Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 51 AS 761/12 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 352/12 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Beteiligte trifft im sozialgerichtlichen Verfahren eine Mitwirkungslast (§ 103 SGG) und die Wahrheitspflicht (§ 202 SGG i.V.m. § 138 Abs. 1 ZPO).
Ein Beteiligtenvortrag ist vom Gericht daraufhin zu überprüfen, ob er glaubwürdig ist, der Vortrag in sich widerspruchsfrei ist und ob er mit den sonstigen Erkenntnissen im Einklang steht.
Bloße Erklärungen ohne nachprüfbare Veränderungen, die auch Dritte betreffen (hier ein schriftlicher Mietvertrag nachdem das Gericht eine eheähnliche Gemeinschaft bejahte), haben einen geringen Beweiswert, wenn sie unter dem Eindruck negativ verlaufener vorangegangener Verfahren erfolgen.
Ein Beteiligtenvortrag ist vom Gericht daraufhin zu überprüfen, ob er glaubwürdig ist, der Vortrag in sich widerspruchsfrei ist und ob er mit den sonstigen Erkenntnissen im Einklang steht.
Bloße Erklärungen ohne nachprüfbare Veränderungen, die auch Dritte betreffen (hier ein schriftlicher Mietvertrag nachdem das Gericht eine eheähnliche Gemeinschaft bejahte), haben einen geringen Beweiswert, wenn sie unter dem Eindruck negativ verlaufener vorangegangener Verfahren erfolgen.
I. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts München vom 3. April 2012 abgeändert und der Antragsgegner vorläufig verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit von 01.07.2012 bis 31.08.2012 monatlich jeweils 300,- Euro und für die Zeit von 01.09.2012 bis 31.12.2012 monatlich jeweils 10,- Euro an Arbeitslosengeld II zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller ein Fünftel der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe:
I.
Streitig ist, ob der Antragsteller einen höheren Anspruch auf Arbeitslosengeld II hat. Insbesondere ist strittig, ob das Einkommen von Frau P. wegen einer eheähnlichen Gemeinschaft anzurechnen ist.
Der 1978 geborene Antragsteller und Beschwerdeführer bezieht seit Januar 2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II vom Antragsgegner. Er studierte ab 2003 Rechtswissenschaften an der Universität, mangels eines Abiturs aber ohne immatrikuliert zu sein. Eine Klage auf Immatrikulation wurde vom Verwaltungsgericht abgewiesen.
Der Antragsteller bewohnte zunächst allein, seit 01.04.2008 gemeinsam mit Frau P. eine 46 qm große Wohnung in A-Stadt. Die Wohnung steht im Eigentum des Antragstellers. Ab 01.01.2011 war dafür ein monatliches Hausgeld in Höhe von 215,- Euro zu bezahlen. Die Schuldzinsen betrugen laut den Angaben im ersten Leistungsantrag monatlich 638,45 Euro.
Der Antragsteller führte in der Vergangenheit eine Vielzahl von Verfahren, in denen er vom Antragsgegner höheres Arbeitslosengeld II begehrte und eine eheähnliche Gemeinschaft mit Frau P. bestritt. Diese Verfahren blieben erfolglos. Insoweit wird auf die Beschlüsse des Beschwerdegerichts L 7 AS 232/09 B ER, L 16 AS 332/11 B ER, L 7 AS 761/11 B ER und L 7 AS 32/12 B ER verwiesen.
Mit Beschluss vom 26.01.2012, L 7 AS 32/12 B ER wurde der Antragsgegner vorläufig verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit von 01.01.2012 bis 30.06.2012 monatlich 100,- Euro zu gewähren. In diesem Beschluss wurde ausführlich dargestellt, weshalb das Beschwerdegericht nach einer abschließenden Prüfung der Sach- und Rechtslage davon überzeugt ist, dass eine eheähnliche Gemeinschaft zwischen dem Antragsteller und Frau P. besteht.
