Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 30 VG 21/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 VG 21/10
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Beweiserleichterung des § 15 KOV-VfG kommt erst dann zum Zug, wenn andere Beweismittel objektiv nicht vorhanden sind und der Betroffene diesen Beweisnotstand nicht verschuldet hat. Diese Anwendungsvoraussetzungen für § 15 KOV-VfG müssen mit Vollbeweis erwiesen sein.
2. Bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit im Rahmen von § 1 Abs. 1 SAtz 1 OEG bewirkt die prüfungstechnische Besonderheit, dass die Rechtswidrigkeit nicht positiv, sondern negativ über den Ausschuss von Rechtfertigungsgründen festgestellt wird, keine Umkehr der objektiven Beweislast.
3. Die Unaufklärbarkeit der Frage, ob ein Ausnahmetatbestand im Sinn von § 2 OEG vorliegt, geht - und zwar hinsichtlich aller Tatbestandsvoraussetzungen - grundsätzlich zu Lasten des Versorgungsträgers. Unter besonderen Umständen kommt jedoch zu einer Umkehr der objektiven Beweislast.
2. Bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit im Rahmen von § 1 Abs. 1 SAtz 1 OEG bewirkt die prüfungstechnische Besonderheit, dass die Rechtswidrigkeit nicht positiv, sondern negativ über den Ausschuss von Rechtfertigungsgründen festgestellt wird, keine Umkehr der objektiven Beweislast.
3. Die Unaufklärbarkeit der Frage, ob ein Ausnahmetatbestand im Sinn von § 2 OEG vorliegt, geht - und zwar hinsichtlich aller Tatbestandsvoraussetzungen - grundsätzlich zu Lasten des Versorgungsträgers. Unter besonderen Umständen kommt jedoch zu einer Umkehr der objektiven Beweislast.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom
21. Oktober 2010 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten wegen Versorgung nach dem Opferentschädigungsrecht.
Der inzwischen 38-jährige Kläger ist turkmenischer Staatsangehöriger. Er verfügt über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis in Deutschland.
Der Kläger behauptet, im November 2008 von ihm unbekannten Tätern in C-Stadt in unmittelbarer Nähe des Freibads verprügelt worden zu sein. Der Polizei wurde dieser Vorfall erstmals am 09.11.2008 bekannt. Die Leiterin der Diakonie C-Stadt, wo der Kläger damals wohnte, meldete am 09.11.2008 gegen 13.15 Uhr bei der C. (PI), in der Diakonie befänden sich zwei verletzte Bewohner, die offensichtlich zusammengeschlagen worden seien, aber nichts sagen wollten. Die beiden offensichtlich zusammengeschlagenen Personen waren zum Einen der Kläger, zum Andern der russischstämmige A. S. (S). S ist wegen Drogendelikten strafrechtlich verurteilt und gegenwärtig im I.-Klinikum G. wegen seiner massiven Drogenabhängigkeit untergebracht; die Unterbringung ist auf der Grundlage von § 64 des Strafgesetzbuchs erfolgt. Bei der Leiterin der Diakonie handelte es sich um Frau S. P. (P).
Der Meldung bei der PI durch P ging folgender Sachverhalt voraus: Am Samstag, dem 08.11.2008, rief S sehr früh beim Bereitschaftsdienst der Diakonie (Frau G.) an und erklärte, er benötige einen Arzt. Frau G. traf S in dessen Wohngemeinschaft verletzt an. S gab an, einen Unfall gehabt zu haben. Danach wurde er ambulant medizinisch behandelt. Am Sonntag, dem 09.11.2008, schaute sich Frau G. nach S um. Dieser empfahl ihr, sie solle doch auch nach dem Kläger sehen. Der Kläger lebte in einer anderen Wohngemeinschaft als S. Frau G. fand das Wohnzimmer der Wohngemeinschaft des Klägers in einem sehr wüsten Zustand vor. Daraufhin verständigte sie P, die sich dann vor Ort ein Bild machte und die Polizei verständigte.
Die Polizei begab sich nach dem Anruf der P zur Diakonie und vernahm den Kläger und S. Beide gaben damals an, sie seien in der Nacht im Verlauf eines Streits von drei Personen zusammengeschlagen worden; der genaue Ort der Tat sei ihnen nicht erinnerlich. Weitere Angaben über den Vorfall wollten beide nicht machen, weil sie Angst vor weiteren noch massiveren Übergriffen hätten, wenn sie vor der Polizei aussagten. Beide wollten keine Anzeige erstatten, für sie sei der Fall erledigt. Außerdem wüssten beide nichts, weil sie stark betrunken gewesen seien. Nach der Aufnahme des Falls durch die PI begab sich der Kläger in das Klinikum C-Stadt, wo er sich bis 11.11.2008 befand. Bei der Auseinandersetzung hatte er sich eine Gehirnerschütterung, multiple Prellungen sowie eine Nasenbeinfraktur zugezogen.
Im schriftlichen Bericht der PI vom 10.11.2008 ist die Vermutung des Bearbeiters festgehalten, zwischen den Geschädigten und weiteren russischstämmigen Personen sei es nach reichlich Alkoholkonsum zu einem Streit gekommen, in dessen Verlauf der Kläger und S zusammengeschlagen worden seien. Die PI bezeichnete die Ängste der beiden vor weiteren Übergriffen als berechtigt.
Ein wegen gefährlicher Körperverletzung eingeleitetes staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wurde eingestellt, weil die Täter nicht ermittelt werden konnten.
Am 17.02.2009 stellte der Kläger einen Antrag auf Versorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG). In dem Antragsformblatt, das beim Beklagten am 27.04.2009 einging, gab er an, die Gewalttat habe sich am 09.11.2008 zwischen 22 und 23 Uhr auf offener Straße in C-Stadt in unmittelbarer Nähe des Freibads zugetragen; dazu reichte der Kläger eine von ihm gezeichnete Skizze zum Ort des Vorfalls ein. In der Dunkelheit habe er von mehreren Personen starke Schläge einstecken müssen. Er habe die Täter nicht erkannt, weswegen er keine Strafanzeige erstattet habe. Als Schädigungsfolgen machte der Kläger eine Gehirnerschütterung und eine depressive Episode geltend.
Der Beklagte lehnte den Versorgungsantrag mit Bescheid vom 23.07.2009 ab. Er begründete dies damit, ein rechtswidriger tätlicher Angriff habe nicht nachgewiesen werden können. Der Vollständigkeit halber werde darauf hingewiesen, dass angesichts § 2 Abs. 2 OEG ein weiterer Versagungsgrund deswegen vorliegen dürfte, weil der Kläger keine Strafanzeige erstattet habe. Dagegen legte der Kläger am 21.08.2009 Widerspruch ein mit der Begründung, er habe die notwendigen Tatsachen angegeben. Der Beklagte holte daraufhin Erkundigungen bei der Staatsanwaltschaft T. ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 25.11.2009 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück, wobei er keine neuen Begründungselemente vorbrachte. Die Ausführungen im Ausgangsbescheid zu § 2 Abs. 2 OEG, so der Beklagte, seien nicht zu beanstanden.
Am 18.12.2009 hat der Kläger beim Sozialgericht München Klage erhoben. Zur Begründung hat er lediglich vorgetragen, es habe sich nicht um einen Streit, sondern um einen Angriff gegen ihn gehandelt.
Das Sozialgericht hat medizinische Befundberichte vom Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. I. und vom Neurologen und Psychiater Dr. N. eingeholt. Dr. I., der Hausarzt des Klägers, hat seinem Befundbericht verschiedene Fremdbefunde beigelegt:
- Bericht des Klinikums C-Stadt vom 11.11.2008 zur stationären Behandlung vom 09. bis 11.11.2008;
- Bericht des Psychiaters Dr. L. an Dr. I. vom 12.11.2008 zu einer ambulanten Behandlung am 11.11.2008. Dr. L. hatte darin berichtet, der Kläger habe im Rahmen der Behandlung am 11.11.2008 gesagt, er komme gerade aus dem Krankenhaus. Er sei dort "wegen ein bisschen Schlägerei" gewesen. Zudem hatte Dr. L. geschrieben, offensichtlich - und das sei hier nicht zum ersten Mal aufgefallen - sei der Kläger immer wieder in gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt, möglicherweise bestehe eine Impulskontrollstörung;
- Arztbericht des I.-Klinikums vom 18.12.2008 über eine stationäre psychiatrische Behandlung des Klägers vom 13.11. bis 22.12.2008. Das Klinikum hat die Diagnosen rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome, vordiagnostizierter Verdacht auf Psyche aus dem schizophrenen Formenkreis genannt. Es hat geschildert, die stationäre Aufnahme sei bei erneutem Auftreten depressiver Symptomatik nach Reduktion bzw. Absetzen der Medikation erfolgt. Im Vordergrund gestanden seien niedergeschlagene Stimmung, Antriebslosigkeit und Schlafstörungen. Angaben des Klägers zu der kurz vorher stattgehabten Schlägerei sind nicht dokumentiert.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 21.10.2010 abgewiesen. Es hat dies damit begründet, es sei unklar geblieben, ob tatsächlich ein rechtswidriger Angriff einer fremden Person vorgelegen habe. Zweifel an einem unprovozierten Angriff auf den Kläger ergäben sich auch aus der ärztlichen Mitteilung, er sei häufig in tätliche Auseinandersetzungen verwickelt. Ergänzend hat das Sozialgericht mitgeteilt, es bestünden auch keine Hinweise, wonach ein Grad der Schädigung im rentenberechtigenden Bereich erreicht werden könnte.
Am 03.12.2010 hat der Kläger Berufung eingelegt. Diese hat er in erster Linie damit begründet, das Sozialgericht habe im Urteil falsche Angaben zum Sachverhalt gemacht.
