L 2 U 268/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 U 46/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 268/07
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Feststellung von orthopädischen und psychiatrischen Unfallfolgen bei Vorliegen einer Halswirbelsäulendistrosion
Nach §§ 406 Abs. 2 S. 1, 411 Abs. 1 ZPO ist der Ablehnungsantrag bei dem Gericht oder dem Richter, von dem der Sachverständige ernannt ist, zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung zu stellen.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 2. Juli 2007 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind über das Anerkenntnis vom 20. Oktober 2010 hinaus nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte weitere Folgen des Unfalls vom 09.06.1994 anzuerkennen und dem Kläger Verletztenrente nach einer höheren Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) als 30 v.H. zu gewähren hat.

Der 1962 geborene Kläger war als Aushilfskraftfahrer in einem Speditionsunternehmen beschäftigt. Am 09.06.1994 lief er beim Beladen eines LKW gegen ein Drahtseil, rutschte aus und fiel auf den Hinterkopf. Der Durchgangsarzt Prof. Dr. L. vom Stadtkrankenhaus M. diagnostizierte eine Platzwunde über der Nasenwurzel, eine Schädelprellung sowie eine Commotio cerebri. Der Facharzt für Chirurgie Dr. F. stellte zusätzlich eine Distorsion der Halswirbelsäule (HWS) als Folge eines Schleudertraumas fest. Die radiologische Untersuchung zeigte eine starke Kyphosierung, jedoch keine Fraktur oder Luxation der HWS. Am 05.10.1994 wurde der Kläger in der Unfallklinik T. untersucht. Die Beweglichkeit der HWS war frei mit verbliebenen Druckschmerzen und einer leichten Verspannung der Muskulatur. Es wurde eine HWS-Distorsion ersten Grades diagnostiziert.

Bei einer am 27.10.1994 durchgeführten Computertomographie (CT) der HWS fand sich kein Anhalt für einen Bandscheibenvorfall, eine Fraktur oder Luxation. Erkennbar war eine degenerativ bedingte Wurzeltascheneinengung bei C5 rechts. Der Augenarzt Dr. L. berichtete am 06.12.1994, dass sich im Bereich der Sehnerven kein Anhalt für eine posttraumatische Schädigung finde. Es habe sich keinerlei Anhalt für eine Störung der Binocularität (beidäugiges Sehen) gefunden; entsprechend bestand ein vollwertiges räumliches Sehen und ein ausreichendes Akkommodationsvermögen. Bei einer Kernspintomographie des Schädels vom 16.02.1995 konnten Hinweise auf posttraumatische Veränderungen nicht festgestellt werden. Die Beklagte holte Gutachten auf neurologischem und augenärztlichem Gebiet ein.

Mit Bescheid vom 08.11.1995 lehnte die Beklagte einen Anspruch des Klägers auf Verletztenrente ab. Der Kläger habe eine Distorsion der Halswirbelsäule und eine Platzwunde über der Nasenwurzel erlitten. Unfallfolgen lägen nicht mehr vor. Unabhängig vom Unfall bestünden: Weit- und Stabsichtigkeit und geringes Innenschielen beider Augen, Blendungsempfindlichkeit und Benetzungsstörung der Hornhaut mit kleinen oberflächlichen Defekten beider Augen, Schleimhautschwellung im Bereich der Kieferhöhle rechts (chronisch), Formveränderungen der Hals- und Lendenwirbelsäule, Zustand nach Knieinnenschaden. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25.06.1996 zurück.

Gegen die Bescheide legte der Kläger Klage beim Sozialgericht (SG) Ulm ein, das mit Urteil vom 15.05.1998 die Klage abwies. Hiergegen legte der Kläger Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg ein (Az.: L 10 U 2069/98). Nach Einholung augenärztlicher Gutachten hob das LSG Baden-Württemberg mit Urteil vom 19.06.2002 das Urteil des SG Ulm vom 15.05.1998 sowie den Bescheid der Beklagten vom 08.11.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.06.1996 auf. Das Gericht verurteilte die Beklagte, dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 09.06.1994 (Akkommodationsstörungen beider Augen mit Kopf- und Augenschmerzen) Verletztenrente in Höhe von 30 v.H. der Vollrente zu gewähren. Im Übrigen wies es die Berufung zurück.