Bereits am 22.03.2012 stellte der Antragsteller einen erneuten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Es bestünde keine eheähnliche Gemeinschaft mit Frau P. Mit Beschluss vom 05.04.2012, S 51 AS 761/12 ER, lehnte das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Dem Antrag stehe die Rechtskraft des Beschlusses vom 26.01.2012 entgegen. Dieser Beschluss treffe eine Regelung bis 30.06.2012. Für die Zeit ab 01.07.2012 fehle es an der Eilbedürftigkeit.
Gegen diesen Beschluss erhob der Antragsteller am 02.05.2012 die streitgegenständliche Beschwerde. Die Sachlage habe sich geändert. Dem Antragsteller sei nicht zuzumuten, länger von 100,- Euro zu leben. Der Gesundheitszustand des Antragstellers sei wegen Mangelernährung gefährdet. Der Dispositionskredit sei am Limit. Nachfolgend wurde vorgetragen, dass dem Antragsteller Ende März ein Dispositionskredit von 3.000,- Euro eingeräumt worden sei.
Am 10.05.2012 kam es in mehreren Klageverfahren (S. 51 AS 2767/09 und andere) zu einer mündlichen Verhandlung am Sozialgericht München. Auf das zugehörige Protokoll, das zum Verfahren beigezogen wurde, wird verwiesen. In der Verhandlung erklärte der Antragsteller, dass er von der Caritas Unterstützung erhalten habe und Stiftungsmittel, um seine Medikamente zu kaufen. Sein Konto sei mittlerweile mit 4.000,- Euro überzogen. Mit Frau P. habe er seit Anfang des Jahres kein Liebensleben mehr. Er habe seit Anfang des Jahres einen Mietvertrag mit Frau P. geschlossen. Er habe ihr ein Zimmer einschließlich Bett und Schrank vermietet. Als Miete seien monatlich 250,- Euro zuzüglich 50,- Euro für Nebenkosten vereinbart worden. Eine Kaution von 750,- Euro sei bereits bezahlt worden.
Anschließend wurde Frau P. als Zeugin vernommen. Sie arbeite derzeit als Zeitarbeitskraft im Vertrieb. Sie erklärte, die Liebesbeziehung zum Antragsteller Anfang des Jahres 2012 beendet zu haben. Solange sie für ihn finanziell einstehen müsse, wolle sie keine Liebensbeziehung haben. Seit Februar habe sie einen Mietvertrag. Davor habe sie nichts bezahlt. Sie bewohne das Zimmer alleine. Sie suche seit Anfang des Jahres eine neue Wohnung und wohne nur noch beim Antragsteller, weil sie bisher keine andere Wohnung gefunden habe. Sie sei sehr zielstrebig und achte sehr auf ihre Rechte. Sie wolle für den Antragsteller nicht einstehen. Ihr gehe es nur um sich. Sie sei nicht für andere verantwortlich. Sie unterstütze den Antragsteller weder finanziell noch mit Lebensmitteln.
Am nächsten Tag, dem 11.05.2012, stellte der Antragsteller einen erneuten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz (S 19 AS 1226/12 ER) und bezog sich auf die Ausführungen in der mündlichen Verhandlung des Vortags. Mit Beschluss vom 30.05.2012 wies das Sozialgericht den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zurück. Die gegen diesen Beschluss eingelegte Beschwerde wurde mit Beschluss vom 27.06.2012, L 7 AS 454/12 B ER, als unzulässig verworfen. Der Streitgegenstand - auch soweit er die Zeit ab 01.07.2012 betreffe - sei bereits in dem Verfahren L 7 AS 352/12 B ER anhängig.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts München vom 03.04.2012 aufzuheben und den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, dem Antragsteller ab 01.04.2012 Arbeitslosengeld II von monatlich 740,45 Euro zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Antragsgegner trägt vor, dass sich die Sach- und Rechtslage nicht geändert habe. Der letzte Leistungsantrag datiere vom 28.02.2012. Über diesen Antrag sei noch nicht entschieden worden.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die Akten des Antragsgegners, die Akten des Sozialgerichts (S 51 AS 761/12 ER und S 19 AS 1226/12 ER) und die Akten des Beschwerdegerichts (L 7 AS 352/12 B ER und L 7 AS 454/12 B ER) verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Beschwerde ist im tenorierten Umfang begründet.
