Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 R 188/10
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 1 R 607/11
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zu den Voraussetzungen eines Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung.
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts
Augsburg vom 11. Mai 2011 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1965 in Kroatien geborene Klägerin, kroatische Staatsangehörige, ist im Februar 1992 in das Bundesgebiet zugezogen. Sie hat nach ihren eigenen Angaben in Kroatien nach dem Abitur eine zweijährige Ausbildung zur Archivistin erfolgreich absolviert. In der Folgezeit war sie als Hilfsarbeiterin, von 1992 bis 2001 als Versandarbeiterin und Pflegehilfskraft sowie zuletzt von November 1999 bis Dezember 2004 als Verkäuferin versicherungspflichtig beschäftigt.
Mit Antrag vom 25. März 2009 begehrte die Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung von der Beklagten. Zur Begründung verwies sie auf ein Attest der behandelnden Internistin Dr. D., in dem auf eine eingeschränkte Gehfähigkeit nach beidseitigem Hüftgelenksersatz, ein depressives Syndrom mit Persönlichkeitsstörung und eine Eisenmangelanämie verwiesen ist.
Die Beklagte holte ein chirurgisch-sozialmedizinisches Gutachten von Dr. U. vom 5. Juni 2009 ein. Dieser diagnostizierte bei der Klägerin eine mäßige Funktionseinschränkung des rechten Hüftgelenks nach künstlichem Gelenksersatz mit Abriss des großen Rollhügels und dadurch bedingter muskulärer Schwäche, eine eingeschränkte Belastbarkeit des linken Hüftgelenks nach künstlichem Gelenksersatz ohne funktionelle Defizite und eine eingeschränkte psychische Belastbarkeit bei Depression, Persönlichkeitsstörung und somatoforme Störung. Die Klägerin sei noch in der Lage 6 Stunden und mehr als Verkäuferin sowie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte bis mittelschwere Tätigkeiten zu verrichten.
Der Antrag wurde daraufhin mit angefochtenem Bescheid vom 19. Juni 2009 abgelehnt.
Zur Begründung des hiergegen erhobenen Widerspruchs verwies die Klägerin auf starke Schmerzen. Sie sei körperlich und psychisch kaputt. Für ihren Haushalt und ihre Kinder könne sie nicht ohne fremde Hilfe sorgen.
Die Beklagte holte einen Befundbericht des behandelnden Neurologen und Psychiaters Dr. E. ein, der von einer anhaltenden somatoformen Störung, einer komplexen Persönlichkeitsstörung (narzisstische und histrionische Anteile) und rezidivierenden depressiven Episoden berichtete.
Die Beklagte holte daraufhin ein nervenärztliches Gutachten von Dr. R. vom 18. Januar 2010 ein. Dr. R. stellte bei der Klägerin eine histrionische Persönlichkeitsstörung, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert, bei Ausschluss einer neurologischen Erkrankung, eine mäßige Funktionseinschränkung des rechten Hüftgelenks, eine eingeschränkte Belastbarkeit des linken Hüftgelenks, Hinweise auf eine essenzielle arterielle Hypertonie und eine allergische Disposition fest. Die Klägerin sei noch in der Lage, als Verkäuferin oder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt 6 Stunden und mehr vollschichtig Arbeiten zu verrichten. Der Widerspruch wurde daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 2010 zurückgewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhoben und vorgetragen, den Gutachter habe ihr tatsächlicher gesundheitlicher Zustand nicht interessiert. Sie überlege daher, ob sie diesen wegen unterlassener Hilfeleistung verklage. Es seien bei ihr auch weitere Diagnosen vorhanden (MCS). Hierdurch seien ihre Bemühungen gescheitert, ihre Gesundheit in den Griff zu kriegen und in das Arbeitsleben zurückzukehren. Ihr Körper reagiere immer schlimmer auf chemische Duftstoffe, so dass sie nicht mehr putzen, alleine einkaufen, öffentliche Verkehrsmittel oder Autos benutzen könne. Bei jeder Berührung mit einem Duftstoff leide sie für längere Zeit unter Atemnot und unter starken Schmerzen.
Das SG hat diverse Befundberichte beigezogen und gemäß § 106 Sozialgerichtsgesetz - SGG - Beweis erhoben durch Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens von Dr. A. vom 15. November 2010 und eines arbeits-/umweltmedizinischen Gutachtens durch Dr. W. vom 26. Oktober 2010.