Die Beklagte zog die Akten der LVA Baden-Württemberg bei. Seit dem 01.08.1995 bezog der Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit auf Dauer. Der Arzt für Orthopädie Dr. F. hatte am 01.04.1992 für die LVA ein Gutachten erstellt. Es wurde u.a. eine radiologische Untersuchung der HWS in zwei Ebenen durchgeführt. Die Achse sei steil gestellt, bei C3/4 leicht nach hinten abgewinkelt. Zwischenwirbelräume seien gut einsichtig, der Zahn des 2. Halswirbels sei kräftig entwickelt, die Wirbelkörper kastenförmig, an den Kanten wenig ausgezogen. Laut ärztlichem Attest des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. W. vom 16.10.1991 könne der Kläger den Beruf des Kraftfahrers nicht mehr ausüben. Im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule würden deutliche, über das altersentsprechende Maß hinausgehende Arthrosezeichen der unteren Lendenwirbelsäule beschrieben. Mit Beginn 01.09.2002 gewährte die LVA Baden-Württemberg Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 24.01.2003 erkannte die Beklagte den Unfall als Arbeitsunfall an. Als Folgen des Arbeitsunfalls wurden anerkannt: Verstärkte Gefäßzeichnung der Bindehaut beiderseits, Störung der sensomotorischen Zusammenarbeit beider Augen mit Verlust der Korrekturfähigkeit bestehender Weitsichtigkeit beidseits. Die MdE betrage 30 v.H. Hiergegen legte der Kläger am 23.02.2003 Widerspruch ein. Er wendet sich zum einen gegen den Rentenbeginn, zum anderen dagegen, dass zwar die Sehstörungen anerkannt seien, jedoch die HWS-Beschwerden nicht erwähnt würden. Auch diese seien als Folgen des Arbeitsunfalls aufzuführen.

Mit Schreiben vom 15.05.2003 wiederholte der Bevollmächtigte des Klägers den Widerspruch mit dem Antrag, als Folgen des Arbeitsunfalls auch die HWS-Beschwerden anzuerkennen, wobei dies auch im Wege einer Neufeststellung beantragt werde. Der Kläger begehre aufgrund des neuen Vortrags eine Erhöhung der MdE. Zur Aufklärung des Sachverhalts gab die Beklagte auf Wunsch des Klägers ein Gutachten bei dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S., M., in Auftrag. Dieser kam in seinem Gutachten vom 30.09.2004 zum Ergebnis, der Kläger habe bei dem Unfall eine Commotio cerebri erlitten, jedoch keine darüber hinausgehende cerebrale Schädigung, die die Beschwerden von Seiten der Augen erklären könnte. Eine weitergehende MdE, die nervenärztlich zu begründen wäre, bestünde nicht. Es bestünden psychische Auffälligkeiten, die wesentlich zur Ausprägung und zum Andauern des Beschwerdebildes beitragen würden. Diese seien präexistent und stünden in keinem ursächlichen, auch nicht in irgendeinem verschlimmernden Zusammenhang mit dem Unfall. Es bleibe bei der augenärztlich festgestellten MdE in Höhe von 30 v.H.

Der Chirurg Dr. K. stellte in seinem Gutachten vom 14.05.2004 fest, dass auf den angefertigten Röntgenaufnahmen stattgehabte knöcherne Verletzungen nicht zu erkennen seien, ebenso bestünden keine Hinweise auf sekundäre reparative Veränderungen. Es bestehe ein kyphotischer Knick in Höhe C4/C5. Die Zwischenwirbelräume C4/C5 und C5/C6 seien knapp hälftig verschmälert. Hinweise auf eine Instabilität seien nicht gegeben. Dr. K. weist weiter darauf hin, dass nach dem derzeitigen Stand traumatologischer Erkenntnis erst bei einer Geschwindigkeitsaufnahme von mehr als 10 km/h eine Gefährdung der Halswirbelsäule angenommen werden könne. Für den konkreten Fall sei eine solche Differenzgeschwindigkeit auszuschließen, wären doch anderenfalls schwerste Schäden im Bereich des Gesichtsschädels zu erwarten gewesen. Der anschließende Sturz auf den Rücken und auf den Hinterkopf könne die Halswirbelsäule nicht fehlbelastet haben, da ein solcher Geschehensablauf kein gegenläufiges Bewegungsmuster begründe. Nach Analyse des angeschuldigten Geschehensablaufes sei der Unfallzusammenhang zu verneinen. Dr. K. weist weiter darauf hin, dass im Bereich der HWS kein verletzungsspezifischer Befund nachgewiesen werden konnte. Er verweist auf den Bericht der BG-Unfallklinik T. vom 06.10.1994. Dort war eine Röntgenuntersuchung der Halswirbelsäule in zwei Ebenen einschließlich Funktionsaufnahme durchgeführt worden. Es habe sich kein Hinweis auf eine stattgehabte knöcherne Verletzung oder eine discoligamentäre Instabilität ergeben. Zusammenfassend sei festzustellen, dass die vom Kläger angegebenen Beschwerden und die festgestellten Veränderungen im Bereich der HWS in keinem Zusammenhang mit dem Ereignis vom 09.06.1994 stünden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.02.2005 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Hinsichtlich der Unfallfolgen und der hierdurch bedingten MdE werde auf das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 19.06.2002 verwiesen. Die eingeholten Gutachten hätten ergeben, dass eine über eine Zerrung hinausgehende Verletzung der HWS durch den Unfall vom 09.06.1994 nicht erfolgt sei. Das Beschwerdebild lasse sich ohne Weiteres durch degenerative Veränderungen erklären. Bereits im Jahre 1992 seien degenerative Veränderungen der HWS festgestellt worden.