Streitgegenstand ist der Anspruch des Antragstellers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II. Frau P. macht keine Ansprüche geltend.
Für die begehrte Begründung einer Rechtsposition im einstweiligen Rechtsschutz ist ein Antrag auf eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft. Der Antrag muss zulässig sein und die Anordnung muss zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen. Es muss glaubhaft sein, dass ein materielles Recht besteht, für das einstweiliger Rechtsschutz geltend gemacht wird (Anordnungsanspruch), und es muss glaubhaft sein, dass eine vorläufige Regelung notwendig ist, weil ein Abwarten auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zumutbar ist (Anordnungsgrund).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (insb. Beschluss des BVerfG vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05) ist eine abschließende (nicht nur summarische) Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache vorzunehmen oder, sofern diese nicht möglich ist, eine Güter- und Folgenabwägung vorzunehmen, wenn bei den Betroffenen ohne die Gewährung von einstweiligen Rechtsschutz eine schwere Verletzung ihrer Rechte auch nur möglich ist. Dies folgt aus dem Schutzauftrag für die Menschenwürde (Art 1 Abs. 1 Grundgesetz - GG) und der Notwendigkeit wirksamen Rechtsschutzes (Art 19 Abs. 4 GG). Kriterien der Interessensabwägung sind die drohende Verletzung von (Grund-) Rechten, ausnahmsweise entgegenstehende überwiegende besonders gewichtige Gründe und die hypothetischen Folgen bei einer Versagung bzw. Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz.
Der Maßstab des Bundesverfassungsgerichts ist anzuwenden, weil es um die vollständigen existenzsichernden Leistungen geht, der Lebensunterhalt nicht durch Schonvermögen gesichert ist und der Umfang der Hilfe Dritter (Frau P., Eltern des Antragstellers) unklar ist.
Eine abschließende Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache ist nicht möglich, weil nicht abschließend eingeschätzt werden kann, ob sich das Verhältnis des Antragstellers zu Frau P. geändert hat. Der zeitliche Ablauf spricht allerdings dafür, dass der Antragsteller und Frau P. im Anschluss an den Beschluss vom 26.01.2012, L 7 AS 32/12 B ER, ohne Veränderung der äußeren Umstände Maßnahmen ergriffen haben, um eine Leistungsgewährung ohne Anrechung des nach wie vor vorhandenen Einkommens von Frau P. herbeizuführen. Es wird nunmehr vorgetragen, dass der Wohnraum für Frau P. nicht mehr unentgeltlich zur Verfügung gestellt werde und dass die Lebensbereiche in der kleinen Wohnung jetzt getrennt seien. Nicht verändert hat sich, dass Frau P. immer wieder erklärt, nur ihre eigenen Interessen und Vorteile zu verfolgen. Bloße Erklärungen von Betroffenen ohne nachprüfbare Veränderungen, die auch Dritte betreffen, haben jedoch einen geringen Beweiswert, wenn diese unter dem Eindruck negativ verlaufener vorangegangener Verfahren erfolgen. Im Übrigen beteiligen sich auch sonst regelmäßig beide Partner an den Kosten der gemeinsamen Wohnung.
a) Zeitraum April, Mai und Juni 2012
Bei einer Änderung der Sach- und Rechtslage ist entweder ein Antrag auf Änderung eines vorherigen Beschlusses über eine einstweilige Anordnung oder ein neuer Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung möglich (die Einzelheiten sind umstritten, vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 10. Auflage 2012, § 86b Rn. 45, 45b).
