L 13 R 195/11

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 47 R 1394/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 R 195/11
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zu den Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erwerbsminderungsrente.
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts
München vom 2. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1956 geborene Klägerin, türkische Staatsangehörige, ist im Jahr 1973 in die Bundesrepublik Deutschland zugezogen. Sie hat nach ihren eigenen Angaben keine Berufsausbildung und kein Anlernverhältnis absolviert. Sie war von 1973-1996 als Hilfsarbeiterin in einer Metallfabrik, nach Zeiten der Arbeitslosigkeit ab 1999 geringfügig als Reinigungskraft beschäftigt.

Die Klägerin begehrte erstmals im Februar 2005 Rente wegen Erwerbsminderung von der Beklagten. Zur Begründung verwies sie auf Nervosität sowie Gesundheitsstörungen an Bandscheiben und Ohren. Die Beklagte holte ein orthopädisches Gutachten von Dr. D. (Tag der Untersuchung: 26. April 2005) ein, der ein Impingement der linken Schulter sowie eine Lumbago ohne nervale Reizerscheinungen feststellte und der Klägerin ein Leistungsvermögen von 6 Stunden und mehr für leichte Tätigkeiten im Wechselrhythmus auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bescheinigte. Die ebenfalls mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragte Psychiaterin D. diagnostizierte bei der Klägerin eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome bei einer Persönlichkeit mit passiv-aggressi-ven Zügen. Aufgrund einer gestörten Grenzregulation und der passiv ausgedrückten Aggressivität entstehe der Verdacht auf eine schwerwiegende Persönlichkeitsproblematik. Obwohl die Symptomatik zum Teil hysteriform geprägt sei, sei der Leidensdruck der Klägerin enorm. Die Leistungsfähigkeit sei schwerwiegend beeinträchtigt. Eine stationäre Behandlung in einer psychiatrischen Einrichtung sei empfehlenswert. Die Klägerin könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch leichte Tätigkeiten 3 bis unter 6 Stunden täglich verrichten.

Die Internistin Dr. Z. stellte in ihrem Gutachten vom 16. Juni 2005 bei der Klägerin eine schwere depressive Episode, ein chronisches Schmerzsyndrom bei präsakralem Bandscheibenvorfall, eine arterielle Hypertonie, einen Verdacht auf Mitralklappenprolaps, eine leichte restriktive Ventilationsstörung, ein geringes Übergewicht, eine Lipidstoffwechselstörung, ein Cervikal- und Lumbalsyndrom, eine Periarthropathie der linken Schulter, geringe Heberden-Arthrose der Fingerendglieder, einen chronischen Kombinationskopfschmerz, eine leichte Hypakusis beidseits mit Tinnitus sowie Cervicobrachialgien fest.

Auch sie bescheinigte der Klägerin nur noch ein Leistungsvermögen von 3 bis unter 6 Stunden ab 7. April 2005 bis Juni 2006.

Die Beklagte gewährte daraufhin der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 1. November 2005 zunächst bis 30. Juni 2006. Auf den Verlängerungsantrag der Klägerin holte die Beklagte ein Gutachten des Nervenarztes Dr. K. vom 18. April 2006 ein. Dieser diagnostizierte einen Spannungskopfschmerz mit Vertigosymptomatik, einen Tinnitus beidseits, Lumboischialgien beidseits sowie eine Dysthymie. Die Klägerin sei Analphabetin. Dr. K. kam zu dem Ergebnis, die Klägerin könne noch 3 bis unter 6 Stunden täglich leichte Arbeiten auf dem Arbeitsmarkt oder als Reinigungskraft verrichten. Die Beklagte gewährte daraufhin der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung weiter bis 30. Juni 2009.

Mit Antrag vom 9. Februar 2009 begehrte die Klägerin Weiterzahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung über den Wegfallzeitpunkt 30. Juni 2009 hinaus.

Die Beklagte holte ein Gutachten der Psychiaterin Dr. V. vom 10. März 2009 ein. Die Sachverständige stellte folgende Gesundheitsstörungen bei der Klägerin fest:
1. Anhaltende somatoforme Schmerzstörung bei Wirbelsäulensyndrom, Impingementsyndrom und Gonarthrose beidseits
2. Dysthymie
3. Tinnitus beidseits, leicht
4. Spannungskopfschmerz.
Es habe sich in der Untersuchung eine Schmerzaggravation und ein dysthymes Syndrom dargestellt. Eine tiefergehende depressive Symptomatik oder eine Schmerzsymptomatik seien nicht erkennbar gewesen. Der Zustand habe sich seit den Begutachtungen in den Jahren 2005 und 2006 gebessert. Die Klägerin könne als Metallarbeiterin sowie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt 6 Stunden und mehr Tätigkeiten ohne höhere Anforderungen an die geistig-psychische Belastbarkeit, ohne Zeitdruck und Nachtschicht verrichten.