Dagegen hat der Kläger am 17.03.2005 Klage beim Sozialgericht Augsburg erhoben und die Anerkennung weiterer Unfallfolgen höhere Verletztenrente und einen früheren Rentenbeginn begehrt. Das SG hat Befundberichte der behandelnden Ärzte sowie die Akte des Amtes für Versorgung und Familienförderung Augsburg und ärztliche Unterlagen der LVA (jetzt: Deutsche Rentenversicherung - DRV) Schwaben beigezogen. Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. W. hat berichtet, dass vor dem Unfall massive Lendenwirbelsäulendegenerations- und Überlastungsbeschwerden, chronische Kniegelenksbeschwerden links und auch chronische Nasennebenhöhlen-Bronchien-Infekte bestanden hätten.

Mit Schreiben vom 24.10.2005 hat der Kläger ausgeführt, dass es keine Änderung der Unfallfolgen gebe. Die MdE, in welcher Höhe auch immer, sei vom Tag des Unfalls unverändert. Sie sei nur mit Sicherheit höher als 30 v.H.

Mit Beschluss vom 17.02.2006 hat das SG das Verfahren wegen Anerkennung von weiteren Unfallfolgen und einer höheren MdE abgetrennt. Dieses Verfahren erhielt das Az.: S 5 U 46/06.

Mit Schreiben vom 07.07.2006 hat die DRV mitgeteilt, dass der Kläger Berufsunfähigkeitsrente ab 01.08.1995 und Rente wegen voller Erwerbsminderung seit 01.09.2002 erhält.

Zur Klagebegründung hat der Kläger geltend gemacht, dass die Beeinträchtigung des Augenleidens nicht ausreichend berücksichtigt worden sei, zudem die Beeinträchtigungen im Bereich der HWS nicht als Unfallfolge anerkannt seien. Er habe beim Unfall auch ein Schleudertrauma der HWS erlitten. Im Jahre 2002 habe der behandelnde Dr. B. geschildert, dass sich die HWS-Problematik tendenziell weiter verschlechtert habe. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs könne es selbst bei "einfachen" Schleudertraumen zu erheblichen Beschwerden und Folgeerscheinungen kommen. Es sei davon auszugehen, dass durch die HWS-Distorsion weitreichende Einschränkungen vorlägen, die unstreitig auf den Unfall zurückzuführen seien. Seit dem Unfall sei er nicht mehr in der Lage, einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Es sei daher eine Erhöhung der MdE durch die besonderen Folgen und wegen des Vorliegens einer unbilligen Härte vorzunehmen.

In der mündlichen Verhandlung vom 02.07.2007 hat der Kläger beantragt, den Bescheid vom 24.01.2003 in der Gestalt des Schreibens vom 07.12.2004 und des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2005 dahingehend abzuändern, dass weitere Unfallfolgen (Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule) anzuerkennen seien und ihm eine Verletztenrente nach einer höheren MdE zu gewähren sei.

Das SG hat mit Urteil vom 02.07.2007 die Klage gegen den Bescheid vom 24.01.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2005 betreffend der Unfallfolgen und der Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit abgewiesen. Eine sachliche Prüfung der Höhe der MdE auf augenärztlichem Fachgebiet sei dem Gericht nicht möglich. Dem stehe die Rechtskraft des Urteils des LSG Baden-Württemberg vom 19.06.2002 entgegen. Der angefochtene Bescheid vom 24.01.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2005 stelle - sofern die Unfallfolgen auf augenärztlichem Fachgebiet betroffen sind - lediglich die Umsetzung des rechtskräftigen Urteils des LSG Baden-Württemberg vom 19.06.2002 dar. Bei der Umsetzung eines Urteils mittels Verwaltungsakts wird dem Versicherten nicht eine erneute Möglichkeit für die Einlegung von Rechtsmitteln bezüglich des rechtskräftig gewordenen Urteils (hier: bezüglich augenärztlicher Unfallfolgen und der Höhe der MdE) eröffnet. Anderenfalls wäre die Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung gegenstandslos. Eine Entscheidung gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch
(SGB X) bezüglich der augenärztlichen Folgen des Unfalls vom 09.06.1994 habe die Beklagte nicht getroffen, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt dem Sozialgericht eine Nachprüfung verwehrt sei.

Der Prüfung der Frage, ob die vom Kläger angegebenen Beschwerden im Bereich der HWS auf den Unfall vom 09.06.1994 zurückzuführen seien, stehe das rechtskräftige Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 19.06.2002 nicht entgegen. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens sei auch ein Überprüfungsverfahren gemäß § 44 SGB X durchgeführt worden, so dass im Widerspruchsbescheid vom 23.02.2005 gleichzeitig auch ein Bescheid gemäß § 44 SGB X bezüglich der Beschwerden im Bereich der HWS zu sehen sei. Dieser Überprüfungsbescheid sei Gegenstand des anhängig gemachten gerichtlichen Verfahrens. Beim Kläger habe es sich um eine Distorsion der HWS lediglich im Grad I (leicht) gehandelt. Diese Einschätzung sei bereits in der Unfallklinik T. getroffen worden. Dieser Einschätzung sei zu folgen, denn eine Nackensteife, Schluckbeschwerden oder starke Nacken- und Hinterkopfschmerzen seien zeitnah zum Unfall nicht dokumentiert. Alle radiologischen Untersuchungen hätten keine Hinweise auf posttraumatische Veränderungen im Bereich der HWS belegen können. Weitgehende Unfallfolgen im Bereich der HWS ließen sich deshalb nicht hinreichend wahrscheinlich machen. Die MdE in Höhe von 30 v.H. könne daher nicht beanstandet werden.

Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt. Die Einschränkungen und Einbußen durch die Verletzung der HWS seien bisher nicht berücksichtigt worden. Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit werde Vollrente geleistet. Er sei vor dem Unfall voll erwerbsfähig gewesen und durch den Unfall erwerbsunfähig und berentet geworden.

Nachdem dem Senat mit Schreiben vom 10.08.2009 des Landratsamts C-Stadt bekannt geworden ist, dass der Kläger mit Suizid gedroht habe und nach dem Unterbringungsgesetz amtsärztlich untersucht wurde, hat er die entsprechenden Befunde der H. und der psychologischen Psychotherapeutin Dipl.-Psych. C. beigezogen. Im Auftrag des Senats hat der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. C. am 30.06.2010 ein nervenärztliches Gutachten erstellt. Dieser hat eine psychische Störung diagnostiziert, die als unfallunabhängig einzustufen sei. Eine akute Belastungsreaktion liege nicht vor, da es sich hierbei um ein akut auftretendes Krankheitsbild handele, das sich nach wenigen Tagen selbst limitiere. Für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung fehle es an einem akuten lebensbedrohlichen Geschehen oder einem Geschehen, gekennzeichnet durch ein katastrophenartiges Ausmaß. Auch eine Anpassungsstörung (ICD 10) scheide aus, da es sich dabei um ein Krankheitsbild handele, das im Allgemeinen innerhalb von einem Monat nach dem belastenden Ereignis eintrete und nicht länger als sechs Monate anhalte. Schließlich könne auch ein höhergradiges Schädel-Hirn-Trauma ausgeschlossen werden. Der Kläger habe durch den Unfall nur eine Schädelprellung, allenfalls eine leichte Gehirnerschütterung erlitten. Ganz entscheidend sei auch, dass der Kläger zunächst in den letzten Jahren nach dem Unfall keinerlei psychische Befindlichkeitsstörungen angegeben habe, wobei er wiederholt neurologisch und psychiatrisch untersucht worden sei. Erstmalig im Jahre 2002 habe er psychische Probleme geschildert.

In einer ergänzenden Stellungnahme vom 30.08.2010 hat der Sachverständige an seinem Gutachtensergebnis festgehalten. Es handele sich nicht um eine unfallbedingte reaktive psychische Störung, sondern um eine Persönlichkeitsstörung.

Einen Befangenheitsantrag gegen den Sachverständigen hat der Senat mit Beschluss vom 15.09.2010 zurückgewiesen.

In der mündlichen Verhandlung vom 20.10.2010 hat die Beklagte das Vorliegen einer Commotio Cerebri, einer Distorsion der HWS und einer Platzwunde über der Nasenwurzel als Unfallfolgen anerkannt und insoweit ihren Bescheid vom 08.11.1995 bekräftigt. Sie hat sich ferner bereit erklärt, ein Drittel der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu übernehmen. Im Hinblick auf weitere orthopädische und psychische Beschwerden hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers zwei Anträge auf Begutachtung nach § 109 SGG durch den Facharzt für Psychiatrie Dr. I. und den Orthopäden Dr. D. gestellt. Der Senat hat den Rechtsstreit insoweit vertagt. Auf die Niederschrift der Sitzung wird verwiesen.

Dr. I. hat in seinem nervenärztlichen Gutachten vom 28.07.2011 unter Einbezug eines testpsychologischen Zusatzgutachtens auf psychiatrischem Fachgebiet chronifizierte Kopfschmerzen bei Zustand nach Commotio und HWS-Beschleunigungstrauma, eine kognitive Leistungsstörung, Depressionen bei Unfalltrauma und Zustand nach mehreren Suizidversuchen sowie Schlafstörungen mit Tagesmüdigkeit diagnostiziert. Zwar bestünden auch Anhaltspunkte, von einer Persönlichkeitsstörung auszugehen. Möglicherweise könnten latente Symptome durch das Hinzutreten späterer Ereignisse aktualisiert worden sein. Der Kontext der Ereignisse, der Schweregrad der jetzt festgestellten Depressionen sowie die Entwicklung der Schmerzsymptomatik und der kognitiven Leistungseinbußen könnten durchaus geeignet sein, eine depressive Symptomatik zu erzeugen. Auch spreche das Ergebnis der psychometrischen Untersuchung für einen Unfallzusammenhang. Die Gesamt-MdE hat der Gutachter auf 50 v.H. eingeschätzt.