Dr. A. hat bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen festgestellt:
1. Erkrankung beider Hüftgelenke, Zustand nach operativer Behandlung; bleibende Läsion des Nervus cutaneus femoris lateralis rechts (mit Sensibilitätsminderung an der Außenseite des rechten Oberschenkels)
2. Rezidivierende depressive Störung, derzeit remittiert
3. Histrionische Persönlichkeitsstörung
4. Verdacht auf Somatisierungsstörung - gesichert, sofern körperliche Symptomatik nach Substanzexposition keine organische Erklärung auf allergologisch/umweltmedizinischem Fachgebiet findet
5. Verdacht auf Multiple Chemical Sensitivity (MCS) oder allergische Diathese.
Die Klägerin sei noch in der Lage, 6 Stunden und mehr täglich leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mit den arbeitsüblichen Unterbrechungen zu verrichten. Zu vermeiden seien Tätigkeiten mit besonderer Beanspruchung der Hüftgelenke, Arbeiten mit besonderer Reizstoffexposition und mit besonderen Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit, Zeitdruckarbeiten sowie Arbeiten mit Publikumsverkehr. Besonders hohe Anforderungen an die Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit sowie an die Verantwortung für sich oder andere dürften nicht gestellt werden. Einschränkungen der Wegefähigkeit lägen nicht vor.
Dr. W. hat bei der Klägerin eine Somatisierungsstörung, eine histrionische Persönlichkeitsstörung, eine derzeit remittierte rezidivierende depressive Störung, eine Totalendoprothese der Hüftgelenke mit eingeschränkter Belastbarkeit sowie eine Funktionseinschränkung des rechten Hüftgelenks durch Abriss des Trochanter major und dadurch bedingter muskulärer Schwäche bei postoperativ bleibender Läsion des Nervus cutaneus femoris lateralis rechts (mit Sensibilitätsminderung an der Außenseite des rechten Oberschenkels) diagnostiziert.
Die Klägerin sei derzeit nicht arbeitsfähig. Arbeitsunfähigkeit bestehe bereits seit längerem durchgehend. Zu empfehlen sei eine Allergietestung bezüglich Duftstoffmix unter stationären Bedingungen. Die Klägerin müsste dringend die empfohlene psychosomatische Therapie aufnehmen. Nach deren Abschluss sei davon auszugehen, dass die Klägerin wieder leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts täglich 6 Stunden und mehr ausüben könne. Voraussetzung hierfür sei jedoch eine erfolgreiche psychotherapeutische Behandlung.
Nachdem sich die Beklagte den Ausführungen von Dr. W. nicht angeschlossen hatte, hat das SG die Klage mit Urteil vom 11. Mai 2011 unter Berufung auf das Gutachten von Dr. A. abgewiesen. Dr. W. habe festgestellt, dass die Kriterien, die gegen eine MCS-Erkrankung sprächen, überwiegen würden. Die Feststellung einer durchgehenden Arbeitsunfähigkeit durch Dr. W. begründe keinen Rentenanspruch.
Hiergegen hat die Klägerin Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt und darauf verwiesen, ihr gehe es schlecht und ihr Zustand und ihre Beschwerden hätten sich verschlechtert. Sie sei deshalb zu ihrer Familie nach Italien und Kroatien gefahren in der Hoffnung, dass ihr eine Veränderung und ein anderes Klima gut tun würde. Zuhause sei sie jedoch wieder rückfällig geworden.
Der Senat hat diverse Befundberichte u.a. auch von Prof. Dr. E. beigezogen und gemäß § 106 SGG Beweis erhoben durch ein nervenärztliches Gutachten von Dr. C. vom 25. Mai 2012.
Dr. C. hat bei der Klägerin eine Somatisierungs- sowie eine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert und festgestellt, die Klägerin könne noch leichte und mittelschwere Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen im Freien und in geschlossenen Räumen vollschichtig mit den arbeitsüblichen Unterbrechungen verrichten. Nicht mehr zumutbar seien das Heben und Tragen schwerer Lasten, häufiges Bücken bzw. Tätigkeiten in gebückter Position, Nachtschichttätigkeiten, Zeitdruckarbeiten sowie Tätigkeiten mit erhöhter Geruchsbelastung. Beschränkungen hinsichtlich des Anmarschwegs zur Arbeitsstätte bestünden nicht. Weitere Gutachten seien nicht erforderlich.
Die Klägerin hat hierzu erklärt, es gehe ihr gesundheitlich schlecht. Ihre Beschwerden würden nicht ernst genommen. Sie habe eine allergische Vergiftung erlitten. Das Gutachten von Dr. C. sei unnötig gewesen. Im Vordergrund stünden bei ihr die MCS und die Duftstoffallergie, nicht ihre Depressionen. Sie habe Dr. C. gebeten, einen Befundbericht von ihrer behandelnden Ärztin auf umweltmedizinischem Fachgebiet Dr. E. beizuziehen. Im Gutachten von Dr. C. sei hiervon jedoch nicht die Rede. Sie hat dem Gericht einen einzelfallbezogenen Abschlussbericht für Teilnehmer an Integrationsmaßnahmen aus dem Jahr 2010 überreicht, in dem über einen Abbruch einer Praktikumsmaßnahme durch die Klägerin berichtet wird.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 11. Mai 2011 und des Bescheids der Beklagten vom 19. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Januar 2010 zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Akten des SG sowie der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat zu Recht die Klage gegen den angefochtenen Bescheid vom 19. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Januar 2010 abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI bzw. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI zu. Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß §§ 43 Abs. 1, 240 Abs. 1, 2 SGB VI kommt von vornherein nicht in Betracht, da die Klägerin nicht vor dem 2. Januar 1961 geboren ist (vgl. § 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).
