L 2 U 358/10

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 8 U 5055/08 L
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 358/10
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Regelsätze enthalten nur Anhaltspunkte für den Nromalfall und dürfen nicht schematisch angewandt werden.
Ein Vorschaden kann uach eine geringe MdE bewirken.
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 22. Juni 2010 aufgehoben und der Bescheid der Beklagten vom
16. April 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. Oktober 2008 insoweit aufgehoben, dass eine Berstungsfraktur LWK 3 mit Zerreißung der anliegenden Bandscheiben sowie eine sekundäre Destabilisierung einer vorbestehenden Spondylolyse mit Olisthesis L 4 bis L 5 und eine 3-Etagen-Spondylolyse L 2 bis L 5 als weitere Folgen des Arbeitsunfalls vom 15. April 2006 festgestellt werden.

II. Die Beklagte wird ferner verurteilt, der Klägerin über den 26. Februar 2007 hinaus eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. zu gewähren.

III. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

IV. Die Beklagte hat der Klägerin ein Drittel der außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf Verletztenrente auf Dauer und in welcher Höhe hat.

Die 1954 geborene Klägerin erlitt bei Aufräumarbeiten auf dem Hof des landwirtschaftlichen Anwesens am 15.04.2006 einen Arbeitsunfall, als sie rückwärts über eine Anhängerdeichsel stolperte und stürzte. Laut Durchgangsarztbericht des Dr. H. vom 19.04.2006 zog sie sich hierbei eine Kontusion der Lendenwirbelsäule (LWS) und eine frische LWK-3-Fraktur zu. Am 19.04.2006 wurde ein CT der Lendenwirbelsäule erstellt. Dieses zeigte eine frische Kompressionsfraktur in Höhe LWK 3 mit starker Höhenminderung des Wirbelkörpers im ventro-medialen Bereich und Einbruch der Deck- und Grundplatte. Die Frakturlinie ziehe sich durch den gesamten Wirbelkörper. Desweiteren wurde eine ausgeprägte Spondylolisthesis von LWK 4 nach LWK 5 mit einem Dorsalversatz LWK 5 um mehr als 1 cm festgestellt und eine knöcherne Umbauungsreaktion mit Höhenminderung des Bandscheibenfaches LWK 4/5.

Die Beklagte zog zur weiteren medizinischen Sachaufklärung Unterlagen der behandelnden Ärzte Dr. H. und Dr. S. bei und veranlasste im Anschluss daran eine Begutachtung bei dem Orthopäden Dr. M. Dieser kam in seinem Gutachten vom 27.02.2008 zum Ergebnis, dass als wesentliche Unfallfolge ein Zustand nach Kompressions-Berstungsfraktur des LWK 3 festzustellen sei, der knöchern fest konsolidiert sei. Auch bei der aktuellen Röntgenuntersuchung habe sich die Hinterkante des LWK 3 stabil gezeigt. Nach dem Ende der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit sei eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ab 19.07.2006 zunächst in Höhe von 30 v.H. und anschließend ab 15.10.2006 bis 26.02.2007 in Höhe von 20 v.H. und danach eine MdE von nur noch 10 v.H. gegeben.

Mit Bescheid vom 16.04.2008 stellte die Beklagte daraufhin einen Stauchungsbruch
des 3. Lendenwirbelkörpers als Unfallfolge fest und gewährte für die Zeit vom 19.07.2006 bis 14.10.2006 Verletztenrente nach einer MdE von 30 v.H. und im Anschluss daran bis einschließlich 26.02.2007 Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. Darüber hinaus lehnte die Beklagte die Gewährung von Rente ab, weil eine MdE in rentenberechtigendem Ausmaß nicht mehr gegeben sei.

Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos; der Widerspruchsbescheid erging am 08.10.2008. Die noch bestehenden Beschwerden seien überwiegend unfallfremd, durch die Wirbelsäulenveränderungen (Spondylolisthesis) bedingt.