Dr. D. hat in seinem Gutachten vom 1. Dezember 2011 ausgeführt, dass der jetzige Zustand der HWS mit den gravierenden Beeinträchtigungen (chronisches HWS-Syndrom mit Schmerzausstrahlungen in das Hinterhaupt, fortgeschrittene Arthrose der Kopfgelenke) als Folge des Unfalls anzuerkennen sei. Die MdE sei höher als mit 30 v.H. einzustufen.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 13.04.2012 ausgeführt, dass nicht mit der nötigen Gewissheit feststehe, dass der Kläger im Bereich der HWS einen Primärschaden im Sinne einer über eine Distorsion der HWS allenfalls 1. Grades hinausgehende Verletzung erlitten habe. Insbesondere seien weder eine Nackensteife noch Schluckbeschwerden oder starke Nacken- und Hinterkopfschmerzen zeitnah zum Unfall dokumentiert. Die Diagnose eines Schleudertraumas sei erst am 27.06.1994 geäußert worden; der deutliche Zeitabstand zum Unfalltag belege, dass die HWS-Distorsion nur von geringer Schwere gewesen sein könne. Auch hätten die radiologischen Untersuchungen keine konkreten Hinweise auf posttraumatische Veränderungen im Bereich der HWS ergeben. Aus dem Gutachten des Dr. D. ergebe sich keine nachvollziehbare Begründung, aus welchen konkreten Gründen der Arbeitsunfall eine wesentliche Ursache für die nunmehr 18 Jahre nach dem angegebenen Unfallereignis nach wie vor vom Kläger geklagten Beschwerden darstelle. Ferner hat die Beklagte auf das Gutachten des Dr. K. verwiesen, der von unfallunabhängigen degenerativen Veränderungen der HWS ausgegangen sei.

Mit Beschluss vom 7. Februar 2011 hat der Senat dem Kläger Prozesskostenhilfe gewährt und die Prozessbevollmächtigte beigeordnet.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 02.07.2007 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 24.01.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2005 dahingehend abzuändern, als weitere Unfallfolgen ein chronisches HWS-Syndrom mit Schmerzausstrahlungen in das Hinterhaupt, eine fortgeschrittene Arthrose der Kopfgelenke sowie eine Gonarthrose auf orthopädischem Fachgebiet und chronifizierte Kopfschmerzen bei Zustand nach Commotio und HWS-Beschleunigungstrauma, eine kognitive Leistungsstörung, Depressionen bei Unfalltrauma, einen Zustand nach mehreren Suizidversuchen sowie Schlafstörungen mit Tagesmüdigkeit auf psychiatrischem Fachgebiet festzustellen und ihm eine Verletztenrente nach einer höheren MdE als 30 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Akten der Beklagten, die Akten des SG Augsburg, die Akten des LSG Baden-Württemberg und die Berufungsakten Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht Augsburg die Klage abgewiesen. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird abgesehen, da der Senat die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 SGG).

Auch das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren konnte zu keiner anderen Beurteilung der Sach- und Rechtslage führen, soweit dieses über das angenommene Teilanerkenntnis der Beklagten vom 20.10.2010 hinaus geht. Im Wesentlichen stützt der Kläger sein Begehren darauf, dass erhebliche orthopädische Beschwerden der HWS sowie psychiatrische Beschwerden zu einer Erhöhung der MdE führen müssten.

Die Feststellung weiterer Unfallfolgen ist in Form einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage nach §§ 54, 55 Abs. 1 SGG zulässig.

Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 24.01.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2005. Der Senat kann im Ergebnis offen lassen, ob in diesem Bescheid eine Neufestsetzung der Verletztenrente nach § 56 SGB VII, der unter Berücksichtigung des Urteil des LSG Baden-Württemberg den Bescheid vom 08.11.1995 ersetzt, oder ein Ausführungsbescheid in Kombination mit einem Überprüfungsbescheid nach § 44 SGB X zu sehen ist. Da der streitgegenständliche Bescheid vom 24.01.2003 einen Regelungsinhalt enthält, der über das Urteil des LSG Baden-Württemberg hinausgeht, ist allerdings nicht von einem bloßen Ausführungsbescheid auszugehen, so dass ein Rechtsbehelf hiergegen zulässig ist (vgl. auch Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 141 Rdnr. 12 mit Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG). Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts ist in dem Widerspruchsbescheid vom 23.02.2005 auch kein Ausgangsbescheid nach § 44 SGB X zu sehen. Insoweit fehlt es bereits an einem Verwaltungsakt, über den die Widerspruchsstelle nach § 85 Abs. 2 SGG entscheiden könnte. Für das Vorliegen einer Neufeststellung spricht, dass zwar bereits mit Bescheid vom 08.11.1995 eine Distorsion der Halswirbelsäule als Unfallfolge anerkannt worden war. Dieser Bescheid war Gegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens vor dem SG Ulm und dem LSG Baden-Württemberg. Durch das Urteil des LSG Baden-Württemberg wurde über diesen Bescheid rechtskräftig entschieden. Das LSG änderte in dem Urteilstenor den Bescheid vom 08.11.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.06.1996 nicht ab, sondern hob diesen auf. Der streitgegenständliche Bescheid vom 24.01.2003 erkennt den Unfall als Arbeitsunfall an und benennt als Unfallfolgen eine verstärkte Gefäßzeichnung der Bindehaut beiderseits, eine Störung der sensomotorischen Zusammenarbeit beider Augen mit Verlust der Korrekturfähigkeit bestehender Weitsichtigkeit beidseits - ohne die bereits festgestellten Unfallfolgen ausdrücklich zu wiederholen.