Gem. § 43 Abs. 1, 2 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie
1. teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs bzw. drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist gem. § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem SG und dem LSG steht für den erkennenden Senat fest, dass die Leistungsfähigkeit der Klägerin zwar qualitativ hinsichtlich der Art und Schwere der noch möglichen Tätigkeiten gemindert ist, ohne dass die qualitativen Leistungseinschränkungen jedoch einen rentenerheblichen Umfang angenommen hätten. Eine quantitative Leistungseinschränkung liegt nicht vor. Die Klägerin kann noch 6 Stunden täglich und mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte bis zumindest gelegentlich mittelschwere Arbeiten verrichten.
Bei der Klägerin stehen die Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem Fachgebiet im Vordergrund.
Der erfahrene Gerichtsachverständige Dr. C. stellte bei der Klägerin einen guten Allgemein- und Ernährungszustand fest. Es zeigte sich ein ungestörter und harmonischer Gang. Zehen- und Fersengang waren der Klägerin beidseits möglich. Das An- und Auskleiden vollzog die Klägerin zügig. Nacken- und Schürzengriff gelangen der Klägerin ohne Probleme. Der Finger-Boden-Abstand betrug 5 cm. Die Muskeleigenreflexe der Klägerin waren seitengleich mittellebhaft bis lebhaft. Muskeltonus und -trophik waren ungestört, die grobe Kraft gut ausgeprägt. Koordination und Bewegungsverhalten waren insgesamt ungestört.
In psychopathologischer Hinsicht war die Klägerin während der gesamten Untersuchung in einer ausgeglichenen Grundstimmung bei ungestörter affektiver Schwingungsfähigkeit. Der Rapport war ungestört, ebenso Bewusstsein und Orientierung. Die Klägern wirkte auch nicht antriebsgemindert und nicht einmal annäherungsweise depressiv, sondern vielmehr antriebsstark, druckvoll argumentierend und affektiv schwingungsfähig. Der erfahrene Gerichtsachverständige konnte keine Auffälligkeiten bei Kognition, Abstraktionsvermögen, Gedächtnisleistungen, Merkfähigkeit, Konzentrations- und Auffassungsfähigkeit feststellen. Inhaltliche oder formale Denkstörungen, Sinnestäuschungen oder Icherlebensstörungen waren bei der durchschnittlich intellektuell leistungsfähigen Klägerin nicht zu objektivieren, allerdings eine Persönlichkeitsstörung mit narzisstisch histrionischer Prägung und ausgeprägter Asthenie sowie anankastischen Wesenszügen.
Die klinisch-neurologische Untersuchung erbrachte keinen eindeutigen pathologischen Befund. Auffallend war lediglich eine beschriebene Sensibilitätsstörungen am rechten Oberschenkel, die nach den Feststellungen von Dr. C. jedoch funktionell ohne Belang ist.
Dr. C. hat darauf verwiesen, dass die von der Klägerin beschriebenen vielgestaltigen Geruchsaversionen keiner fassbaren körperlichen Erkrankung zugeordnet werden könnten. Auch das - nur zu Beginn der Untersuchung zu beobachtende - zum Teil etwas zwanghaft anmutende Schlucken der Klägerin entspricht am ehesten einer somatoformen Störung.
Nach alledem ist die Einschätzung von Dr. C. nachvollziehbar, dass zureichende Gründe für eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens der Klägerin nicht vorliegen. Der Senat ist davon überzeugt, dass die Klägerin noch in der Lage ist, leichte bis mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens 6 Stunden täglich zu verrichten. Mit den von Dr. C. benannten qualitativen Leistungseinschränkungen wird - wie sich auch aus dem vom Senat im Wege des Urkundsbeweises verwerteten chirurgisch-sozialmedizinischen Gutachtens von Dr. U. vom 5. Juni 2009 ergibt - den auf orthopädischem Fachgebiet vorliegenden Gesundheitsstörungen und hierbei vor allem dem Zustand nach dem beidseitigem Hüftgelenkersatz ebenfalls hinreichend Rechnung getragen.
Die abweichende Einschätzung von Dr. W. konnte den Senat nicht überzeugen. Hierbei ist zunächst darauf zu verweisen, dass Dr. W. seine Annahme eines auf 3 bis unter 6 Stunden täglich abgesunkenen Leistungsvermögens nicht auf Gesundheitsstörungen auf umweltmedizinischem Fachgebiet gestützt hat, sondern - fachfremd - auf die psychogenen Reaktionen der Klägerin. Gesundheitsstörungen auf umweltmedizinischem Fachgebiet hat Dr. W. nicht festgestellt. Nach seinen Ausführungen überwiegen die Kriterien, die gegen das Vorliegen einer MCS sprechen (keine generelle Unverträglichkeit, nur geringe Anzahl von Beschwerderegionen, seelische Mitverursachung, Beschwerdebeobachtung bei der ärztlichen Untersuchung) deutlich. Insoweit schließt sich der Senat jedoch den übereinstimmenden Ausführungen der für die Bewertung der psychogenen Reaktionen fachlich zuständigen Nervenärzte Dr. A. und Dr. C. an, wonach diese nicht so ausgeprägt sind, dass von einer Einschränkung der quantitativen Leistungsfähigkeit der Klägerin ausgegangen werden könnte.