Die Beklagte lehnte daraufhin mit angefochtenem Bescheid vom 19. März 2009 den Weitergewährungsantrag ab.

Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, ihr zur Rentengewährung führendes Krankheitsbild habe sich nicht gebessert, sondern vielmehr verschlechtert. Es seien weitere Diagnosen, zum Beispiel an der Schulter, hinzugekommen. Auch leide sie an Schlafstörungen. Sie habe einen beruflichen Wiedereinstieg als Reinigungskraft (1 Stunde täglich) versucht, könne dieser Arbeit aber kaum nachgehen.

Die Beklagte holte daraufhin ein orthopädisches Gutachten von Dr. L. vom 29. April 2009 ein. Dr. L. diagnostizierte bei der Klägerin ein chronisch rezidivierendes HWS-Syndrom, ein chronisches LWS-Syndrom bei mäßigen degenerativen Veränderungen, eine chronische Periarthrosis humeroscapularis rechts mehr als links, eine initiale Heberden- und Bouchard-Arthrose, eine retropatellare Arthrose mäßigen Grades rechts sowie einen Senk-Spreiz-Fuß beidseits. Die degenerativen Veränderungen des Haltungs- und Bewegungsapparats gingen über das altersübliche Maß nicht hinaus. Die Klägerin könne noch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in geschlossenen Räumen im Wechselrhythmus verrichten. Häufiges Bücken, Heben, Tragen oder Bewegen auch mittelschwerer Gegenstände, Zwangshaltungen der Wirbelsäule und der Knie, Überkopfarbeiten, Arbeiten mit Armvorhalt sowie Arbeiten in Kälte und Nässe seien nicht mehr zumutbar.

Der Widerspruch wurde daraufhin von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2009 zurückgewiesen.

Zur Begründung der hiergegen zum Sozialgericht München (SG) erhobenen Klage wurde darauf verwiesen, die behandelnden Ärzte Dr. E. und Dr. I. hielten die Klägerin für erwerbsunfähig. Die von der Beklagten eingeholten Gutachten würden ein zu positives Bild der Klägerin zeichnen. Für die Klägerin sei ein Grad der Behinderung - GdB - von 50 festgesetzt. Bei ihr seien schwere spezifische Leistungseinschränkungen gegeben, die die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich machen würden. Die Klägerin könne in keinem Betrieb eingesetzt werden. Die Klägerin habe auch ca. 20 Jahre in einer Metallfirma gearbeitet. Aufgrund ihrer 20-jährigen Erfahrung in dem Betrieb sei sie einer Facharbeiterin gleichzusetzen.

Das SG hat Befundberichte der Allgemeinmedizinerin Dr. I. sowie des Orthopäden Dr. S. beigezogen und gemäß § 106 SGG Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens von Dr. S. und eines psychiatrischen Gutachtens von Dr. M ... Dr. S. hat in seinem Gutachten vom 13. Februar 2010 bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen festgestellt:
1. Degenerativ bedingtes, chronisches Lendenwirbelkörpersyndrom mit wiederkehrenden, leichten bis mittelschweren anhaltenden Muskelreizerscheinungen ohne Nervenwurzelreiz- oder -kompressionszeichen bei beginnender geringer Osteochondrose und Bandscheibenprotrusion im lumbosacralen Übergang
2. Degenerativ bedingtes chronisches Halswirbelsäulensyndrom mit geringgradiger Bewegungseinschränkung und wiederkehrenden, leichten bis mittleren anhaltenden Muskelreizerscheinungen ohne Nervenwurzelreiz- und -kompressionszeichen
3. Geringgradige Impingementsymptomatik beidseits (rechts mehr als links) und geringe AC-Gelenksarthrose beidseits mit geringer Bewegungs- und Funktionseinschränkung bei Überkopfarbeiten, ansonsten ohne wesentliche Funktionseinschränkung
4. Beginnende rechts betonte Varusgonarthrose mit retropatellarer Komponente. Hier vor allem Bewegungsschmerzen ohne Einschränkung des Bewegungsumfangs.
5. Initiale Heberden- und Bouchard-Arthrose bildgebend anamnestisch, ohne wesentliche Funktionseinschränkung
6. Beidseitiger Senk-Spreizfuß, ohne Funktionseinschränkung.

Die Klägerin sei noch in der Lage, leichte Arbeiten zeitweise im Sitzen, zeitweise im Stehen oder Gehen in geschlossenen Räumen täglich sechs oder mehr Stunden mit den arbeitsüblichen Unterbrechungen zu verrichten. Nicht mehr möglich seien das Heben und Tragen von Lasten, häufiges Bücken, Treppensteigen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie an Maschinen. Der Anmarschweg der Klägerin sei nicht limitiert. Die Klägerin könne auch ein öffentliches Verkehrsmittel benutzen.