Für diese Zeit sieht das Beschwerdegericht keine Veranlassung, den Beschluss vom 26.01.2012, L 7 AS 32/12 B ER, zu ändern oder einen neuen Beschluss zu erlassen. Es ist fraglich, ob sich die Sachlage geändert hat. Daneben hat der Antragsteller Ende März einen Dispositionskredit von 3.000,- Euro erhalten, so dass sein Lebensbedarf nicht gefährdet war. Dazu kamen die monatlichen Zahlungen in Höhe von 300,- Euro von Frau P.
b) Juli und August 2012
Bei der Güter- und Folgenabwägung unterstellt das Beschwerdegericht zugunsten des Antragstellers, dass die eheähnliche Gemeinschaft beendet wurde und Frau P. in Kürze dauerhaft aus der Wohnung auszieht. Weiter geht das Beschwerdegericht davon aus, dass die Wohnung nach wie vor - wohl aufgrund von Leistungen der Eltern des Antragstellers - nicht gefährdet ist. Im Übrigen kann der Antragsteller auch die 300,- Euro von Frau P. für die Wohnung einsetzen. Es geht daher vorwiegend darum, den Regelbedarf und die Krankenversicherung des Antragstellers abzusichern. Der Regelbedarf beträgt für Alleinstehende seit 01.01.2012 monatlich 374,- Euro, für Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft beträgt er 337,- Euro. Hiervon kann auch bei existenzsichernden Leistungen ein Abschlag erfolgen (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, Rn. 26). Ein Betrag von 300,- Euro für die Monate Juli und August 2012 erscheint dem Beschwerdegericht als ausreichend. Die Krankenversicherung erfolgt durch den Leistungsbezug gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V.
c) September bis Dezember 2012
Frau P., die ihre Interessen nach ihrem Vortrag unnachgiebig und strebsam verfolgt, seit Anfang des Jahres die Liebesbeziehung beendet hat und seitdem eine neue Wohnung sucht, müsste mit ihrem guten Erwerbseinkommen in der Lage sein, die Wohnungssuche alsbald erfolgreich abzuschließen. Wenn Frau P. ab September 2012 immer noch in der Wohnung des Antragstellers wohnt, geht das Beschwerdegericht dagegen von einem Versuch, den Leistungsbezug durch Erklärungen zu optimieren aus und von einem Fortbestehen der eheähnlichen Gemeinschaft. Dann genügen 10,- Euro pro Monat an Arbeitslosengeld II um die Krankenversicherung des Antragstellers sicherzustellen. Dies hält das Beschwerdegericht für angezeigt, weil der Antragsteller nach seinem Vortrag gesundheitliche Probleme hat.
Eine höhere Leistung ist bei unveränderter Sachlage ab September dagegen nicht zu rechtfertigen. Das Einkommen von Frau P. (laut damaliger Arbeitgeberauskunft nach § 57 SGB II monatlich netto 1.582,14 Euro, vgl. Beschluss vom 26.01.2012, L 7 AS 32/12 B ER) genügt, um den gemeinsamen Bedarf von etwa 1.450,- Euro (337,- Euro mal zwei und 562,59 Euro angemessene Kaltmiete für zwei Personen zuzüglich 215,- Euro Nebenkosten) weitestgehend abzudecken. Es fehlt auch eine aktuelle Ermittlung des Einkommens von Frau P. Darüber hinaus erhält der Antragsteller eventuell ergänzende Leistungen der Caritas und einer Stiftung, die eventuell als Einkommen anrechenbar sind. Für die Monate Juli und August wäre dann eine zu hohe Leistung zugesprochen worden, die auf die Moante September bis Dezember anzurechnen wäre.