Auch die behandelnde Umweltmedizinerin Prof. Dr. E. von der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie des Klinikums I. der Technischen Universität C-Stadt, deren Befundbericht vom 20. Mai 2010 Dr. C. vorlag, hat ausgeführt, dass die bei der Klägerin vorliegende klinische Symptomatik Beschwerdebilder darstelle, die in der Literatur mit dem Begriff der "idiopathic environmental intolerances" oder "multiple chemical sensitivity" beschrieben würden. Wegen der fehlenden wissenschaftlichen Evidenz gehe man nicht von eigenständigen Krankheitsentitäten aus. In der anerkannten Fachliteratur herrsche Einigkeit darüber, dass MCS-IEI-Betroffene über deutlich erhöhte psychische Beeinträchtigungen wie Ängstlichkeit, Depressivität oder diffuse, unterschiedlich ausgeprägte Körpersensationen berichteten. Dies sei bei der Klägerin mit bereits diagnostizierten depressiven Episoden sowie bereits stattgehabten antidepressiver Therapie und Psychotherapien ebenfalls der Fall.
Prof. Dr. E. hat damit also keine wissenschaftlich anerkannte umweltmedizinische Diagnose gestellt und daraus Rückschlüsse auf eine Einschränkung des Leistungsvermögens der Klägerin gezogen. Vielmehr hat auch sie den Vorrang des nervenärztlichem Fachgebiets bei diesen Beschwerdebildern betont und ebenfalls eine psychotherapeutische Behandlung für vorrangig erachtet. Aus nervenärztlicher Sicht lässt sich, wie sich aus den Voten von Dr. A. und Dr. C., denen sich der Senat anschließt, ergibt, eine rentenrelevante Einschränkung des Leistungsvermögens der Klägerin allerdings nicht ableiten.
Trotz dieses festgestellten Leistungsvermögens der Klägerin von 6 Stunden und mehr für leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wäre ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung jedoch dann gegeben, wenn bei ihr eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bzw. eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorläge und der Klägerin keine Tätigkeit benannt werden könnte, die sie trotz der qualitativen Leistungseinschränkungen noch mindestens 6 Stunden täglich verrichten kann. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung meint die Fälle, in denen bereits eine einzige schwerwiegende Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt (BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003 - B5 RJ 64/02 R). Als Beispiel hierfür ist etwa die Einarmigkeit eines Versicherten zu nennen. Das Merkmal " Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" trägt hingegen dem Umstand Rechnung, dass auch eine Vielzahl von Einschränkungen, die jeweils nur einzelne Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen betreffen, zusammengenommen das noch mögliche Arbeitsfeld in erheblichem Umfang zusätzlich einengen können.
Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt bei der Klägerin jedoch ebenso wenig vor wie eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen. Ein unüblicher Pausenbedarf besteht nicht. Die von Dr. C. und den Vorgutachtern genannten qualitativen Einschränkungen sind nicht ungewöhnlich. Zudem ist die Klägerin nach den Feststellungen von Dr. C. sogar noch zu mittelschweren Arbeiten in der Lage, so dass nicht davon die Rede sein kann, dass der allgemeine Arbeitsmarkt für die Klägerin verschlossen sein könnte. Auch liegt nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. C. keine rentenrelevante Einschränkung der Wegefähigkeit der Klägerin vor. Die Klägerin ist nach Auffassung des Senats entgegen der Annahme von Dr. W. in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Dr. W. hat dies mit einem pauschalen Hinweis auf die psychiatrischen und neurologischen Diagnosen verneint. Eine genaue und nachvollziehbare Begründung, warum der Klägerin die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zumutbar sein sollte, bleibt er jedoch schuldig. Dr. C. und Dr. A. konnten eine derartige Einschränkung bei der Klägerin nicht feststellen. Professor Dr. E. hat in ihren oben erwähnten Befundbericht auch klargestellt, dass eine Vermeidung von Triggersubstanzen, wie hier Gerüchen und Parfüm, hilfreich, die Forderung nach einem derartigen Verzicht wissenschaftlich jedoch nicht begründbar ist. Auch unter diesem Gesichtspunkt lässt sich also keine tragfähige Begründung für die Annahme finden, die Klägerin könne keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen.
Damit scheidet die Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung aus.
Die Berufung war damit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) beruht auf der Erwägung, dass die Klägerin auch im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.
