L 7 AS 811/11 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 13 AS 2439/11 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 811/11 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Leistungsausschluss Studenten
Ein "besonderer Härtefall" nach § 27 Abs. 4 SGB II besteht nicht bereits dann, wenn das Studienende kurz bevorsteht und der Student von Beginn des Studiums an kein BAföG erhalten hat.
Wenn Vermögen zur Verfügung steht, mit dem der Lebensunterhalt bestritten werden kann (hier Kapitallebensversicherung), liegt kein besonderer Härtefall vor. Es kommt nicht darauf an, ob es sich dabei um Schonvermögen nach § 12 SGB II handelt.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom
7. Oktober 2011 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Der Antragstellerin zu 1) wird für das Beschwerdeverfahren antragsgemäß Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt B. beigeordnet. Der Antrag des Antragstellers zu 2) auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.



Gründe:


I.

Streitig ist, ob der Antragstellerin trotz ihres Universitätsstudiums weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Form eines Darlehens zu gewähren sind.

Die 1967 geborene Antragstellerin studiert seit einigen Jahren an der Universität in einem Zweitstudium das Fach Psychologie. Sie ist die Mutter des im Mai 2002 geborenen Antragstellers. Beide bewohnen gemeinsam eine Mietwohnung in A-Stadt, für die eine Warmmiete von 728,07 Euro monatlich zu bezahlen ist. Ein Zimmer der Wohnung ist für 360,- Euro monatlich vermietet. Zeitweise wurde im Sommer 2011 ein weiteres Zimmer vermietet. Für die freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung hat die Antragstellerin monatlich 145,64 Euro zu bezahlen. Die Antragstellerin verfügt über eine Kapitallebensversicherung, deren Rückkaufswert 18.571,- Euro beträgt, wovon 5.200,- Euro in Form eines Policendarlehens bereits ausgezahlt wurden.

Die Antragsteller erhalten vom Antragsgegner bislang monatlich 290,04 Euro, bzw. ab 01.11.2011 monatlich 295,54 Euro (zuletzt Bescheid vom 23.09.2011 für die Zeit bis Ende März 2012). Die Antragstellerin erhält lediglich 44,- Euro monatlich als Mehrbedarf für Alleinerziehen. Der Sohn erhält monatlich 251,54 Euro, wobei vom Bedarf aus Regelleistung von 251,- Euro und anerkannten Kosten für Unterkunft und Heizung von 337,04 Euro (später 342,54 Euro) das Kindergeld mit 184,- Euro und der Unterhalt von 158,- Euro abgezogen werden.

Am 28.04.2011 beantragte die Antragstellerin für sich und ihren Sohn ein Darlehen für Regelbedarfe, Unterkunft und Heizung sowie Sozialversicherung wegen besonderer Härte nach § 27 Abs. 4 SGB II. Mit Bescheid vom 02.05.2011, bestätigt mit Widerspruchsbescheid vom 20.07.2011 wurde dieser Antrag abgelehnt. Dagegen wurde zum Sozialgericht München Klage erhoben (S 13 AS 2069/11).

Am 19.09.2011 stellten die Antragsteller beim Sozialgericht München einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Nach einer vorgelegten Studienbescheinigung erfolge der voraussichtliche Studienabschluss im Sommersemester 2012. Wegen Überschreitung der Altersgrenze erhalte die Antragstellerin kein BAföG. Es liege eine besondere Härte vor, weil die Antragstellerin und ihr Sohn keinerlei finanziellen Mittel mehr verfügen würden. Ohne Darlehensleistungen könne der voraussichtliche Studienabschluss in einem halben Jahr nicht realisiert werden. Das Sozialgericht lehnte den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 07.10.2011 ab. Eine abschließende Prüfung der Erfolgsaussicht in der Hauptsache sei nicht möglich. Aufgrund einer umfassenden Güter- und Folgenabwägung sei eine Verpflichtung des Antragsgegners nicht erforderlich, um schwere und unzumutbare Nachteile für die Antragsteller zu verhindern. Es spreche vieles dafür, dass vorliegen lediglich eine "allgemeine Härte" bestehe.

Am 27.10.2011 haben die Antragsteller Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München zum Landessozialgericht eingelegt und zugleich Prozesskostenhilfe beantragt. Es sei dauerhaft lediglich ein Zimmer für 360,- Euro untervermietet. Die kurzzeitige Vermietung eines weiteren Zimmers sei ein Beleg für die besondere Notlage. Die Kapitallebensversicherung diene der Altersvorsorge.

Die Antragsteller beantragen,
den Antragsgegner zu verpflichten, der Antragstellerin zu 1) und dem Antragsteller zu 2) vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Form eines Darlehens nach § 27 Abs. 4 SGB II zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die Akte des Sozialgerichts und die Akte des Beschwerdegerichts verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, weil das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht zurückgewiesen hat.