Hiergegen erhob die Klägerin am 28.10.2008 Klage beim Sozialgericht Landshut (SG). Zur Begründung verwies sie u.a. darauf, dass sie aufgrund der Vorerkrankung selten Schmerzen seitens der Wirbelsäule gehabt habe. Diese Beschwerden hätten sich seit dem Arbeitsunfall drastisch verschlechtert. Die MdE betrage nach wie vor 20 v.H. Das SG zog Befundberichte der behandelnden Ärzte Dr. H. und Dr. S. sowie eine Auskunft der AOK Bayern bei. Im Anschluss daran ernannte es den Unfallchirurgen
Dr. D. vom Städtischen Krankenhaus C-Stadt zum ärztlichen Sachverständigen. Dr. D. kam in seinem Gutachten vom 28.08.2009 zum Ergebnis, dass als Folge des Unfalls vom 15.04.2006 ein Spalt-/Berstungsbruch des 3. Lendenwirbelkörpers anzuerkennen sei. Dies habe zu einem chronischen Lendenwirbelsäulensyndrom leichter Prägung geführt. Die MdE betrage ab 27.02.2007 10 v.H ... Unfallunabhängig lägen ein Bandscheibenvorfall L 5/S 1 sowie ein Wirbelgleiten L 4/5 und eine seit 1990 aktenkundige Behandlungsbedürftigkeit vor. Es bestehe zwischen den unfallunabhängigen Gesundheitsstörungen und den Unfallfolgen eine funktionelle Wechselwirkung der Gestalt, dass der Vorschaden zu einer Verstärkung der unfallbedingten Funktionsstörung führe, womit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 15 v.H. als befundadäquat angesehen werden könne.

Auf Antrag der Klägerin erstellte der Orthopäde Dr. S. am 24.03.2010 ein weiteres Gutachten. Er sah als Unfallfolgen die Fraktur des Lendenwirbelkörpers 3 mit Statikänderung und Bandscheibenveränderung L2/3 und L3/4. Desweiteren den Übergang von der stabilen Spondylolisthese L 4/5 in eine instabile Spondylolisthese L 4/5. Die MdE betrage 30 v.H. bis 10.09.2009 und danach 20 v.H. Dr. D. blieb in einer ergänzenden Stellungnahme vom 20.04.2010 bei seiner Einschätzung. Die am 10.09.2009 durchgeführte dorsale Korrektur-Spondylodese L 2 auf L 5 sei ausschließlich dem Wirbelgleiten operativ gewidmet gewesen. Eine Verschlimmerung des Wirbelgleitens sei durch den Unfall nicht wesentlich verursacht.

Mit Urteil vom 22.06.2010 wies das Sozialgericht Landshut die Klage ab. Es stützte sich im Wesentlichen auf das Gutachten des Dr. D ...

Hiergegen hat die Klägerin am 09.08.2010 Berufung eingelegt. Sie hat im Wesentlichen auf das Gutachten des Dr. S. Bezug genommen.

Der Senat hat Beweis erhoben und den Facharzt für Chirurgie und Orthopädie Dr. A. zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt. Dieser ist in seinem Gutachten vom 28.12.2010 zum Ergebnis gekommen, dass es bei dem Unfall vom 15.04.2006 neben der Wirbelkörperfraktur L 3 mit deutlich überwiegender Wahrscheinlichkeit auch zu einer erheblichen Strukturschädigung im bereits vorgeschädigten Segment L 4/5 gekommen sei. Der Unfall stelle eine nicht wegzudenkende Teilursache des im Sommer 2009 festgestellten Zustandes dar. Somit habe der Unfall zu einer Berstungsfraktur LWK 3 mit Zerreißung der anliegenden Bandscheiben, einer sekundären Destabilisierung einer vorbestehenden Spondylolyse und Olisthesis L 4-5 und einer Drei-Etagen-Spondylodese L 2 bis L 5 geführt. Die Versteifungsoperation im September 2009 sei infolge des Unfalls notwendig geworden. Die MdE betrage bis 31.10.2009 40 v.H., seither und auf Dauer 30 v.H.