Gründe, die Revision zuzulassen (vgl. § 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Augsburg vom 11. Mai 2011 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1965 in Kroatien geborene Klägerin, kroatische Staatsangehörige, ist im Februar 1992 in das Bundesgebiet zugezogen. Sie hat nach ihren eigenen Angaben in Kroatien nach dem Abitur eine zweijährige Ausbildung zur Archivistin erfolgreich absolviert. In der Folgezeit war sie als Hilfsarbeiterin, von 1992 bis 2001 als Versandarbeiterin und Pflegehilfskraft sowie zuletzt von November 1999 bis Dezember 2004 als Verkäuferin versicherungspflichtig beschäftigt.
Mit Antrag vom 25. März 2009 begehrte die Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung von der Beklagten. Zur Begründung verwies sie auf ein Attest der behandelnden Internistin Dr. D., in dem auf eine eingeschränkte Gehfähigkeit nach beidseitigem Hüftgelenksersatz, ein depressives Syndrom mit Persönlichkeitsstörung und eine Eisenmangelanämie verwiesen ist.
Die Beklagte holte ein chirurgisch-sozialmedizinisches Gutachten von Dr. U. vom 5. Juni 2009 ein. Dieser diagnostizierte bei der Klägerin eine mäßige Funktionseinschränkung des rechten Hüftgelenks nach künstlichem Gelenksersatz mit Abriss des großen Rollhügels und dadurch bedingter muskulärer Schwäche, eine eingeschränkte Belastbarkeit des linken Hüftgelenks nach künstlichem Gelenksersatz ohne funktionelle Defizite und eine eingeschränkte psychische Belastbarkeit bei Depression, Persönlichkeitsstörung und somatoforme Störung. Die Klägerin sei noch in der Lage 6 Stunden und mehr als Verkäuferin sowie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte bis mittelschwere Tätigkeiten zu verrichten.
Der Antrag wurde daraufhin mit angefochtenem Bescheid vom 19. Juni 2009 abgelehnt.
Zur Begründung des hiergegen erhobenen Widerspruchs verwies die Klägerin auf starke Schmerzen. Sie sei körperlich und psychisch kaputt. Für ihren Haushalt und ihre Kinder könne sie nicht ohne fremde Hilfe sorgen.
Die Beklagte holte einen Befundbericht des behandelnden Neurologen und Psychiaters Dr. E. ein, der von einer anhaltenden somatoformen Störung, einer komplexen Persönlichkeitsstörung (narzisstische und histrionische Anteile) und rezidivierenden depressiven Episoden berichtete.
Die Beklagte holte daraufhin ein nervenärztliches Gutachten von Dr. R. vom 18. Januar 2010 ein. Dr. R. stellte bei der Klägerin eine histrionische Persönlichkeitsstörung, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert, bei Ausschluss einer neurologischen Erkrankung, eine mäßige Funktionseinschränkung des rechten Hüftgelenks, eine eingeschränkte Belastbarkeit des linken Hüftgelenks, Hinweise auf eine essenzielle arterielle Hypertonie und eine allergische Disposition fest. Die Klägerin sei noch in der Lage, als Verkäuferin oder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt 6 Stunden und mehr vollschichtig Arbeiten zu verrichten. Der Widerspruch wurde daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 2010 zurückgewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhoben und vorgetragen, den Gutachter habe ihr tatsächlicher gesundheitlicher Zustand nicht interessiert. Sie überlege daher, ob sie diesen wegen unterlassener Hilfeleistung verklage. Es seien bei ihr auch weitere Diagnosen vorhanden (MCS). Hierdurch seien ihre Bemühungen gescheitert, ihre Gesundheit in den Griff zu kriegen und in das Arbeitsleben zurückzukehren. Ihr Körper reagiere immer schlimmer auf chemische Duftstoffe, so dass sie nicht mehr putzen, alleine einkaufen, öffentliche Verkehrsmittel oder Autos benutzen könne. Bei jeder Berührung mit einem Duftstoff leide sie für längere Zeit unter Atemnot und unter starken Schmerzen.
Das SG hat diverse Befundberichte beigezogen und gemäß § 106 Sozialgerichtsgesetz - SGG - Beweis erhoben durch Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens von Dr. A. vom 15. November 2010 und eines arbeits-/umweltmedizinischen Gutachtens durch Dr. W. vom 26. Oktober 2010.