Sollte ein Umzug von Frau P. in eine neue Wohnung nachgewiesen worden sein, kann der Antragsteller ab diesem Zeitpunkt beim Antragsgegner einen Antrag auf Bewilligung höherer Leistungen stellen. Dabei muss er dann die aktuellen Kosten der Unterkunft nachweisen und sonstiges Einkommen, unter anderem auch die Leistungen der Caritas und der Stiftung. Bereits an dieser Stelle wird darauf hingewiesen, dass er für die Zinsen seiner Wohnung höchstens den Betrag erhalten kann, der auch für die Kaltmiete eines Mieters angemessen wäre. Dies sind nach den Berechnungen des Antragsgegners für eine Einzelperson monatlich 449,21 Euro.
d) Kosten
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Der Antragsteller hat ab 01.04.2012 monatlich 740,- Euro begehrt und nur deutlich geringere Leistungen erhalten. Für das erstinstanzliche Verfahren bestand kein Anlass der Antragsgegnerin Kosten aufzuerlegen, weil die Entscheidung des Sozialgerichts zum damaligen Zeitpunkt zutreffend war.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
II. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller ein Fünftel der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe:
I.
Streitig ist, ob der Antragsteller einen höheren Anspruch auf Arbeitslosengeld II hat. Insbesondere ist strittig, ob das Einkommen von Frau P. wegen einer eheähnlichen Gemeinschaft anzurechnen ist.
Der 1978 geborene Antragsteller und Beschwerdeführer bezieht seit Januar 2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II vom Antragsgegner. Er studierte ab 2003 Rechtswissenschaften an der Universität, mangels eines Abiturs aber ohne immatrikuliert zu sein. Eine Klage auf Immatrikulation wurde vom Verwaltungsgericht abgewiesen.
Der Antragsteller bewohnte zunächst allein, seit 01.04.2008 gemeinsam mit Frau P. eine 46 qm große Wohnung in A-Stadt. Die Wohnung steht im Eigentum des Antragstellers. Ab 01.01.2011 war dafür ein monatliches Hausgeld in Höhe von 215,- Euro zu bezahlen. Die Schuldzinsen betrugen laut den Angaben im ersten Leistungsantrag monatlich 638,45 Euro.
Der Antragsteller führte in der Vergangenheit eine Vielzahl von Verfahren, in denen er vom Antragsgegner höheres Arbeitslosengeld II begehrte und eine eheähnliche Gemeinschaft mit Frau P. bestritt. Diese Verfahren blieben erfolglos. Insoweit wird auf die Beschlüsse des Beschwerdegerichts L 7 AS 232/09 B ER, L 16 AS 332/11 B ER, L 7 AS 761/11 B ER und L 7 AS 32/12 B ER verwiesen.
Mit Beschluss vom 26.01.2012, L 7 AS 32/12 B ER wurde der Antragsgegner vorläufig verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit von 01.01.2012 bis 30.06.2012 monatlich 100,- Euro zu gewähren. In diesem Beschluss wurde ausführlich dargestellt, weshalb das Beschwerdegericht nach einer abschließenden Prüfung der Sach- und Rechtslage davon überzeugt ist, dass eine eheähnliche Gemeinschaft zwischen dem Antragsteller und Frau P. besteht.
Bereits am 22.03.2012 stellte der Antragsteller einen erneuten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Es bestünde keine eheähnliche Gemeinschaft mit Frau P. Mit Beschluss vom 05.04.2012, S 51 AS 761/12 ER, lehnte das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Dem Antrag stehe die Rechtskraft des Beschlusses vom 26.01.2012 entgegen. Dieser Beschluss treffe eine Regelung bis 30.06.2012. Für die Zeit ab 01.07.2012 fehle es an der Eilbedürftigkeit.
Gegen diesen Beschluss erhob der Antragsteller am 02.05.2012 die streitgegenständliche Beschwerde. Die Sachlage habe sich geändert. Dem Antragsteller sei nicht zuzumuten, länger von 100,- Euro zu leben. Der Gesundheitszustand des Antragstellers sei wegen Mangelernährung gefährdet. Der Dispositionskredit sei am Limit. Nachfolgend wurde vorgetragen, dass dem Antragsteller Ende März ein Dispositionskredit von 3.000,- Euro eingeräumt worden sei.
