L 11 AS 1019/11 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 16 AS 807/11 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 1019/11 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
wegen einstweiliger Anordnung
I. Der Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 28.11.2011 wird zur Klarstellung in Ziffer I. dahingehend abgeändert, dass der Antragsgegner hinsichtlich des monatlichen Zahlbetrages verpflichtet wird, an die Antragstellerin zu 1.) 187,26 EUR und den Antragsteller zu 2.) 342,74 EUR zu erbringen.

II. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 28.11.2011 wird zurückgewiesen.

III. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu erstatten.

IV. Den Antragstellern wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bewilligt und Rechtsanwalt S. B., B-Stadt, beigeordnet.



Gründe:


I.

Streitig sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II -Alg II- und Sozialgeld) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Hinblick auf die Frage der Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin zu 1. (ASt zu 1.).

Die 1956 geborene ASt zu 1. leidet u.a. an einer Dysthemie mit depressiver Episode. Sie lebt mit dem 1958 geborenen Antragsteller zu 2. (ASt zu 2.) in einer Bedarfsgemeinschaft. Der ASt zu 2. bezieht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung von der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) mit einem Zahlbetrag von zuletzt 333,73 EUR. Für seine freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung bei der DAK muss er monatlich insgesamt 155,48 EUR zahlen.

Im Rahmen eines Rentenverfahrens stellte Dr. B. am 26.10.2010 für die ASt zu 1. ein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von mehr als sechs Stunden täglich fest. Den Rentenantrag lehnte die DRV mit Bescheid vom 17.11.2010 wegen Nichterfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ab. Es sei aber festgestellt worden, die ASt zu 1. sei ab dem 01.02.2008 voll erwerbsgemindert auf Zeit. Auf eine diesbezügliche Anfrage teilte die DRV dem Antragsgegner (Ag) mit, die Feststellungen des beratungsärztlichen Dienstes hätten ergeben, dass bei der ASt zu 1. ein Leistungsvermögen von unter drei Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorliege. Am 24.01.2011 bescheinigte der Hausarzt eine Besserung des Gesundheitszustandes der ASt zu 1 ... Es sei ein Arbeitsversuch für drei Stunden aus ärztlicher Sicht möglich. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. führte unter dem 08.02.2011 aus, aus psychiatrischer Sicht könne eine leichte Tätigkeit bis drei Stunden täglich ohne Verschlimmerung des Gesundheitszustandes ausgeführt werden. In einem Befundbericht vom 02.03.2011 vermerkte die Diplom-Psychologin B., eine Erwerbsminderung liege nicht vor. Im Gegenteil würde eine berufliche Perspektive eine wesentliche Grundlage für die Akzeptanz der Lebenssituation durch die ASt zu 1. darstellen. Am 22.08.2011 nahm die ASt zu 1. eine bis 21.02.2012 befristete Tätigkeit als stellvertretende Filialleiterin mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von 850 EUR bei 22 Stunden pro Woche auf.

Bis 30.04.2011 bezog die ASt zu 1. vom Antragsgegner (Ag) Alg II iHv von monatlich 482,83 EUR und der ASt zu 2. Sozialgeld iHv 482,85 EUR sowie einen Zuschuss zur Kranken- und Pflegeversicherung iHv 150,38 EUR (Bescheid vom 20.10.2010).

Den Antrag auf Weiterbewilligung von Leistungen ab dem 01.05.2011 lehnte der Ag mit Bescheid vom 21.04.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.06.2011 ab. Eine Erwerbsfähigkeit der ASt zu 1. liege nach den Feststellungen der DRV nicht vor. Eine Widerlegung der Feststellungen können nur durch den zuständigen Sozialhilfeträger erfolgen, da dieser bereits mit Schreiben vom 01.02.2011 gegenüber dem Ag erklärt habe, die ASt zu 1. gehöre zum Personenkreis nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII). Dagegen haben die ASt Klage beim Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben (Az: S 16 AS 410/11). Hierüber ist bislang nicht entschieden.

Einen weiteren Leistungsantrag vom 25.10.2011 lehnte der Ag mit Bescheid vom 02.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.12.2011 ab. Mit dem Sozialhilfeträger sei in der Vergangenheit einvernehmlich festgestellt worden, die ASt zu 1. sei erwerbsunfähig. Dem hätten eine fast dreijährige Arbeitsunfähigkeit und die Stellungnahme des Rentenversicherungsträgers zugrunde gelegen, wonach voraussichtlich bis 30.11.2012 eine Erwerbsunfähigkeit bestehe. Der Ag sei an die Entscheidung bzw Vorgabe des Rentenversicherungsträgers gebunden. Diese sei bislang auch im Hinblick auf die Aufnahme der Erwerbstätigkeit nicht widerlegt worden. Gegenüber dem Sozialhilfeträger sei die ASt zu 1. nicht bereit gewesen, ärztliche Feststellungen treffen zu lassen. Über die dagegen von den ASt beim SG erhobene Klage (Az: S 16 AS 957/11) ist bislang nicht entschieden.