Dr. A. hat bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen festgestellt:
1. Erkrankung beider Hüftgelenke, Zustand nach operativer Behandlung; bleibende Läsion des Nervus cutaneus femoris lateralis rechts (mit Sensibilitätsminderung an der Außenseite des rechten Oberschenkels)
2. Rezidivierende depressive Störung, derzeit remittiert
3. Histrionische Persönlichkeitsstörung
4. Verdacht auf Somatisierungsstörung - gesichert, sofern körperliche Symptomatik nach Substanzexposition keine organische Erklärung auf allergologisch/umweltmedizinischem Fachgebiet findet
5. Verdacht auf Multiple Chemical Sensitivity (MCS) oder allergische Diathese.
Die Klägerin sei noch in der Lage, 6 Stunden und mehr täglich leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mit den arbeitsüblichen Unterbrechungen zu verrichten. Zu vermeiden seien Tätigkeiten mit besonderer Beanspruchung der Hüftgelenke, Arbeiten mit besonderer Reizstoffexposition und mit besonderen Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit, Zeitdruckarbeiten sowie Arbeiten mit Publikumsverkehr. Besonders hohe Anforderungen an die Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit sowie an die Verantwortung für sich oder andere dürften nicht gestellt werden. Einschränkungen der Wegefähigkeit lägen nicht vor.
Dr. W. hat bei der Klägerin eine Somatisierungsstörung, eine histrionische Persönlichkeitsstörung, eine derzeit remittierte rezidivierende depressive Störung, eine Totalendoprothese der Hüftgelenke mit eingeschränkter Belastbarkeit sowie eine Funktionseinschränkung des rechten Hüftgelenks durch Abriss des Trochanter major und dadurch bedingter muskulärer Schwäche bei postoperativ bleibender Läsion des Nervus cutaneus femoris lateralis rechts (mit Sensibilitätsminderung an der Außenseite des rechten Oberschenkels) diagnostiziert.
Die Klägerin sei derzeit nicht arbeitsfähig. Arbeitsunfähigkeit bestehe bereits seit längerem durchgehend. Zu empfehlen sei eine Allergietestung bezüglich Duftstoffmix unter stationären Bedingungen. Die Klägerin müsste dringend die empfohlene psychosomatische Therapie aufnehmen. Nach deren Abschluss sei davon auszugehen, dass die Klägerin wieder leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts täglich 6 Stunden und mehr ausüben könne. Voraussetzung hierfür sei jedoch eine erfolgreiche psychotherapeutische Behandlung.
Nachdem sich die Beklagte den Ausführungen von Dr. W. nicht angeschlossen hatte, hat das SG die Klage mit Urteil vom 11. Mai 2011 unter Berufung auf das Gutachten von Dr. A. abgewiesen. Dr. W. habe festgestellt, dass die Kriterien, die gegen eine MCS-Erkrankung sprächen, überwiegen würden. Die Feststellung einer durchgehenden Arbeitsunfähigkeit durch Dr. W. begründe keinen Rentenanspruch.
Hiergegen hat die Klägerin Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt und darauf verwiesen, ihr gehe es schlecht und ihr Zustand und ihre Beschwerden hätten sich verschlechtert. Sie sei deshalb zu ihrer Familie nach Italien und Kroatien gefahren in der Hoffnung, dass ihr eine Veränderung und ein anderes Klima gut tun würde. Zuhause sei sie jedoch wieder rückfällig geworden.
Der Senat hat diverse Befundberichte u.a. auch von Prof. Dr. E. beigezogen und gemäß § 106 SGG Beweis erhoben durch ein nervenärztliches Gutachten von Dr. C. vom 25. Mai 2012.
Dr. C. hat bei der Klägerin eine Somatisierungs- sowie eine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert und festgestellt, die Klägerin könne noch leichte und mittelschwere Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen im Freien und in geschlossenen Räumen vollschichtig mit den arbeitsüblichen Unterbrechungen verrichten. Nicht mehr zumutbar seien das Heben und Tragen schwerer Lasten, häufiges Bücken bzw. Tätigkeiten in gebückter Position, Nachtschichttätigkeiten, Zeitdruckarbeiten sowie Tätigkeiten mit erhöhter Geruchsbelastung. Beschränkungen hinsichtlich des Anmarschwegs zur Arbeitsstätte bestünden nicht. Weitere Gutachten seien nicht erforderlich.
Die Klägerin hat hierzu erklärt, es gehe ihr gesundheitlich schlecht. Ihre Beschwerden würden nicht ernst genommen. Sie habe eine allergische Vergiftung erlitten. Das Gutachten von Dr. C. sei unnötig gewesen. Im Vordergrund stünden bei ihr die MCS und die Duftstoffallergie, nicht ihre Depressionen. Sie habe Dr. C. gebeten, einen Befundbericht von ihrer behandelnden Ärztin auf umweltmedizinischem Fachgebiet Dr. E. beizuziehen. Im Gutachten von Dr. C. sei hiervon jedoch nicht die Rede. Sie hat dem Gericht einen einzelfallbezogenen Abschlussbericht für Teilnehmer an Integrationsmaßnahmen aus dem Jahr 2010 überreicht, in dem über einen Abbruch einer Praktikumsmaßnahme durch die Klägerin berichtet wird.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 11. Mai 2011 und des Bescheids der Beklagten vom 19. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Januar 2010 zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Akten des SG sowie der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat zu Recht die Klage gegen den angefochtenen Bescheid vom 19. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Januar 2010 abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI bzw. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI zu. Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß §§ 43 Abs. 1, 240 Abs. 1, 2 SGB VI kommt von vornherein nicht in Betracht, da die Klägerin nicht vor dem 2. Januar 1961 geboren ist (vgl. § 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).