Am 10.05.2012 kam es in mehreren Klageverfahren (S. 51 AS 2767/09 und andere) zu einer mündlichen Verhandlung am Sozialgericht München. Auf das zugehörige Protokoll, das zum Verfahren beigezogen wurde, wird verwiesen. In der Verhandlung erklärte der Antragsteller, dass er von der Caritas Unterstützung erhalten habe und Stiftungsmittel, um seine Medikamente zu kaufen. Sein Konto sei mittlerweile mit 4.000,- Euro überzogen. Mit Frau P. habe er seit Anfang des Jahres kein Liebensleben mehr. Er habe seit Anfang des Jahres einen Mietvertrag mit Frau P. geschlossen. Er habe ihr ein Zimmer einschließlich Bett und Schrank vermietet. Als Miete seien monatlich 250,- Euro zuzüglich 50,- Euro für Nebenkosten vereinbart worden. Eine Kaution von 750,- Euro sei bereits bezahlt worden.
Anschließend wurde Frau P. als Zeugin vernommen. Sie arbeite derzeit als Zeitarbeitskraft im Vertrieb. Sie erklärte, die Liebesbeziehung zum Antragsteller Anfang des Jahres 2012 beendet zu haben. Solange sie für ihn finanziell einstehen müsse, wolle sie keine Liebensbeziehung haben. Seit Februar habe sie einen Mietvertrag. Davor habe sie nichts bezahlt. Sie bewohne das Zimmer alleine. Sie suche seit Anfang des Jahres eine neue Wohnung und wohne nur noch beim Antragsteller, weil sie bisher keine andere Wohnung gefunden habe. Sie sei sehr zielstrebig und achte sehr auf ihre Rechte. Sie wolle für den Antragsteller nicht einstehen. Ihr gehe es nur um sich. Sie sei nicht für andere verantwortlich. Sie unterstütze den Antragsteller weder finanziell noch mit Lebensmitteln.
Am nächsten Tag, dem 11.05.2012, stellte der Antragsteller einen erneuten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz (S 19 AS 1226/12 ER) und bezog sich auf die Ausführungen in der mündlichen Verhandlung des Vortags. Mit Beschluss vom 30.05.2012 wies das Sozialgericht den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zurück. Die gegen diesen Beschluss eingelegte Beschwerde wurde mit Beschluss vom 27.06.2012, L 7 AS 454/12 B ER, als unzulässig verworfen. Der Streitgegenstand - auch soweit er die Zeit ab 01.07.2012 betreffe - sei bereits in dem Verfahren L 7 AS 352/12 B ER anhängig.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts München vom 03.04.2012 aufzuheben und den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, dem Antragsteller ab 01.04.2012 Arbeitslosengeld II von monatlich 740,45 Euro zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Antragsgegner trägt vor, dass sich die Sach- und Rechtslage nicht geändert habe. Der letzte Leistungsantrag datiere vom 28.02.2012. Über diesen Antrag sei noch nicht entschieden worden.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die Akten des Antragsgegners, die Akten des Sozialgerichts (S 51 AS 761/12 ER und S 19 AS 1226/12 ER) und die Akten des Beschwerdegerichts (L 7 AS 352/12 B ER und L 7 AS 454/12 B ER) verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Beschwerde ist im tenorierten Umfang begründet.
Streitgegenstand ist der Anspruch des Antragstellers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II. Frau P. macht keine Ansprüche geltend.