Im Hinblick hierauf und die im Bescheid vom 08.11.1995 festgestellten Unfallfolgen hat die Beklagte als Folgen des Unfallereignisses vom 09.06.1994 das Vorliegen einer Commotio Cerebri, einer Distorsion der HWS und einer Platzwunde am 20.10.2010 anerkannt.

Die Feststellung weiterer Unfallfolgen richtet sich nach §§ 7, 8 SGB VII, die Gewährung von Verletztenrente bzw. die Höhe der MdE nach § 56 SGB VII.

Soweit der Kläger nun weitere orthopädische Beschwerden, die vor allem die HWS betreffen, als zusätzliche Unfallfolgen anerkannt haben will, wurden hierzu vom Sozialgericht zutreffende Ausführungen gemacht. Es ist insbesondere nicht bewiesen, dass der Kläger über die Distorsion der Halswirbelsäule hinaus weitere Schäden an der HWS erlitten hat, die zu andauernden Beschwerden führen könnten.

Der Senat folgt nicht dem Gutachten des Dr. D., soweit dieser einen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden im Sinne einer haftungsbegründenden bzw. haftungsausfüllenden Kausalität annimmt. Verursacht sind die Gesundheitsstörungen, wenn der Unfall gegenüber sonstigen schädigungsfremden Faktoren wie vorliegend einer degenerativen Entwicklung nach der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung von überragender Bedeutung für die Entstehung der Gesundheitsstörung war oder zumindest von annähernd gleichwertiger Bedeutung im Sinne einer wesentlichen Mitursache. Alle der Beurteilung zugrunde gelegten Tatsachen müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Dabei findet im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung bei der Frage der Bewertung der Ursächlichkeit die sog. Theorie der wesentlichen Bedingung Anwendung. Anders als von Dr. D. angenommen gilt somit nicht die reine conditio-sine-qua-non-Formel, d.h., dass ein Ereignis bereits dann ursächlich ist, wenn es nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele.

Dr. D. führte in seinem Gutachten selbst aus, dass die jetzt aktuell durchgeführten Bildgebungen keinen kausalen Zusammenhang mit dem Unfall beweisen oder ausschließen. Er nimmt aber an, dass die ausgeprägten HWS-Beschwerden durch eine biomechanisch schwere HWS-Distorsion nach der conditio-sine-qua-non-Formel durchaus auf den Unfall zurückgeführt werden können. Eine Ableitung nach der ergänzend notwendigen Wesentlichkeit erfolgt nicht. Zum anderen fehlen ereignisnahe medizinische Befunde für eine Verletzung der Kopfgelenke und der HWS-Abschnitte, worauf auch Dr. D. verweist. Die erfolgen bildgebenden Vefahren (z.B. beschreibt eine Röntgenaufnahme der HWS vom 27.06.1994 eine "starke Kyphosierung") brachten keine eindeutigen Ergebnisse, konnten jedoch auch keine Hinweise auf posttraumatische Veränderungen im Bereich der HWS belegen. So ergaben die Untersuchungen in der BG-Unfallklinik T. im Oktober 1994 keine diskoligamentäre Instabilität. Ein CT der HWS vom 27.10.1994 beschreibt leichte Degenerationen bei C 5. Zutreffend verweist die Beklagte auf die nach dem Gutachten des Dr. K. dargelegten degenerativen Ursachen für die bestehenden Beeinträchtigungen.

Schließlich ist auch die Annahme von Dr. D., der als Voraussetzung für den Kausalzusammenhang der orthopädischen Schäden mit dem Unfallereignis von einer biomechnisch schweren HWS-Distorsion ausgeht, nicht nachgewiesen. Wie Dr. W. überzeugend dargelegt hat, sprechen dagegen zum einen der Unfallhergang und dabei, dass es im Bereich des Gesichts durch das Stahlseil nicht zu schwereren Verletzungen gekommen ist. Nach der Einstufung nach Erdmann zeichnet sich eine schwere HWS-Distorsion (Grad 3) durch Schmerzen, meist ohne symptomfreies Intervall, primäre Insuffizienz der Halsmuskulatur und häufig bestehende Bettlägrigkeit aus. Zeitnah schilderte der Kläger aber keine Beschwerden wie Schmerzen, Steifigkeitsgefühl, palpatorische Überempfindlichkeit und Bewegungseinschränkungen (vgl. zum Ganzen auch: Schönberger/Mehrtens/Valen-
tin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., S. 464 zur Modifizierung nach Erdmann, S. 465 zur klinischen Klassifikation nach Quebec Task Force, QTF). Ein "Schleudertrauma" wurde beim Kläger im Übrigen erst nach ca. zwei Wochen am 27.06.1994 diagnostiziert.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass sich die Höhe der MdE bei Grad 2 regelmäßig auf 20 v.H. für drei bis sechs Monate und 10 v.H. für weitere 6 Monate, bei Grad 3 auf 30 v.H. für die ersten sechs Monate, 20 v.H. für weitere 6 bis 18 Monate und 10 bis 20 v.H. für eine Dauer-MdE bemisst (Schönberger/Mehrtens, a.a.O., S. 472). Darüber hinaus liegt regelmäßig keine rentenrechtlich relevante MdE mehr vor.