Die Beklagte hat daraufhin eine Stellungnahme ihres beratenden Arztes Dr. D. vorgelegt. Der Chirurg Dr. D. ist in einer ergänzenden Stellungnahme vom 12.04.2011 zum Ergebnis gekommen, dass er sich den Ausführungen des Dr. A. nicht anschließen könne. Die Operation habe sich ausschließlich degenerativen Veränderungen gewidmet.

In einer weiteren Stellungnahme hat der Sachverständige Dr. A. nochmals dargelegt, dass eine relevante Instabilität vor dem Unfall aus den radiologischen Befunden nicht erkennbar sei. Abschließend ist er bei seiner gutachterlichen Einschätzung geblieben.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 22.06.2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16.04.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.10.2008 aufzuheben und festzustellen, dass eine Berstungsfraktur LWK 3 mit Zerreißung der anliegenden Bandscheiben sowie eine sekundäre Destabilisierung einer vorbestehenden Spondylolyse mit Olisthesis L 4 bis L 5 und eine 3-Etagen-Spondylolyse L 2 bis L 5 weitere Folgen des Arbeitsunfalls sind. Ferner beantragt sie, die Beklagte zu verurteilen, eine Verletztenrente in Höhe von 40 v.H bis 31.10.2009, anschließend von 30 v.H. auf Dauer zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und teilweise begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Feststellung weiterer Unfallfolgen und Verletztenrente in Höhe von 20 v.H. über den 26.02.2007 hinaus.

Die auf Feststellung weiterer Gesundheitsstörungen als Unfallfolgen und Aufhebung der insoweit ablehnenden Verwaltungsakte der Beklagten gerichtete Anfechtungs- und Feststellungsklage ist gemäß §§ 54 Abs.1, 55 Abs. 1 Nr. 1 bzw. 3 SGG statthaft (vgl. BSG vom 05.07.2011 - B 2 U 17/10 R). Dies gilt auch für die auf Gewährung einer Verletztenrente gerichtete Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG.

Bei der Klägerin sind als Folgen des Arbeitsunfalls nicht nur ein "Stauchungsbruch des
3. Lendenwirbelkörpers" anzuerkennen, sondern auch eine Berstungsfraktur LWK 3 mit Zerreißung der anliegenden Bandscheiben, eine sekundäre Destabilisierung einer vorbestehenden Spondylolyse und Olisthesis L 4-5 und eine Drei-Etagen-Spondylodese L 2 bis L 5. Diese weiteren Unfallfolgen sind nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. A. vom 28.12.2010 und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 14.06.2011 bewiesen.

Dabei ist zu beachten, dass das Vorliegen eines Gesundheitserstschadens bzw. eines Gesundheitsfolgeschadens (Unfallfolgen) im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen muss, während für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitserst- bzw. -folgeschaden die "hinreichende" Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit genügt (vgl. BSG vom 02.04.2009 Az.: B 2 U 29/07 R).

Für die erforderliche Kausalität zwischen Unfallereignis und Gesundheits(erst)schaden sowie für die Kausalität zwischen Gesundheits(erst)schaden und weiteren Gesundheits-schäden gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung (BSG vom 17.02.2009 Az.: B 2 U 18/07 R). Diese beruht auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie. Danach ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Als rechtserheblich werden allerdings nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besondere Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (sogenannte Theorie der wesentlichen Bedingung). Welche Ursache wesentlich ist, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs abgeleitet werden (vgl. BSG vom 17.02.2009 - B 2 U 18/07 R) sowie auf Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten (vgl. BSG vom 09.05.2006 Az.: B 2 U 1/05 R). Gesichtspunkte für die Beurteilung sind neben der versicherten Ursache als solcher, einschließlich Art und Ausmaß der Einwirkung, u.a. die konkurrierende Ursache (nach Art und Ausmaß), der zeitliche Ablauf des Geschehens, das Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, Befunde und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie die gesamte Krankengeschichte (vgl. BSG vom 09.05.2006 Az. B 2 U 1/05 R).