Am 30.06.2011 hat ein Erörterungstermin im Beisein des Klägers stattgefunden. Dabei hat der Kläger unter anderem vorgetragen, er sei bei der Tat völlig nüchtern gewesen. Er könne bei der Vernehmung am 09.11.2008 gar nicht gesagt haben, er sei betrunken gewesen. Die PI habe ihn wohl wegen sprachlicher Probleme falsch verstanden. Außerdem sei ein Alkoholtest gemacht worden; dies müsse bei der Polizei erfragt werden können. Auch sei er bei der Vernehmung am 09.11.2008 keineswegs verängstigt gewesen. Wegen der weiteren Äußerungen des Klägers wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Daran haben sich weitere Ermittlungen des Senats angeschlossen:
- Am 12.07.2011 hat die PI dem Vorsitzenden telefonisch mitgeteilt, es lasse sich weder dem Computer noch den Akten entnehmen, dass ein Alkoholtest gemacht worden sei.
- Am 15.07.2011 hat S dem Vorsitzenden gegenüber telefonisch mitgeteilt, er habe keine Schlägerei mit dem Kläger gehabt. Beide seien getrennt voneinander (ein oder zwei Tage) zusammengeschlagen worden. Auch er, so S, sei von Unbekannten ohne Vorankündigung in Dunkelheit und ohne Worte zusammengeschlagen worden; S hat von vier Personen gesprochen, die Tat sei im Park erfolgt.
- Die PI hat sich mit Schreiben vom 22.07.2011 zu den Helligkeitsverhältnissen am vom Kläger angegebenen Tatort geäußert.
- P hat ihre Erinnerungen an den Vorfall im Schreiben vom 08.08.2011 sowie in einem anschließenden Telefonat mit dem Vorsitzenden am 09.08.2011 geschildert.
Wegen der genauen Ergebnisse dieser Ermittlungen wird auf die Akte des Bayerischen Landessozialgerichts verwiesen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 21.10.2010 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 23.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.11.2009 zu verurteilen, als Schädigungsfolgen im Sinn des Opferentschädigungsgesetzes "Kontusion" und "depressive Störung" festzustellen und Versorgung zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts, insbesondere wegen des Inhalts medizinischer Berichte und Gutachten, wird auf die Akten des Beklagten, des Sozialgerichts und des Bayerischen Landessozialgerichts verwiesen. Diese haben allesamt vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
Der Streitgegenstand umfasst das Begehren des Klägers auf Anerkennung von Schädigungsfolgen und Gewährung von Versorgung. Eine Schädigungsfolge kann schon deswegen nicht anerkannt werden, weil nicht erwiesen ist, dass der Kläger Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden ist. Unabhängig davon besteht Unklarheit darüber, ob Versagungsgründe nach § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG vorliegen, was sich (ausnahmsweise) zu Ungunsten des Klägers auswirkt.
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes, wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Über die Voraussetzung hinaus, dass der tätliche Angriff im strafrechtlichen Sinn rechtswidrig sein muss, bestimmt § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG, dass Leistungen zu versagen sind, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Antragstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren.
Zwar geht der Senat davon aus, dass der Kläger Opfer eines vorsätzlichen tätlichen Angriffs im Sinn von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG geworden ist. Nähere Erläuterungen dazu erübrigen sich. Der vom Kläger geltend gemachte Versorgungsanspruch scheitert aber daran, dass sich der Senat nicht davon hat überzeugen können, dass einerseits der tätliche Angriff rechtswidrig war (dazu unten 1.) und dass andererseits keine Versagungsgründe im Sinn von § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG gegeben sind (dazu unten 2.).
1. Fehlender Nachweis der Rechtswidrigkeit des tätlichen Angriffs
Der Beklagte und das Sozialgericht haben ihre Ablehnung darauf gestützt, eine rechtswidrige Tat sei nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwiesen. Ersichtlich haben beide Stellen eine authentische und detaillierte Rekonstruierbarkeit der Tat gefordert, um die Rechtswidrigkeit bejahen zu können. Das Sozialgericht hat diese Anforderungen damit begründet, beim Kläger bestehe aufgrund der Aussagen des behandelnden Nervenarztes ein gewisser Anfangsverdacht, dass dieser den Streit vom Zaun gebrochen und dem Gegner somit einen Rechtfertigungsgrund vermittelt habe.
Der Senat schließt sich im Ergebnis dem Beklagten und dem Sozialgericht an.
Ein tätlicher Angriff ist dann rechtswidrig, wenn Rechtfertigungsgründe im strafrechtlichen Sinn fehlen. Das Fehlen solcher rechtfertigenden Gründe muss mit dem Maßstab des Vollbeweises erwiesen sein (vgl. Weiner in: Kunz/Zellner/Gelhausen/ders., OEG, 5. Auflage 2010, § 1 Rn. 50, 53; vgl. weiter BSGE 63, 270 ). Das bedeutet, das Fehlen muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen. § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOV-VfG) verhilft dem Kläger nicht dazu, dass der weniger strenge Beweismaßstab der Glaubhaftmachung (vgl. dazu BSG SozR 3-3900 § 1 Nr. 4) greift. Diese über § 6 Abs. 3 OEG grundsätzlich anwendbare Norm (Weiner, a.a.O., § 1 Rn. 54) lautet in ihrer einschlägigen Fassung:
Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verloren gegangen sind, in der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.
§ 15 KOV-VfG kann prinzipiell auch im Hinblick auf solche Tatsachen anwendbar sein, die in Zusammenhang mit einer Schädigung stehen, welche vom OEG erfasst wird. Zwar wollte der Gesetzgeber ursprünglich nur der Beweisnot entgegenwirken, in der sich Antragsteller befanden, weil sie durch Kriegsereignisse (wie Flucht, Vertreibung, Bombenangriffe etc.) die über sie geführten Krankengeschichten, Befundberichte, Urkunden etc. nicht mehr erlangen konnten. Mit der Verweisung in § 6 Abs. 3 OEG hat der Gesetzgeber jedoch der Beweisnot derjenigen Verbrechensopfer Rechnung tragen wollen, bei denen die Tat ohne Zeugen geschehen ist und bei denen sich der Täter einer Feststellung entzogen hat, mithin andere Beweismittel als die eigenen Angaben des Betroffenen nicht zur Verfügung stehen.
Die Beweiserleichterung des § 15 KOV-VfG kommt indes erst dann zum Zug, wenn andere Beweismittel objektiv nicht vorhanden sind (Weiner, a.a.O., § 1 Rn. 55 unter Hinweis auf ein Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 05.06.2008 - L 13 VG 1/05) und der Betroffene diesen Beweisnotstand nicht verschuldet hat. Diese Anwendungsvoraussetzungen für § 15 KOV-VfG, Beweisnotstand und Fehlen von Verschulden, müssen mit Vollbeweis erwiesen sein. Im vorliegenden Fall steht zwar mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass der Kläger gegenwärtig zum Nachweis der Rechtswidrigkeit der Tat keine anderen Beweismittel zur Verfügung hat als seine eigene Aussage. An diesem Mangel an Beweismitteln trifft ihn aber mit erheblicher Wahrscheinlichkeit ein Verschulden. Denn eine sofortige Anzeige der Tat bei der Polizei hätte - unterstellt man den Tatablauf so, wie ihn der Kläger geschildert hat - bezüglich der Rechtswidrigkeit eventuell weitere Beweismittel eröffnen können. Dagegen vermag der Kläger nicht mit dem Einwand durchzudringen, es sei nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwiesen, dass eine sofortige Anzeige bei der Polizei weitere Beweismittel eröffnet hätte. Das mag zwar sein. Jedoch ist keineswegs der sichere Nachweis dieses Umstands erforderlich, um die Beweiserleichterung des § 15 KOV-VfG auszuschließen. Denn wie oben ausgeführt, greift im Gegenteil die Erleichterung zu Gunsten des Antragstellers nur dann, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwiesen ist, dass andere Beweismittel ohne dessen Verschulden fehlen - die objektive Beweislast insoweit liegt beim Kläger. Dieser Nachweis aber kann nicht erbracht werden. Denn es erscheint sehr realistisch, dass bei optimaler Mitwirkung des Klägers an der Aufklärung der Tat möglicherweise die Täter hätten gefasst werden können und sich dadurch die Rechtswidrigkeit der Tat erwiesen hätte. Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger die sofortige Hinzuziehung der Polizei unzumutbar oder gar unmöglich gewesen sein könnte, bestehen nicht. Nach Sinn und Zweck des § 15 KOV-VfG, der "Ohnmacht" des Betroffenen in Bezug auf die Beweislage abzuhelfen, erscheint es demnach im vorliegenden Fall angemessen und gerecht, die vorgesehene Erleichterung im Beweismaßstab nicht greifen zu lassen.
Andere Rechtsgründe, die eine bloße Wahrscheinlichkeit für den Nachweis genügen lassen könnten, existieren nicht (vgl. BSGE 63, 270 ). Somit bleibt es dabei, dass die Rechtswidrigkeit der Tat nach den Maßstäben des Vollbeweises erwiesen sein muss.