Soweit der Kläger als Unfallfolge auf orthopädischem Fachgebiet schließlich eine Gon-arthrose geltend macht, findet dies in den vorliegenden Gutachten keine Stütze. Auch Dr. D. diagnostizierte zwar eine Gonarthrose, sah diese jedoch, anders als die HWS-Beschwerden, nicht als unfallbedingt an.

Die geltend gemachten psychischen Unfallfolgen sind ebenfalls nicht festzustellen.
Dr. C. hat schlüssig in seinem Gutachten dargelegt, dass eine akute Belastungsstörung bereits aufgrund des Fehlens eines akut auftretenden Krankheitsbildes ausscheidet. Für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung fehle es gemäß den Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften (ICD 10 F 43.1) an einem akuten lebensbedrohlichen Geschehen oder einem Geschehen, gekennzeichnet durch ein katastrophenartiges Ausmaß. Auch eine Anpassungsstörung scheidet aus, da es sich dabei um ein Krankheitsbild handelt, das im Allgemeinen innerhalb von einem Monat nach dem belastenden Ereignis eintritt und nicht länger als sechs Monate anhält. Die psychischen Befindlichkeitsstörungen sind beim Kläger erst erhebliche Zeit nach dem Unfallereignis aufgetreten; erstmalig gab er im Jahre 2002 psychische Probleme an.

Soweit Dr. I. chronifizierte Kopfschmerzen bei Zustand nach Commotio und HWS-Beschleunigungstrauma, eine kognitive Leistungsstörung, Depressionen bei Unfalltrauma und einen Zustand nach mehreren Suizidversuchen sowie Schlafstörungen mit Tagesmüdigkeit auf das Unfallereignis zurückführt, ist dieser Einschätzung nicht zu folgen. Zum einen ist nicht wesentlich, dass die psychischen Symptome zeitlich vor dem Unfallereignis noch nicht aufgetreten sind bzw. bis zum Unfallereignis zu keiner Zeit diagnostiziert waren. Allein ein zeitlicher Zusammenhang mit einem Unfallereignis ist nicht ausreichend für den Nachweis der Ursächlichkeit, insbesondere wenn sog. Konkurrenzursachen wie hier eine Persönlichkeitsstörung im Raum stehen. Für die Zeit nach dem Unfall ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte u.a. eine Commotio Cerebri sowie eine Distorsion der HWS mit den entsprechenden Beschwerdebildern wie insbesondere Kopfschmerzen anerkannt hat. Dr. C. hat dargelegt, dass darüber hinaus eine Persönlichkeitsstörung vorliegt, die ursächlich für die aufgetretenen psychischen Beschwerden wie insbesondere auch die Depressionen und kognitive Beeinträchtigungen ist. Auch Dr. I. bestätigt, dass Anhaltspunkte bestehen, von einer entsprechenden Störung auszugehen. Es bestanden ferner Partnerschaftsprobleme, die zu mehreren Suizidversuchen geführt haben. Auch bei der testpsychologischen Begutachtung fanden sich Abweichungen von der Eichstichprobe und somit Hinweise für einen pathologischen Befund. Der Sachverständige Dipl.-Psych. K. stellte hierbei in dem testpsychologischen Zusatzgutachten eine auffällige Persönlichkeitsakzentuierung fest. Insgesamt spricht Dr. I. von der Möglichkeit einer Konkurrenzursache, ohne im Sinne der o.g. Kausalitätsanforderungen den Ursachenzusammenhang zwischen Unfallereignis, Primärschaden und psychischen Folgen als Sekundärschaden hinreichend wahrscheinlich zu belegen.

Weitere Unfallfolgen sind daher nicht festzustellen, so dass sich hierdurch keine Erhöhung der MdE ergibt. Auch erscheint die Höhe der MdE angemessen. Insoweit ergeben sich keine Änderungen gegenüber dem rechtskräftigen Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 19.06.2002.