Der Sozialhilfeträger lehnte mit Bescheiden vom 16.08.2011 Anträge der Antragsteller auf Gewährung von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem dritten Kapitel des SGB XII wegen fehlender Mitwirkung ab. Über die dagegen eingelegten Widersprüche ist nach Aktenlage bislang nicht entschieden. Mit Schreiben vom 09.12.2011 teilte der Sozialhilfeträger dem Ag mit, zumindest nach Aktenlage würde für die ASt dem Grunde nach ein Leistungsanspruch nach dem Dritten Kapitel des SGB XII bestehen.

Am 14.11.2011 haben die ASt beim SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Der Ag habe sich in eine angebliche Erwerbsunfähigkeit der ASt zu 1. regelrecht verrannt. Nicht einmal die Aufnahme der Teilzeittätigkeit als stellvertretende Filialleiterin habe daran etwas geändert. Die ASt müssten sich auch nicht auf die vorrangige Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB XII verweisen lassen. Die angebliche Erwerbsunfähigkeit der ASt zu 1. sei durch nichts belegt, und der Sozialhilfeträger habe Leistungen abgelehnt.

Mit Beschluss vom 28.11.2011 hat das SG den Ag verpflichtet, den ASt ab 01.12.2011 längstens bis zum 31.05.2012 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 530 EUR zu erbringen. Die Frage der Erwerbsfähigkeit der ASt zu 1. sei offen. Der Einschätzung der DRV stehe die Beurteilung des Dr. B. entgegen. Die sonstigen ärztlichen Atteste böten keine eindeutigen Schlussfolgerungen. Im Hinblick auf den Umstand, dass die Hauptsache nicht vorweggenommen werden dürfe, sei vorliegend ein Abschlag vom Regelsatz gerechtfertigt. Leistungen für die Zeit vor dem 01.12.2011 seien im Eilverfahren nicht zuzusprechen.

Dagegen hat der Ag Beschwerde beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Wegen der noch offenen Frage der Erwerbsfähigkeit fehle es an seiner Zuständigkeit. Die Mittellosigkeit sei selbst verschuldet, da die ASt dem Sozialhilfeträger die Prüfung der Erwerbsfähigkeit nicht ermöglicht hätten. Dessen Zuständigkeit müsse so lange fortbestehen, wie kein gegenteiliges objektives Gutachten vorliege. Man sei an die einvernehmliche Beurteilung des Leistungsvermögens der ASt zu 1. durch die DRV, dem Sozialhilfeträger und der Arbeitsvermittlung gebunden. Die Ausführungen des Rentenversicherungsträgers müssten als gutachterliche Stellungnahme im Sinne von § 109a Abs 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) gewertet werden. Es könne auch nicht in der Hand der ASt liegen, durch die Verweigerung der Mitwirkung das Eintreten eines anderen Sozialleistungsträgers zu erzwingen. Auch der Sozialhilfeträger fühle sich an seine abgegebene Zuständigkeitserklärung gebunden.

Die ASt haben für das Beschwerdeverfahren die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung ihres Bevollmächtigten beantragt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird auf die beigezogene Akte des Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG den Ag im Rahmen einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, den ASt vorläufig Leistungen zu erbringen.

Die ASt haben im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes einen Anspruch auf Leistungen des Ag zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ist § 86b Abs 2 Satz 2 SGG.

Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn den ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 BVerfGE 79, 69 (74); vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166 (179) und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel/Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, 5. Aufl, Rn 652).

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den die ASt ihr Begehren stützen - voraus. Die Angaben hierzu haben die ASt glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 9. Aufl, § 86b Rn 41).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Sind hierbei die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange der Ast zu entscheiden (vgl BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; zuletzt BVerfG vom 15.01.2007 - 1 BvR 2971/06 -). In diesem Zusammenhang ist eine Orientierung an den Erfolgsaussichten nur möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist, denn soweit schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, darf die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern sie muss abschließend geprüft werden (vgl BVerfG vom 12.05.2005 aaO).

Danach haben die ASt einen Anordnungsanspruch auf Alg II und Sozialgeld bzw einen Zuschuss nach § 26 SGB II glaubhaft gemacht.

Nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben (Nr 1), die erwerbsfähig (Nr 2) und hilfebedürftig (Nr 3) sind und ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr 4). Diese Voraussetzungen erfüllt die ASt zu 1 ... Sie ist 55 Jahre alt und wohnt in Deutschland.

Auch ist im Rahmen der hier vorzunehmenden summarischen Prüfung von einer Erwerbsfähigkeit der ASt zu 1. auszugehen. Erwerbsfähig ist nach § 8 Abs 1 SGB II, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Jedenfalls für die Zeit, für die das SG den Ag zur vorläufigen Leistung verpflichtet hat (ab 01.12.2011), kann davon ausgegangen werden, dass es der ASt zu 1. möglich ist, unter den genannten Voraussetzungen mindestens drei Stunden täglich zu arbeiten. Hierfür spricht zur Überzeugung des Senats insbesondere die gutachterliche Feststellung des Dr. B., der unter dem 26.10.2010 zu dem Ergebnis gekommen ist, das Leistungsvermögen liege bei mehr als sechs Stunden täglich. Er führt auch dezidiert aus, es sei angesichts der reaktiven Genese des Krankheitsgeschehens mit erneutem Beginn einer Wiederbeschäftigung eine rasche Rückbildung der depressiven Beschwerdesymptomatik zu erwarten und anzunehmen. Diese Einschätzung teilt auch die Diplom-Psychologin B. in ihrem Befundbericht vom 02.03.2011. Sie geht ebenfalls von keiner Erwerbsminderung aus und betont die Chance, dass bei einer beruflichen Perspektive eine wesentliche Grundlage für die Akzeptanz der Lebenssituation bei der ASt zu 1. geschaffen würde. Eine vorhergehende Krebserkrankung sei nicht mehr akut bedrohlich vorhanden. Im Hinblick auf den beschriebenen Auslöser der psychatrischen Behandlung, eine Insolvenz der ASt zu 1., erscheint es nachvollziehbar, dass eine geordnete berufliche und wirtschaftliche Situation zu einer gesundheitlichen Besserung führen kann. Insofern ist auch beachtlich, dass die ASt zu 1. am 22.08.2011 eine Tätigkeit als stellvertretende Filialleiterin aufgenommen hat. Neben einer Indizwirkung für das tatsächliche Vorliegen einer Erwerbsfähigkeit ist auch nach dem geschilderten Krankheitsbild jedenfalls davon auszugehen, dass sich die Erkrankung damit entscheidend verbessert haben kann. Es gibt keine Hinweise für einen Abbruch der Beschäftigung. Mithin folgt hieraus umso mehr, dass es der ASt zu 1. ganz offensichtlich ohne Weiteres möglich ist, 22 Wochenstunden zu arbeiten, also mindestens drei Stunden täglich. Die beiden ärztlichen Bescheinigungen von Dr. H. und Dr. M. von 08.02.2011 bzw 24.01.2011 machen nur eine unkonkrete Aussage zur Erwerbsfähigkeit. Sie beziehen sich auch nur auf den damaligen Zeitpunkt, der nunmehr mehr als ein Jahr zurückliegt und sich mit einer möglichen Änderung des Gesundheitszustandes bei Beschäftigungsaufnahme nicht auseinandersetzt. Somit kann nach summarischer Prüfung jedenfalls ab dem Antrag vom 25.10.2011, zu diesem Zeitpunkt hat die ASt zu 1. bereits mehr als zwei Monate ihre Erwerbstätigkeit als stellvertretende Filialleiterin ausgeübt, von einer Erwerbsfähigkeit iSv § 8 Abs 1 SGB II ausgegangen werden.

Dem kann auch nicht die Einschätzung der DRV in ihrem Bescheid vom 17.11.2010 entgegen gehalten werden. Dort wurde ausgeführt, im Hinblick auf die Feststellungen des beratungsärztlichen Dienstes liege ein Leistungsvermögen von unter drei Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und folglich eine Erwerbsunfähigkeit auf Zeit vor. Jedenfalls nach summarischer Prüfung ist insofern festzuhalten, dass sich keine detaillierten und hinreichend konkreten Nachweise für diese Einschätzung finden lassen. Der Hinweis darauf, die Erwerbsunfähigkeit liege nur auf Zeit vor, lässt aber bereits den Schluss zu, dass eine Verbesserung der gesundheitlichen Situation in der Zukunft nicht ausgeschlossen worden ist. Zudem erfolgte die Einschätzung der DRV im November 2010 und damit ebenfalls mehr als ein Jahr vor dem Zeitpunkt, ab dem das SG die Leistungen an die ASt zugesprochen hat.

