L 7 AS 832/11 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 51 AS 2557/11 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 832/11 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Forderungen als bereite Mittel
Ob Forderungen bereits als bereite Mittel für den Lebensunterhalt gelten, ist einzelfallbezogen zu prüfen (BSG, Urteil vom 10.05.2011, B 4 KG 1/10 R, dort Rn. 23). Es kommt darauf an, ob die Forderungen in angemessener Zeit durchgesetzt (realisiert) werden können. Hier wurde eine Hilfebedürftige Miterbin und verhindert ohne nachvollziehbaren Grund die Auseinandersetzung eines Nachlasses, aus der ihr umgehend erhebliche Auszahlungen zufließen würden.
I. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts München vom 24. Oktober 2011 abgeändert und die Verpflichtung des Antragsgegners und Beschwerdeführers auf vorläufige Leistungen für die Zeit von 01.10.2011 bis 31.12.2011 auf die Höhe von monatlich 291,20 Euro reduziert. Auch die reduzierte Leistung steht unter der Voraussetzung, dass die Antragstellerin eine Abtretungserklärung ihrer Forderung aus dem Erbteil in der Nachlasssache Sch. in Höhe von 873,60 Euro für den Zeitraum vom 01.10.2011 bis 31.12.2011 unter Verwendung des vom Antragsgegner und Beschwerdeführer vorgelegten Vordrucks an den Beschwerdeführer abgibt.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Gründe:


I.

Streitig ist, in welchem Umfang der Antragstellerin und Beschwerdegegnerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ab 01.10.2011 zustehen, obwohl sie Miterbin eines erheblichen Vermögens wurde.

Die 1951 geborene Antragstellerin bezieht seit Jahren Arbeitslosengeld II. Sie verfügt nicht über eine eigene Wohnung und lebt in Pensionen. Im April 2011 wurde dem Antragsgegner und Beschwerdeführer bekannt, dass die Antragstellerin Miterbin eines Nachlasses geworden war und ihr von dem Rechtsanwalt, der von allen anderen Miterben mit der Nachlassabwicklung beauftragt worden war, bei Mitwirkung an der Nachlassverteilung über 300.000,- Euro angeboten wurden. Die Antragstellerin lehnte jedoch jede Mitwirkung ab.

Die Bewilligung von Arbeitslosengeld II für die Zeit ab 01.07.2011 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 27.06.2011 unter Hinweis auf vorhandenes Vermögen ab. Dagegen wurde Widerspruch erhoben. Im Juli 2011 stellte die Antragstellerin beim Sozialgericht München einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Mit Beschluss vom 26.07.2011, Aktenzeichen S 19 AS 1688/11 ER, verpflichtete das Sozialgericht den Antragsgegner, der Antragstellerin vom 05.07.2011 bis 30.09.2011 vorläufig Leistungen in Höhe von 761,62 Euro monatlich zu gewähren unter der Voraussetzung, dass die Antragstellerin eine Abtretungserklärung für die Forderung aus ihrem Erbteil in Höhe von 2206,24 Euro an den Antragsgegner abgebe. Die Höhe der Leistung setze sich aus 80 % des Regelbedarfs und den Kosten der Unterkunft zusammen. Die gegen diesen Beschluss eingelegte Beschwerde wurde vom Landessozialgericht mit Beschluss vom 23.11.2011 (L 7 AS 682/11 B ER) zurückgewiesen.

Am 16.09.2011 beantragte die Antragstellerin die Weitergewährung von Leistungen ab 01.10.2011. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 22.09.2011 erneut wegen mangelnder Hilfebedürftigkeit abgelehnt. Sie habe es in der Hand, durch ihre Mitwirkung an der Erbauseinandersetzung ihre Notlage zu beseitigen. Dagegen legte die Antragstellerin Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden wurde.

Am 30.09.2011 stellte die Antragstellerin beim Sozialgericht München einen erneuten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Das Einkommen aus der Erbschaft sei ihr noch nicht zugeflossen. Sie müsse bei der vom Rechtsanwalt betriebenen Erbauseinandersetzung nicht mitwirken. Mit Beschluss vom 24.10.2011 erpflichtete das Sozialgericht den Antragsgegner der Antragstellerin für die Zeit von 01.10.2011 bis 31.12.2011 vorläufig Leistungen zur Sicherung des ebensunterhalts in Höhe von 769,62 Euro monatlich zu gewähren unter der Voraussetzung, dass die Antragstellerin eine Abtretungserklärung ihrer Forderung aus ihrem Erbteil in der Nachlasssache in Höhe von 2308,86 Euro für den Zeitraum vom 01.10.2011 bis 31.12.2011 unter Verwendung des vom Antragsgegner vorgelegten Vordrucks an den Antragsgegner abgibt. Die monatliche Leistung setze sich aus 80 % des Regelbedarfs (291,20 Euro) und den Unterkunftskosten (478,42 Euro) zusammen.