Für die begehrte Begründung einer Rechtsposition im einstweiligen Rechtsschutz ist ein Antrag auf eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft. Der Antrag muss zulässig sein und die Anordnung muss zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen. Es muss glaubhaft sein, dass ein materielles Recht besteht, für das einstweiliger Rechtsschutz geltend gemacht wird (Anordnungsanspruch), und es muss glaubhaft sein, dass eine vorläufige Regelung notwendig ist, weil ein Abwarten auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zumutbar ist (Anordnungsgrund).

Angesichts der nach wie vor vorhandenen Kapitallebensversicherung mit einem Auszahlungswert von 13.371,- Euro sieht das Beschwerdegericht keinen Anlass, den besonderen Prüfungsmaßstab des Bundesverfassungsgerichts im einstweiligen Rechtsschutz anzuwenden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05). Schwere, unzumutbare und nicht anders abwendbare Rechtsbeeinträchtigungen bei Ablehnung des Eilantrags sind nicht erkennbar. Die Zeit bis zum Studienabschluss im Sommer 2012 können die Antragsteller mit der Versicherung überbrücken.

Im vorliegenden Fall ist ein Anordnungsanspruch nicht erkennbar.

Der im Jahr 2005 geborene Antragsteller erhält entsprechend den Vorgaben des Gesetzes Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II in Form von Sozialgeld. Er ist von dem Leistungsausschluss seiner Mutter nicht betroffen. Aus diesem Grund kann für ihn mangels Erfolgsaussicht auch keine Prozesskostenhilfe gewährt werden.

Die Antragstellerin ist aus persönlichen Gründen von Beginn ihres Zweitstudiums an von BAföG-Leistungen ausgeschlossen. Gemäß § 7 Abs. 5 SGB II ist sie als Auszubildende, deren Ausbildung dem Grunde nach im Rahmen des BAföG förderfähig ist, mit Ausnahme von § 27 SGB II von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen. Leistungen für den Mehrbedarf als Alleinerziehende erhält sie gemäß § 27 Abs. 2 SGB II. Einen Zuschuss nach § 27 Abs. 3 SGB II kann sie nicht beanspruchen, weil sie nicht bei ihren Eltern wohnt.

Darlehensleistungen nach § 27 Abs. 4 SGB II stehen der Antragstellerin nicht zu, weil der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II hier keine besondere Härte bedeutet.

Ein besonderer Härtefall, wie ihn das Bundessozialgericht im Urteil vom 01.07.2009, B 4 AS 67/08 R, Rn. 17 ff, definiert, liegt hier nicht vor. In Betracht käme allenfalls die Variante, dass wegen einer Ausbildungssituation ein Hilfebedarf entstanden ist, der nicht durch BAföG gedeckt werden kann und deswegen begründeter Anlass für die Annahme besteht, dass die kurz vor dem Abschluss stehende Ausbildung nicht beendet wird so dass damit das Risiko zukünftiger Erwerbslosigkeit droht (BSG a.a.O. Rn. 19). Die Antragstellerin hat "sehenden Auges" ein weiteres Studium begonnen, obwohl eine Förderung durch BAföG von vornherein ausgeschlossen war. Zur Zeit des Studienbeginns war auch ihr 2002 geborener Sohn schon auf der Welt. Es ist keine neue Ausbildungssituation und kein neuer Hilfebedarf entstanden. Es wurde auch nicht vorgetragen, dass in letzter Zeit eine besondere Härtesituation entstanden sei. Es ist ferner nicht erkennbar, dass das Studium nicht abgeschlossen werden könnte. Die Antragstellerin kann die vorhandene Kapitallebensversicherung für ihren Bedarf einsetzen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich dabei um Schonvermögen handelt. Die Rechtsprechung des BSG kann nicht dahingehend verstanden werden, dass die letzte Studienphase immer als besonderer Härtefall zu betrachten sei.

Prozesskostenhilfe ist nach § 73 a Abs. 1 SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) einem Antragsteller zu gewähren, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Antragstellerin bezieht laufend Arbeitslosengeld II und verfügt über Vermögen nur in Form der o.g. Kapitallebensversicherung. Vermögen ist gemäß § 115 Abs. 3 ZPO einzusetzen, soweit dies zumutbar ist. § 90 SGB XII gilt dabei entsprechend. Nach § 90 Abs. 3 SGB XII ist Vermögen nicht einzusetzen, wenn dies eine (einfache) Härte bedeuten würde. Dies wird hier bejaht, weil die Antragstellerin in diesem Beschluss darauf verwiesen wird, ihren weiteren Lebensunterhalt bis zum Abschluss ihres Studiums aus der Kapitallebensversicherung zu bestreiten. Dass das Studium dabei tatsächlich im Sommersemester 2012 erfolgreich beendet wird, steht nicht fest. Bereits an dieser Stelle wird die Antragstellerin darauf hingewiesen, dass das Gericht die Rückzahlung der Prozesskostenhilfe verlangen kann, wenn sich binnen vier Jahren die maßgeblichen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse geändert haben (§ 120 Abs. 4 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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