Dr. M. diagnostizierte in ihrem Gutachten vom 30. Juli 2010 bei der Klägerin eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine Dysthymie, HWS- und LWS-abhängige Beschwerden bei degenerativen Veränderungen ohne neurologische Funktionsausfälle, einen Tinnitus beidseits und einen Spannungskopfschmerz. Die Klägerin könne noch körperlich leichte, geistig einfache und überschaubare Arbeiten mit immer wiederkehrenden gleichen Tätigkeiten abwechselnd im Gehen, Stehen oder Sitzen in geschlossenen Räumen, gelegentlich im Freien 6 Stunden täglich mit den üblichen Unterbrechungen verrichten. Vermieden werden müssten Verrichtungen mit besonderen Anforderungen an die psychische und nervliche Belastbarkeit, unter besonderem Zeitdruck (Akkordarbeit, Fließbandarbeit), Nacht- und Wechselschicht, Heben und Tragen schwerer Lasten, Zwangshaltungen, Treppensteigen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie an Maschinen. Der Anmarschweg zur Arbeitsstätte sei nicht eingeschränkt. Ein Kfz könne die Klägerin mangels Fahrerlaubnis nicht führen. Die Durchführung von stationären psychosomatischen Maßnahmen sei erforderlich. Die Klägerin zeige sich insoweit jedoch nicht motiviert.

Die Klägerin beantragte daraufhin nach Ablauf der vom Gericht gesetzten Frist die Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG, ohne einen Sachverständigen zu benennen. Dem Gutachten von Dr. S. sei nicht zu folgen. Die Klägerin leide mehr denn je an ihren Erkrankungen, sie habe Anfälle von Orientierungslosigkeit. Auch sei die Klägerin auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar. Sie sei der deutschen Sprache weder in Schrift noch in Wort mächtig.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 2. Dezember 2010 unter Berufung auf die Gutachten von Dr. S. und Dr. M. abgewiesen. Die Klägerin könne noch 6 Stunden und mehr körperliche und geistige leichte Arbeiten mit bestimmten qualitativen Einschränkungen verrichten. Sie habe keine Berufsausbildung und sei auf alle gesundheitlich zumutbaren Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verweisen. Es liege daher auch keine Berufsunfähigkeit vor.

Mit der hiergegen zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegten Berufung hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Die Feststellungen der Sachverständigen Dr. S. und Dr. M. stünden im Gegensatz zu den Ausführungen der behandelnden Ärzte sowie den Feststellungen der Beklagten, die auf der Grundlage einer nahezu identischen gesundheitlichen Situation der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung über mehr als 3 Jahre gewährt habe. Die Klägerin leide zunehmend an Orientierungslosigkeit. Sie sei daher nicht mehr fähig, einen Arbeitsplatz zu erreichen. Es sei die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Verschlossenheit des Arbeitsmarktes bei einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung zu beachten. Befundberichte der Psychiaterin Dr. C., der Allgemeinärztin Dr. I. und des HNO-Arztes Dr. P. wurden vorgelegt.

Der Senat hat gemäß § 106 SGG Beweis erhoben durch Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens von Dr. D. vom 21. November 2011. Dr. D. stellte bei der Klägerin ein chronifiziertes Schmerzsyndrom mit körperlichen und somatoformen Ursachen, eine Dysthymie sowie ein pseudodementielles Syndrom fest. Die Klägerin könne noch leichte Arbeiten möglichst wechselweise im Gehen, Stehen und Sitzen im Freien und in geschlossenen Räumen vollschichtig verrichten. Das Heben und Tragen schwerer Lasten, Tätigkeiten in gebückter Position oder häufiges Bücken, Tätigkeiten unter Zeitdruck (Fließband-/Akkordarbeiten), Tätigkeiten in einem hektischen Arbeitsumfeld, mit erhöhtem intellektuellen Anspruch und Tätigkeiten, die die Fähigkeit zum Lesen und Schreiben voraussetzen, sowie Schichtarbeiten seien nicht mehr zumutbar. Zusätzliche Pausen seien nicht erforderlich. Die Klägerin könne noch Tätigkeiten verrichten, die üblicherweise in ungelernten Tätigkeiten gefordert zu werden pflegen (zum Beispiel Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Kleben, Sortieren usw.). Beschränkungen hinsichtlich des Anmarschwegs zur Arbeitsstätte bestünden nicht. Die Klägerin könne ein öffentliches Verkehrsmittel, jedoch kein Kfz benutzen. Die Umstellungsfähigkeit auf eine andere Tätigkeit sei nicht eingeschränkt. Seelische Hemmungen könne sie aus eigener Kraft oder mit ärztlicher Mithilfe überwinden. Weitere Untersuchungen seien nicht erforderlich.