Der Antragsgegner hat am 27.10.2011 Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München eingelegt. Der angefochtene Beschluss gehe von falschen Voraussetzungen aus. Ab 01.10.2011 halte sich die Beschwerdegegnerin nicht mehr in der Pension in A-Stadt auf. Leistungen für die Unterkunft seien deshalb nicht zu gewähren.

Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin teilte mit Schreiben vom 09.11.2011 mit, dass sie sich erst mit den Beschluss des Sozialgerichts auseinandersetzen müsse und Rechtsauskünfte einholen müsse. Sie wolle einen Rechtsanwalt einschalten, dann habe das Gericht auch eine zustellfähige Anschrift. Ein Mietvertrag oder Rechnungen könnten erst in circa zwei Wochen eingereicht werden. Mit Schreiben vom 17.11.2011 beantragte die Antragstellerin eine Fristverlängerung um zwei Wochen. Entgegen der Aufforderung des Beschwerdegerichts teilte die Antragstellerin ihre tatsächliche Anschrift nicht mit und legte keine Nachweise zu Unterkunftskosten vor.

Der Antragsgegner und Beschwerdeführer beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts München vom 24.10.2011 abzuändern, der Antragstellerin vom 01.10.2011 bis 31.12.2011 Leistungen nach dem SGB II vorläufig in Höhe von monatlich 291,20 Euro zu gewähren unter der Voraussetzung, dass die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin eine Abtretungserklärung ihrer Forderung aus ihrem Erbteil in der Nachlasssache in Höhe von 874,80 Euro für den Zeitraum vom 01.10.2011 bis 31.12.2011 unter Verwendung des vom Antragsgegner vorgelegten Vordrucks an den Beschwerdeführer abgibt.

Die Beschwerdegegnerin stellte keinen Antrag.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die Akte des Antragsgegners, die Akte des Sozialgerichts und die Akte des Beschwerdegerichts verwiesen, ebenso auf die Akte zum Eilverfahren L 7 AS 682/11 B ER.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Beschwerde ist auch begründet. Da keinerlei Unterkunftskosten nachgewiesen oder auch nur glaubhaft gemacht wurden, bestand kein Anlass, den Antragsgegner zur Übernahme dieser Kosten vorläufig zu verpflichten.

Für die begehrte Begründung einer Rechtsposition im einstweiligen Rechtsschutz ist ein Antrag auf eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft. Der Antrag muss zulässig sein und die Anordnung muss zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen. Es muss glaubhaft sein, dass ein materielles Recht besteht, für das einstweiliger Rechtsschutz geltend gemacht wird (Anordnungsanspruch), und es muss glaubhaft sein, dass eine vorläufige Regelung notwendig ist, weil ein Abwarten auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zumutbar ist (Anordnungsgrund).

Es ist nicht glaubhaft, dass ein Anordnungsanspruch für die Kosten der Unterkunft besteht. Trotz Aufforderung des Beschwerdegerichts mit Schreiben vom 02.11.2011 hat es die Antragstellerin nicht für nötig befunden, ihre tatsächliche neue Anschrift bekanntzugeben und Nachweise zu den tatsächlichen Unterkunftskosten vorzulegen. Vor diesem Hintergrund kann eine Verpflichtung des Antragsgegners zu Erbringung von Leistungen für die Kosten der Unterkunft nicht aufrechterhalten werden.

Weil weitere Eilverfahren absehbar sind, wird die Antragstellerin darauf hingewiesen, dass das Bundssozialgericht in einer neueren Entscheidung (Urteil vom 10.05.2011, B 4 KG 1/10 R, dort Rn. 23) festgestellt hat, dass einzelfallbezogen geprüft werden muss, ob bereite Mittel zur Verfügung stehen. Zur Realisierung von Forderungen hat das BSG ausgeführt, dass diese zum zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen zählen, wenn sie in angemessener Zeit ("rechtzeitig") durchzusetzen sind. Hier ist es geradezu umgekehrt: Die Antragstellerin wehrt sich aus nicht nachvollziehbaren Gründen "mit Händen und Füßen" dagegen, dass der Nachlass auseinandergesetzt werden kann und der Rechtsanwalt, der sie in mühevoller Forschungsarbeit als Miterbin ausfindig gemacht hat und dem sie anscheinend allein verdankt, dass sie überhaupt Miterbin wurde, ihr sofort 10.000,- Euro und später noch wesentlich höhere Beträge auszahlen kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Die Beschwerdegegnerin ist unterlegen, der Beschwerdeführer erhält als Behörde keinen Kostenersatz.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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