L 7 AS 213/12 B PKH

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AS 535/10
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 213/12 B PKH
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
wegen Prozesskostenhilfe
Die Erforderlichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwaltes kann im Verfahren betreffend Leistungen nach dem SGB II nicht allein mit dem Argument verneint werden, ein Bemittelter würde bei kleinem Streitwert wegen der dazu unverhältnismäßig hohen Rechtsanwaltsgebühren keinen Rechtsanwalt beauftragen. Diese Argumentation verstößt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegen das Grundgesetz.
Hat ein erstinstanzliches Gericht die Notwendigkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts rechtsfehlerhaft verkannt, erscheint es sachgerecht, die Sache an das erstinstanzliche Gericht zur Prüfung der Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe zurückzuweisen.
Auf die Beschwerde der Antragsteller und Beschwerdeführer wird der Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 16. Januar 2012 aufgehoben und die Sache an das Sozialgericht Regensburg zurückverwiesen.



Gründe:


I.
In der Hauptsache begehrten die Kläger - Antragsteller (Ast) und Beschwerdeführer (Bf) bezüglich Prozesskostenhilfe - vom Beklagten unter Abänderung der einschlägigen Bescheide für die Zeit von Oktober 2009 bis März 2010 weitere Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 10,23 Euro für einen Kfz-Stellplatz.
Die hierauf gerichtete Klage wies das Sozialgericht Regensburg mit Urteil vom 17.02.2012 als unbegründet ab. Es läge keine untrennbare Verbindung zwischen der Wohnraumanmietung und dem Anmieten des Kfz-Stellplatzes vor, so dass die Kosten für den Stellplatz gemäß der Rechsprechung des BSG nicht zu übernehmen seien. Die Berufung wurde im Urteil nicht zugelassen.
Bereits mit Beschluss vom 16.01.2012 hatte das SG über den Antrag der Ast auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren vor dem Sozialgericht Regensburg entschieden. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe und auf Beiordnung von Rechtsanwalt E., A-Stadt, für das Klageverfahren hatte das Sozialgericht Regensburg unter Berufung auf einen Beschluss des Bayer. Landessozialgericht vom 15.12.2010 (Az L 16 AS 454/10 B PKH) mit der Begründung abgelehnt, eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt sei nicht erforderlich gewesen gemäß § 121 Abs. 2 ZPO. Es wäre einem Bemittelten in der Lage der Ast nicht in den Sinn gekommen, sich bei einem Streitwert von etwas über 60,00 Euro vor einem Gericht mit Gerichtskostenfreiheit und Amtsermittlungsprinzip der gebührenpflichtigen Hilfe eines Rechtsanwalts zu bedienen und sich so einem Anwaltskostenrisiko auszusetzen, das sich auf ein Vielfaches der Summe belaufe, um die es in der Sache eigentlich ginge. Die Beschwerde sei angesichts des Beschwerdewertes ausgeschlossen.
Hiergegen haben die Ast Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Die Beschwerde sei nach der Rechtsprechung des Bayer. Landessozialgerichts zulässig. In der Sache sei die Beiordnung eines Rechtsanwaltes erforderlich gewesen. Die Frage, ob eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheine, könne nicht nach dem Verhältnis von Streitwert des Kostenrisikos beurteilt werden. Bei der Beurteilung, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten in vernünftiger Weise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte, käme es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 24.03.2011, Az.: 1 BvR 1737/10) auf weitere Faktoren an, u.a. auf die Fähigkeiten der Ast, sich mündlich und schriftlich auszudrücken. Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass dem Bf rechtskundige und prozesserfahrene Vertreter einer Behörde gegenüberstehen und damit zwischen den Prozessparteien ein Ungleichgewicht herrsche, das entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu berücksichtigen sei.