Gem. § 43 Abs. 1, 2 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie
1. teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs bzw. drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist gem. § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem SG und dem LSG steht für den erkennenden Senat fest, dass die Leistungsfähigkeit der Klägerin zwar qualitativ hinsichtlich der Art und Schwere der noch möglichen Tätigkeiten gemindert ist, ohne dass die qualitativen Leistungseinschränkungen jedoch einen rentenerheblichen Umfang angenommen hätten. Eine quantitative Leistungseinschränkung liegt nicht vor. Die Klägerin kann noch 6 Stunden täglich und mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte bis zumindest gelegentlich mittelschwere Arbeiten verrichten.
Bei der Klägerin stehen die Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem Fachgebiet im Vordergrund.
Der erfahrene Gerichtsachverständige Dr. C. stellte bei der Klägerin einen guten Allgemein- und Ernährungszustand fest. Es zeigte sich ein ungestörter und harmonischer Gang. Zehen- und Fersengang waren der Klägerin beidseits möglich. Das An- und Auskleiden vollzog die Klägerin zügig. Nacken- und Schürzengriff gelangen der Klägerin ohne Probleme. Der Finger-Boden-Abstand betrug 5 cm. Die Muskeleigenreflexe der Klägerin waren seitengleich mittellebhaft bis lebhaft. Muskeltonus und -trophik waren ungestört, die grobe Kraft gut ausgeprägt. Koordination und Bewegungsverhalten waren insgesamt ungestört.
In psychopathologischer Hinsicht war die Klägerin während der gesamten Untersuchung in einer ausgeglichenen Grundstimmung bei ungestörter affektiver Schwingungsfähigkeit. Der Rapport war ungestört, ebenso Bewusstsein und Orientierung. Die Klägern wirkte auch nicht antriebsgemindert und nicht einmal annäherungsweise depressiv, sondern vielmehr antriebsstark, druckvoll argumentierend und affektiv schwingungsfähig. Der erfahrene Gerichtsachverständige konnte keine Auffälligkeiten bei Kognition, Abstraktionsvermögen, Gedächtnisleistungen, Merkfähigkeit, Konzentrations- und Auffassungsfähigkeit feststellen. Inhaltliche oder formale Denkstörungen, Sinnestäuschungen oder Icherlebensstörungen waren bei der durchschnittlich intellektuell leistungsfähigen Klägerin nicht zu objektivieren, allerdings eine Persönlichkeitsstörung mit narzisstisch histrionischer Prägung und ausgeprägter Asthenie sowie anankastischen Wesenszügen.
Die klinisch-neurologische Untersuchung erbrachte keinen eindeutigen pathologischen Befund. Auffallend war lediglich eine beschriebene Sensibilitätsstörungen am rechten Oberschenkel, die nach den Feststellungen von Dr. C. jedoch funktionell ohne Belang ist.
Dr. C. hat darauf verwiesen, dass die von der Klägerin beschriebenen vielgestaltigen Geruchsaversionen keiner fassbaren körperlichen Erkrankung zugeordnet werden könnten. Auch das - nur zu Beginn der Untersuchung zu beobachtende - zum Teil etwas zwanghaft anmutende Schlucken der Klägerin entspricht am ehesten einer somatoformen Störung.
Nach alledem ist die Einschätzung von Dr. C. nachvollziehbar, dass zureichende Gründe für eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens der Klägerin nicht vorliegen. Der Senat ist davon überzeugt, dass die Klägerin noch in der Lage ist, leichte bis mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens 6 Stunden täglich zu verrichten. Mit den von Dr. C. benannten qualitativen Leistungseinschränkungen wird - wie sich auch aus dem vom Senat im Wege des Urkundsbeweises verwerteten chirurgisch-sozialmedizinischen Gutachtens von Dr. U. vom 5. Juni 2009 ergibt - den auf orthopädischem Fachgebiet vorliegenden Gesundheitsstörungen und hierbei vor allem dem Zustand nach dem beidseitigem Hüftgelenkersatz ebenfalls hinreichend Rechnung getragen.
Die abweichende Einschätzung von Dr. W. konnte den Senat nicht überzeugen. Hierbei ist zunächst darauf zu verweisen, dass Dr. W. seine Annahme eines auf 3 bis unter 6 Stunden täglich abgesunkenen Leistungsvermögens nicht auf Gesundheitsstörungen auf umweltmedizinischem Fachgebiet gestützt hat, sondern - fachfremd - auf die psychogenen Reaktionen der Klägerin. Gesundheitsstörungen auf umweltmedizinischem Fachgebiet hat Dr. W. nicht festgestellt. Nach seinen Ausführungen überwiegen die Kriterien, die gegen das Vorliegen einer MCS sprechen (keine generelle Unverträglichkeit, nur geringe Anzahl von Beschwerderegionen, seelische Mitverursachung, Beschwerdebeobachtung bei der ärztlichen Untersuchung) deutlich. Insoweit schließt sich der Senat jedoch den übereinstimmenden Ausführungen der für die Bewertung der psychogenen Reaktionen fachlich zuständigen Nervenärzte Dr. A. und Dr. C. an, wonach diese nicht so ausgeprägt sind, dass von einer Einschränkung der quantitativen Leistungsfähigkeit der Klägerin ausgegangen werden könnte.
Auch die behandelnde Umweltmedizinerin Prof. Dr. E. von der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie des Klinikums I. der Technischen Universität C-Stadt, deren Befundbericht vom 20. Mai 2010 Dr. C. vorlag, hat ausgeführt, dass die bei der Klägerin vorliegende klinische Symptomatik Beschwerdebilder darstelle, die in der Literatur mit dem Begriff der "idiopathic environmental intolerances" oder "multiple chemical sensitivity" beschrieben würden. Wegen der fehlenden wissenschaftlichen Evidenz gehe man nicht von eigenständigen Krankheitsentitäten aus. In der anerkannten Fachliteratur herrsche Einigkeit darüber, dass MCS-IEI-Betroffene über deutlich erhöhte psychische Beeinträchtigungen wie Ängstlichkeit, Depressivität oder diffuse, unterschiedlich ausgeprägte Körpersensationen berichteten. Dies sei bei der Klägerin mit bereits diagnostizierten depressiven Episoden sowie bereits stattgehabten antidepressiver Therapie und Psychotherapien ebenfalls der Fall.
Prof. Dr. E. hat damit also keine wissenschaftlich anerkannte umweltmedizinische Diagnose gestellt und daraus Rückschlüsse auf eine Einschränkung des Leistungsvermögens der Klägerin gezogen. Vielmehr hat auch sie den Vorrang des nervenärztlichem Fachgebiets bei diesen Beschwerdebildern betont und ebenfalls eine psychotherapeutische Behandlung für vorrangig erachtet. Aus nervenärztlicher Sicht lässt sich, wie sich aus den Voten von Dr. A. und Dr. C., denen sich der Senat anschließt, ergibt, eine rentenrelevante Einschränkung des Leistungsvermögens der Klägerin allerdings nicht ableiten.
Trotz dieses festgestellten Leistungsvermögens der Klägerin von 6 Stunden und mehr für leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wäre ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung jedoch dann gegeben, wenn bei ihr eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bzw. eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorläge und der Klägerin keine Tätigkeit benannt werden könnte, die sie trotz der qualitativen Leistungseinschränkungen noch mindestens 6 Stunden täglich verrichten kann. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung meint die Fälle, in denen bereits eine einzige schwerwiegende Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt (BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003 - B5 RJ 64/02 R). Als Beispiel hierfür ist etwa die Einarmigkeit eines Versicherten zu nennen. Das Merkmal " Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" trägt hingegen dem Umstand Rechnung, dass auch eine Vielzahl von Einschränkungen, die jeweils nur einzelne Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen betreffen, zusammengenommen das noch mögliche Arbeitsfeld in erheblichem Umfang zusätzlich einengen können.
Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt bei der Klägerin jedoch ebenso wenig vor wie eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen. Ein unüblicher Pausenbedarf besteht nicht. Die von Dr. C. und den Vorgutachtern genannten qualitativen Einschränkungen sind nicht ungewöhnlich. Zudem ist die Klägerin nach den Feststellungen von Dr. C. sogar noch zu mittelschweren Arbeiten in der Lage, so dass nicht davon die Rede sein kann, dass der allgemeine Arbeitsmarkt für die Klägerin verschlossen sein könnte. Auch liegt nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. C. keine rentenrelevante Einschränkung der Wegefähigkeit der Klägerin vor. Die Klägerin ist nach Auffassung des Senats entgegen der Annahme von Dr. W. in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Dr. W. hat dies mit einem pauschalen Hinweis auf die psychiatrischen und neurologischen Diagnosen verneint. Eine genaue und nachvollziehbare Begründung, warum der Klägerin die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zumutbar sein sollte, bleibt er jedoch schuldig. Dr. C. und Dr. A. konnten eine derartige Einschränkung bei der Klägerin nicht feststellen. Professor Dr. E. hat in ihren oben erwähnten Befundbericht auch klargestellt, dass eine Vermeidung von Triggersubstanzen, wie hier Gerüchen und Parfüm, hilfreich, die Forderung nach einem derartigen Verzicht wissenschaftlich jedoch nicht begründbar ist. Auch unter diesem Gesichtspunkt lässt sich also keine tragfähige Begründung für die Annahme finden, die Klägerin könne keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen.
Damit scheidet die Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung aus.
Die Berufung war damit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) beruht auf der Erwägung, dass die Klägerin auch im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.
Gründe, die Revision zuzulassen (vgl. § 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Login
FSB
Saved