Ebenso ändert daran die Auffassung des Ag nichts, man sei an die Einschätzung der DRV gebunden, was auch vom Sozialhilfeträger geteilt werde. Es kann offen bleiben, ob es sich dabei um eine gutachterliche Stellungnahme iSv § 44a Abs 1a und 2 SGB II iVm § 109a Abs 2 SGB VI handelt. Die Zuständigkeitszuweisung in § 44a SGB II im Verhältnis zwischen den beteiligten Trägern ist aus Sicht eines ASt lediglich eine verwaltungsinterne Vorfrage, bei der eine Rechtswirkung nach außen (vgl § 31 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch -SGB X-) vom Gesetzgeber in diesem Zusammenhang offenkundig nicht intendiert ist (vgl Hänlein in: Gagel, SGB II/SGB III, Stand Mai 2005, § 8 SGB II Rn 37). Folglich steht es einem ASt frei, trotz einer anderweitigen Einschätzung des Rentenversicherungsträgers vom Jobcenter Alg II zu begehren. Er muss sich nicht gegen den Rentenversicherungsträger und dessen Einschätzung wenden, sondern alleine gegen die negative Entscheidung des Jobcenters. Im Rahmen eines etwaigen gerichtlichen Verfahrens gegen die Leistungsablehnung hat das Gericht von Amts wegen zu ermitteln, ob Erwerbsunfähigkeit iSv § 8 Abs 1 SGB II gegeben ist. Die Einschätzung des Rentenversicherungsträgers entfaltet für das Gericht insofern keine Bindungswirkung.

Unerheblich ist auch, dass sich möglicherweise der Sozialhilfeträger für dem Grunde nach zuständig hält. Tatsächlich werden jedenfalls keine Leistungen an die ASt durch diesen gewährt. Im Übrigen ist ein Anspruch nach dem Dritten Kapitel des SGB XII nach § 21 Satz 1 SGB XII bzw § 5 Abs 2 Satz 1 SGB II ausgeschlossen, wenn dem Grunde nach ein Anspruch nach dem SGB II bestehen sollte. Es ist für die ASt zu 1. auch nicht bedeutungslos, ob sie Leistungen nach dem SGB XII oder dem SGB II erhält. So sind insbesondere unterschiedliche Vermögensfreibeträge zu beachten und die Freibeträge hinsichtlich der Anrechnung des Erwerbseinkommens wären ebenfalls unterschiedlich hoch. Darüber hinaus sieht das SGB II in den §§ 16 ff SGB II Eingliederungsleistungen vor, die der ASt zu 1. zu Gute kommen könnten. Es ist deshalb nachvollziehbar, dass ein Interesse an einer Leistungsgewährung nach dem SGB II bestehen kann. Zu beachten ist auch, dass die Leistungsablehnung des Sozialhilfeträgers bereits mit Bescheid vom 16.08.2011 erfolgte, mithin vor der Arbeitsaufnahme durch die ASt zu 1. und einer damit ggf eingetretenen Änderung ihres Leistungsvermögens. Selbst wenn die ASt durch ihre mangelnde Mitwirkung beim Sozialhilfeträger selbst verschuldet hätten, wäre dies unerheblich, da es auf die Ursachen der Bedarfssituation grundsätzlich nicht ankommt (vgl Schumacher in: Oestreicher, SGB II/SGB XII, Stand April 2011, § 9 SGB II Rn 19).

Schließlich ergibt sich aus den Grundsätzen der Feststellungslast kein anderes Ergebnis. Im Leistungsverfahren ist der ASt nach Maßgabe der §§ 60-65 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) zur Mitwirkung verpflichtet. Ihn trifft die objektive Beweislast für das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit (Hänlein aaO Rn 38). Nach obigen Ausführungen kommt es für die summarische Prüfung nicht auf die objektive Beweislast an, da es im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nur auf die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs ankommt und zudem auch nicht davon ausgegangen werden kann, die Frage der Erwerbsfähigkeit sei insofern offen. Schließlich hat die ASt zu 1. ihre Mitwirkung hinsichtlich einer Untersuchung durch den Medizinischen Dienst des Ag bereits mit Schreiben vom 18.04.2011 angeboten, was der Ag abgelehnt hat (Schreiben vom 05.05.2011).

Die ASt zu 1. ist auch hilfebedürftig, da ihr Einkommen (§ 11 ff SGB II) und Vermögen (§ 12 SGB II) sowie das des ASt zu 2. nicht ausreicht, um den Lebensunterhalt der Bedarfsgemeinschaft zu decken, § 9 Abs 1 und 2 SGB II.

