L 13 R 649/11 NZB

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 R 4211/10
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 R 649/11 NZB
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Dauert eine interkurrente Erkrankung während der Durchführung einer ganztägigen ambulanten Maßnahme der medizinischen Rehabilitation neun Tage an, besteht für diesen Zeitraum keine Verpflichtung des Rentenversicherungsträgers zur Zahlung von Übergangsgeld.
I. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Gerichtsbescheid
des Sozialgerichts Regensburg vom 31. Mai 2011 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.



Gründe:


I.
Zwischen den Beteiligten ist in der Hauptsache streitig, ob dem Beschwerdeführer (Bf) ein Anspruch auf Übergangsgeld für die Zeit vom 22. April bis 30. April 2010 zusteht.

Der 1951 geborene Bf nahm vom 12. April 2010 bis 18. Mai 2010 (ursprünglich bis 5. Mai, dann verlängert bis 18. Mai 2010) an einer mit Bescheid vom 27. Januar 2010 bewilligten ganztägigen ambulanten Leistung zur medizinischen Rehabilitation im ambulanten Rehazentrum W. teil.

Ausweislich des Bescheids vom 25. November 2009 bewilligte die Agentur für Arbeit N. dem Bf ab 1. November 2009 bis 30. Oktober 2011 Arbeitslosengeld mit einem täglichen Leistungsbetrag in Höhe von 54,08 Euro. Mit Bescheid vom 8. April 2010 wurde die Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosengeld befristet für den 12. April 2010 bis 5. Mai 2010 aufgehoben, da aufgrund der Teilnahme an Leistungen zur Rehabilitation keine Arbeitslosigkeit vorliege.

Am 5. Mai 2010 teilte das Rehazentrum der Bg mit, die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation seien vom 22. bis 30. April 2010 unterbrochen worden. Ein Grund für das Fehlen des Bf sei nicht bekannt.

Mit Bescheid vom 5. Mai 2010 bewilligte die Bg dem Bf Übergangsgeld in Höhe von 54,08 Euro vom 12. April bis 21. April 2010 und ab 1. Mai 2010. Vom 22. April 2010 bis 30. April 2010 betrage das Übergangsgeld 0,00 Euro. Übergangsgeld stehe für jeden Behandlungstag zu. Für von Behandlungstagen eingeschlossene behandlungsfreie Tage (z.B. Wochenende) sowie für nachgewiesene Zeiten der krankheitsbedingten Unterbrechung von bis zu 3 Kalendertagen bestehe dieser Anspruch ebenfalls. Bei einer längeren Unterbrechung bestehe vom ersten Tag an kein Anspruch auf Übergangsgeld.

Mit Bescheid vom 18. Mai 2010 bewilligte die Bg dem Bf einen Zuschuss zu seinen Beiträgen zur privaten Krankenversicherung und zur Pflegeversicherung vom 12. April 2010 bis 31. April 2010 und ab 1. Mai 2010 in Höhe von kalendertäglich 16.00 Euro.

Mit seinem Widerspruch vom 20. Mai 2010 gegen den Bescheid vom 5. Mai 2010 machte der Bf geltend, er erhalte weder von der Krankenversicherung noch von der Bundesagentur für Arbeit Leistungen für die Krankentage. Da er in keinem Schreiben der Bg vorher informiert worden sei, was er im Krankheitsfall berücksichtigen müsse, bitte er um Krankengeldzahlung durch die Bg.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16. August 2010 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Da die Rehabilitationsleistungen in der Zeit vom 22. April bis 30. April 2010 krankheitsbedingt länger als 3 Kalendertage unterbrochen worden seien, bestehe ab 22. April 2010 kein Anspruch auf Übergangsgeld.

Mit der hiergegen zum Sozialgericht Regensburg (SG) erhobenen Klage begehrte der Bf Zahlung von Übergangsgeld für den Zeitraum 22. April bis 30. April 2010. Der Bf habe mangels anderweitigen Bescheids durchgehend vom 12. April bis 5. Mai 2010 Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhalten. Damit bestehe auch ein Anspruch auf Übergangsgeld. Es ergebe sich nicht aus dem Gesetz, dass eine interkurrente Erkrankung zum Wegfall des Anspruchs führe, wenn diese länger als drei Tage dauere.

Mit Gerichtsbescheid vom 31. Mai 2011 hat das SG die Klage gegen den Bescheid vom 5. Mai 2011 (richtig: 5. Mai 2010) in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 16. August 2010 abgewiesen. Die tatsächliche Durchführung einer Reha-Maßnahme sei Voraussetzung für das Bestehen eines Anspruchs auf Übergangsgeld gemäß § 20 SGB VI. Auch aus der nach § 13 Abs. 4 SGB VI abgeschlossenen Vereinbarung zwischen dem Verband der Rentenversicherungsträger und den Spitzenverbänden der Krankenkassen vom 21. Januar 1993 (§ 2 Abs. 4 der Vereinbarung) ergebe sich, dass die Kosten für erforderlich werdende ambulante Krankenbehandlungen, die mit dem Heilbehandlungsleiden nicht in Zusammenhang stünden und außerhalb der Behandlungsstätte im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung erbracht würden, vom Träger der Krankenversicherung zu tragen seien.