Zur Ermittlung dessen, ob Rechtfertigungsgründe fehlen, gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Die Beweiswürdigung des Gerichts hat sich an den individuellen Gegebenheiten des konkreten Falls zu orientieren, soweit nicht gesetzliche Beweisregeln existieren. Letzteres ist hier nicht der Fall. Generalisierungen oder typisierende Betrachtungsweisen sind daher unangebracht (vgl. für die Glaubhaftmachung nach § 15 KOV-VfG BSGE 65, 123 ). Es gibt keinen beweisrechtlichen Automatismus, dass das Fehlen von Rechtfertigungsgründen anhand von unmittelbaren Beweismitteln (z.B. Zeugenaussagen, Filmmitschnitten) nachgewiesen sein muss. Die Rechtswidrigkeit des Angriffs kann unter Umständen auch dann als erwiesen angesehen werden, wenn der genaue Tatablauf im Übrigen nicht zur Überzeugung des Gerichts feststeht. Trotz dieser für den Kläger günstigen rechtlichen Rahmenbedingungen gelingt es nicht, das Fehlen von Rechtfertigungsgründen mit dem Maßstab des Vollbeweises festzustellen. Denn zum Einen ist der Senat davon überzeugt, dass die Tatversion, die der Kläger zuletzt geschildert hat, falsch oder unvollständig ist (dazu unten a). Zum Anderen lassen die Tatumstände, die tatsächlich erwiesen sind, auch solche Geschehnisabläufe als denkbar und realistisch erscheinen, bei denen Rechtfertigungsgründe gegeben wären (dazu unten b).
a) Der Senat ist sich sicher, dass sich der Geschehnisablauf nicht so abgespielt hat, wie dies der Kläger darzustellen versucht. Nach seiner aktuellen Version sei er am 08.11.2008 - im Versorgungsantrag hatte er noch "09.11." angegeben - zwischen 22 und 23 Uhr allein beim Freibad unterwegs gewesen. S sei nicht anwesend gewesen. Es gebe keine Zeugen. Auf dem dunklen Weg neben dem Freibad hätten sich völlig unvermittelt drei Personen auf ihn gestürzt. Es sei dabei kein Wort gesprochen worden und er habe an den Personen nichts erkennen können. Im Erörterungstermin hat der Kläger lediglich undifferenziert und diffus vorgetragen, er sei nach einem Schlag zu Boden gegangen und habe am Boden liegend weitere Schläge und Tritte einstecken müssen. Die Differenzierung "Tritte" hat der Kläger allerdings erst gemacht, als er vom Vorsitzenden ausdrücklich danach gefragt worden war. Er habe dann, so der Kläger weiter, kurz das Bewusstsein verloren; als er wieder zu sich gekommen sei, seien die Personen verschwunden gewesen. Zahlreiche Aspekte lassen diese Schilderung nicht glaubhaft erscheinen:
- Der Kläger hat seine Unwissenheit in Bezug auf Tat und Täter damit begründet, seine Wahrnehmungsmöglichkeiten seien bei der Tat extrem eingeschränkt gewesen. Seine Behauptung, aufgrund völliger Dunkelheit habe er nichts erkennen können, überzeugt nicht im Ansatz. Zuzugeben ist, dass die Stelle, die der Kläger als vermeintlichen Tatort angegeben hat, in der Tat sehr dunkel ist, obwohl sie relativ zentrumsnah gelegen ist. So hat die PI sich nachts die Lichtverhältnisse vor Ort angesehen und dem Senat mitgeteilt, es sei dort absolut dunkel gewesen. Nur das Licht des nahen Freibads, so die PI, könne den Weg erhellen. Da das Freibad im November 2008 sicherlich keine Lichtquelle bot, darf man davon ausgehen, dass es zur angegebenen Tatzeit an der Stelle in der Tat sehr dunkel war. Gleichwohl glaubt der Senat dem Kläger nicht, dass wegen der Dunkelheit überhaupt nichts zu erkennen war. Zunächst ist es dem Kläger offenbar ohne weiteres gelungen, den Weg zu finden und sicher zu begehen. Bei den behaupteten Lichtverhältnissen ist es schon nicht nachzuvollziehen, dass der Kläger den gänzlich unbeleuchteten Weg überhaupt betreten hat. Denn er hätte sich bei einer derartigen Dunkelheit ja geradezu Schritt für Schritt vortasten müssen - ein sicherlich lästiges und nicht ungefährliches Unterfangen. Dieser Weg sollte nach seiner Schilderung für ihn aber eine Abkürzung sein, um von der C-Straße in die I. Straße zu kommen; diesbezüglich wird auf die Lageskizze verwiesen, die der Kläger beim Beklagten eingereicht hat. Der intendierte Zweck, den Fußweg zu verkürzen, kann aber nicht durch Benutzung eines Fußwegs erreicht werden, auf dem man nicht einmal die sprichwörtliche Hand vor den Augen sieht. Gegen die Version des Klägers, bei der Tat optisch nahezu nichts wahrgenommen zu haben, spricht auch, dass dieser nach seiner im Erörterungstermin gegebenen Schilderung aufgrund der Schläge nicht sofort bewusstlos wurde, sondern erst nach einiger Zeit - das subjektive Wahrnehmungsvermögen war damit hinreichend intakt. Dass er gleichwohl bei derart engem Körperkontakt keinerlei Sinneswahrnehmungen in Bezug auf die Täter gemacht haben will, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Immerhin weiß der Kläger definitiv, dass es genau drei Personen waren, die ihn überfallen haben sollen. Zudem waren die Täter ihrerseits ja in der Lage, den Kläger visuell zu erkennen. Schließlich erscheint wider jeglicher Vernunft, dass sich die Täter gerade an diesem völlig dunklen Weg in Position gebracht haben sollen. Nach den Einlassungen des Klägers war er rein zufälliges Opfer. Es handelte sich seiner Darstellung zufolge also um eine Bande, die ohne Grund wahllos unbescholtenen Bürgern auflauerte und der es ausschließlich und ohne Verfolgung eines weitergehenden Zwecks auf die Ausübung körperlicher Gewalt ankam, ohne dass dabei auch nur ein Wort gesprochen, nicht einmal aggressive Phrasen oder Schimpfwörter geäußert wurden. Es erscheint nicht glaubhaft, dass sich eine kriminelle Gruppe mit dieser Zielrichtung ausgerechnet an einem Weg positioniert haben soll, den wegen der extremen Dunkelheit kaum jemand benutzen würde. Eine Schlägerbande wird sich vielmehr keinen derart ungeeigneten Tatort aussuchen und mitten in der kalten Nacht "untätig" dort ausharren, bis sich vielleicht doch ein Opfer auf den Weg "verirrt".
- Nicht nur der vermeintliche Ort des Geschehens, auch der angebliche Tatablauf erscheint bizarr. Während der gesamten Gewalttätigkeiten soll nach Angaben des Klägers kein einziges Wort gesprochen worden sein. Nicht einmal ein Schimpfwort soll gefallen sein. Der Senat verfügt über genügend Lebenserfahrung, um dies als höchst ungewöhnlich zu beurteilen. Dabei hatte der Kläger gegenüber der Polizei noch den weitaus wirklichkeitsnäheren Sachverhalt geschildert, es habe Streit gegeben, dann sei es zur Schlägerei gekommen. Aktuell aber behauptet der Kläger, aus dem Nichts heraus sei er ohne Ankündigung geschlagen worden, ohne dass seitens der Täter auch nur ein einziges Wort gesprochen worden sei. Die Unglaubhaftigkeit dessen steigert sich noch dadurch, dass S dem Vorsitzenden die bei ihm vorgekommenen Gewalttätigkeiten genau in der gleichen Weise beschrieben hat. Auch bei ihm, so S, sei kein Wort gesprochen worden und er habe überhaupt nichts gesehen oder sonst wahrgenommen. Zwar unterstellt der Senat, dass S insoweit die Wahrheit gesagt hat; denn andernfalls hätte S möglicherweise persönlich als Zeuge vernommen werden müssen. Dass aber einen Tag später sich das gleiche unwirkliche Geschehen an anderem Ort mit anderem Opfer abgespielt haben soll, erscheint an den Haaren herbeigezogen.
- Gänzlich unverständlich ist, warum der augenscheinlich doch erheblich verletzte Kläger nicht sofort nach der Tat die Polizei aufgesucht hat. Auf entsprechende Fragen des Gerichts im Erörterungstermin und in der mündlichen Verhandlung hat er allenfalls sehr ausweichend geantwortet. Wenn er die Täter tatsächlich nicht erkannt haben sollte, wäre eine sofortige Verständigung der Polizei mehr als nahe liegend gewesen. Denn nach seiner Version hat der Kläger den Albtraum erlebt, "aus heiterem Himmel" völlig zufälliges und unschuldiges Opfer von gemeingefährlichen Schlägern geworden zu sein. Deshalb hätte er allen Grund gehabt, die staatliche Ordnungsmacht einzuschalten, damit diese derart zügelloser und willkürlicher Gewalt Einhalt gebieten und die Täter dingfest machen würde. Frische Spuren hätten gesichert werden und eventuell zu den Tätern führen können. Der Senat geht davon aus, dass der Kläger entweder nicht wollte, dass die Polizei von dem Vorfall erfährt, oder dass sich die Tat überhaupt nicht zu der angegebenen Zeit am angegebenen Ort abgespielt hat.
- Weder im Erörterungstermin noch in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger irgendwelche Details zu den Angriffen und Schlägen beschrieben, die dem Sachverhalt eine individuelle Note hätten geben können - und das, obwohl er seiner Schilderung zufolge die meiste Zeit der Attacke bei Bewusstsein war. Seine Einlassungen waren inhaltsleer, leblos und mehr als diffus. Die Angabe, er hätte auch Tritte einstecken müssen, hat der Kläger erst gemacht, als er vom Vorsitzenden explizit nach Tritten gefragt worden ist. Dies verkörpert ein gewichtiges Indiz dagegen, dass die Erzählung auf tatsächlich Erlebtem beruht.
- Der Kläger hatte am 09.11.2008, als er von Frau G., P und der PI angetroffen wurde, Angst vor weiteren Übergriffen, wenn er sich der Polizei anvertrauen würde. Damals wollte er sich nicht weiter äußern, während er jetzt behauptet, er könne es nicht, weil er nicht mehr als die bereits gemachten Angaben wisse. P hat schriftlich bestätigt, sowohl sie als auch Frau G. hätten den Eindruck gehabt, der Kläger habe sich gefürchtet. Auch der Bericht der PI weist eindeutig in diese Richtung; danach soll der Kläger sogar explizit gesagt haben, er befürchte weitere Übergriffe. Der Behauptung des Klägers, die PI habe unzutreffende Fakten festgehalten, denn er, der Kläger, habe keine Angst gehabt, ist durch die Äußerung von P der Boden entzogen. Sowohl deren schriftliche als auch deren telefonische Einlassung sind nach dem Rechtsgedanken von § 377 Abs. 3 der Zivilprozessordnung verwertbar, zumal der Kläger, obwohl vor und in der mündlichen Verhandlung damit konfrontiert, den Wahrheitsgehalt in keiner Weise angezweifelt hat. Solcherlei Zweifel hat er allein zum Polizeibericht angebracht. Außerdem ist erwiesen, dass der Kläger damals nichts sagen wollte; das hatte sogar P der PI mitgeteilt, als sie diese verständigt hatte. Dieser Umstand weist massiv auf Angstgefühle beim Kläger hin. Vor diesem Hintergrund erscheint die Version von den unbekannten Tätern und dem rein zufälligen Aufeinandertreffen unglaubhaft. Wäre der Vorfall nur aus Zufall und Pech heraus entstanden, hätte der Kläger keinen Anlass gehabt, aus Furcht zu dem Vorfall zu schweigen. Der Kläger kannte vielmehr seine Peiniger und wusste wohl auch, aus welchem Grund sie ihn attackiert hatten.