Zur Überzeugung des Senats sind bei der Klägerin die weiteren Unfallfolgen Berstungsfraktur LWK 3 mit Zerreißung der anliegenden Bandscheiben, sekundäre Destabilisierung einer vorbestehenden Spondylolyse und Olisthesis L4-5 und eine Drei-Etagen-Spondylodese L2 bis L5 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen und der Ursachenzusammenhang mit dem Unfall vom 15.04.2006 mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt. Dies ergibt sich aus dem überzeugenden Gutachten des vom Senat beauftragten Sachverständigen Dr. A. vom 28.12.2010 sowie seiner ergänzenden Stellungnahme vom 14.06.2011. Dr. A. führt aus, dass die Klägerin bei dem Sturz eine quere Wirbelkörperfraktur L3 erlitten hat mit mehrfacher Fragmentierung des abgesprengten ventralen Drittels des LWK 3. Es besteht weiterhin eine deutliche Deformierung des LWK 3, wenn auch nicht als typischer Keilwirbel, da die Vorderkante in ihrer Höhe weitgehend erhalten ist. Eine anlagebedingte Fehlform ist bei unauffälligen Röntgenbefunden dieses Wirbelkörpers vor dem Unfall auszuschließen. Diese Fraktur belegt jedenfalls das Auftreten erheblicher Krafteinwirkungen bei diesem Unfall. Laut Dr.A. hat der Unfall auch zu einer Schädigung der anliegenden Bandscheiben geführt.

Hinsichtlich der vorbestehenden Bogenanomalie mit Wirbelgleiten LWK 4 um bis zu einem Viertel Gesamtdurchmesser, dokumentiert seit 1991, lag zum Zeitpunkt des Unfalls keine relevante Instabilität vor. Die deutliche Beschwerdebesserung nach der langstreckigen Spondylodese der LWS durch die Operation im September 2009 deutet laut Dr. A. darauf hin, dass die Hauptbeschwerden von diesem Segment ausgelöst wurden. Hier ist mit Dr. A. eine richtunggebende Verschlimmerung der Instabilität im Segment L 4-5 durch den Unfall festzustellen. Dafür spricht zunächst die Schilderung der Klägerin, die angibt, vor dem 15.04.2006 auch schwere körperliche Arbeit beschwerdefrei durchgeführt zu haben. Allerdings wurden wiederholt Röntgenuntersuchungen durchgeführt einschließlich Funktionsaufnahmen, die wohl nicht ohne entsprechende Beschwerden erfolgt wären. Ebenso hatten ambulante Reha-Maßnahmen stattgefunden, allerdings viele Jahre vor dem aktuellen Unfall. Die Aufnahmen aus der Zeit vor dem Unfall belegen andererseits, dass zumindest bis 1996 keine relevante Instabilität in Höhe des Wirbelgleitens bestand. Dies ist ein durchaus häufiger Befund, nicht selten wird ein Wirbelgleiten Grad I auch erst als "Zufallsbefund" ohne vorherige Beschwerden festgestellt. Laut Schönberger/Mehr-
tens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. S. 451 ist die Spondylolisthesis, Wirbelgleitverschiebung nach vorne, im Erwachsenenalter ein abgeschlossener Vorgang, also nicht etwa ein noch im Fortschreiten begriffener Gleitvorgang. Deshalb bezeichnet die Wortwahl "Verschiebung" (für einen abgeschlossenen Prozess) die Situation besser als der missverständliche Ausdruck "Wirbelgleiten". Das Wirbelgleiten nach vorne spielt sich in der Kindheit (Schulkindalter, Adoleszenz), am häufigsten in der Pubertät ab und kommt zwischen dem 20. und 25. Lebensjahr zum Stillstand. Im Erwachsenenalter anlässlich einer Wirbelsäulenverletzung aufgedeckte Fälle von Olisthesis sind meist nur Rückstände eines vor Abschluss des Skelettwachstums unbemerkt abgelaufenen und inzwischen stabilisierten Prozesses, also nicht das Ergebnis einer frischen Verletzung.