Da der ASt zu 2. unstreitig erwerbsunfähig ist, mit der ASt zu 1. aber nach § 7 Abs 3 Nr 3 SGB II eine Bedarfsgemeinschaft bildet, hat er einen Anspruch auf Sozialgeld nach § 23 SGB II und einen Anspruch auf Zuschuss zu seinen Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung nach § 26 SGB II.

Für die Leistungsberechnung ergibt sich damit folgendes summarisches Bild:

ASt zu 1. ASt zu 2.
Regelbedarf 328 EUR 328 EUR
Kosten Unterkunft und Heizung 319,60 EUR 319,60 EUR
Summe Bedarf 647,60 EUR 647,60 EUR
je 50% Rente ASt zu 2. abzgl. 30 EUR Versicherungspauschale 50% v. (333,73 EUR - 30 EUR) = 151,37 EUR 50% v. (333,73 EUR - 30 EUR) = 151,36 EUR
je 50% Einkommen ASt zu 1. abzgl. Freibeträge § 11b II + III 50% v. [674,78 EUR - 100 EUR - (20% von 750 EUR)] = 212,39 EUR 50% v. [674,78 EUR - 100 EUR - (20% von 750 EUR)] = 212,39 EUR
Summe Einkommen 373,76 EUR 373,75 EUR

offener Bedarf
273,84 EUR
273,85 EUR

Die Leistungen für die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge betragen für den ASt zu 2. zusätzlich 155,48 EUR.

Auch ein Anordnungsgrund ist glaubhaft gemacht. Die ASt erhalten derzeit keine anderweitigen Leistungen. Sie sind auf die Leistungsgewährung durch den Ag angewiesen. Ein Verweis auf die Beantragung von Leistungen nach dem SGB XII scheidet aus, da nach summarischer Prüfung die dafür notwendigen Leistungsvoraussetzungen nicht gegeben sind.

Sofern das SG bei der Höhe der Leistungsverpflichtung einen Abschlag vornimmt, ist dies nicht zu beanstanden (vgl zur Zulässigkeit eines Abschlags: Beschluss des Senats vom 18.04.2007 - L 11 B 878/06 AS ER; BVerfG, Breith 2005, 803). Im Übrigen ist der Ag als Beschwerdeführer dadurch nicht belastet. Eine Abänderung ist bereits wegen des Verbotes einer reformatio in peius nicht möglich.

Die Verpflichtung des Ag zur vorläufigen Leistungsgewährung war auch für den Zeitraum von längsten sechs Monaten (Dezember 2011 bis Mai 2012) zulässig. Dies entspricht dem regelmäßigen Bewilligungszeitraum, § 41 Abs 1 Satz 4 SGB II.

Zur Klarstellung war der Tenor der Entscheidung des SG in dessen Ziffer I. abzuändern. Bei den Ansprüchen nach dem SGB II handelt es sich jeweils um individuelle Ansprüche der einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (siehe bereits BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - Rn 12 - juris = SozR 4-4200 § 22 Nr 1). Ein Gesamtleistungsbetrag an die Bedarfsgemeinschaft ist nicht vorgesehen. Insofern war klarzustellen, an welches Mitglied jeweils welcher Betrag zu zahlen ist. Hiervon ist auch der Ag ausgegangen, da er bei der Ausführung des Beschlusses des SG in seinem Bescheid vom 05.12.2011 den ASt jeweils 265 EUR bewilligt hat. Allerdings gilt es vorliegend zu berücksichtigen, dass das SG in den Gründen ausgeführt hat, die Leistungen würden sich aus Regelleistung abzüglich ca 30%, Kosten der Unterkunft und Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen zusammen setzen. Die Leistungen für die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge (155,48 EUR) des ASt zu 2. werden allerdings als Zuschuss alleine ihm gewährt. Die Verteilung der 530 EUR muss deshalb dahingehen, dass der ASt zu 1. davon 187,26 EUR ((530 EUR - 155,48 EUR) / 2) und dem ASt zu 2. 342,74 EUR (187,26 EUR + 155,48 EUR) zu gewähren sind.

Die Beschwerde war im Ergebnis zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der analogen Anwendung des § 193 SGG.

Den ASt war Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten zu bewilligen. Die Voraussetzungen des § 73a SGG iVm §§ 114 ZPO liegen vor.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG bzw § 73a SGG iVm § 127 Abs 2 Satz 1 ZPO).
Rechtskraft
Aus
Saved