- Zu dieser Annahme des Senats passt auch der Umstand, dass das Wohnzimmer völlig verwüstet war. Vor allem war es überall mit roter Farbe beschmiert, die man zunächst für Blut gehalten hatte. Inmitten dieses Chaos fanden Frau G. und P den Kläger in schlechtem Gesundheitszustand vor. Dieses Bild erweckt sehr den Eindruck, es habe eine Bestrafungs- und zugleich Warnaktion für den Kläger stattgefunden. Daran ändert nichts, dass der Kläger keine Ahnung haben will, wie die Verwüstungen im Wohnzimmer zustande gekommen sind, und darauf hingewiesen hat, in der Wohngemeinschaft hätten ja noch weitere Personen gelebt. Die zeitliche Koinzidenz zwischen den Verwüstungen und dem Zustand des Klägers ist frappierend.
- Gegenüber der PI hatte der Kläger gesagt, er wisse nicht, wo die Tat stattgefunden habe; das ergibt sich aus dem Polizeibericht, dessen Schilderungen der Senat insoweit nicht anzweifelt. Das Bemühen des Klägers, den Polizeibericht zur Gänze als falsch erscheinen zu lassen, weil die PI ihn seinerzeit aufgrund seiner Probleme mit der deutschen Sprache permanent falsch verstanden habe, ist nicht von Erfolg gekrönt. Denn die telefonische Einlassung der P dokumentiert, dass damals keineswegs derart massive Verständigungsschwierigkeiten aufgrund unzureichender Deutschkenntnisse bestanden haben. P hat vielmehr gemutmaßt, Missverständnisse hätten damals dadurch entstehen können, dass der Kläger seine Ruhe vor der Polizei haben wollte und deshalb den polizeilichen Fragen nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger durchaus wusste, wo man ihn zusammengeschlagen hatte. Er hatte damals keine Amnesie, sondern wollte keine Informationen geben. In Zusammenschau mit dem verwüsteten Wohnzimmer deutet Einiges darauf hin, dass der Kläger gerade dort verprügelt worden ist.
- Die Einlassungen des Klägers harmonieren nicht mit der Art und Weise, wie sich dieser unmittelbar nach dem Vorfall seinen Psychiatern mitteilte. Bei Dr. L. sprach er von "ein bisschen Schlägerei". Im I.-Klinikum war die Tat offenbar kein Thema. Jedenfalls findet sich im Bericht vom 18.12.2008 kein Wort darüber. Grund für die Aufnahme in das Krankenhaus war keineswegs ein Schockzustand nach der Tat, sondern eine eigenmächtige Reduktion bzw. Absetzung der Medikamente. Dabei wäre es für jeden Menschen ein überaus einschneidendes Erlebnis, aus dem Nichts heraus, grundlos und brutal von einer gemeingefährlichen kriminellen Bande zusammengeschlagen zu werden. Das sollte umso mehr für den Kläger gelten, als es sich bei ihm damals um einen psychisch sehr "angeschlagenen" Menschen handelte. Den Kläger indes scheint die Auseinandersetzung schon wenige Tage danach nicht mehr nennenswert beschäftigt zu haben.
b) Dass der Senat von der Unrichtigkeit der Einlassungen des Klägers überzeugt ist, schließt nicht von vornherein aus, dass nicht gleichwohl der unzweifelhaft stattgefundene tätliche Angriff rechtswidrig war. Vielmehr deutet die erhebliche Schwere der Verletzungen, die der Kläger davongetragen hat, an, dass er massiv verprügelt worden ist. Das wiederum lässt daran denken, dass die Schläge möglicherweise nicht von einem Rechtfertigungsgrund gedeckt waren. Letztlich besteht dafür wohl sogar eine überwiegende Wahrscheinlichkeit. Das für den Vollbeweis notwendige Maß an Gewissheit wird aber bei weitem nicht erreicht, so dass diesbezüglich ein Non liquet besteht.
In Anbetracht der Verletzungen des Klägers kann man eine Notstandssituation verneinen. Der Senat vermag sich nicht zu erklären, wie die Wahrung eines höherrangigen Rechtsguts es erforderlich gemacht haben könnte, den Kläger brutal zusammenzuschlagen. Nicht mit hinreichender Sicherheit kann jedoch ausgeschlossen werden, dass der Kläger in Notwehr geschlagen wurde. Das würde voraussetzen, dass der Kläger seinerseits einen rechtswidrigen Angriff unternommen hätte, den der Angegriffene mit den Schlägen beantwortet hätte. Eine Rechtfertigung besteht insoweit, als das wehrhafte Verhalten erforderlich ist, um den Angriff endgültig zu beenden. Einer Güterabwägung bedarf es bei der Notwehr grundsätzlich nicht, weil die Abwehr des gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs auch unter Beschädigung höherrangiger Güter erfolgen darf.
Zwar sieht der Senat eine beträchtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der oder die Täter sich nicht im Rahmen der Notwehr gehalten haben. Die Art der Verletzungen - unterstellt, der Kläger hätte tatsächlich seinerseits rechtswidrig angegriffen - spricht eher für einen Notwehrexzess, der nicht mehr gerechtfertigt wäre; der damit möglicherweise verbundene Schuldausschluss (vgl. § 33 des Strafgesetzbuchs) ist im Rahmen von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG irrelevant, da der Entschädigungstatbestand keine schuldhafte Tat voraussetzt. Trotzdem sind Sachverhalte gut denkbar, in denen die Ausübung des Notwehrrechts eine üble Behandlung, wie sie dem Kläger widerfahren ist, deckt. Denn das Notwehrrecht gibt die Befugnis, das zu tun, was nötig ist, um den gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff endgültig zu unterbinden. Bei entsprechend intensivem oder nachhaltigem Angriff des Klägers könnte der Täter sehr wohl Grund gehabt haben, diesen so zuzurichten, dass keine weiteren Angriffe mehr zu befürchten sein würden. Die Möglichkeit einer Notwehraktion erscheint umso realistischer, als der Kläger laut dem Abschlussbericht der PI C-Stadt geäußert hatte, "nach einem Streit" sei es zu der Schlägerei gekommen. Das spricht durchaus für eine gewisse Aufschaukelung, bei der es nicht auszuschließen wäre, dass der Kläger letztlich als gegenwärtig und rechtswidrig Angreifender agiert hat. Hinzu kommt, dass der Kläger am 11.11.2008 bei Dr. L. sagte, er komme gerade aus dem Krankenhaus; er sei dort "wegen ein bisschen Schlägerei" gewesen. Wer aber so massiv verprügelt wird, wird möglicherweise das Geschehen, wenn er ausschließlich Opfer ist, nicht dergestalt bagatellisieren. Zudem hatte beim Kläger seinerzeit offenbar eine psychische Dekompensation stattgefunden, was ihn vielleicht impulsiver und unberechenbarer gemacht hat. Er wurde nämlich kurz nach der Tat im I.-Klinikum längere Zeit stationär psychiatrisch behandelt. Dr. L. hat in seinem Befundbericht ohnehin die Vermutung geäußert, der Kläger könnte Probleme mit der Impulskontrolle haben.
Das somit bestehende Non liquet in Bezug auf das Fehlen von Rechtfertigungsgründen wirkt sich nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Ungunsten des Klägers aus. Die prüfungstechnische Besonderheit, dass die Rechtswidrigkeit nicht positiv, sondern negativ über den Ausschluss von Rechtfertigungsgründen festgestellt wird, bewirkt keine Umkehr der objektiven Beweislast. Ansatzpunkte für eine Umkehr der Beweislast aufgrund von tatsächlichen Vermutungen existieren nicht (vgl. BSGE 63, 270 ; BSG SozR 4-3800 § 1 Nr. 5, Rn. 22/23).
2. Fehlender Nachweis, dass Versagungsgründe im Sinn von § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG nicht vorliegen
Auch wenn der fehlende Nachweis der Rechtswidrigkeit allein schon zur Zurückweisung der Berufung führt, stützt sich der Senat auch darauf, dass möglicherweise Versagungsgründe nach § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG vorliegen.
Über die Voraussetzung hinaus, dass der tätliche Angriff im strafrechtlichen Sinn rechtswidrig sein muss, bestimmt § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG, dass Leistungen zu versagen sind, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Antragstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren. Anders als bei der Frage, ob ein Entschädigungstatbestand nach § 1 OEG gegeben ist, geht nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die Unaufklärbarkeit der Frage, ob ein Ausnahmetatbestand im Sinn von § 2 OEG vorliegt - und zwar hinsichtlich aller Tatbestandsvoraussetzungen -, grundsätzlich zu Lasten des Versorgungsträgers (BSGE 78, 270 ). Wie oben ausgeführt, ist sich der Senat sicher, dass sich der Sachverhalt nicht so zugetragen hat, wie es der Kläger behauptet. Zugleich hat keine Möglichkeit bestanden, den Tathergang auch nur annähernd zur Überzeugung zu rekonstruieren. Daher besteht auch bezüglich der Ausschlusstatbestände des § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG ein Non liquet; solche können weder mit ausreichender Sicherheit bejaht noch verneint werden. Das würde nach den dargestellten Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Lasten des Beklagten gehen. Jedoch existieren im vorliegenden Fall besondere Umstände, die ausnahmsweise eine Umkehr der Beweislast zu Ungunsten des Klägers gebieten. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts lässt eine solche Umkehr der Beweislast grundsätzlich zu (vgl. BSGE 88, 102 ). In dem zur Überzeugung des Senats erwiesenen Umstand, dass der Kläger den wahren Sachverhalt nicht korrekt und vollständig offenbart hat, liegt ein hinreichender Grund, die Unerweislichkeit nicht dem Beklagten, sondern dem Kläger zuzurechnen. Denn es erschiene unbillig, würde man diesem zum Vorteil gereichen lassen, dass er wahre Umstände und Hintergründe - welche auch immer - zurückgehalten und so das Non liquet erst erzeugt hat.
