L 19 R 796/09

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 16 R 4145/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 796/09
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Frage der Erwerbsminderung eines Versicherten (hier: psychiatrische Erkrankungen).
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 28.05.2009 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit hat.

Der 1952 geborene Kläger hat den Beruf eines Erziehers und Fachlehrers für Musik erlernt. Zuletzt war der Kläger selbstständig als Musiklehrer tätig gewesen.

Am 30.10.2006 stellte der Kläger einen Antrag auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, den er im Formblattantrag allgemein auf eine Rente wegen Erwerbsminderung ausdehnte. Vom 07.12.2004 bis 28.12.2004 war der Kläger zur medizinischen Rehabilitation im Reha-Zentrum Bad N. gewesen, wobei im Mittelpunkt der Diagnosen eine diffuse koronare Dreigefäßerkrankung mit Rekanalisation und Stent-PTCA des RIVA am 01.10.2004 gestanden hatte. Zwar war der Kläger aus der Rehabilitation als arbeitsunfähig entlassen worden, jedoch war angenommen worden, dass er für den zuletzt ausgeübten Beruf nach einer kurzen weiteren Stabilisierung wieder einsatzfähig sei.

Im Rentenverfahren wurde der Kläger am 04.12.2006 durch die Internistin Dr.R. untersucht, die zur Verbesserung der bestehenden Risikofaktoren und zur Stabilisierung der Leistungsfähigkeit Rehabilitationsmaßnahmen anregte. Ansonsten sei der Kläger für leichte bis mittelschwere Arbeiten in Tagesschicht ohne weitere wesentliche Einschränkungen vollschichtig einsatzfähig. Der Beratungsarzt der Beklagten Dr.W. benannte nach Auswertung des Gutachtens folgende Diagnosen beim Kläger:
1. Allgemeine Arteriosklerose, Z.n. Herzinfarkt, kompensierte Herzerkrankung, Nikotinmissbrauch.
2. Z.n. Alkoholmissbrauch mit Bauchspeicheldrüsenentzündung.
3. Nierensteinleiden.
Bei den Arbeitsbedingungen sei zusätzlich zu beachten, dass kein überdurchschnittlicher Zeitdruck abgefordert werden solle und die Tätigkeit in temperierten Räumen erfolgen solle. Eine erneute und damit vorfristige Rehabilitationsmaßnahme werde nicht als erforderlich angesehen.

Mit Bescheid vom 11.01.2007 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, da die medizinischen Voraussetzungen für eine teilweise oder volle Erwerbsminderung nicht vorliegen würden. Der Kläger sei auch nicht berufsunfähig, da er noch in der Lage sei, in seinem bisherigen Beruf als Musiklehrer mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Mit Schreiben vom 14.02.2007 legte der Kläger Widerspruch ein. Er machte geltend, dass er schwerbehindert sei und einen Grad der Behinderung von 60 habe. Er sei schon in jungen Jahren Opfer einer Gewalttat geworden und aktuell nicht mehr in der Lage, täglich mehr als 2 Stunden konzentriert zu arbeiten. Die Beklagte holte Befundberichte beim prakt. Arzt Dr.K. und beim Facharzt für Neurologie Dr.Sch. ein. Am 01.09.2007 gab dieser an, dass der Kläger sich dort seit 20.07.2006 gelegentlich in Behandlung befinde und aktuell Arbeitsunfähigkeit vorliege.

Anschließend ließ die Beklagte ein Gutachten beim Neurologen und Psychiater Dr.N. erstellen, der den Kläger am 22.11.2007 untersuchte und folgende Diagnosen benannte:
1. Alkoholabhängigkeit mit derzeit kontrolliertem Trinken.
2. Abhängigkeit von Opioiden wegen Schmerzen.
3. Angst und Depression gemischt.
4. Alkoholpolyneuropathie.
Der Kläger sei aktuell düster verstimmt und ohne Perspektiven. Die depressive Verstimmung manifestiere sich auch in Unkonzentriertheit. Wegen seiner Antriebsdefizite sei der Kläger derzeit als arbeitsunfähig zu bezeichnen; durch eine stationäre Behandlung sei aber eine Besserung möglich, so dass prinzipiell ein über 6-stündiges Leistungsvermögen im bisherigen Beruf als Musiklehrer bestehe. Der Beratungsarzt der Beklagten Dr. H. folgte dieser Beurteilung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.02.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung habe bestätigt, dass der Kläger in der Lage sei, sowohl unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes, als auch im Beruf als Musiklehrer mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Am 28.03.2007 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben und hat geltend gemacht, dass seine Gesundheitsstörungen nicht zutreffend erfasst worden seien. Das Sozialgericht hat das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeitszeiten im Oktober 2006 und dann erneut ab Juli 2008 ermittelt. Es hat Befundberichte bei den behandelnden Ärzten Dr.K., Dr.Sch. und Frau Dr.B. angefordert. Der Nervenarzt Dr.Sch. hat eine leichte Besserung seit ca. 2007 angenommen, während der prakt. Arzt Dr.K. ohne jegliche Detailangaben von einer Verschlechterung der Depression und ebenso der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit berichtet hat.