Die Berufung hat das SG nicht zugelassen und in der Rechtsmittelbelehrung u.a. darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit bestünde, die Nichtzulassung der Berufung durch Beschwerde anzufechten.

Mit der hiergegen zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde macht der Bf geltend, die Berufung sei zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe. Es sei zu klären, inwieweit der Anspruch auf Zahlung eines Übergangsgeldes gegen den Rentenversicherungsträger dann nicht mehr bestehe, wenn eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme aufgrund einer Erkrankung länger als drei Tage unterbrochen sei. Die besondere Bedeutung ergebe sich für die Gruppe der freiwilligen Versicherten, die nicht zugleich Mitglied einer gesetzlichen Krankenversicherung seien. Die Spitzenverbände der Krankenversicherung hätten mit den Rentenversicherungsverbänden eine Regelung zulasten dieser Gruppe geschlossen, deren Mitglied der Bf sei. Auch sei zu klären, wie die Zuständigkeitsregelung des § 13 SGB VI zur Auslegung der Reichweite von Ansprüchen auf Übergangsgeld herangezogen werden könne, inwieweit zur Auslegung der gesetzlichen Regelung des § 20 SGB VI überhaupt § 13 SGB VI sowie die Vereinbarung zwischen dem Verband der Rentenversicherer und den Spitzenverbänden der Krankenkassen und insbesondere § 2 Abs. 4 dieser Vereinbarung zu berücksichtigen seien. Schließlich sei von allgemeinem Interesse, ob bei einer ambulanten dreiwöchigen Rehamaßnahme eine krankheitsbedingte Unterbrechung von neun Tagen genüge, um den Anspruch auf Übergangsgeld entfallen zu lassen. Es sei zu klären, inwieweit § 51 Abs. 3 SGB IX als Auslegungshilfe herangezogen werden könne, nachdem dort eine vergleichbare Regelung existiere.

Vom Gesetzgeber sei nicht geregelt worden, wann die Anspruchsvoraussetzungen für Übergangsgeld entfallen bzw. wann der Versicherte nicht mehr an einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation teilnehme. Die behandlungsbedürftige Erkrankung des Klägers sei während der medizinischen Rehabilitation aufgetreten. Dieser Anspruch könne über eine Vorschrift vom Rang noch unterhalb des Gesetzes nicht beschnitten werden. Auch sei in § 2 Abs. 4 der Vereinbarung lediglich geregelt, wer die interkurrente Krankenbehandlung selbst zu tragen habe. Ob und welche Zahlungen zur Deckung des Lebensbedarfs erbracht würden, sei nicht Gegenstand dieser Regelung.

Die Beklagte hat hierzu erklärt, die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung seien nicht gegeben. Die vom SG getroffene Auslegung sei so gut wie unbestritten. Aufgrund des klaren Wortlauts des § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI bestünden
an dieser Auslegung praktisch keine Zweifel.

Der Bf beantragt,
die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 31. Mai 2011 zuzulassen.

Die Bg beantragt,
die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akten des SG und der Beklagten verwiesen.

II.

Die gemäß § 145 Abs. 1 SGG statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Beschwerde gegen die konkludent erfolgte Nichtzulassung der Berufung im Gerichtsbescheid des SG vom 31. Mai 2011 ist unbegründet. Das SG hat zu Recht die Berufung nicht zugelassen.

Gemäß § 144 Abs. 1 S. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Gegenstands bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750.00 Euro nicht übersteigt. Dies ist hier der Fall. Im Streit ist Übergangsgeld in Höhe von 486,72 Euro (9 x 54,08 Euro). Eventuell weitere anfallende Beiträge zur Sozialversicherung erhöhen den Streitwert nicht, weil um sie nicht unmittelbar gestritten wird (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 144 Rn. 15). Da die Berufung auch nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG) bedarf die Berufung der Zulassung durch das Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts. Das Sg hat die Berufung nicht zugelassen. Sein diesbezügliches Schweigen ist als Nichtzulassung auszulegen.

Die Berufung ist gemäß § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen, wenn
1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Für diesen Zulassungsgrund ist erforderlich, dass die Streitsache eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Die aufgeworfene Rechtsfrage muss klärungsbedürftig sein, darf also nicht bereits geklärt sein. Dies ist dann der Fall, wenn die Frage bereits höchstrichterlich entschieden ist, wenn zur Auslegung vergleichbarer Regelungen schon höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte dafür geben, wie die konkret aufgeworfene Frage zu beantworten ist oder wenn die Beantwortung so gut wie unbestritten ist bzw. die Antwort von vornherein praktisch außer Zweifel steht. Ergibt sich dagegen die Antwort auf die Rechtsfrage nicht ohne weiteres aus dem Gesetz und sind aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung keine Kriterien oder Grundsätze zur Auslegung zu entnehmen, die für die Entscheidung im Einzelfall ausreichen, ist Klärungsbedürftigkeit gegeben (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 144 Rn. 28, § 160 Rn. 6-8a m.w.N.).

Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage liegt nicht vor. Es ergibt sich bereits unmittelbar aus dem Gesetz, dass kein Anspruch auf Übergangsgeld besteht, solange der Versicherte - aus welchen Gründen auch immer - an der Leistung zur medizinischen Rehabilitation nicht teilnimmt. Denn gemäß § 20 S. 1 SGB VI besteht ein Anspruch auf Übergangsgeld nur für Versicherte, die von einem Träger der Rentenversicherung Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhalten. An den Tagen, an denen der Versicherte fehlt, erhält dieser jedoch keine Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.

Darüber hinaus gibt auch die höchstrichterliche Rechtsprechung ausreichende Anhaltspunkte für die Beantwortung der Frage, ob trotz krankheitsbedingter Fehlzeiten ein Anspruch auf Übergangsgeld besteht. Das BSG hat bereits in seiner Entscheidung vom 27. April 1982, Az. 1 RA 71/80, in juris, klargestellt, dass die Gewährung von Übergangsgeld von der tatsächlichen Durchführung der Maßnahme abhängig ist. Das Übergangsgeld stellt danach eine ergänzende, unselbstständige Leistung mit Lohnersatzfunktion dar, durch welche der Verlust des Arbeitseinkommens während und infolge der Durchführung eine Rehabilitationsmaßnahme ersetzt werden soll. Bei einer interkurrenten Erkrankung entfällt aber das Arbeitseinkommen nicht infolge der Durchführung der Rehabilitationsmaßnahme, sondern infolge der Erkrankung.

In seiner Entscheidung vom 21. März 2001, Az. B 5 RJ 34/99 R, in juris, hat das BSG erneut betont, dass das Übergangsgeld eine die Rehabilitationsmaßnahme voraussetzende, ergänzende Leistung ist, deren Beginn und Ende sich nach der tatsächlichen Durchführung der Rehabilitationsmaßnahme richten. § 20 Abs. 1 S. 1 SGB VI stelle darauf ab, dass der Versicherte eine Rehabilitationsleistung erhalte. Das sei nicht schon mit der Bewilligung der Fall, sondern setze die tatsächliche Durchführung voraus. Damit sei nicht nur das bloße Zurverfügungstellen der Maßnahme gemeint, sondern auch die Teilnahme des Versicherten.

Der in dieser Entscheidung des BSG weiterhin entscheidungsrelevante § 25 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI, der ab 1. Januar 2001 durch Art. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1827) aufgehoben wurde und dessen Regelungsgehalt nunmehr in § 51 Abs. 3 SGB X enthalten ist, ist hier nicht einschlägig. Denn der in diesen Bestimmungen normierte Anspruch auf Weiterzahlung von Übergangsgeld bei Unterbrechung der Maßnahme allein aus gesundheitlichen Gründen ist nach dem eindeutigen und unverändert gebliebenen Wortlaut nur bei Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (früher: berufsfördernde Maßnahmen) vorgesehen, nicht jedoch bei Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.

Die mit der Nichtzulassungsbeschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen, die auf die Anwendung der Vereinbarung zwischen dem Verband der Rentenversicherungsträger und den Spitzenverbänden der Krankenkassen abzielen, sind damit für die Entscheidung der hier strittigen Rechtsfrage ohne Belang. Die Antwort auf die hier entscheidungserhebliche Frage, ob bei einer interkurrenten Erkrankung von neun Tagen Dauer während einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation ein Anspruch auf Übergangsgeld besteht, ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz unter Mitberücksichtigung der Rechtsprechung des BSG. Vom Senat ist auch nicht zu entscheiden, ob es rechtmäßig ist, dass die Bg und wohl auch die übrigen Rentenversicherungsträger jedem Versicherten Übergangsgeld weiter gewähren, solange die interkurrente Erkrankung nicht länger als drei Tage dauert. Ein Anspruch auf Weitergewährung von Übergangsgeld bei einer länger als drei Tage andauernden Erkrankung resultiert aus dieser Verwaltungspraxis sicher nicht.

Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG ist damit nicht gegeben

Zulassungsgründe im Sinne des § 144 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 3 SGG liegen ebenfalls nicht vor. Eine Divergenz der Entscheidung des SG zu einer höchstrichterlichen Entscheidung ist nicht ersichtlich. Ein Verfahrensmangel wurde nicht geltend gemacht.

Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) berücksichtigt, dass der Bf auch im Beschwerdeverfahren erfolglos geblieben ist.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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