Auf § 2 Abs. 2 OEG kann sich der Senat nicht stützen, weil der Beklagte keine Ermessensentscheidung getroffen, sondern lediglich auf die Möglichkeit einer Versagung hingewiesen hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wurde nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
21. Oktober 2010 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten wegen Versorgung nach dem Opferentschädigungsrecht.
Der inzwischen 38-jährige Kläger ist turkmenischer Staatsangehöriger. Er verfügt über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis in Deutschland.
Der Kläger behauptet, im November 2008 von ihm unbekannten Tätern in C-Stadt in unmittelbarer Nähe des Freibads verprügelt worden zu sein. Der Polizei wurde dieser Vorfall erstmals am 09.11.2008 bekannt. Die Leiterin der Diakonie C-Stadt, wo der Kläger damals wohnte, meldete am 09.11.2008 gegen 13.15 Uhr bei der C. (PI), in der Diakonie befänden sich zwei verletzte Bewohner, die offensichtlich zusammengeschlagen worden seien, aber nichts sagen wollten. Die beiden offensichtlich zusammengeschlagenen Personen waren zum Einen der Kläger, zum Andern der russischstämmige A. S. (S). S ist wegen Drogendelikten strafrechtlich verurteilt und gegenwärtig im I.-Klinikum G. wegen seiner massiven Drogenabhängigkeit untergebracht; die Unterbringung ist auf der Grundlage von § 64 des Strafgesetzbuchs erfolgt. Bei der Leiterin der Diakonie handelte es sich um Frau S. P. (P).
Der Meldung bei der PI durch P ging folgender Sachverhalt voraus: Am Samstag, dem 08.11.2008, rief S sehr früh beim Bereitschaftsdienst der Diakonie (Frau G.) an und erklärte, er benötige einen Arzt. Frau G. traf S in dessen Wohngemeinschaft verletzt an. S gab an, einen Unfall gehabt zu haben. Danach wurde er ambulant medizinisch behandelt. Am Sonntag, dem 09.11.2008, schaute sich Frau G. nach S um. Dieser empfahl ihr, sie solle doch auch nach dem Kläger sehen. Der Kläger lebte in einer anderen Wohngemeinschaft als S. Frau G. fand das Wohnzimmer der Wohngemeinschaft des Klägers in einem sehr wüsten Zustand vor. Daraufhin verständigte sie P, die sich dann vor Ort ein Bild machte und die Polizei verständigte.
Die Polizei begab sich nach dem Anruf der P zur Diakonie und vernahm den Kläger und S. Beide gaben damals an, sie seien in der Nacht im Verlauf eines Streits von drei Personen zusammengeschlagen worden; der genaue Ort der Tat sei ihnen nicht erinnerlich. Weitere Angaben über den Vorfall wollten beide nicht machen, weil sie Angst vor weiteren noch massiveren Übergriffen hätten, wenn sie vor der Polizei aussagten. Beide wollten keine Anzeige erstatten, für sie sei der Fall erledigt. Außerdem wüssten beide nichts, weil sie stark betrunken gewesen seien. Nach der Aufnahme des Falls durch die PI begab sich der Kläger in das Klinikum C-Stadt, wo er sich bis 11.11.2008 befand. Bei der Auseinandersetzung hatte er sich eine Gehirnerschütterung, multiple Prellungen sowie eine Nasenbeinfraktur zugezogen.
Im schriftlichen Bericht der PI vom 10.11.2008 ist die Vermutung des Bearbeiters festgehalten, zwischen den Geschädigten und weiteren russischstämmigen Personen sei es nach reichlich Alkoholkonsum zu einem Streit gekommen, in dessen Verlauf der Kläger und S zusammengeschlagen worden seien. Die PI bezeichnete die Ängste der beiden vor weiteren Übergriffen als berechtigt.
Ein wegen gefährlicher Körperverletzung eingeleitetes staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wurde eingestellt, weil die Täter nicht ermittelt werden konnten.
Am 17.02.2009 stellte der Kläger einen Antrag auf Versorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG). In dem Antragsformblatt, das beim Beklagten am 27.04.2009 einging, gab er an, die Gewalttat habe sich am 09.11.2008 zwischen 22 und 23 Uhr auf offener Straße in C-Stadt in unmittelbarer Nähe des Freibads zugetragen; dazu reichte der Kläger eine von ihm gezeichnete Skizze zum Ort des Vorfalls ein. In der Dunkelheit habe er von mehreren Personen starke Schläge einstecken müssen. Er habe die Täter nicht erkannt, weswegen er keine Strafanzeige erstattet habe. Als Schädigungsfolgen machte der Kläger eine Gehirnerschütterung und eine depressive Episode geltend.
Der Beklagte lehnte den Versorgungsantrag mit Bescheid vom 23.07.2009 ab. Er begründete dies damit, ein rechtswidriger tätlicher Angriff habe nicht nachgewiesen werden können. Der Vollständigkeit halber werde darauf hingewiesen, dass angesichts § 2 Abs. 2 OEG ein weiterer Versagungsgrund deswegen vorliegen dürfte, weil der Kläger keine Strafanzeige erstattet habe. Dagegen legte der Kläger am 21.08.2009 Widerspruch ein mit der Begründung, er habe die notwendigen Tatsachen angegeben. Der Beklagte holte daraufhin Erkundigungen bei der Staatsanwaltschaft T. ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 25.11.2009 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück, wobei er keine neuen Begründungselemente vorbrachte. Die Ausführungen im Ausgangsbescheid zu § 2 Abs. 2 OEG, so der Beklagte, seien nicht zu beanstanden.
Am 18.12.2009 hat der Kläger beim Sozialgericht München Klage erhoben. Zur Begründung hat er lediglich vorgetragen, es habe sich nicht um einen Streit, sondern um einen Angriff gegen ihn gehandelt.
Das Sozialgericht hat medizinische Befundberichte vom Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. I. und vom Neurologen und Psychiater Dr. N. eingeholt. Dr. I., der Hausarzt des Klägers, hat seinem Befundbericht verschiedene Fremdbefunde beigelegt:
- Bericht des Klinikums C-Stadt vom 11.11.2008 zur stationären Behandlung vom 09. bis 11.11.2008;
- Bericht des Psychiaters Dr. L. an Dr. I. vom 12.11.2008 zu einer ambulanten Behandlung am 11.11.2008. Dr. L. hatte darin berichtet, der Kläger habe im Rahmen der Behandlung am 11.11.2008 gesagt, er komme gerade aus dem Krankenhaus. Er sei dort "wegen ein bisschen Schlägerei" gewesen. Zudem hatte Dr. L. geschrieben, offensichtlich - und das sei hier nicht zum ersten Mal aufgefallen - sei der Kläger immer wieder in gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt, möglicherweise bestehe eine Impulskontrollstörung;
- Arztbericht des I.-Klinikums vom 18.12.2008 über eine stationäre psychiatrische Behandlung des Klägers vom 13.11. bis 22.12.2008. Das Klinikum hat die Diagnosen rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome, vordiagnostizierter Verdacht auf Psyche aus dem schizophrenen Formenkreis genannt. Es hat geschildert, die stationäre Aufnahme sei bei erneutem Auftreten depressiver Symptomatik nach Reduktion bzw. Absetzen der Medikation erfolgt. Im Vordergrund gestanden seien niedergeschlagene Stimmung, Antriebslosigkeit und Schlafstörungen. Angaben des Klägers zu der kurz vorher stattgehabten Schlägerei sind nicht dokumentiert.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 21.10.2010 abgewiesen. Es hat dies damit begründet, es sei unklar geblieben, ob tatsächlich ein rechtswidriger Angriff einer fremden Person vorgelegen habe. Zweifel an einem unprovozierten Angriff auf den Kläger ergäben sich auch aus der ärztlichen Mitteilung, er sei häufig in tätliche Auseinandersetzungen verwickelt. Ergänzend hat das Sozialgericht mitgeteilt, es bestünden auch keine Hinweise, wonach ein Grad der Schädigung im rentenberechtigenden Bereich erreicht werden könnte.
Am 03.12.2010 hat der Kläger Berufung eingelegt. Diese hat er in erster Linie damit begründet, das Sozialgericht habe im Urteil falsche Angaben zum Sachverhalt gemacht.
Am 30.06.2011 hat ein Erörterungstermin im Beisein des Klägers stattgefunden. Dabei hat der Kläger unter anderem vorgetragen, er sei bei der Tat völlig nüchtern gewesen. Er könne bei der Vernehmung am 09.11.2008 gar nicht gesagt haben, er sei betrunken gewesen. Die PI habe ihn wohl wegen sprachlicher Probleme falsch verstanden. Außerdem sei ein Alkoholtest gemacht worden; dies müsse bei der Polizei erfragt werden können. Auch sei er bei der Vernehmung am 09.11.2008 keineswegs verängstigt gewesen. Wegen der weiteren Äußerungen des Klägers wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Daran haben sich weitere Ermittlungen des Senats angeschlossen:
- Am 12.07.2011 hat die PI dem Vorsitzenden telefonisch mitgeteilt, es lasse sich weder dem Computer noch den Akten entnehmen, dass ein Alkoholtest gemacht worden sei.