Hierzu hat die Klägerin erklärt, es werde aufgrund von verschiedenen Zweifeln an der Objektivität des Gutachters sowie aufgrund von Mängeln im Gutachten die Einholung eines weiteren Gutachtens eines anderen Sachverständigen beantragt, vorsorglich die Erläuterung des Gutachtens durch Anhörung des Sachverständigen im Termin und die Einholung eines fachübergreifenden Gutachtens infolge der mehreren Gutachten und des Anhalts von sich gegenseitig verstärkenden Erkrankungen. Ferner werde ein Antrag nach § 109 SGG gestellt. Ein Arzt wurde jedoch nicht benannt.

Die Klägerin habe am Tag der ärztlichen Untersuchung am 14. Oktober 2011 eine Lungenentzündung gehabt mit starken Hustenanfällen. Sie sei deshalb völlig unkonzentriert gewesen. Außerdem habe sie ein Antibiotikum eingenommen. Deshalb sei sie gehalten gewesen, nicht andere Medikamente einzunehmen wie beispielsweise das gegen die Depression. Die Klägerin sei bei der Untersuchung in einem gesundheitlichen Zustand gewesen, der nicht den nötigen Aufschluss über ihre Person geben konnte. Dies hätte Dr. D. erkennen müssen. Auch habe Dr. D. zumindest teilweise fachfremd geurteilt. Er habe gleichwohl die Einholung weiterer fachärztlicher Untersuchungen nicht für erforderlich gehalten. Die Gesundheitsstörungen der Klägerin seien von einem Orthopäden zu begutachten. Auch das pseudodementielle Syndrom sei nicht zutreffend dargestellt worden. Hierzu werde die Einholung eines psychosomatischen Gutachtens beantragt, insbesondere zur Frage, ob die psychischen Defekte der Klägerin die vollschichtige Ausübung einer Tätigkeit zulassen. Es sei auch durch Gutachten anderer Fachärzte belegt, dass die Klägerin einen Anmarschweg zur Arbeitsstätte nicht selbst in Angriff nehmen und öffentliche Verkehrsmittel nicht benutzen könne. Es werde nicht klar, wie Dr. D. zu seinen hiervon abweichenden Feststellungen komme.

Der Senat hat daraufhin Dr. D. um ergänzende Stellungnahme gebeten. Er hat hierbei eine berufskundliche Stellungnahme des Landesarbeitsamtes Hessen vom 31. Oktober 2011 sowie ein Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 2010 (Az. L 13 R 59/08) beigefügt, in dem die berufskundlichen Anforderungen für Tätigkeiten als Warenaufmacherin/Versandfertigmacherin, Montiererin und Verpackerin von Kleinteilen dargelegt sind und Dr. D. gebeten, Stellung zu nehmen, ob diese Tätigkeiten von der Klägerin verrichtet werden könnten.

Dr. D. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 25. April 2012 erklärt, die Klägerin habe zwar im Rahmen der Untersuchung wiederholt stark gehustet, über weite Strecken der Anamneseerhebung jedoch auch nicht. Die Klägerin habe sich in einem nicht wesentlich geminderten Allgemeinzustand befunden. Es habe vermutlich allenfalls eine Bronchitis bestanden. Im Übrigen hat er an seiner Einschätzung des Leistungsvermögens der Klägerin festgehalten. Auch sei nicht begründbar, warum die Klägerin Tätigkeiten als Warenaufmacherin/Versandfertigmacherin, Montiererin und Verpackerin von Kleinteilen nicht mindestens 6 Stunden täglich verrichten könnte.

Eine Stellungnahme der Klägerin zu der ergänzenden Stellungnahme von Dr. D. ist nicht erfolgt.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 2. Dezember 2010 sowie des Bescheids vom 19. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Mai 2009 zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung über den 30. Juni 2009 hinaus entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Akten des SG und der Beklagten verwiesen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.



Entscheidungsgründe:


Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage gegen den angefochtenen Bescheid vom 19. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Mai 2009 zu Recht abgewiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht für den Senat fest, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2 SGB VI), teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 SGB VI) bzw. teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§§ 240 Abs. 1, 2; 43 Abs. 1 SGB VI) über den 30. Juni 2009 hinaus hat.

Gem. § 43 Abs. 1, 2 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie
1. teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs bzw. drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist gem. § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Nach den überzeugenden Feststellungen sämtlicher Gerichtssachverständigen ist die Klägerin noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zumindest 6 Stunden täglich leichte Arbeiten zu verrichten.