In den zehn Jahren zwischen 1996 und 2006 sind keine Befunde dokumentiert. Die Annahme, dass bereits vor dem aktuellen Unfall eine relevante Instabilität der Spondylolisthese bestanden hat, ist durch nichts belegt und im Gesamtkontext als unwahrscheinlich zu bezeichnen. Auch die CT-Aufnahmen bringen hier keine verwertbaren Ergebnisse. Die ersten Funktionsaufnahmen erfolgten nach längerer Beschwerdephase im Sommer 2009 und hier zeigt sich laut Sachverständigem Dr. A. nun eine massive Zunahme der Instabilität, das Wirbelgleiten hat um 1 Grad zugenommen (mehr als ein Viertel Gesamtdurchmesser). Da das primäre Trauma und die Schädigung der Wirbelsäule voll bewiesen sind, kann hier nur festgestellt werden, dass es bei dem Unfall vom 15.04.2006 neben der Wirbelkörperfraktur L 3 mit deutlich überwiegender Wahrscheinlichkeit auch zu einer erheblichen Strukturschädigung im bereits vorgeschädigten Segment L4 bis 5 gekommen ist. Der Unfall stellt eine nicht wegzudenkende Teilursache des im Sommer 2009 festgestellten Zustandes dar. Demnach sind auch die Folgen dieser Instabilität, einschließlich Operation, als Unfallfolge anzusehen. Hier findet sich Dr. A. in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Dr. S., der in seinem Gutachten vom 24.03.2010 ausgeführt hat, dass es durch den Unfall zu einem Übergang der stabilen Spondylolisthese zu einer instabilen Spondylolisthese gekommen ist. Zuvor waren die Beschwerden nicht in dem Maße vorhanden wie nach dem Unfall. Erst hierdurch kam es zur Notwendigkeit der OP.

Zwar hat Dr. D. in seinem Gutachten vom 28.08.2009 mit ergänzender Stellungnahme vom 12.04.2011 eine solche richtunggebende Verschlimmerung verneint. Hierzu führt
Dr. A. jedoch überzeugend aus, dass die Röntgenbilder vom 08.03.1991 nochmals von ihm angefordert, nachbefundet und exakt ausgemessen wurden. Laut Dr. A. liegt zum Zeitpunkt dieser Röntgenaufnahmen eindeutig eine Spondylolyse mit Olisthesis L 4/5 Grad I nach Meyerding vor. Eine Instabilität ist nicht gesichert. Auch fünf Jahre später, am 09.07.1996, ist auf Standardaufnahmen wiederum nur ein geringes Wirbelgleiten Grad I festzustellen. Danach wurden zehn Jahre keine Aufnahmen mehr gemacht, so dass in dieser Zeit, in Übereinstimmung mit den Angaben der Klägerin, nicht vom Vorliegen gravierender Beschwerden durch die Veränderungen der LWS ausgegangen werden kann. Damit ist kein Vorschaden anzunehmen, der so ausgeprägt gewesen wäre, dass der Unfall vom 15.04.2006 lediglich noch als "Gelegenheitsursache" für die nachfolgenden Beschwerden und Behandlungen gelten könnte. Unfallfolge ist deshalb die massive Zunahme der radiologisch nachgewiesenen Instabilität im Segment L 4-5 und zwar bis zum Grad II bis III nach Meyerding. Somit ist auch die Operation an der Wirbelsäule im September 2009 unfallbedingt. Die weiteren Unfallfolgen sind deshalb anzuerkennen.

Aufgrund der Unfallfolgen ergibt sich ein Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente gemäß § 56 SGB VII.

Nicht gefolgt werden kann jedoch dem Sachverständigen Dr. A. bei der Einschätzung der MdE. Dr. A. schätzt die MdE bis 31.10.2009 auf 40 v.H., danach auf 30 v.H. Er beruft sich insoweit auf die Berechnung nach "Segmentwerten". Unter Anwendung der segmentbezogenen Beweglichkeitswerte nach Weber und Wimmer (Schönberger/Mehr-
tens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., S.443) ist die Gesamtbeweglichkeit der Wirbelsäule nach Versteifung um 13,7 % eingeschränkt. Eine Instabilität von über einem Viertel WK-Durchmesser im Segment L4 bis 5 hat vor der Operation 2009 bestanden, dies allein entspreche einer MdE von 5,6 x 5 = 28. Hinzu käme eine teilinstabile alte Fraktur L 2. Hier wäre unter Übernahme des Ankylose-Satzes der Segmentwert mit 3 zu multiplizieren, also 3,6 x 3 = 10,8. Dies ergibt insgesamt 38,8, aufgerundet 40. Dr. A. weist jedoch darauf hin, dass trotz subjektiv und objektiv erfolgreicher Operation die MdE nach der Operation höher wäre, wenn man bei Versteifung von drei Segmenten den Satz von 13,7 x 3 anwenden würde. Dies zeigt nach seinen Worten die Grenzen dieser Berechnungsmethode auf. Die Diskrepanz zu den bisher akzeptierten 10 v.H. ist nach seiner Meinung allerdings offensichtlich zu hoch.

Der Sachverständige Dr. A. hat zu Recht die Schwächen der Berechnung nach dem Segmentprinzip aufgezeigt. Die MdE bezeichnet den Verlust an Erwerbsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Es kommt also darauf an, wie sich der Gesundheitsschaden im Erwerbsleben auswirkt. In der Praxis gelten seit langem für bestimmte Folgen bestimmte MdE-Sätze (sog. Regel- oder Normalsätze), die nach der Rechsprechung auf Grund ständiger Übung zu beachten sind (vgl. KassKomm-Ricke, § 56 SGB VII Rdnr. 19 m.w.N.).

Danach ist bei einem Wirbelkörperbruch mit Bandscheibenbeteiligung und instabiler Ausheilung eine MdE von 20 v.H. angemessen. Kommt hierzu ein statisch wirksamer Achsenknick dazu, ist die MdE mit 20 bis 30 v.H. einzuschätzen (vgl. Schönberger/Mehr-
tens/Valentin, a.a.O., S. 442). Vor diesem Hintergrund ist hier die MdE mit 20 v.H. über den 26.02.2007 hinaus festzusetzen. Die Wirbelsäule ist durch die OP stabilisiert und nach den eigenen Angaben der Klägerin ist hierdurch eine deutliche Besserung der Funktionsfähigkeit eingetreten. Auch unter Berücksichtigung des Segmentprinzips kommt
Dr. S. auf Dauer zur selben MdE. Dr. A. hat hingegen den Vorschaden nicht ausreichend berücksichtigt und setzt deshalb die MdE zu hoch an. Solche Wechselwirkungen mit einem Vorschaden sind jedoch zu berücksichtigen (vgl. KassKomm-Ricke, a.a.O, Rdnr. 21).

Der Berufung war deshalb teilweise stattzugeben. Da der Berufungsantrag auf eine Verletztenrente nach einer MdE um 40 v.H. bis 31.10.2009 und anschließend um 30 v.H. auf unbestimmte Zeit gerichtet ist, war die Berufung im Übrigen zurückzuweisen.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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