- Am 15.07.2011 hat S dem Vorsitzenden gegenüber telefonisch mitgeteilt, er habe keine Schlägerei mit dem Kläger gehabt. Beide seien getrennt voneinander (ein oder zwei Tage) zusammengeschlagen worden. Auch er, so S, sei von Unbekannten ohne Vorankündigung in Dunkelheit und ohne Worte zusammengeschlagen worden; S hat von vier Personen gesprochen, die Tat sei im Park erfolgt.
- Die PI hat sich mit Schreiben vom 22.07.2011 zu den Helligkeitsverhältnissen am vom Kläger angegebenen Tatort geäußert.
- P hat ihre Erinnerungen an den Vorfall im Schreiben vom 08.08.2011 sowie in einem anschließenden Telefonat mit dem Vorsitzenden am 09.08.2011 geschildert.
Wegen der genauen Ergebnisse dieser Ermittlungen wird auf die Akte des Bayerischen Landessozialgerichts verwiesen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 21.10.2010 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 23.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.11.2009 zu verurteilen, als Schädigungsfolgen im Sinn des Opferentschädigungsgesetzes "Kontusion" und "depressive Störung" festzustellen und Versorgung zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts, insbesondere wegen des Inhalts medizinischer Berichte und Gutachten, wird auf die Akten des Beklagten, des Sozialgerichts und des Bayerischen Landessozialgerichts verwiesen. Diese haben allesamt vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
Der Streitgegenstand umfasst das Begehren des Klägers auf Anerkennung von Schädigungsfolgen und Gewährung von Versorgung. Eine Schädigungsfolge kann schon deswegen nicht anerkannt werden, weil nicht erwiesen ist, dass der Kläger Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden ist. Unabhängig davon besteht Unklarheit darüber, ob Versagungsgründe nach § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG vorliegen, was sich (ausnahmsweise) zu Ungunsten des Klägers auswirkt.
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes, wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Über die Voraussetzung hinaus, dass der tätliche Angriff im strafrechtlichen Sinn rechtswidrig sein muss, bestimmt § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG, dass Leistungen zu versagen sind, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Antragstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren.
Zwar geht der Senat davon aus, dass der Kläger Opfer eines vorsätzlichen tätlichen Angriffs im Sinn von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG geworden ist. Nähere Erläuterungen dazu erübrigen sich. Der vom Kläger geltend gemachte Versorgungsanspruch scheitert aber daran, dass sich der Senat nicht davon hat überzeugen können, dass einerseits der tätliche Angriff rechtswidrig war (dazu unten 1.) und dass andererseits keine Versagungsgründe im Sinn von § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG gegeben sind (dazu unten 2.).
1. Fehlender Nachweis der Rechtswidrigkeit des tätlichen Angriffs
Der Beklagte und das Sozialgericht haben ihre Ablehnung darauf gestützt, eine rechtswidrige Tat sei nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwiesen. Ersichtlich haben beide Stellen eine authentische und detaillierte Rekonstruierbarkeit der Tat gefordert, um die Rechtswidrigkeit bejahen zu können. Das Sozialgericht hat diese Anforderungen damit begründet, beim Kläger bestehe aufgrund der Aussagen des behandelnden Nervenarztes ein gewisser Anfangsverdacht, dass dieser den Streit vom Zaun gebrochen und dem Gegner somit einen Rechtfertigungsgrund vermittelt habe.
Der Senat schließt sich im Ergebnis dem Beklagten und dem Sozialgericht an.
Ein tätlicher Angriff ist dann rechtswidrig, wenn Rechtfertigungsgründe im strafrechtlichen Sinn fehlen. Das Fehlen solcher rechtfertigenden Gründe muss mit dem Maßstab des Vollbeweises erwiesen sein (vgl. Weiner in: Kunz/Zellner/Gelhausen/ders., OEG, 5. Auflage 2010, § 1 Rn. 50, 53; vgl. weiter BSGE 63, 270 ). Das bedeutet, das Fehlen muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen. § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOV-VfG) verhilft dem Kläger nicht dazu, dass der weniger strenge Beweismaßstab der Glaubhaftmachung (vgl. dazu BSG SozR 3-3900 § 1 Nr. 4) greift. Diese über § 6 Abs. 3 OEG grundsätzlich anwendbare Norm (Weiner, a.a.O., § 1 Rn. 54) lautet in ihrer einschlägigen Fassung:
Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verloren gegangen sind, in der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.
§ 15 KOV-VfG kann prinzipiell auch im Hinblick auf solche Tatsachen anwendbar sein, die in Zusammenhang mit einer Schädigung stehen, welche vom OEG erfasst wird. Zwar wollte der Gesetzgeber ursprünglich nur der Beweisnot entgegenwirken, in der sich Antragsteller befanden, weil sie durch Kriegsereignisse (wie Flucht, Vertreibung, Bombenangriffe etc.) die über sie geführten Krankengeschichten, Befundberichte, Urkunden etc. nicht mehr erlangen konnten. Mit der Verweisung in § 6 Abs. 3 OEG hat der Gesetzgeber jedoch der Beweisnot derjenigen Verbrechensopfer Rechnung tragen wollen, bei denen die Tat ohne Zeugen geschehen ist und bei denen sich der Täter einer Feststellung entzogen hat, mithin andere Beweismittel als die eigenen Angaben des Betroffenen nicht zur Verfügung stehen.
Die Beweiserleichterung des § 15 KOV-VfG kommt indes erst dann zum Zug, wenn andere Beweismittel objektiv nicht vorhanden sind (Weiner, a.a.O., § 1 Rn. 55 unter Hinweis auf ein Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 05.06.2008 - L 13 VG 1/05) und der Betroffene diesen Beweisnotstand nicht verschuldet hat. Diese Anwendungsvoraussetzungen für § 15 KOV-VfG, Beweisnotstand und Fehlen von Verschulden, müssen mit Vollbeweis erwiesen sein. Im vorliegenden Fall steht zwar mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass der Kläger gegenwärtig zum Nachweis der Rechtswidrigkeit der Tat keine anderen Beweismittel zur Verfügung hat als seine eigene Aussage. An diesem Mangel an Beweismitteln trifft ihn aber mit erheblicher Wahrscheinlichkeit ein Verschulden. Denn eine sofortige Anzeige der Tat bei der Polizei hätte - unterstellt man den Tatablauf so, wie ihn der Kläger geschildert hat - bezüglich der Rechtswidrigkeit eventuell weitere Beweismittel eröffnen können. Dagegen vermag der Kläger nicht mit dem Einwand durchzudringen, es sei nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwiesen, dass eine sofortige Anzeige bei der Polizei weitere Beweismittel eröffnet hätte. Das mag zwar sein. Jedoch ist keineswegs der sichere Nachweis dieses Umstands erforderlich, um die Beweiserleichterung des § 15 KOV-VfG auszuschließen. Denn wie oben ausgeführt, greift im Gegenteil die Erleichterung zu Gunsten des Antragstellers nur dann, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwiesen ist, dass andere Beweismittel ohne dessen Verschulden fehlen - die objektive Beweislast insoweit liegt beim Kläger. Dieser Nachweis aber kann nicht erbracht werden. Denn es erscheint sehr realistisch, dass bei optimaler Mitwirkung des Klägers an der Aufklärung der Tat möglicherweise die Täter hätten gefasst werden können und sich dadurch die Rechtswidrigkeit der Tat erwiesen hätte. Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger die sofortige Hinzuziehung der Polizei unzumutbar oder gar unmöglich gewesen sein könnte, bestehen nicht. Nach Sinn und Zweck des § 15 KOV-VfG, der "Ohnmacht" des Betroffenen in Bezug auf die Beweislage abzuhelfen, erscheint es demnach im vorliegenden Fall angemessen und gerecht, die vorgesehene Erleichterung im Beweismaßstab nicht greifen zu lassen.
Andere Rechtsgründe, die eine bloße Wahrscheinlichkeit für den Nachweis genügen lassen könnten, existieren nicht (vgl. BSGE 63, 270 ). Somit bleibt es dabei, dass die Rechtswidrigkeit der Tat nach den Maßstäben des Vollbeweises erwiesen sein muss.
Zur Ermittlung dessen, ob Rechtfertigungsgründe fehlen, gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Die Beweiswürdigung des Gerichts hat sich an den individuellen Gegebenheiten des konkreten Falls zu orientieren, soweit nicht gesetzliche Beweisregeln existieren. Letzteres ist hier nicht der Fall. Generalisierungen oder typisierende Betrachtungsweisen sind daher unangebracht (vgl. für die Glaubhaftmachung nach § 15 KOV-VfG BSGE 65, 123 ). Es gibt keinen beweisrechtlichen Automatismus, dass das Fehlen von Rechtfertigungsgründen anhand von unmittelbaren Beweismitteln (z.B. Zeugenaussagen, Filmmitschnitten) nachgewiesen sein muss. Die Rechtswidrigkeit des Angriffs kann unter Umständen auch dann als erwiesen angesehen werden, wenn der genaue Tatablauf im Übrigen nicht zur Überzeugung des Gerichts feststeht. Trotz dieser für den Kläger günstigen rechtlichen Rahmenbedingungen gelingt es nicht, das Fehlen von Rechtfertigungsgründen mit dem Maßstab des Vollbeweises festzustellen. Denn zum Einen ist der Senat davon überzeugt, dass die Tatversion, die der Kläger zuletzt geschildert hat, falsch oder unvollständig ist (dazu unten a). Zum Anderen lassen die Tatumstände, die tatsächlich erwiesen sind, auch solche Geschehnisabläufe als denkbar und realistisch erscheinen, bei denen Rechtfertigungsgründe gegeben wären (dazu unten b).