Im Folgenden hat das Sozialgericht Gutachten auf nervenärztlichem Gebiet durch Dr.H. und auf internistischem Gebiet durch Dr.E. in Auftrag gegeben.

Dr.H. hat in seinem Gutachten vom 15.01.2009 auf nervenärztlichem Fachgebiet eine Alkohol-, Opiat- und Beruhigungsmittelabhängigkeit sowie eine leichte alkoholbedingten Nervenschädigung an den unteren Extremitäten beschrieben. Die im Vordergrund stehenden Suchterkrankungen seien behandelbar. Dies betreffe auch die vom Kläger in seinem Tagesablauf berichtete Lethargie und Antriebsminderung, wobei sich in der Untersuchungssituation Antrieb und Psychomotorik nicht weiter auffällig gezeigt hätten. Dem Kläger sei noch die weitere Ausübung der Tätigkeit als Musiklehrer zumutbar.

Dr.E. ist in seinem Gutachten vom 14.02.2009 ebenfalls zum Ergebnis gekommen, dass dem Kläger noch die Ausübung einer Tätigkeit als Musiklehrer zumutbar sei. Er hat die Gesundheitsstörungen des Klägers folgendermaßen beschrieben:
1. Koronare Dreigefäßerkrankung, Herzvorderwandinfarkt 10/2004, mit Rekanalisation des RIVA durch PTCA bei leicht eingeschränkter Pumpleistung des linken Herzens.
2. Diffuse toxisch-nutritive Leberparenchymschädigung jedoch ohne Einschränkung der Syntheseleistung der Leber.
3. Abgelaufene Pankreatitis ohne derzeit erkennbare Aktivität.
4. Chronische Nierenveränderungen rechts, intraabdominelle Verwachsungen und ausgedehnte Bauchnarbenbildungen an der rechten Bauchseite nach Bauchschussverletzung 1973.
5. Arterielle Verschlusskrankheit der Beine vom Unterschenkeltyp, aktuell keine wesentliche hämodynamische Wirksamkeit.
6. Hypertriglyzeridämie.
7. Nikotinabusus.
Ergänzend seien die Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem Fachgebiet zu beachten. In der Zusammenschau könne der Kläger noch leichte körperliche Tätigkeiten in wechselnder Haltung oder überwiegend im Sitzen ausüben. Auszuschließen seien erhöhte Unfallgefährdung, übermäßige nervliche Belastung, die Notwendigkeit von Fahr- und Steuertätigkeiten sowie längeres Gehen und Stehen. Zu vermeiden seien auch Arbeiten an Arbeitsstellen mit erhöhter Suchtgefährdung.

Daraufhin hat das Sozialgericht mit Urteil vom 28.05.2009 die Klage abgewiesen. Es ist zum Ergebnis gekommen, dass aufgrund der übereinstimmenden Feststellungen der beauftragten Gutachter Dr.H. und Dr.E. keine organisch begründbare Schmerzsymptomatik und in sozialmedizinischer Hinsicht keine zeitliche Einschränkung der Einsatzfähigkeit in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit und an anderen geeigneten Arbeitsplätzen des allgemeinen Arbeitsmarktes bestehen würde. Die Klage sei daher abzuweisen.

Mit Schreiben vom 21.08.2009 hat der Kläger am 27.08.2009 Widerspruch gegen die Entscheidung des Sozialgerichts Nürnberg eingelegt, der dem Bayer. Landessozialgericht als Berufung übermittelt wurde. Der Kläger hat geltend gemacht, dass die Tätigkeit eines Musiklehrers mit erheblichen nervlichen Belastungen verbunden sei und hat die ihn traumatisierenden Ereignisse aus dem Jahr 1972 ausführlich geschildert. Die Beklagte hat eingewandt, dass der Kläger nach diesen Ereignissen noch in der Lage gewesen sei, ein 5-jähriges Hochschulstudium zu absolvieren und danach einer vollschichtigen Tätigkeit nachzugehen; eine Re-Traumatisierung sei den vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht zu entnehmen.