Für die begehrte Begründung einer Rechtsposition im einstweiligen Rechtsschutz ist ein Antrag auf eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft. Der Antrag muss zulässig sein und die Anordnung muss zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen. Es muss glaubhaft sein, dass ein materielles Recht besteht, für das einstweiliger Rechtsschutz geltend gemacht wird (Anordnungsanspruch), und es muss glaubhaft sein, dass eine vorläufige Regelung notwendig ist, weil ein Abwarten auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zumutbar ist (Anordnungsgrund).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (insb. Beschluss des BVerfG vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05) ist eine abschließende (nicht nur summarische) Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache vorzunehmen oder, sofern diese nicht möglich ist, eine Güter- und Folgenabwägung vorzunehmen, wenn bei den Betroffenen ohne die Gewährung von einstweiligen Rechtsschutz eine schwere Verletzung ihrer Rechte auch nur möglich ist. Dies folgt aus dem Schutzauftrag für die Menschenwürde (Art 1 Abs. 1 Grundgesetz - GG) und der Notwendigkeit wirksamen Rechtsschutzes (Art 19 Abs. 4 GG). Kriterien der Interessensabwägung sind die drohende Verletzung von (Grund-) Rechten, ausnahmsweise entgegenstehende überwiegende besonders gewichtige Gründe und die hypothetischen Folgen bei einer Versagung bzw. Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz.
Der Maßstab des Bundesverfassungsgerichts ist anzuwenden, weil es um die vollständigen existenzsichernden Leistungen geht, der Lebensunterhalt nicht durch Schonvermögen gesichert ist und der Umfang der Hilfe Dritter (Frau P., Eltern des Antragstellers) unklar ist.
Eine abschließende Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache ist nicht möglich, weil nicht abschließend eingeschätzt werden kann, ob sich das Verhältnis des Antragstellers zu Frau P. geändert hat. Der zeitliche Ablauf spricht allerdings dafür, dass der Antragsteller und Frau P. im Anschluss an den Beschluss vom 26.01.2012, L 7 AS 32/12 B ER, ohne Veränderung der äußeren Umstände Maßnahmen ergriffen haben, um eine Leistungsgewährung ohne Anrechung des nach wie vor vorhandenen Einkommens von Frau P. herbeizuführen. Es wird nunmehr vorgetragen, dass der Wohnraum für Frau P. nicht mehr unentgeltlich zur Verfügung gestellt werde und dass die Lebensbereiche in der kleinen Wohnung jetzt getrennt seien. Nicht verändert hat sich, dass Frau P. immer wieder erklärt, nur ihre eigenen Interessen und Vorteile zu verfolgen. Bloße Erklärungen von Betroffenen ohne nachprüfbare Veränderungen, die auch Dritte betreffen, haben jedoch einen geringen Beweiswert, wenn diese unter dem Eindruck negativ verlaufener vorangegangener Verfahren erfolgen. Im Übrigen beteiligen sich auch sonst regelmäßig beide Partner an den Kosten der gemeinsamen Wohnung.
a) Zeitraum April, Mai und Juni 2012
Bei einer Änderung der Sach- und Rechtslage ist entweder ein Antrag auf Änderung eines vorherigen Beschlusses über eine einstweilige Anordnung oder ein neuer Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung möglich (die Einzelheiten sind umstritten, vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 10. Auflage 2012, § 86b Rn. 45, 45b).
Für diese Zeit sieht das Beschwerdegericht keine Veranlassung, den Beschluss vom 26.01.2012, L 7 AS 32/12 B ER, zu ändern oder einen neuen Beschluss zu erlassen. Es ist fraglich, ob sich die Sachlage geändert hat. Daneben hat der Antragsteller Ende März einen Dispositionskredit von 3.000,- Euro erhalten, so dass sein Lebensbedarf nicht gefährdet war. Dazu kamen die monatlichen Zahlungen in Höhe von 300,- Euro von Frau P.
b) Juli und August 2012
Bei der Güter- und Folgenabwägung unterstellt das Beschwerdegericht zugunsten des Antragstellers, dass die eheähnliche Gemeinschaft beendet wurde und Frau P. in Kürze dauerhaft aus der Wohnung auszieht. Weiter geht das Beschwerdegericht davon aus, dass die Wohnung nach wie vor - wohl aufgrund von Leistungen der Eltern des Antragstellers - nicht gefährdet ist. Im Übrigen kann der Antragsteller auch die 300,- Euro von Frau P. für die Wohnung einsetzen. Es geht daher vorwiegend darum, den Regelbedarf und die Krankenversicherung des Antragstellers abzusichern. Der Regelbedarf beträgt für Alleinstehende seit 01.01.2012 monatlich 374,- Euro, für Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft beträgt er 337,- Euro. Hiervon kann auch bei existenzsichernden Leistungen ein Abschlag erfolgen (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, Rn. 26). Ein Betrag von 300,- Euro für die Monate Juli und August 2012 erscheint dem Beschwerdegericht als ausreichend. Die Krankenversicherung erfolgt durch den Leistungsbezug gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V.
c) September bis Dezember 2012
Frau P., die ihre Interessen nach ihrem Vortrag unnachgiebig und strebsam verfolgt, seit Anfang des Jahres die Liebesbeziehung beendet hat und seitdem eine neue Wohnung sucht, müsste mit ihrem guten Erwerbseinkommen in der Lage sein, die Wohnungssuche alsbald erfolgreich abzuschließen. Wenn Frau P. ab September 2012 immer noch in der Wohnung des Antragstellers wohnt, geht das Beschwerdegericht dagegen von einem Versuch, den Leistungsbezug durch Erklärungen zu optimieren aus und von einem Fortbestehen der eheähnlichen Gemeinschaft. Dann genügen 10,- Euro pro Monat an Arbeitslosengeld II um die Krankenversicherung des Antragstellers sicherzustellen. Dies hält das Beschwerdegericht für angezeigt, weil der Antragsteller nach seinem Vortrag gesundheitliche Probleme hat.
Eine höhere Leistung ist bei unveränderter Sachlage ab September dagegen nicht zu rechtfertigen. Das Einkommen von Frau P. (laut damaliger Arbeitgeberauskunft nach § 57 SGB II monatlich netto 1.582,14 Euro, vgl. Beschluss vom 26.01.2012, L 7 AS 32/12 B ER) genügt, um den gemeinsamen Bedarf von etwa 1.450,- Euro (337,- Euro mal zwei und 562,59 Euro angemessene Kaltmiete für zwei Personen zuzüglich 215,- Euro Nebenkosten) weitestgehend abzudecken. Es fehlt auch eine aktuelle Ermittlung des Einkommens von Frau P. Darüber hinaus erhält der Antragsteller eventuell ergänzende Leistungen der Caritas und einer Stiftung, die eventuell als Einkommen anrechenbar sind. Für die Monate Juli und August wäre dann eine zu hohe Leistung zugesprochen worden, die auf die Moante September bis Dezember anzurechnen wäre.
Sollte ein Umzug von Frau P. in eine neue Wohnung nachgewiesen worden sein, kann der Antragsteller ab diesem Zeitpunkt beim Antragsgegner einen Antrag auf Bewilligung höherer Leistungen stellen. Dabei muss er dann die aktuellen Kosten der Unterkunft nachweisen und sonstiges Einkommen, unter anderem auch die Leistungen der Caritas und der Stiftung. Bereits an dieser Stelle wird darauf hingewiesen, dass er für die Zinsen seiner Wohnung höchstens den Betrag erhalten kann, der auch für die Kaltmiete eines Mieters angemessen wäre. Dies sind nach den Berechnungen des Antragsgegners für eine Einzelperson monatlich 449,21 Euro.
d) Kosten
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Der Antragsteller hat ab 01.04.2012 monatlich 740,- Euro begehrt und nur deutlich geringere Leistungen erhalten. Für das erstinstanzliche Verfahren bestand kein Anlass der Antragsgegnerin Kosten aufzuerlegen, weil die Entscheidung des Sozialgerichts zum damaligen Zeitpunkt zutreffend war.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
Login
FSB
Saved