a) Der Senat ist sich sicher, dass sich der Geschehnisablauf nicht so abgespielt hat, wie dies der Kläger darzustellen versucht. Nach seiner aktuellen Version sei er am 08.11.2008 - im Versorgungsantrag hatte er noch "09.11." angegeben - zwischen 22 und 23 Uhr allein beim Freibad unterwegs gewesen. S sei nicht anwesend gewesen. Es gebe keine Zeugen. Auf dem dunklen Weg neben dem Freibad hätten sich völlig unvermittelt drei Personen auf ihn gestürzt. Es sei dabei kein Wort gesprochen worden und er habe an den Personen nichts erkennen können. Im Erörterungstermin hat der Kläger lediglich undifferenziert und diffus vorgetragen, er sei nach einem Schlag zu Boden gegangen und habe am Boden liegend weitere Schläge und Tritte einstecken müssen. Die Differenzierung "Tritte" hat der Kläger allerdings erst gemacht, als er vom Vorsitzenden ausdrücklich danach gefragt worden war. Er habe dann, so der Kläger weiter, kurz das Bewusstsein verloren; als er wieder zu sich gekommen sei, seien die Personen verschwunden gewesen. Zahlreiche Aspekte lassen diese Schilderung nicht glaubhaft erscheinen:
- Der Kläger hat seine Unwissenheit in Bezug auf Tat und Täter damit begründet, seine Wahrnehmungsmöglichkeiten seien bei der Tat extrem eingeschränkt gewesen. Seine Behauptung, aufgrund völliger Dunkelheit habe er nichts erkennen können, überzeugt nicht im Ansatz. Zuzugeben ist, dass die Stelle, die der Kläger als vermeintlichen Tatort angegeben hat, in der Tat sehr dunkel ist, obwohl sie relativ zentrumsnah gelegen ist. So hat die PI sich nachts die Lichtverhältnisse vor Ort angesehen und dem Senat mitgeteilt, es sei dort absolut dunkel gewesen. Nur das Licht des nahen Freibads, so die PI, könne den Weg erhellen. Da das Freibad im November 2008 sicherlich keine Lichtquelle bot, darf man davon ausgehen, dass es zur angegebenen Tatzeit an der Stelle in der Tat sehr dunkel war. Gleichwohl glaubt der Senat dem Kläger nicht, dass wegen der Dunkelheit überhaupt nichts zu erkennen war. Zunächst ist es dem Kläger offenbar ohne weiteres gelungen, den Weg zu finden und sicher zu begehen. Bei den behaupteten Lichtverhältnissen ist es schon nicht nachzuvollziehen, dass der Kläger den gänzlich unbeleuchteten Weg überhaupt betreten hat. Denn er hätte sich bei einer derartigen Dunkelheit ja geradezu Schritt für Schritt vortasten müssen - ein sicherlich lästiges und nicht ungefährliches Unterfangen. Dieser Weg sollte nach seiner Schilderung für ihn aber eine Abkürzung sein, um von der C-Straße in die I. Straße zu kommen; diesbezüglich wird auf die Lageskizze verwiesen, die der Kläger beim Beklagten eingereicht hat. Der intendierte Zweck, den Fußweg zu verkürzen, kann aber nicht durch Benutzung eines Fußwegs erreicht werden, auf dem man nicht einmal die sprichwörtliche Hand vor den Augen sieht. Gegen die Version des Klägers, bei der Tat optisch nahezu nichts wahrgenommen zu haben, spricht auch, dass dieser nach seiner im Erörterungstermin gegebenen Schilderung aufgrund der Schläge nicht sofort bewusstlos wurde, sondern erst nach einiger Zeit - das subjektive Wahrnehmungsvermögen war damit hinreichend intakt. Dass er gleichwohl bei derart engem Körperkontakt keinerlei Sinneswahrnehmungen in Bezug auf die Täter gemacht haben will, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Immerhin weiß der Kläger definitiv, dass es genau drei Personen waren, die ihn überfallen haben sollen. Zudem waren die Täter ihrerseits ja in der Lage, den Kläger visuell zu erkennen. Schließlich erscheint wider jeglicher Vernunft, dass sich die Täter gerade an diesem völlig dunklen Weg in Position gebracht haben sollen. Nach den Einlassungen des Klägers war er rein zufälliges Opfer. Es handelte sich seiner Darstellung zufolge also um eine Bande, die ohne Grund wahllos unbescholtenen Bürgern auflauerte und der es ausschließlich und ohne Verfolgung eines weitergehenden Zwecks auf die Ausübung körperlicher Gewalt ankam, ohne dass dabei auch nur ein Wort gesprochen, nicht einmal aggressive Phrasen oder Schimpfwörter geäußert wurden. Es erscheint nicht glaubhaft, dass sich eine kriminelle Gruppe mit dieser Zielrichtung ausgerechnet an einem Weg positioniert haben soll, den wegen der extremen Dunkelheit kaum jemand benutzen würde. Eine Schlägerbande wird sich vielmehr keinen derart ungeeigneten Tatort aussuchen und mitten in der kalten Nacht "untätig" dort ausharren, bis sich vielleicht doch ein Opfer auf den Weg "verirrt".
- Nicht nur der vermeintliche Ort des Geschehens, auch der angebliche Tatablauf erscheint bizarr. Während der gesamten Gewalttätigkeiten soll nach Angaben des Klägers kein einziges Wort gesprochen worden sein. Nicht einmal ein Schimpfwort soll gefallen sein. Der Senat verfügt über genügend Lebenserfahrung, um dies als höchst ungewöhnlich zu beurteilen. Dabei hatte der Kläger gegenüber der Polizei noch den weitaus wirklichkeitsnäheren Sachverhalt geschildert, es habe Streit gegeben, dann sei es zur Schlägerei gekommen. Aktuell aber behauptet der Kläger, aus dem Nichts heraus sei er ohne Ankündigung geschlagen worden, ohne dass seitens der Täter auch nur ein einziges Wort gesprochen worden sei. Die Unglaubhaftigkeit dessen steigert sich noch dadurch, dass S dem Vorsitzenden die bei ihm vorgekommenen Gewalttätigkeiten genau in der gleichen Weise beschrieben hat. Auch bei ihm, so S, sei kein Wort gesprochen worden und er habe überhaupt nichts gesehen oder sonst wahrgenommen. Zwar unterstellt der Senat, dass S insoweit die Wahrheit gesagt hat; denn andernfalls hätte S möglicherweise persönlich als Zeuge vernommen werden müssen. Dass aber einen Tag später sich das gleiche unwirkliche Geschehen an anderem Ort mit anderem Opfer abgespielt haben soll, erscheint an den Haaren herbeigezogen.
- Gänzlich unverständlich ist, warum der augenscheinlich doch erheblich verletzte Kläger nicht sofort nach der Tat die Polizei aufgesucht hat. Auf entsprechende Fragen des Gerichts im Erörterungstermin und in der mündlichen Verhandlung hat er allenfalls sehr ausweichend geantwortet. Wenn er die Täter tatsächlich nicht erkannt haben sollte, wäre eine sofortige Verständigung der Polizei mehr als nahe liegend gewesen. Denn nach seiner Version hat der Kläger den Albtraum erlebt, "aus heiterem Himmel" völlig zufälliges und unschuldiges Opfer von gemeingefährlichen Schlägern geworden zu sein. Deshalb hätte er allen Grund gehabt, die staatliche Ordnungsmacht einzuschalten, damit diese derart zügelloser und willkürlicher Gewalt Einhalt gebieten und die Täter dingfest machen würde. Frische Spuren hätten gesichert werden und eventuell zu den Tätern führen können. Der Senat geht davon aus, dass der Kläger entweder nicht wollte, dass die Polizei von dem Vorfall erfährt, oder dass sich die Tat überhaupt nicht zu der angegebenen Zeit am angegebenen Ort abgespielt hat.
- Weder im Erörterungstermin noch in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger irgendwelche Details zu den Angriffen und Schlägen beschrieben, die dem Sachverhalt eine individuelle Note hätten geben können - und das, obwohl er seiner Schilderung zufolge die meiste Zeit der Attacke bei Bewusstsein war. Seine Einlassungen waren inhaltsleer, leblos und mehr als diffus. Die Angabe, er hätte auch Tritte einstecken müssen, hat der Kläger erst gemacht, als er vom Vorsitzenden explizit nach Tritten gefragt worden ist. Dies verkörpert ein gewichtiges Indiz dagegen, dass die Erzählung auf tatsächlich Erlebtem beruht.
- Der Kläger hatte am 09.11.2008, als er von Frau G., P und der PI angetroffen wurde, Angst vor weiteren Übergriffen, wenn er sich der Polizei anvertrauen würde. Damals wollte er sich nicht weiter äußern, während er jetzt behauptet, er könne es nicht, weil er nicht mehr als die bereits gemachten Angaben wisse. P hat schriftlich bestätigt, sowohl sie als auch Frau G. hätten den Eindruck gehabt, der Kläger habe sich gefürchtet. Auch der Bericht der PI weist eindeutig in diese Richtung; danach soll der Kläger sogar explizit gesagt haben, er befürchte weitere Übergriffe. Der Behauptung des Klägers, die PI habe unzutreffende Fakten festgehalten, denn er, der Kläger, habe keine Angst gehabt, ist durch die Äußerung von P der Boden entzogen. Sowohl deren schriftliche als auch deren telefonische Einlassung sind nach dem Rechtsgedanken von § 377 Abs. 3 der Zivilprozessordnung verwertbar, zumal der Kläger, obwohl vor und in der mündlichen Verhandlung damit konfrontiert, den Wahrheitsgehalt in keiner Weise angezweifelt hat. Solcherlei Zweifel hat er allein zum Polizeibericht angebracht. Außerdem ist erwiesen, dass der Kläger damals nichts sagen wollte; das hatte sogar P der PI mitgeteilt, als sie diese verständigt hatte. Dieser Umstand weist massiv auf Angstgefühle beim Kläger hin. Vor diesem Hintergrund erscheint die Version von den unbekannten Tätern und dem rein zufälligen Aufeinandertreffen unglaubhaft. Wäre der Vorfall nur aus Zufall und Pech heraus entstanden, hätte der Kläger keinen Anlass gehabt, aus Furcht zu dem Vorfall zu schweigen. Der Kläger kannte vielmehr seine Peiniger und wusste wohl auch, aus welchem Grund sie ihn attackiert hatten.
- Zu dieser Annahme des Senats passt auch der Umstand, dass das Wohnzimmer völlig verwüstet war. Vor allem war es überall mit roter Farbe beschmiert, die man zunächst für Blut gehalten hatte. Inmitten dieses Chaos fanden Frau G. und P den Kläger in schlechtem Gesundheitszustand vor. Dieses Bild erweckt sehr den Eindruck, es habe eine Bestrafungs- und zugleich Warnaktion für den Kläger stattgefunden. Daran ändert nichts, dass der Kläger keine Ahnung haben will, wie die Verwüstungen im Wohnzimmer zustande gekommen sind, und darauf hingewiesen hat, in der Wohngemeinschaft hätten ja noch weitere Personen gelebt. Die zeitliche Koinzidenz zwischen den Verwüstungen und dem Zustand des Klägers ist frappierend.
- Gegenüber der PI hatte der Kläger gesagt, er wisse nicht, wo die Tat stattgefunden habe; das ergibt sich aus dem Polizeibericht, dessen Schilderungen der Senat insoweit nicht anzweifelt. Das Bemühen des Klägers, den Polizeibericht zur Gänze als falsch erscheinen zu lassen, weil die PI ihn seinerzeit aufgrund seiner Probleme mit der deutschen Sprache permanent falsch verstanden habe, ist nicht von Erfolg gekrönt. Denn die telefonische Einlassung der P dokumentiert, dass damals keineswegs derart massive Verständigungsschwierigkeiten aufgrund unzureichender Deutschkenntnisse bestanden haben. P hat vielmehr gemutmaßt, Missverständnisse hätten damals dadurch entstehen können, dass der Kläger seine Ruhe vor der Polizei haben wollte und deshalb den polizeilichen Fragen nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger durchaus wusste, wo man ihn zusammengeschlagen hatte. Er hatte damals keine Amnesie, sondern wollte keine Informationen geben. In Zusammenschau mit dem verwüsteten Wohnzimmer deutet Einiges darauf hin, dass der Kläger gerade dort verprügelt worden ist.
- Die Einlassungen des Klägers harmonieren nicht mit der Art und Weise, wie sich dieser unmittelbar nach dem Vorfall seinen Psychiatern mitteilte. Bei Dr. L. sprach er von "ein bisschen Schlägerei". Im I.-Klinikum war die Tat offenbar kein Thema. Jedenfalls findet sich im Bericht vom 18.12.2008 kein Wort darüber. Grund für die Aufnahme in das Krankenhaus war keineswegs ein Schockzustand nach der Tat, sondern eine eigenmächtige Reduktion bzw. Absetzung der Medikamente. Dabei wäre es für jeden Menschen ein überaus einschneidendes Erlebnis, aus dem Nichts heraus, grundlos und brutal von einer gemeingefährlichen kriminellen Bande zusammengeschlagen zu werden. Das sollte umso mehr für den Kläger gelten, als es sich bei ihm damals um einen psychisch sehr "angeschlagenen" Menschen handelte. Den Kläger indes scheint die Auseinandersetzung schon wenige Tage danach nicht mehr nennenswert beschäftigt zu haben.
b) Dass der Senat von der Unrichtigkeit der Einlassungen des Klägers überzeugt ist, schließt nicht von vornherein aus, dass nicht gleichwohl der unzweifelhaft stattgefundene tätliche Angriff rechtswidrig war. Vielmehr deutet die erhebliche Schwere der Verletzungen, die der Kläger davongetragen hat, an, dass er massiv verprügelt worden ist. Das wiederum lässt daran denken, dass die Schläge möglicherweise nicht von einem Rechtfertigungsgrund gedeckt waren. Letztlich besteht dafür wohl sogar eine überwiegende Wahrscheinlichkeit. Das für den Vollbeweis notwendige Maß an Gewissheit wird aber bei weitem nicht erreicht, so dass diesbezüglich ein Non liquet besteht.
In Anbetracht der Verletzungen des Klägers kann man eine Notstandssituation verneinen. Der Senat vermag sich nicht zu erklären, wie die Wahrung eines höherrangigen Rechtsguts es erforderlich gemacht haben könnte, den Kläger brutal zusammenzuschlagen. Nicht mit hinreichender Sicherheit kann jedoch ausgeschlossen werden, dass der Kläger in Notwehr geschlagen wurde. Das würde voraussetzen, dass der Kläger seinerseits einen rechtswidrigen Angriff unternommen hätte, den der Angegriffene mit den Schlägen beantwortet hätte. Eine Rechtfertigung besteht insoweit, als das wehrhafte Verhalten erforderlich ist, um den Angriff endgültig zu beenden. Einer Güterabwägung bedarf es bei der Notwehr grundsätzlich nicht, weil die Abwehr des gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs auch unter Beschädigung höherrangiger Güter erfolgen darf.
Zwar sieht der Senat eine beträchtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der oder die Täter sich nicht im Rahmen der Notwehr gehalten haben. Die Art der Verletzungen - unterstellt, der Kläger hätte tatsächlich seinerseits rechtswidrig angegriffen - spricht eher für einen Notwehrexzess, der nicht mehr gerechtfertigt wäre; der damit möglicherweise verbundene Schuldausschluss (vgl. § 33 des Strafgesetzbuchs) ist im Rahmen von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG irrelevant, da der Entschädigungstatbestand keine schuldhafte Tat voraussetzt. Trotzdem sind Sachverhalte gut denkbar, in denen die Ausübung des Notwehrrechts eine üble Behandlung, wie sie dem Kläger widerfahren ist, deckt. Denn das Notwehrrecht gibt die Befugnis, das zu tun, was nötig ist, um den gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff endgültig zu unterbinden. Bei entsprechend intensivem oder nachhaltigem Angriff des Klägers könnte der Täter sehr wohl Grund gehabt haben, diesen so zuzurichten, dass keine weiteren Angriffe mehr zu befürchten sein würden. Die Möglichkeit einer Notwehraktion erscheint umso realistischer, als der Kläger laut dem Abschlussbericht der PI C-Stadt geäußert hatte, "nach einem Streit" sei es zu der Schlägerei gekommen. Das spricht durchaus für eine gewisse Aufschaukelung, bei der es nicht auszuschließen wäre, dass der Kläger letztlich als gegenwärtig und rechtswidrig Angreifender agiert hat. Hinzu kommt, dass der Kläger am 11.11.2008 bei Dr. L. sagte, er komme gerade aus dem Krankenhaus; er sei dort "wegen ein bisschen Schlägerei" gewesen. Wer aber so massiv verprügelt wird, wird möglicherweise das Geschehen, wenn er ausschließlich Opfer ist, nicht dergestalt bagatellisieren. Zudem hatte beim Kläger seinerzeit offenbar eine psychische Dekompensation stattgefunden, was ihn vielleicht impulsiver und unberechenbarer gemacht hat. Er wurde nämlich kurz nach der Tat im I.-Klinikum längere Zeit stationär psychiatrisch behandelt. Dr. L. hat in seinem Befundbericht ohnehin die Vermutung geäußert, der Kläger könnte Probleme mit der Impulskontrolle haben.
Das somit bestehende Non liquet in Bezug auf das Fehlen von Rechtfertigungsgründen wirkt sich nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Ungunsten des Klägers aus. Die prüfungstechnische Besonderheit, dass die Rechtswidrigkeit nicht positiv, sondern negativ über den Ausschluss von Rechtfertigungsgründen festgestellt wird, bewirkt keine Umkehr der objektiven Beweislast. Ansatzpunkte für eine Umkehr der Beweislast aufgrund von tatsächlichen Vermutungen existieren nicht (vgl. BSGE 63, 270 ; BSG SozR 4-3800 § 1 Nr. 5, Rn. 22/23).
2. Fehlender Nachweis, dass Versagungsgründe im Sinn von § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG nicht vorliegen
Auch wenn der fehlende Nachweis der Rechtswidrigkeit allein schon zur Zurückweisung der Berufung führt, stützt sich der Senat auch darauf, dass möglicherweise Versagungsgründe nach § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG vorliegen.
Über die Voraussetzung hinaus, dass der tätliche Angriff im strafrechtlichen Sinn rechtswidrig sein muss, bestimmt § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG, dass Leistungen zu versagen sind, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Antragstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren. Anders als bei der Frage, ob ein Entschädigungstatbestand nach § 1 OEG gegeben ist, geht nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die Unaufklärbarkeit der Frage, ob ein Ausnahmetatbestand im Sinn von § 2 OEG vorliegt - und zwar hinsichtlich aller Tatbestandsvoraussetzungen -, grundsätzlich zu Lasten des Versorgungsträgers (BSGE 78, 270 ). Wie oben ausgeführt, ist sich der Senat sicher, dass sich der Sachverhalt nicht so zugetragen hat, wie es der Kläger behauptet. Zugleich hat keine Möglichkeit bestanden, den Tathergang auch nur annähernd zur Überzeugung zu rekonstruieren. Daher besteht auch bezüglich der Ausschlusstatbestände des § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG ein Non liquet; solche können weder mit ausreichender Sicherheit bejaht noch verneint werden. Das würde nach den dargestellten Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Lasten des Beklagten gehen. Jedoch existieren im vorliegenden Fall besondere Umstände, die ausnahmsweise eine Umkehr der Beweislast zu Ungunsten des Klägers gebieten. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts lässt eine solche Umkehr der Beweislast grundsätzlich zu (vgl. BSGE 88, 102 ). In dem zur Überzeugung des Senats erwiesenen Umstand, dass der Kläger den wahren Sachverhalt nicht korrekt und vollständig offenbart hat, liegt ein hinreichender Grund, die Unerweislichkeit nicht dem Beklagten, sondern dem Kläger zuzurechnen. Denn es erschiene unbillig, würde man diesem zum Vorteil gereichen lassen, dass er wahre Umstände und Hintergründe - welche auch immer - zurückgehalten und so das Non liquet erst erzeugt hat.
Auf § 2 Abs. 2 OEG kann sich der Senat nicht stützen, weil der Beklagte keine Ermessensentscheidung getroffen, sondern lediglich auf die Möglichkeit einer Versagung hingewiesen hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wurde nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
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