Mit weiterem Schreiben vom 23.07.2010 hat der Kläger nunmehr geltend gemacht, dass er zwischenzeitlich zwei Schulterfrakturen am linken Oberarm erlitten habe und damit eine Tätigkeit als Klavierlehrer/Pianist ausgeschlossen sei. Die Beklagte hat aber auch hierdurch ein überdauernd vermindertes Leistungsvermögen für den letzten Beruf bzw. den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht als belegt angesehen, sondern ist zur Einschätzung gelangt, dass eine länger dauernde Arbeitsunfähigkeit bestehe.

In einem Erörterungstermin vom 13.10.2010 hat die Beklagte einen Versicherungsverlauf des Klägers vorgelegt: Danach sind Pflichtbeitragszeiten bis zum 12.10.2005 enthalten, zuletzt aus Entgeltersatzleistung wegen Arbeitslosigkeit. Die Zeit vom 13.10.2005 bis 31.10.2005 ist als Anrechnungszeit für Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug ausgewiesen. In der Zeit vom 01.11.2005 bis 02.03.2007 liege eine geklärte Lücke vor. Der Kläger hat ein Attest des Internisten Dr.F. vom 12.10.2010 vorgelegt, wonach er schon bei kleinsten Anstrengungen über Atemnot klage und seine Gehstrecke höchstens 100 m betrage.

Im Folgenden hat der Bevollmächtigte des Klägers die Einholung eines Gutachtens nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Dr.F. beantragt und darum gebeten, von der Anforderung eines Kostenvorschusses abzusehen. Der Senat hat die Einholung des Gutachtens nach § 109 SGG jedoch von einer Vorschussleistung in Höhe von 1.750,00 EUR abhängig gemacht. Trotz Verlängerung der hierfür eingeräumten Frist ist eine solche Zahlung nicht eingegangen. Der Bevollmächtigte des Klägers hat vielmehr das Mandat niedergelegt.

Der Senat hat weitere ärztliche Unterlagen bei dem Allgemeinmediziner Dr.C. und dem Unfallchirurgen Dr.D. angefordert und eine ergänzende Stellungnahme beim Gutachter Dr.E. erbeten. Der Kläger hat noch ein psychiatrisches Fachgutachten des Dr.H. vom 22.06.2011 vorlegt, das das Amtsgericht A-Stadt in seiner Betreuungsangelegenheit hatte erstellen lassen. Dr.H. war am 22.06.2011 zum Ergebnis gekommen, dass beim Kläger für die Aufgabenkreise Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmung aktuell keine ausreichende Geschäftsfähigkeit bestehe, eine globale Geschäftsunfähigkeit im Sinne des § 104 Abs 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sich aber derzeit nicht habe feststellen lassen. Am 20.07.2011 hat das Amtsgericht A-Stadt den neu bevollmächtigten Rechtsanwalt als Betreuer bestellt mit einem Aufgabenkreis, der auch die Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern umfasste.

Am 30.07.2011 ist in der ersten ergänzenden Stellungnahme des Dr.E. ausgeführt worden, dass es seit der Begutachtung vom 14.02.2009 zu Veränderungen gekommen sei und zwar durch die Sprunggelenksfraktur links mit anschließender operativer Versorgung sowie durch die Verletzungen im Schulterbereich und Oberarmbereich links mit nachfolgender operativer Behandlung. Eine geänderte sozialmedizinische Beurteilung resultiere daraus jedoch nicht.

Am 09.09.2011 hat der ärztliche Sachverständige Dr.E. eine weitere ergänzende Stellungnahme abgegeben: Aufgrund der zwischenzeitlich übermittelten Feststellungen auf psychiatrischem Fachgebiet sei von einer wesentlichen Verschlechterung auszugehen. Diese Verschlechterung habe sich nach den Untersuchungen durch Dr.H. im Januar 2009 ergeben. Sie führe dazu, dass dem Kläger nunmehr selbst leichte körperliche Tätigkeiten nicht in einem Umfang von mindestens 3 Stunden täglich möglich seien.

Die Beklagte hat dargelegt, dass nach diesen Feststellungen eine Verschlechterung eines früher ermittelten Gesundheitszustandes des Klägers vorliegen würde; für Leistungsfälle, die nach dem 01.10.2007 eingetreten seien, seien jedoch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 28.05.2009 und den Bescheid der Beklagten vom 11.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger auf seinen Antrag vom 30.10.2006 hin Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 28.05.2009 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz, die Beklagtenakte und die Akte des Zentrums Bayern Familie und Soziales inhaltlich Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass der Kläger weder einen Anspruch auf Rente wegen voller noch wegen teilweiser Erwerbsminderung noch wegen Berufsunfähigkeit hat.

