschränkten Überprüfungsbefugnis der Gerichte bei Gefahrtarifen kann nicht jeder Fehler bei der Aufteilung der Lohnsummen oder Unfalllasten Beachtung finden, andererseits muss das Zahlenmaterial als solches gesichert sein. Konkrete Einwände gegen das der Berechnung zugrunde liegende Zahlenmaterial wurden nicht gemacht. Im Wesentlichen führt der Bevollmächtigte der Klägerin aus, dass die Beklagte die Daten manipuliert habe, ohne zwischen den einzelnen Gefahrtarifen und den einzelnen maßgeblichen Daten zu unterscheiden. Die Frage der behaupteten Mehreinnahmen aus dem Jahre 1995 kann grundsätzlich aber nur die Beitragsberechnung beeinflussen, nicht die Gefahrklassenberechnung nach § 157 Abs.3 SGB VII. Allerdings bleibt unklar, wie die Mehreinnahmen aus dem Jahre 1995 auf die Veranlagung 2007 und 2008 sowie die Beitragserhebung 2007 Einfluss haben könnten.

Der Bevollmächtigte der Klägerin stellt weiter in den Raum, dass die Entgelt- und Versicherungssummen für drei Jahre 11.575.000.000,00 EUR betragen. Durchschnittlich berechnet beliefen sich also die Entgelt- und Versicherungssummen pro Jahr auf etwa 3.858.000.000,00 EUR. Bei einer Gefahrklasse von 8,54 und einem Beitragsfuß von 4,3 errechne sich ein durchschnittliches jährliches Beitragsaufkommen dieser Tarifstelle in Höhe von 141.686.000,00 EUR. Die Entschädigungsleistungen lagen im Vergleich dazu durchschnittlich in den Jahren 2003 bis 2005 bei 32.937.413,00 EUR. Damit ist jedoch nicht bewiesen, dass die Beklagte gegen höherrangiges Recht verstößt.

Diese Argumentation beruht auf einer Verkennung des Versicherungsrisikos. Der Vergleich von erhaltenen Leistungen zum bezahlten Beitrag berücksichtigt nicht das in der Sozialversicherung vom Solidargedanken getragene Versicherungsprinzip (siehe bereits BSG vom 24.06.2003, a.a.O.; hierzu BVerfG vom 03.07.2007, SozR 4-2700, § 157 Nr.3). Die Klägerin zahlt ihre Beiträge nicht für ihre eigenen Unfälle, sondern sie trägt solidarisch die Leistungen an andere Versicherte mit. Die Berufsgenossenschaften können grundsätzlich zu den Beiträgen, die der Deckung der im abgelaufenen Geschäftsjahr entstandenen Aufwendungen dienen, neben einem möglichen Rücklagezuschlag und Aufwendungen für Präventionsleistungen, Altlasten und allgemeine Kosten der Verwaltung in ihre Umlage auch Beträge für künftig entstehende Aufwendungen einstellen und auf diese Weise Betriebsmittel ansammeln. Welches Verfahren von der Berufsgenossenschaft gewählt wird, liegt in ihrem Ermessen. Eine Rücklage soll die langfristige Leistungsfähigkeit der Berufsgenossenschaften, deren Beitragsaufkommen konjunkturabhängig ist, sicherstellen. Es muss die Fähigkeit gesichert werden, alle in der Unfallversicherung in Betracht kommenden Leistungen zu erbringen. (Bayer. Landessozialgericht vom 25.09.2002, Az.: L 18 U 11/99). Für den Gefahrtarif 2007 wurden die Unfälle des Beobachtungszeitraumes 2003 bis 2005 berücksichtigt, ferner Altlasten, Präventionsleistungen und allgemeine Kosten der Verwaltung. Dies fließt in den Beitragsfuß ein und ist, wie oben ausgeführt, nicht zu beanstanden.

Die vom Klägerbevollmächtigten angestellte Vergleichsberechnung von Entgelt und Versicherungssummen für drei Jahre und durchschnittlichem jährlichen Beitragsaufkommen sagt deshalb nichts aus über die Rechtmäßigkeit der Gefahrklassenberechnung.

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass der Gefahrtarif 2007 nicht gegen höherrangiges Recht verstößt. Zu den möglichen Grundrechtsverletzungen hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 03.07.2007 (BVerfG, a.a.O.) erschöpfend Stellung genommen. Hierzu liegen seitens des Bevollmächtigten auch keine weiteren Einlassungen vor. Auch der Vergleich der Zeitarbeitsfirmen mit den Banken und Versicherungen und deren Beitragsaufkommen kann eine Grundrechtsverletzung, insbesondere von Art.12 Grundgesetz, nicht belegen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass bei den Banken und Versicherungen im Gefahrtarif 2007 die Gefahrklasse 0,38 festgelegt war. Bei den Zeitarbeitsfirmen war im Bereich Dienstleistung die Gefahrklasse mit 0,86 angesetzt. Nur diese beiden Faktoren können bei einem direkten Vergleich berücksichtigt werden. Es ist von Seiten des Klägerbevollmächtigten nicht substantiiert vorgetragen worden, dass in der unterschiedlichen Behandlung der Dienstleistung bei Banken und Versicherungen und der Dienstleistung bei Zeitarbeitsunternehmen eine Grundrechtsverletzung gegeben ist.

Hinsichtlich des Beitragsbescheides ist eine weitere Prüfung nicht erforderlich, da die individuelle Beitragsberechnung nicht beanstandet wird und offensichtliche Rechenfehler nicht vorliegen.

Den hilfsweise gestellten Beweisanträgen, die vorwiegend auf Zeugeneinvernahmen gerichtet sind, war - wie dargelegt - nicht zu entsprechen.

Eine Entscheidungserheblichkeit für den hier streitigen Veranlagungs- und Beitragszeitraum ist nicht gegeben. Selbst aus dem klägerischen Schreiben vom 14.12.2009 ergibt sich, dass diese nicht den "streitgegenständlichen Veranlagungszeitraum ab 2007" (S. 22) betreffen.

Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG.

Die Streitwertfestsetzung findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 52, 63 Gerichtskostengesetz (GKG). Der Streitwert errechnet sich aus den Beiträgen für die Jahre 2007 und 2008 zuzüglich der halben Beitragsschuld. (17.970,04 EUR + 21.354,50 EUR = 39.324,54 EUR: 2 = 19.662,27 EUR). Der Streitwert beträgt damit 58.986,81 EUR (39.324,54 EUR + 19.662,27 EUR).

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor. Insbesondere wird auf die zitierte Entscheidung des BSG vom 24.06.2003 (BSG, a.a.O) Bezug genommen.
Rechtskraft
Aus
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