Bei der Untersuchung durch Dr. S. im Verfahren vor dem SG zeigte sich eine schmerzbedingte Einschränkung der muskuloskettalen Funktion vor allem im Bereich der Halswirbel- und der Lendenwirbelsäule. Radikuläre Symptome, Sensibilitätsstörungen oder motorische Defizite konnte Dr. S. jedoch nicht positivieren. Im Bereich der oberen Extremitäten zeigte sich beidseits eine geringe Impingementsymptomatik bei jedoch beidseits symmetrischer Kraftentwicklung, so dass hiermit nur eine geringfügige Funktionseinschränkung verbunden ist. Die Arthrose im Bereich beider Hände ließ sich aufgrund der Bildgebung, weniger aufgrund der klinischen Untersuchungssymptomatik diagnostizieren. Die Hohlhandmuskulatur war seitengleich ausgebildet. Im Bereich der Fingergelenke waren keine Deformierungen, Schwellungen oder Rötungen festzustellen. Der Klägerin war der Faustschluss mit allen Fingern vollständig möglich, die Funktionsgriffe (Spitz- und Schlüsselgriff) waren mit allen Fingern beider Hände problemlos durchführbar. Für die von ihr geklagten Schmerzen fanden sich jedoch keine objektivierbaren Befunde wie Seitendifferenz der Umfangsmessungen der Extremitäten, nachvollziehbare Muskelschwäche oder asymmetrische Beschwielung der Fußsohlen. Bereits Dr. S. wies darauf hin, dass bei der Untersuchung der Klägerin eine Tendenz zur Aggravation der Beschwerdesymptomatik zu beobachten war. Aus diesem Gesamtbild hat der Sachverständige Dr. S. nachvollziehbar gefolgert, dass eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens der Klägerin für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht zu begründen ist.

In neurologisch-psychiatrischer Hinsicht stehen bei der Klägerin die anhaltende somatoforme Schmerzstörung sowie eine Dysthymie im Vordergrund. Bereits Dr. M. hatte festgestellt, dass die sich nach dem Verlust der langjährigen Arbeitsstelle entwickelnde somatoforme Schmerzstörung nicht stärkergradig ausgeprägt ist. Bei der Klägerin kam es nicht zu einem Schmerzmittelmissbrauch oder zu Forderungen nach invasiven diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen. Auch das Phänomen des "doctor-hopping" ist bei der Klägerin nicht zu beobachten. Dr. D. hat ebenfalls darauf hingewiesen, dass die Klägerin ihre Schmerzen, die durch die nicht besonders schwerwiegenden degenerativen Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule und einiger Gelenke nur unzureichend zu erklären sind, nicht konsequent behandelt. Die Angaben der Klägerin ließen darauf schließen, dass sie die verordnete Medikation nur sehr unregelmäßig oder vermutlich überhaupt nicht einnehme. Der Hinweis der Klägerin, sie habe die Medikation am Untersuchungstag bei Dr. D. aufgrund der gleichzeitigen Einnahme eines Antibiotikums nicht eingenommen, ist nicht plausibel, da insoweit nach den Feststellungen von Dr. D. keine Kontraindikation besteht. Im übrigen ergab auch schon der von Dr. M. erstellte Medikamentenspiegel Werte, die weit unterhalb des therapeutischen Bereichs lagen.

Schon bei der Untersuchung durch Dr. M. traten bei der Klägerin die typischen Symptome einer Dysthymie mit Dauerverstimmung, Missmutigkeit und Reizbarkeit zu Tage. Hinweise auf eine Depression mit Antriebshemmung, phasenhaftem Verlauf, tages- oder jahreszeitlich abhängigen Stimmungsschwankungen, depressive Denkstörungen oder Suizidalität konnte Dr. M. jedoch nicht feststellen. Auch bei der Untersuchung durch Dr. D. zeigte sich bei der Klägerin nur eine anhaltend subdepressiv dysphorische Grundstimmung bei massiver Klagsamkeit. Die affektive Schwingungsfähigkeit war jedoch nicht aufgehoben. Die Klägerin konnte situationsadäquat auch einmal lachen.

Bei Dr. M. gab die Klägerin räumliche Orientierungsprobleme an. Diese lassen sich allerdings nach den Feststellungen von Dr. M. durch eine Erkrankung des zentralen Nervensystems oder ein organisches Psychosyndrom nicht erklären. Es sei daher von einer Pseudodemenz auszugehen. Diese Einschätzung hat Dr. D. bestätigt. Die Verhaltensweisen der Klägerin etwa bei der Koordination, bei der sie nach den Worten von Dr. D. "bizarr anmutende Koordinationsstörungen demonstrierte" sowie die von ihr angegebenen Gedächtnisstörungen (z.B. keine Erinnerung an den Umstand, vor Jahren verheiratet gewesen zu sein) stellen nach der Einschätzung des erfahrenen Gerichtssachverständigen Dr. D. außerordentlich aggravatorische und demonstrative Verhaltensweisen dar, die einem pseudodementiellen Syndrom entsprechen, wobei aber nicht eine depressive Pseudodemenz gemeint ist, sondern vielmehr die bewusstseinsnahe Darstellung einer Pseudodemenz vor dem Hintergrund einer bewusstseinsnahen finalen Tendenz. Gegen eine dementielle Erkrankung spricht nach den für den Senat überzeugenden Ausführungen von Dr. D. insbesondere, dass nach den Einlassungen der Klägerin insbesondere das Langzeitgedächtnis betroffen sei, während für eine dementielle Erkrankung die Verschlechterung des Kurzzeitgedächtnisses bei manchmal noch lange ungestörter Funktion des Langzeitgedächtnisses typisch ist.

Die Feststellungen von Dr. D. sind für den Senat auch verwertbar. Der Einwand, die Klägerin sei bei der Untersuchung durch Dr. D. aufgrund einer "Lungenentzündung" nicht untersuchungsfähig gewesen, ist nicht durchgreifend. Wie Dr. D. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 25 April 2012 klargestellt hat, hat die Klägerin im Rahmen der Untersuchung zwar wiederholt stark gehustet, über weite Strecken der Anamneseerhebung musste sie allerdings auch nicht husten. Abgesehen von dem Hustenreiz hat sich die Klägerin in einem nicht wesentlich geminderten Allgemeinzustand befunden.

Nach alledem ist eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens auch für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für den Senat in Übereinstimmung mit allen Gerichtssachverständigen nicht begründbar. Hieran ändert auch nichts der von der Berufung angeführte Umstand, dass die Klägerin über mehr als 3 Jahre vor dem 1. Juli 2009 Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt worden ist. Nach Ablauf einer befristeten Rente wegen Erwerbsminderung ist ohne Bindung an die vorherige Entscheidung erneut zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung erfüllt sind. Darüber hinaus hat Dr. D. angemerkt, dass bereits die Rentengewährung auf der Grundlage der Feststellungen im Gutachten von Dr. K. außerordentlich großzügig gewesen sei.

Trotz dieses festgestellten Leistungsvermögens der Klägerin von 6 Stunden und mehr für leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wäre ein Anspruch der Klägerin auf Rente wegen voller Erwerbsminderung jedoch dann gegeben, wenn bei ihr eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bzw. eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt und der Klägerin keine Tätigkeit benannt werden kann, die sie trotz ihrer qualitativen Leistungseinschränkungen noch mindestens 6 Stunden täglich verrichten kann. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung meint die Fälle, in denen bereits eine einzige schwerwiegende Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt (BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003 - B5 RJ 64/02 R). Als Beispiel hierfür ist etwa die Einarmigkeit eines Versicherten zu nennen.

Das Merkmal " Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" trägt hingegen dem Umstand Rechnung, dass auch eine Vielzahl von Einschränkungen, die jeweils nur einzelne Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen betreffen, zusammengenommen das noch mögliche Arbeitsfeld in erheblichem Umfang zusätzlich einengen können. In diesen Fällen besteht die Verpflichtung, ausnahmsweise eine konkrete Tätigkeit zu benennen, weil der Arbeitsmarkt möglicherweise für diese überdurchschnittlich leistungsgeminderten Versicherten keine Arbeitsstelle bereithält oder nicht davon ausgegangen werden kann, dass es für diese Versicherten eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen gibt oder ernste Zweifel daran aufkommen, ob der Versicherte in einem Betrieb einsetzbar ist (BSG Urteil vom 10. Dezember 2003, B5 RJ 64/02 R, in juris).

Bei der Prüfung der Frage, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliegt, sind grundsätzlich alle qualitativen Einschränkungen zu berücksichtigen, die nicht bereits von dem Erfordernis "körperlich leichte Arbeit" erfasst werden. Es umfasst begrifflich unter anderem solche Leistungseinschränkungen, die das Seh- und Hörvermögen, die Handbeweglichkeit oder die Einwirkung bestimmter Witterungseinflüsse (Kälte, Nässe, Staub) betreffen (Kassler Kommentar zum SGB, § 43 SGB VI Rn. 47).

Es ist zweifelhaft, ob auch der Analphabetismus der Klägerin in diesem Zusammenhang unabhängig davon von Belang ist, ob er auf eine Gesundheitsstörung oder Behinderung zurückzuführen ist. Nach der Auffassung des BSG zum vor dem 1. Januar 2001 gültigen Recht ist dies der Fall, da dieses individuelle Defizit den Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt zusammen mit anderen Leistungseinschränkungen über das übliche Maß hinaus erschweren kann (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003 - B5 RJ 64/02 R, a.a.O.). Ob dies nach dem Inkrafttreten des § 43 SGB VI zum 1. Januar 2001, der nach seinem eindeutigen Wortlaut allein darauf abstellt, dass der Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 bzw. 6 Stunden täglich tätig zu sein, aufrechterhalten werden kann, braucht hier nicht entschieden zu werden.

Denn auch bei Mitberücksichtigung dieses Umstands scheidet eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen mit der Pflicht der Benennung einer konkreten Tätigkeit dann aus, wenn das Restleistungsvermögen dem Versicherten noch körperliche Verrichtungen erlaubt, die in ungelernten Tätigkeiten gefordert zu werden pflegen (vgl. KassKomm, SGB VI, § 43 Rn. 47). Dies ist nach den ausdrücklichen Feststellungen von Dr. D. bei der Klägerin der Fall.

Selbst wenn man eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen annehmen sollte, ist die Klägerin jedenfalls aber noch in der Lage, Tätigkeiten als Warenaufmacherin-Versand/Kommissioniererin zu verrichten. Hierbei handelt es sich um eine verweisungsfähige Tätigkeit. Bei der Prüfung von Verweisungstätigkeiten im Rahmen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen sind an das Benennungsgebot nicht derart strenge Anforderungen zu stellen wie bei einer Verweisung im Rahmen der Prüfung eines Anspruchs auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Hier genügt jedenfalls die Bezeichnung von Arbeitsfeldern wie Prüfer, Montierer oder Verpacker von Kleinteilen (KassKomm-Niesel § 240 SGB VI Rdn. 117, BSG; Urteil vom 19. August 1997 - 13 RJ 57/96, in juris).

Nach der vom Senat in das Verfahren eingebrachten berufskundlichen Stellungnahme des Landesarbeitsamtes Hessen vom 7. September 2010 handelt es sich bei der Tätigkeit als Warenaufmacher-Versand/Kommissionierer um leichte Arbeiten in geschlossenen Räumen, überwiegend sitzend mit gelegentlichem Gehen. Ein Wechsel zwischen Sitzen und Stehen ist meist möglich. Das Entfernen produktionsbedingter Verschmutzungen, Einwickeln und Einpacken von Waren stellt auch keine hohen geistigen Anforderungen. Solche Tätigkeiten können durch schlichtes Vormachen erklärt und durch schlichtes Nachmachen erlernt werden. Es kommt daher weder darauf an, dass die Klägerin nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt - worauf sich ein Versicherter zur Begründung eines Anspruchs auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit im übrigen ohnehin nicht berufen kann (BSG, Urteil vom 15. Mai 1991, Az. 5 RJ 92/89) - noch dass sie Analphabetin ist (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 6. März 2009, L 5 R 280/06, in juris). Nach den Feststellungen der Sachverständigen gibt es insoweit auch hinreichend Arbeitsplätze im Bundesgebiet. Es handelt sich auch nicht um Schonarbeitsplätze, die nur betriebsintern vergeben werden.

Darüber hinaus ist die Klägerin in der Lage, als Verpackerin von Kleinteilen mindestens 6 Stunden täglich zu arbeiten. Nach der in der Entscheidung des Senats, Az. L 13 59/08 wiedergegebenen berufskundlichen Stellungnahme vom 18. Juni 2010 arbeiten Verpacker von Kleinteilen in nahezu allen Wirtschaftsbranchen. Hierbei handelt es sich um ungelernte Tätigkeiten oder einfache Anlerntätigkeiten, die keine Ausbildung oder besondere geistige bzw. intellektuelle Fähigkeiten voraussetzen. Verpacker werden in der Regel am Arbeitsplatz eingewiesen. Ein Großteil der Verpackungstätigkeiten ist körperlich eher leicht und damit ein typischer Frauenarbeitsplatz. Die Arbeiten werden entweder im Stehen oder im Sitzen überwiegend in geschlossenen Räumen verrichtet. Wichtig sind eine beidseitige Gebrauchsfähigkeit der Hände und ein gutes Sehvermögen. Ein eingeschränktes Hörvermögen und Analphabetismus stehen derartigen Arbeiten in der Regel jedoch nicht entgegen. Telefonbedienung, Publikumsverkehr, Arbeiten auf Leitern, Treppen und Gerüsten und Arbeiten an Maschinen können ausgeschlossen werden. Auch eingeschränkte Merk- und Konzentrationsfähigkeit stellen nach den Ausführungen der berufskundlichen Sachverständigen kein Hindernis zur Ausübung einer Tätigkeit als Verpackungshelferin dar.

Zwar können Tätigkeiten als Verpackungshelferin auch mit Zeitdruck bzw. Schicht- oder Fließbandarbeiten verbunden sein. Wie sich aus den in der angegebenen Entscheidung ebenfalls zitierten Tätigkeitsbeschreibungen ergibt, gibt es aber eine Vielzahl von Verpackungstätigkeiten, die nicht in Fließbandarbeit verrichtet werden (z.B. Verpackung teurer Produktionsgüter wie Uhren, Schmuck).

Auch Dr. D. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 25. April 2012 keine Gründe gesehen, warum die Klägerin diese Tätigkeiten nicht verrichten können sollte.