Die Leistungsfähigkeit des Klägers stellt sich aktuell - seit 30.05.2011 nachgewiesen - folgendermaßen dar: Er ist nicht mehr in der Lage, selbst leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes wenigstens 3 Stunden täglich zu verrichten, wobei allerdings noch nicht belegt ist, dass eine Besserung dieser Einschränkungen ausgeschlossen sei. Dieses sozialmedizinische Leistungsbild ist durch eine Verschlechterung der gesundheitlichen Situation des Klägers nach dem 15.01.2009 - möglicherweise schon im Februar 2009 - zu Stande gekommen. Für die Zeit bis 15.01.2009 bestand eine Leistungsfähigkeit des Klägers noch in folgendem Umfang: Leichte körperliche Arbeit in wechselnder Körperhaltung konnte im Umfang von wenigstens 6 Stunden täglich verrichtet werden. Ausgeschlossen waren Fahr- und Steuertätigkeiten, erhöhte Unfallgefährdung, erhöhte Suchtgefährdung, überwiegendes Gehen und Stehen sowie übermäßige nervliche Belastung.

Zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit stützt sich der Senat wesentlich auf die Feststellungen des Neurologen und Psychiaters Dr.H. und des Internisten und Sozialmediziners Dr.E., die den Kläger im erstinstanzlichen Verfahren untersucht haben. Letzterer hat auch die aktuelle gesundheitliche Situation des Klägers nach Aktenlage beurteilt.

Die derzeitigen gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers erfüllen die Voraussetzungen des § 43 Abs 2 Satz 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI); danach liegt eine volle Erwerbsminderung vor, wenn ein Versicherter nur noch weniger als 3 Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsatzfähig ist. Auf Grund der Feststellungen des Dr.H. und des Dr.E. ist beim Kläger eine volle Erwerbsminderung als belegt anzusehen und zwar ab dem entsprechenden Nachweiszeitpunkt am 30.05.2011. Dabei kann es nach Ansicht des Senats dahinstehen, ob möglicherweise bereits zu einem geringfügig früheren Zeitpunkt ein Nachweis einer entsprechenden Verschlechterung geführt werden könnte, weil sich aus den gutachterlichen Feststellungen des Dr. H. jedenfalls eindeutig ergibt, dass zumindest am 15.01.2009 eine derartige zeitliche Einschränkung noch nicht vorgelegen hatte.

Die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI setzt neben der vollen Erwerbsminderung voraus, dass vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt wurde und in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vorgelegen haben. Unproblematisch hat der Kläger die allgemeine Wartezeit mit einer Mindestanzahl von 60 Monaten an Pflichtbeiträgen erfüllt (§ 50 Abs 1 SGB VI). Dagegen hat der Kläger im für den Leistungsfall vom 30.05.2011 maßgeblichen Fünfjahreszeitraum vom 30.05.2006 bis 29.05.2011 keine rentenrechtlich relevanten Zeiten aufzuweisen; der letzte Beitrag datiert vom Oktober 2005. Danach ist nur noch für Oktober bis Dezember 2010 eine geringfügige versicherungsfreie Beschäftigung vermerkt, bei der aber keine Aufstockung der Beiträge erfolgte (§§ 5 Abs 2 Satz 2, 168 Abs 1 Nr 1b SGB VI).

Aus dem Versicherungsverlauf ergibt sich weiter, dass auch für andere eventuelle Leistungsfälle ab dem 16.01.2009 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt wären, da im entsprechenden Fünfjahreszeitraum maximal für 22 Kalendermonate Pflichtbeiträge vorliegen könnten. Eine Verlängerung dieses Zeitraumes nach § 43 Abs 4 SGB VI kommt ebenfalls nicht in Betracht, da keine Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit oder Arbeitsunfähigkeit weiter nachgewiesen sind und insbesondere auch keine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bezogen wurde oder zu beziehen wäre (vgl. unten).