II.
Die Beschwerde ist - da sie trotz ihres geringen Beschwerdewertes gesetzlich gemäß
§ 172 Abs. 3 nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist (vgl. Beschluss des Senats vom 27.05.2011, Az.: L 7 AS 342/11 B PKH) - zulässig, nachdem auch die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen gegeben sind.
Die Beschwerde ist im Sinne einer Zurückverweisung an das Sozialgericht Regensburg auch begründet.
Die Sache wird unter entsprechender Anwendung von § 159 SGG (vgl. dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 159 Rz. 1) an das Sozialgericht Regensburg zurückverwiesen.
Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung liegen vor.
Das Sozialgericht hat rechtsfehlerhaft unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwaltes mit der Begründung abgelehnt, eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt sei nicht erforderlich i.S.v. § 121 Abs. 2 Alt.1 Zivilprozessordnung (ZPO).
Das Sozialgericht hat dabei weder über die hinreichenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache noch über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse als Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe entschieden.
Es erscheint aus Sicht des Senats sachgerecht, dass die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erstinstanzlich vom Sozialgericht geprüft werden.
Das Sozialgericht hat die Erforderlichkeit einer Vertretung durch einen Rechtsanwalt unter einem Verstoß gegen (GG) das Grundgesetz (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) verneint.
Die Voraussetzungen des § 121 Abs. 2 Alt.1 ZPO bezüglich der Erforderlichkeit einer Vertretung durch einen Rechtsanwalt wurden vom Sozialgericht unzureichend geprüft. Die Bezugnahme auf eine Entscheidung des 16. Senats des Bayer. Landessozialgerichts vom Dezember 2010 lässt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts völlig außer Acht.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. u.a. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24.03.2011, Az.: 1 BvR 1737/10) gebietet Art. 3 Abs. 1 i.V.m. dem Rechtsstaatsgrundsatz, der in Art. 20 Abs. 3 GG allgemein niedergelegt ist und für den Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt in Art. 19 Abs. 4 GG seinen besonderen Ausdruck findet (Bundesverfassungsgericht a.a.O. Rz. 13), eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Mit dem Institut der Prozesskostenhilfe ermöglicht der Gesetzgeber auch Unbemittelten einen weitgehend gleichen Zugang zu Gerichten (Bundesverfassungsgericht a.a.O. Rz. 13).
Zwar ist das Verfahren vor den Sozialgerichten ohne Anwaltszwang und Gerichtskosten frei ausgestaltet. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist hier jedoch insofern von Bedeutung, als der Unbemittelte durch die Beiordnung des Rechtsanwaltes und dessen Befriedigung durch die Staatskasse von dessen Vergütungsansprüchen freigestellt wird. Dem Unbemittelten ist daher gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 121 Abs. 2 Alternative 1 ZPO auf seinen Antrag ein Rechtsanwalt dann beizuordnen, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint (Bundesverfassungsgericht a.a.O.
Rz. 14).
Die Erforderlichkeit im Sinne von § 121 Abs. 2 ZPO beurteilt sich demgemäß - so das Bundesverfassungsgericht a.a.O. Rz. 16 - nach dem Umfang und der Schwierigkeit der Sache sowie nach der Fähigkeit der Beteiligten, sich mündlich und schriftlich auszudrücken. Entscheidend ist, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftiger Weise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte. Davon ist regelmäßig dann - ohne dass es auf das Verhältnis von Streitwert und Kostenrisiko ankäme - auszugehen, wenn im Kenntnisstand und in den Fähigkeiten der Prozessparteien ein deutliches Ungleichgewicht besteht (Bundesverfassungsgericht a.a.O. Rz. 16).
Diesen verfassungsgerichtlichen Maßstäben wird der Beschluss des Sozialgerichts in keiner Hinsicht gerecht, da das Sozialgericht lediglich das Verhältnis von Streitwert und Kostenrisiko abstellt.

Die Beurteilung, ob ein Rechtsanwalt erforderlich ist, darf nicht auf das Verhältnis von Streitwert und Kostenrisiko reduziert werden (Bundesverfassungsgericht a.a.O. Rz. 17). Bei der Bewertung, ob die Beiordnung eines Rechtsanwalts erforderlich ist, ist vornehmlich darauf abzustellen, ob die besonderen persönlichen Verhältnisse eines Ast dazu führen, dass der Grundsatz der Waffengleichheit zwischen den Parteien verletzt ist (Bundesverfassungsgericht a.a.O. Rz. 17).
Insoweit spielt es eine wichtige Rolle, dass dem Ast auf der Gegenseite rechtskundige Vertreter von Behörden gegenüberstehen (Bundesverfassungsgericht a.a.O. Rz. 18). In einem solchen Fall wird ein vernünftiger Rechtssuchender regelmäßig einen Rechtsanwalt einschalten, wenn er nicht ausnahmsweise selbst über ausreichende Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, um das Verfahren in jedem Stadium durch sachdienlichen Vortrag und Anträge effektiv fördern zu können (Bundesverfassungsgericht a.a.O. Rz. 18).
Zumindest müsste es Anhaltspunkte dafür geben, dass rechtliche Kenntnisse und Fähigkeiten im vorliegenden Fall ausnahmsweise keine Relevanz haben, um die Erforderlichkeit zur Vertretung durch einen Rechtsanwalt verneinen zu können (Bundesverfassungsgericht a.a.O.).
Zu allen diesen grundrechtlich relevanten Fragen hat das Sozialgericht keinerlei Feststellungen getroffen, geschweige denn, sich rechtlich hiermit auseinandergesetzt. Im Ergebnis hat das Sozialgericht die Beiordnung eines Rechtsanwalts unter Verstoß gegen das Grundgesetz verneint.
Nachdem das Sozialgericht zudem auch nicht die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Ast nicht im erforderlichen Umfang geklärt und sich überhaupt nicht mit der Frage hinreichender Erfolgsaussichten in der Hauptsache beschäftigt hat, erscheint es dem Senat sachgerecht, die Sache zur Entscheidung dem Sozialgericht Regensburg zurückzuverweisen, damit das Sozialgericht entscheidet, ob zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife über den Prozesskostenhilfeantrag (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 19.03.2009, Az.: L 7 AS 52/09 B PKH) hinreichende Erfolgsaussichten gegeben waren und die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse der Ast für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorliegen.

Dieser Beschluss ergeht kostenfrei und ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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