Auch für die vom Kläger begehrte Vollrente fehlt es an der rechtlichen Grundlage. Gemäß § 56 Abs. 3 S. 1 SGB VII wird bei Verlust der Erwerbsfähigkeit Vollrente geleistet. § 56 Abs. 2 S. 1 SGB VII umschreibt den Begriff der Minderung der Erwerbsfähigkeit als die Fähigkeit des Versicherten, sich unter Ausnützung der Arbeitsgelegenheiten, die sich ihm nach seinen Kenntnissen, seinen körperlichen und geistigen Fähigkeiten im gesamten Bereich des allgemeinen wirtschaftlichen Erwerbslebens (sog. allgemeiner Arbeitsmarkt) im Geltungsbereich des SGB VII bieten, einen Erwerb zu verschaffen (individuelle Erwerbsfähigkeit). Zwei Faktoren sind somit von Bedeutung: Der Umfang der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens des Versicherten durch Folgen des Versicherungsfalls einerseits und grundsätzlich der Umfang der verbleibenden Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens andererseits (vgl. Bereiter-Hahn/Mehrtens, § 56 Rdnr.10 mit weiteren Nachweisen). Dabei kommt es auf die gegenwärtige körperliche oder geistige Einbuße an. Minderung der Erwerbsfähigkeit ist die Herabsetzung dieser so definierten Erwerbsfähigkeit. Sie drückt aus, in welchem Umfang der Versicherte durch die vom Versicherungsfall verursachten Funktionsbeeinträchtigungen die Fähigkeit verloren hat, sich auf dem allgemeinen Arbeitsfeld einen Erwerb zu verschaffen. Die Feststellung der MdE ist aber auch eine Schätzung, bei der der Grad der MdE nicht völlig genau, sondern nur annäherungsweise festzustellen ist. Die MdE ist abstrakt zu berechnen. Zum einen ist eine Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit zu berücksichtigen, so dass es auf eine tatsächliche Erwerbstätigkeit und einen entsprechenden Einkommensschaden nicht ankommt. Zum anderen sind die individuellen Auswirkungen des Versicherungsfalls ausschließlich nach einer MdE im "allgemeinen", d.h. gesamten Erwerbsleben zu beurteilen. Es wird nicht auf die konkrete Beeinträchtigung im Beruf des Versicherten abgestellt. Deshalb kommt es hier nicht darauf an, dass der Kläger wegen seiner anerkannten Unfallfolgen an den Augen seinen Beruf als LKW-Fahrer nicht mehr ausüben kann.

Eine Einschränkung dieses Grundsatzes der abstrakten Schadensberechnung findet nach § 56 Abs. 2 S. 3 SGB VII statt, wenn besondere berufliche Nachteile vorliegen. Ein Härtefall liegt dann vor, wenn der Versicherte seine verbliebenen Fähigkeiten nur noch unter Inkaufnahme eines unzumutbaren sozialen Abstiegs verwerten könnte. Allerdings kommen diese Voraussetzungen nach der Rechtsprechung nur bei Versicherten zum Tragen, die einen sehr spezifischen Beruf mit einem relativ engen Bereich ausüben (siehe BSG SozR 2200 § 581 RVO, Nr. 2, 8 ). Dies ist beim Beruf des LKW-Fahrers nicht anzuerkennen.

Für das Bemessen der MdE haben sich für eine vereinfachte Beurteilung seit langem Grundlagen gebildet. Es handelt sich um Erfahrungswerte zur prozentualen Gewichtung der verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten bei bestimmten Funktionsbeeinträchtigungen. Die Erfahrungswerte und Empfehlungen gehen nicht auf Analysen des durch die entgangene Erwerbsmöglichkeit typischerweise entstandenen wirtschaftlichen Schadens zurück, sondern sie sind abstrakte Schätzungen. Funktionseinbußen, für die solche Anhaltspunkte fehlen, werden entsprechend den ihnen ähnlichen, für die bereits MdE-Werte veröffentlicht sind, eingestuft. Dieses vereinfachte Verfahren kann als ständige Übung Beachtung beanspruchen (BSG, SozR 2200 § 581 Nrn.15, 22, 23). Im Bereich des Sehorgans wird bei Augenmuskellähmungen und Störungen des beiderseitigen Sehens, die die ständige Okklusion (Verschließung eines Auges) erforderlich machen, mit 30 v.H. eingeschätzt. Doppeltsehen wird mit einer MdE von 20 v.H. eingeschätzt. Auch bei Gesichtsfeldeinengungen bzw. Gesichtsfeldausfällen kommen MdE-Werte von 10 bis 100 v.H. in Betracht. Eine MdE von 100 v.H. ist angemessen, wenn die Sehschärfe bei beiden Augen nur noch 0,05 oder weniger beträgt. Dieser Befund liegt beim Kläger nicht vor.

Die MdE im Sinne der Unfallversicherung kann nicht gleichgesetzt werden mit der Erwerbsminderung im Sinne der Rentenversicherung, zumal diese im Wesentlichen an das zeitliche Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt anknüpft (vgl. § 43 SGB VI). Hierbei ist auch zu beachten, dass der Kläger über die Unfallfolge hinaus an weiteren gesundheitlichen Beeinträchtigungen leidet, die schon im Jahre 1991/92 den Beruf des Lastwagenfahrers wegen des Hebens und Tragens schwerer Lasten in Frage stellten. Auch wenn der Kläger im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung voll erwerbsgemindert ist, hat dies nicht eine MdE im Bereich der Unfallversicherung von 100 v.H. zur Folge.

Unter Beachtung des angenommenen Teilanerkenntnisses war die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 02.07.2007 deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte nach dem Anerkenntnis vom 20.10.2010 ein Drittel der außergerichtlichen Kosten des Klägers übernimmt.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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