Trotz eines Leistungsvermögen der Klägerin von 6 Stunden und mehr für leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und Tätigkeiten als Warenaufmacherin/Versandfertigmacherin, Montiererin und Verpackerin von Kleinteilen wäre ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung jedoch dann gegeben, wenn die Wegefähigkeit der Klägerin rentenrelevant eingeschränkt wäre.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Das BSG hält dabei eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die es dem Versicherten nicht erlaubt, täglich viermal eine Fußstrecke von mehr als 500 m in jeweils weniger als 20 Minuten zurückzulegen, für eine derart schwere Leistungseinschränkung, dass der Arbeitsmarkt trotz vorhandenen vollschichtigen Leistungsvermögens als verschlossen anzusehen ist (BSG, Urteil vom 21. März 2006, B 5 RJ 51/04 unter Hinweis auf Großer Senat in BSGE 80, 24, 35). Eine Einschränkung der Wegefähigkeit liegt jedoch nicht vor. Diese könnte sich allenfalls aus der von der Klägerin geltend gemachten Orientierungslosigkeit außerhalb ihrer Wohnung ergeben. Dr. D. hat jedoch überzeugend dargelegt, dass sich diese Angabe der Klägerin aufgrund der außerordentlichen Vernebelung der tatsächlichen Verhältnisse durch ihre zahlreichen nicht nachvollziehbaren Angaben nicht nachvollziehen lässt und keine konkreten neurologischen oder psychiatrischen Defizite bestehen, mit denen sich eine Einschränkung der Wegefähigkeit begründen lassen könnte. In Übereinstimmung mit Dr. M. ist er daher für den Senat überzeugend zu der Einschätzung gekommen, dass die Wegefähigkeit der Klägerin im erforderlichen Umfang erhalten ist.

Zur Einholung weiterer Gutachten fühlte sich der Senat nicht gedrängt. Die Klägerin wurde mehrfach, auch von einem Orthopäden, begutachtet. Eine fristgerechte ordnungsgemäße Stellung eines Antrags nach § 109 SGG unter Angabe eines zur Gutachtenserstellung bereiten Arztes durch die Klägerin ist nicht erfolgt.

Die Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 1, 2 SGB VI über den 30. Juni 2009 hinaus kommt damit nicht in Betracht.

Der Klägerin steht auch keine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 Abs. 1, 2 SGB VI i.V.m. § 43 Abs. 1 SGB VI zu.

Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben auch vor dem 2. Januar 1961 geborene Versicherte, die berufsunfähig sind (§ 240 Abs. 1 SGB VI).

Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur beruflichen Rehabilitation mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden verrichten kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Ausgangspunkt für die Beurteilung des "vergleichbaren Versicherten" ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG der "bisherige Beruf". Dieser ergibt sich in der Regel aus der letzten versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit in Deutschland. Es ist die Berufstätigkeit zugrunde zu legen, die bei im Wesentlichen ungeschwächter Arbeitskraft nicht nur vorübergehend eine nennenswerte Zeit ausgeübt wurde (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 130, 164). Dabei unterscheidet die Rechtsprechung nach dem sogenannten Vier-Stufen-Schema die Leitberufe des Facharbeiters mit Vorgesetztenfunktion oder besonders hoher Qualifikation (z.B. Meister), des Facharbeiters, des angelernten Arbeiters (oberer Bereich mit einer Anlerndauer von einem Jahr bis unter zwei Jahre sowie unterer Bereich mit einer Anlerndauer von mindestens drei Monaten bis zu einem Jahr) sowie des ungelernten bzw. nur kurzfristig angelernten oder eingewiesenen Arbeiters.

Die für die Beurteilung des Hauptberufs maßgebliche letzte versicherungspflichtige Tätigkeit der Klägerin war nach ihren eigenen, stets wiederholten Angaben die einer Hilfsarbeiterin in einer Metallfabrik. Die Klägerin hat weder eine Berufsausbildung noch ein Anlernverhältnis absolviert. Sie hat keine Schule besucht und ist Analphabetin. Der Senat ist daher davon überzeugt, dass die Klägerin ungelernte, allenfalls einfach angelernte Tätigkeiten als Fabrikarbeiterin verrichtet hat. Die Annahme der Klägerin, aufgrund mehr als
20-jähriger Tätigkeit als Hilfsarbeiterin stehe ihr aufgrund Berufserfahrung Berufsschutz als Facharbeiterin zu, folgt der Senat nicht. Auch durch langjährige Ausübung einer Hilfstätigkeit wird diese nicht zu einer Facharbeitertätigkeit. Zu weiteren Ermittlungen fühlt sich

der Senat angesichts dieses Gesamtbilds nicht gedrängt, zumal der Arbeitgeber der Klägerin nach deren Angaben nicht mehr existiert.

Die Berufung war damit vollumfänglich zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) berücksichtigt den Umstand, dass die Klägerin auch im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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