Bis zum 15.01.2009 hat nach den Feststellungen der gerichtsärztlichen Sachverständigen Dr. H. und Dr. E. eine zeitliche Einschränkung des Einsatzvermögens des Klägers an geeigneten Arbeitsplätzen des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht vorgelegen. Die körperlichen Einschränkungen des Klägers haben keine schwere spezifische Behinderung dargestellt und sind auch in der Zusammenschau mit der eingeschränkten psychischen Belastbarkeit nicht als Summierung ungewöhnlicher Einschränkungen einzuordnen gewesen: Neben die durchaus noch moderaten körperlichen Einschränkungen, denen die Reduzierung auf leichte Tätigkeiten Rechnung trägt, treten nur die psychische Minderbelastbarkeit und einige sehr spezielle Ausschlüsse wie gegenüber Fahrtätigkeiten oder dem Umgang mit Suchtstoffen. Darin liegt kein Ausschluss von Einsatzmöglichkeiten, der die zumutbaren Tätigkeiten im Rahmen leichter Tätigkeiten noch einmal zusätzlich in erheblichem Umfang einengen bzw. um ganze Tätigkeitsfelder zusätzlich einschränken würde (vgl. z.B. BSG Urt v. 14.09.1995, Az. 5 RJ 50/94 iVm. Beschl. v. 27.02.2003, Az. B 13 RJ 215/02 B - jeweils zitiert nach juris). Es hat keiner der so genannten Katalogfälle des Bundessozialgerichts (vgl. Gürtner in: Kasseler Kommentar, Stand April 2011, § 43 SGB VI Rn. 37 f mwN) vorgelegen, der die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit durch die Beklagte erforderlich gemacht hätte.

Für die Zeit bis zum 15.01.2009 ergab sich beim Kläger kein Nachweis für eine Erwerbsminderung in rentenberechtigendem Umfang. § 43 Abs 3 SGB VI legt fest, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist. Da beim Kläger seinerzeit eine mehr als 6-stündige Einsatzfähigkeit an geeigneten Arbeitsplätzen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu bejahen war, sind beim Kläger weder die medizinischen Voraussetzungen für das Vorliegen von voller noch von teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 Abs 1 Satz 2 bzw. Abs 2 Satz 2 SGB VI im entsprechenden Zeitraum erfüllt gewesen.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI. Zwar gehört er nach seinem Geburtsjahrgang zu dem von § 240 Abs 1 Nr 1 SGB VI erfassten Personenkreis, weil er vor dem 02.01.1961 geboren ist. Er ist aber außerhalb des Zeitraums, ab dem auch eine Erwerbsminderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt belegt ist, nicht berufsunfähig gemäß § 240 Abs 1 Nr 2 iVm Abs 2 SGB VI gewesen, weil er seine erlernte Tätigkeit als Musiklehrer in diesem Zeitraum, d.h. jedenfalls bis zum 15.01.2009, in gesundheitlicher Hinsicht noch ausüben konnte. Zweifelsohne ist diese Tätigkeit nicht mit Fahr- und Steueraufgaben, nicht mit erhöhter Unfallgefährdung und nicht mit erhöhter Suchtgefährdung verbunden. Zur Überzeugung des Senats lässt sich auch an einer Vielzahl von Arbeitsplätzen als Musiklehrer verhindern, dass die Tätigkeit überwiegend stehend oder gehend zu erbringen ist und mit übermäßiger nervlicher Belastung verbunden ist. Bei Schulunterricht ist der selbstbestimmte Wechsel der Körperhaltung unproblematisch möglich, wobei durch entsprechende technische Möglichkeiten (Folien und Projektor) auch längeres Stehen an einer Tafel vermieden werden kann. Instrumentalunterricht wird häufig einen überwiegend sitzenden Anteil aufweisen, der dem Kläger ebenfalls zugemutet werden konnte. Die nervliche Belastung eines Lehrers mag manchmal ganz erheblich sein. Dies ist aber abhängig von Faktoren wie Klassengröße, Schülerzusammensetzung und Leistungsdruck. Musikunterricht findet oftmals schwerpunktmäßig für Interessierte statt; Instrumentalunterricht erfolgt vorwiegend in sehr kleinen Gruppen. Auch ist das Altersspektrum der Musikschüler erheblich: von Vorschulkindern bis hin zu Erwachsenen. Dass die nervliche Belastung des Musiklehrers als übermäßig einzuordnen wäre, mag in manchen Fällen schon einmal vorkommen, ist aber angesichts der großen Variation der benannten Faktoren mit Sicherheit häufig zu vermeiden. In den Zeiten vor dem 01.12.2007, in denen keine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit bestanden hatte, war der Kläger also auch für die Tätigkeit eines Musiklehrers ohne besondere zeitliche Beschränkung einsatzfähig gewesen. Berufsunfähigkeit lag somit nicht vor.

Die ablehnenden Bescheide der Beklagten und das erstinstanzielle Urteil sind somit insgesamt im Ergebnis nicht zu beanstanden und die Berufung war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved