Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 9 U 853/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 218/10
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Adipositas, Diabetes mellitus Typ II und arterielle Hypertonie sind mulitfaktorell bedingt. In der gesetzlichen Unfallversicherung können sie deshalb in der Regel nicht als mittelbare Folgen eines Arbeitsunfalls, der primär nur zu einer Bewegungseinschränkung geführt hat, anerkannt werden.
I. Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts München vom 24. März 2010 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 8. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2007 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten darüber, ob ein Diabetes mellitus Typ II, eine arterielle Hypertonie sowie psychische Beschwerden als Spätfolgen eines Oberschenkelhalsbruches, den die Klägerin im Rahmen eines Arbeitsunfalles im Sinne des § 8 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) erlitten hatte, anzuerkennen sind und ob diese Folgen zu einer Erhöhung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 40 auf 50 geführt haben.
Am 19.03.1986 rutschte die Klägerin im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit als Reinigungskraft auf dem feuchten Boden aus, stürzte und erlitt eine mediale Oberschenkelhalsfraktur rechts, die mit einem Nagel versorgt wurde. Die Klägerin war zu diesem Zeitpunkt bereits übergewichtig. Sie hatte nach dem Gutachten des Dr. M. vom 03.02.1987 ein Gewicht von 80 kg bei einer Körpergröße von 165 cm. Der Blutdruck betrug 140/90 mmHg. In dem Gutachten wird als unfallunabhängige Diagnose genannt: Asthma bronchiale.
Mit Bescheid vom 08.04.1987 bewilligte die Beklagte der Klägerin ab dem 03.11.1986 eine Rente nach einer MdE von 20 % aus Anlass des Unfalls vom 19.03.1986. Als Folgen des Unfalls wurden anerkannt: Bewegungseinschränkung im Hüftgelenk und Gangunsicherheit.
Ein nervenärztliches Gutachten des Dr. K. vom 29.03.1989 beschreibt die schwierige persönliche Situation der Klägerin, die geschieden war und allein lebte. Die Klägerin habe zwei Kinder, von denen eines erwachsen sei und außer Haus lebe, während ihr die jüngere Tochter vom Jugendamt genommen worden sei, um sie in einem Waisenhaus unterzubringen. Die Patientin leide sehr unter diesen Belastungen. Dies sei jedoch normal und kein krankhafter Zustand. Auf nervenärztlichem Gebiet sei die Diagnose eines leichten reaktiven Verstimmungszustandes zu stellen.
Am 07.12.1989 erhielt die Klägerin an der rechten Hüfte eine Totalendoprothese, da es zu einer Hüftkopfnekrose gekommen war.
Mit Bescheid vom 22.08.1990 stellte die Beklagte fest, die Folgen des Arbeitsunfalls vom 19.03.1986 hätten sich wesentlich verschlimmert. Die Verschlimmerung bestehe seit dem 01.03.1990. Der Klägerin werde daher von diesem Zeitpunkt an eine Rente nach einer MdE von 30 % gewährt. Als Folgen des Arbeitsunfalls lägen jetzt vor: Beinverkürzung links von 1 cm, Bewegungseinschränkung des linken Hüftgelenks in allen Richtungen, reizlose Narbe an der Außenseite des körpernahen linken Oberschenkels mit Verlauf über dem linken Hüftgelenk, Muskelminderung des körpernahen linken Oberschenkels, links hinkendes Gangbild unter Benutzung eines Handgehstockes rechts. Nicht als Folgen des Arbeitsunfalles wurden anerkannt: Übergewicht und Asthma bronchiale.
Am 20.08.1991 war das Gewicht der Klägerin auf 97 kg angewachsen (laut ärztlichem Gutachten vom selben Tag).
In den folgenden Jahren kam es zu einer Lockerung des Prothesenschaftes. Die Klägerin musste mehrfach nachoperiert werden. Ihr Körpergewicht nahm stark zu, nämlich bis auf 119 kg am 05.08.2004. Im Jahr 2004 wurde ein Diabetes mellitus Typ II b diagnostiziert. In den Akten wird der Diabetes mellitus II b (oral behandelt) erstmals im Entlassungsbericht der A. Fachkliniken A-Stadt, Professor Dr. H., vom 05.08.2004 erwähnt. Im selben Arztbrief wird als Diagnose auch eine arterielle Hypertonie genannt.
Im Rahmen der Prüfung eines Höherstufungsantrags holte die Beklagte das Gutachten des Chirurgen Dr. G. vom 22.11.2004 ein, der darin die MdE ab dem 01.05.2003 auf 40 % einschätzte. Folgende Gesundheitsstörungen bestünden unabhängig von dem Unfall: Asthma bronchiale, Diabetes mellitus; vorzeitige degenerative Erkrankung der Lendenwirbelsäule sowie beider Knie- und Sprunggelenke aufgrund des massiven Übergewichtes.
Mit Bescheid vom 27.01.2005 hob die Beklagte ihren Bescheid vom 22.08.1990 teilweise auf, in dem sie der Klägerin vom 01.05.2003 an aus Anlass des Versicherungsfalles vom 19.03.1986 anstelle der Rente von 30 % eine solche von 40 % gewährte. In den Unfallfolgen sei gegenüber den letzten maßgeblichen Befunden insofern eine wesentliche Änderung (Verschlimmerung) eingetreten, als die Bewegungseinschränkung im linken Hüftgelenk und die glaubhaften Beschwerden zugenommen hätten und es zu röntgenologisch und szintigraphisch sichtbarer Schaftlockerung sowie zu einer weiteren Muskelverschmächtigung am linken Oberschenkel gekommen sei.
Mit Anwaltsschreiben vom 08.11.2006 beantragte die Klägerin, ihre weiteren körperlichen Gebrechen, die Beschwerden im linken Hüftbereich und im linken Knie, den Diabetes und die Lungenbeeinträchtigung als Folgen des Arbeitunfalls vom 19.03.1986 festzustellen. Sie wies darauf hin, dass sie inzwischen zum fünften Mal an der verunglückten Hüfte operiert worden sei. Sie habe infolge des Unfalls um circa 15 kg zugenommen. Auch ihre psychische Verfassung habe sich seit dem Unfall erheblich verschlechtert.
Das daraufhin von der Beklagten eingeholte Gutachten des Chirurgen Dr. M. G. vom 23.01.2007 wies die Diagnosen Asthma bronchiale, arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus und Adipositas als unfallunabhängig aus.
Mit Bescheid vom 08.02.2007 teilte die Beklagte der Klägerin mit, der Bescheid vom 27.01.2005 aus Anlass des Versicherungsfalles vom 19.03.1986 werde nicht teilweise aufgehoben. Die Rente werde nicht erhöht. Die Unfallfolgen bedingten nach wie vor eine MdE von 40 %. Als Folgen des Versicherungsfalles würden nicht anerkannt, weder im Sinne der Entstehung noch im Sinne der Verschlimmerungen: Asthma bronchiale, arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Adipositas.
Den gegen diesen Bescheid gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.06.2007 als unbegründet zurück.
Dagegen richtet sich die am 11.07.2007 beim Sozialgericht (SG) München erhobene Klage.
Das SG hat einen Befundbericht der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. T. vom 05.08.2008 eingeholt und sich von den A. Fachkliniken A-Stadt Aufnahmen des Thorax der Klägerin zusenden lassen.
Sodann hat das SG den Chefarzt der Inneren Abteilung am A-Stadt, Professor Dr. J. C., zum Sachverständigen ernannt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 16.06.2008 festgestellt, dass das Übergewicht sowie das metabolische Syndrom (arterielle Hypertonie, Zuckerkrankheit und Fettstoffwechselstörung) wesentlich durch den Unfall mitverursacht und verschlimmert worden seien. Das vom Zeitpunkt des Unfalls bis zu seinem Höhepunkt im Jahre 2004 ständig angewachsene Übergewicht sei ernährungsbedingt und in seiner Entstehung vor allem auf die unfallbedingte Bewegungeinschränkung und die unfallbedingte reaktive psychische Verstimmung, wie sie im Gutachten des Nervenarztes Dr. K. vom 29.03.1989 beschrieben worden sei, zurückzuführen gewesen. Dies werde dadurch bestätigt, dass es der Klägerin nach dem Überwinden der psychischen Verstimmung und nach Verbesserung der sozialen Umstände durch den Umzug im Jahre 2004 gelungen sei, das Übergewicht wieder nachhaltig zu reduzieren. Das unfallbedingte Übergewicht sei als entscheidender Auslöser der den Stoffwechsel betreffenden Entgleisung zu sehen und sei somit an den weiteren Erkrankungen des metabolischen Syndroms im Sinne eines Auslösers beteiligt.
Bezüglich des arteriellen Bluthochdrucks handle es sich um eine essenzielle Hypertonie, für welche die Klägerin demnach eine innere, vom Unfall unabhängige Veranlagung besitze. Das Übergewicht der Patientin sei hier aber im Sinne eines Auslösers seiner Manifestation zu werten. Der Bluthochdruck zeige sich aktuell unter zwei Blutdruckmedikamenten gut eingestellt, die Ultraschalluntersuchung des Herzens zeige keine hochdruckbedingten Herzveränderungen. Auch der beschriebene leichte Herzklappenfehler stehe nicht in diesem Zusammenhang. Als Einzel-MdE schlägt der Sachverständige 5 % vor.
Ähnliches gelte für den Diabetes mellitus. Auch für diesen lasse sich das Übergewicht, neben einer inneren Veranlagung, als auslösender Faktor werten. Er zeige sich unter einer Therapie durch Lebensstilmodifikation, Gewichtsreduktion und Tabletten als gut eingestellt. Auch durch ihn bedingte Folgeerkrankungen ließen sich nicht nachweisen. Er sei mit einem Einzel-MdE von 10 % zu bewerten.
Die Fettstoffwechselstörung sei ebenso Teil des in Gang gebrachten metabolischen Syndroms. Aus medizinischer Sicht sollten die Blutfette der Klägerin, welche sich im Labor als erhöht darstellten, in diesem Stadium mittels einer medikamentösen Therapie gesenkt werden. Eine funktionelle Einschränkung ergebe sich durch diese Erkrankung jedoch nicht.
Unabhängig von den Unfallfolgen bestehe bei der Klägerin das obstruktive Schlafapnoesyndrom, welches erstmals in den achtziger Jahren diagnostiziert und behandelt worden sei. Auch die chronisch-obstruktive Lungenerkrankung habe bereits vor dem Unfall bestanden. Rückblickend sei diese bei der Klägerin wahrscheinlich durch ein Zusammenwirken von hyperreagiblen Atemwegen und dem langjährigen Zigarettenkonsum (40 pack years) bedingt. Das Asthma bronchiale sei im Jahr 1968 erstmals diagnostiziert worden. Die MdE sei bis zum 22.11.2004 angemessen gewürdigt. Ab diesem Zeitpunkt habe sich das Vollbild des metabolischen Syndroms ausgebildet. Die Zuckerkrankheit stelle hier eine hinzugekommene funktionelle Beeinträchtigung des Alltags der Klägerin dar, so dass der Sachverständige vorschlägt, ab diesem Zeitpunkt eine Gesamt-MdE von 50 % anzuerkennen.
Die Beklagte hat mit Schreiben vom 04.09.2008 dem Gutachten des Sachverständigen Professor Dr. C. widersprochen. Dieser hat mit ergänzender Stellungnahme vom 30.09.2008 seinen Standpunkt verteidigt und insbesondere darauf hingewiesen, dass der lange Zeitraum zwischen dem Unfall und den heutigen Erkrankungen nicht deren kausale Verknüpfung ausschließe.
In der mündlichen Verhandlung vom 24.03.2010 hat die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 08.02.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.06.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, als weitere Folgen des Unfalls vom 19.03.1986 eine arterielle Hypertonie sowie einen Diabetes mellitus und eine vorübergehende psychische Beeinträchtigung anzuerkennen und der Klägerin ab dem 08.11.2006 Verletztenrente auf der Grundlage einer MdE von 50 % zu gewähren.
Mit Urteil vom 24.03.2010 (Az. S 9 U 853/09) hat das SG, dem Antrag der Klägerin entsprechend, den Bescheid der Beklagten vom 08.02.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.06.2007 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, als weitere Folgen des Unfalls vom 19.03.1986 eine arterielle Hypertonie sowie einen Diabetes mellitus und eine vorübergehende psychische Beeinträchtigung festzustellen und der Klägerin ab dem 08.11.2006 Verletztenrente auf der Grundlage einer MdE von 50 % zu gewähren. Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen auf das Gutachten des Sachverständigen Professor Dr. C. abgestellt. Das Urteil ist der Beklagten gegen Empfangsbekenntnis am 08.04.2010 zugestellt worden.
Am 03.05.2010 hat die Beklagte gegen das Urteil Berufung eingelegt.
Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat den geschäftsführenden Oberarzt am , Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I, Professor Dr. S., Facharzt für Innere Medizin mit Schwerpunkt Endokrinologie und Diabetologie, zum Sachverständigen ernannt. Dieser hat sein Gutachten nach Aktenlage erstellt, weil die Klägerin zu einem ambulanten Untersuchungstermin, für den eine Dolmetscherin für Türkisch angereist war, nicht erschienen war und auch nachträglich die Gründe hierfür nicht erklärt hatte. Der Sachverständige verneint in seinem Gutachten vom 23.02.2012 einen Kausalzusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und dem Diabetes mellitus Typ II sowie dem arteriellen Hypertonus. Dazu stellt der Sachverständige zunächst in einer Tabelle die Entwicklung des Körpergewichts der Klägerin dar, das im Unfallzeitpunkt bei etwa 80 kg lag und dann bis zum Jahr 2004 auf einen Höhepunkt von 119 kg anstieg. Bis zum Jahr 2007 konnte eine Reduktion auf 80 kg erreicht werden, im Jahr 2008 betrug das Gewicht 85,5 kg. Damit habe bei der Klägerin bereits zum Zeitpunkt des Unfalls am 19.03.1986 ein Übergewicht an der Schwelle zur Adipositas Grad I bestanden, bei einem BMI von 29,4. Bei einem BMI von 25 bis 29,9 spreche man von Übergewicht, welches bereits für das metabolische Syndrom prädisponiere. Bei der Klägerin habe bereits zum Eintritt des Unfallereignisses eine ausgeprägte Prädisposition für die Entwicklung einer Adipositas sowie assoziierter metabolischer Erkrankungen bestanden. Zudem sei bereits in den 80iger Jahren die Diagnose eines obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms gestellt worden, welches eine Assoziation zum Übergewicht zeige. Des Weiteren habe schon damals eine Disposition hinsichtlich kardiovasculärer Erkrankungen aufgrund des von der Klägerin betriebenen Nikotinabusus bestanden. Die Entwicklung einer Adipositas sei nach aktuellem Stand der Forschung multifaktoriell bedingt. Hier kämen die Faktoren genetischer Hintergrund, rassische Herkunft, qualitative Ernährung, quantitative Ernährung, generell gesundheitsschädliches Verhalten, wie zum Beispiel Nikotinabusus, sozialer Status und der Umfang der körperlichen Aktivität zum Tragen. Deshalb könne nicht abgeleitet werden, dass alleine aufgrund der unfallbedingten Verminderung der körperlichen Aktivität der Patientin sich das vorbestehende Übergewicht zu einer morbiden Adipositas entwickelt habe. Die Patientin habe gezeigt, dass sie trotz des Unfalls über Mechanismen verfüge, das Körpergewicht effektiv zu reduzieren. Daher könne nicht abgeleitet werden, dass das Unfallereignis zu einer schicksalhaften und dauerhaften Adipositas geführt habe. Es sei deshalb nicht wahrscheinlich, dass das Unfallereignis wesentlich zur Adipositas-Entwicklung der Klägerin beigetragen habe. Ebenso wenig wie die Adipositas könne auch der Diabetes mellitus Typ II kausal auf das Unfallereignis zurückgeführt werden, wenn nicht einmal die Kausalität zwischen Unfallereignis und Adipositas gegeben sei. Des Weiteren sei, ähnlich wie die Adipositas, der Diabetes mellitus Typ II in seiner Inzidenz und Prävalenz steigend und in der Allgemeinbevölkerung so häufig, dass sich hier rein statistisch schon eine hohe Überlappungswahrscheinlichkeit ergebe. In Deutschland liege die Zahl der bekannten Diabetesfälle etwa bei 6.000.000 Menschen. In der Gruppe der über 65-jährigen Patienten seien etwa 16-23 % vom Diabetes mellitus betroffen. Ähnlich wie die Adipositas sei der Diabetes mellitus Typ II multifaktoriell bedingt. Aufgrund der multifaktoriellen Entstehungsweise und der hohen Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung könne hier schon rein statistisch keine Kausalität zum Unfallereignis hergestellt werden. Somit ergebe sich aufgrund der internistischen Erkrankungen, die nicht unfallbedingt seien, keine Erhöhung der MdE auf über 40 %.
Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat mit Schreiben vom 25.04.2012 gegen das Gutachten des Sachverständigen Professor Dr. S. eingewandt, dass dieser in unzulässiger Weise davon ausginge, dass im Zeitpunkt des Unfalles am 19.03.1986 ein Übergewicht an der Schwelle zur Adipositas Grad I bestanden habe, da dieses erst am 21.11.1986, also 8,5 Monate nach dem Unfall, dokumentiert worden sei.
Der zum Gutachten des Sachverständigen Professor Dr. S. um Stellungnahme gebetene Sachverständige Professor Dr. C. hat mit Schreiben vom 21.08.2012 mitgeteilt, dass aus seiner Sicht zwischen der bestehenden Adipositas mit metabolischem Syndrom und dem Unfallgeschehen ein pathophysiologischer Zusammenhang prinzipiell gegeben sei, wenn auch die Erkrankungsgenese unter eingehender Betrachtung und im Hinblick auf die generelle Entstehung einer Adipositas als multikausal diskutiert werden müsse. Da jedoch insbesondere ein klarer zeitlicher Zusammenhang zwischen der unfallbedingten psychischen Beeinträchtigung und dem Mobilitätsverlust bestehe, sehe er die Adipositas-Erkrankung mit konsekutivem metabolischen Syndrom mit hoher Wahrscheinlichkeit als Folge des Unfalls. Zur weiteren Klärung könne eine ergänzende Erstellung eines psychiatrisch-psychologischen Gutachtens in Betracht gezogen werden.
Die Klägerin hat mit Schreiben vom 24.05.2012 zunächst beantragt, ihre Hausärztin
Dr. D. als Sachverständige zu hören, diesen Antrag jedoch mit Schreiben vom 10.07.2012 zurückgezogen, nachdem ihr mitgeteilt worden war, dass die Kosten dieses Gutachtens von der bereits bewilligten Prozesskostenhilfe nicht umfasst seien.
Die Berufungsklägerin und Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 24.03.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Berufungsbeklagte und Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Berufung bedarf gemäß § 144 SGG keiner Zulassung.
Die Berufung der Beklagten ist begründet. Zu Unrecht hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 08.02.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.06.2007 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, als weitere Folgen des Unfalls vom 19.03.1986 eine arterielle Hypertonie sowie einen Diabetes mellitus und eine vorübergehende psychische Beeinträchtigung festzustellen und der Klägerin ab dem 08.11.2006 Verletztenrente auf der Grundlage einer MdE von 50 % zu gewähren.
Die hierauf gerichtete Klage ist zulässig, insbesondere hat die Klägerin hinsichtlich der Feststellung weiterer Unfallfolgen zulässig eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG, gerichtet auf Erlass eines feststellenden Verwaltungsaktes, erhoben (zum insoweit bestehenden Wahlrecht hinsichtlich der Klageart BSGE 108, 274
Rdnr. 12). Die zulässige Klage ist aber nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte als weitere Folgen des Unfalls vom 19.03.1986 eine arterielle Hypertonie sowie einen Diabetes mellitus und eine vorübergehende psychische Beeinträchtigung feststellt und der Klägerin ab dem 08.11.2006 Verletztenrente auf der Grundlage einer MdE von 50 % gewährt. Die Beklagte hatte die Unfallfolgen sowie die Höhe der daraus resultierenden Verletztenrente nach einer MdE von zuletzt 40 % mit Bescheid vom 08.04.1987, geändert durch die Bescheide vom 22.08.1990 und vom 27.01.2005, als Dauer-Verwaltungsakte auf unbestimmte Zeit festgestellt. In diesen Bescheiden waren die streitgegenständlichen Unfallfolgen gerade nicht festgestellt worden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Änderung dieser Bescheide.
Ein Anspruch auf Änderung der Bescheide vom 08.04.1987, geändert durch die Bescheide vom 22.08.1990 und vom 27.01.2005, lässt sich nicht auf § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) stützen. Die Änderung eines Dauer-Verwaltungsakts setzt nach dieser Vorschrift voraus, dass sich die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse seit Erlass des Verwaltungsaktes wesentlich geändert haben. Wenn wie hier mehrere Bescheide vorausgehen, ist Bezugspunkt für die Beurteilung der wesentlichen Änderung der Bescheid, in dem über die Voraussetzung, hinsichtlich derer eine wesentliche Änderung eingetreten sein soll, letztmalig bindend entschieden wurde (Steinwedel in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand: 01.12.2010, § 48 SGB X Rdnr. 16; Waschull in: Diering/ Timme/ Waschull, SGB X, 3. A. 2011, § 48 Rdnr. 28; Schütze in: von Wulffen, SGB X, 7. A. 2010, § 48 Rdnr. 5; BSG, Urteil vom 07.07.2005 Az. B 3 P 8/04 = BSGE 95, 57, Rdnr. 19 bei Juris). Dies ist vorliegend der Bescheid vom 27.01.2005, in dem die Unfallfolgen und die MdE umfassend überprüft wurden. Hinsichtlich der streitgegenständlichen Unfallfolgen - arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus und vorübergehende psychische Beeinträchtigung - fehlt es an der Voraussetzung, dass die wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse zeitlich nach Erlass des letzten Änderungsbescheides vom 27.01.2005 eingetreten sein musste. Die arterielle Hypertonie und der Diabetes mellitus sind nämlich spätestens seit der Jahresmitte 2004 diagnostiziert, entsprechende Diagnosen finden sich im Entlassungsbericht der A. Fachkliniken vom 05.08.2004. Die psychischen Beschwerden der Klägerin wurden bereits im Gutachten des Nervenarztes Dr. K. vom 29.03.1989 im Sinne eines reaktiven Verstimmungszustandes beschrieben. Damit lagen alle Gesundheitsstörungen, deren Feststellung mit der Klage begehrt wird, im Zeitpunkt des Erlasses des letzten Änderungsbescheides vom 27.01.2005 bereits vor. Dies gilt sogar dann, wenn man auf den vom Sachverständigen Prof. Dr. C. in dessen Gutachten vom 16.06.2008 genannten Zeitpunkt des 22.11.2004 abstellt, ab dem das Vollbild des metabolischen Syndroms (umfassend arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus Typ II und Fettstoffwechselstörung) verwirklicht gewesen sein soll. Damit scheidet § 48 SGB X als Grundlage der Änderung der vorausgegangenen Bescheide aus.
Auch auf § 44 SGB X kann der Anspruch auf Änderung der Bescheide vom 08.04.1987, geändert durch die Bescheide vom 22.08.1990 und vom 27.01.2005, nicht gestützt werden. Die Bescheide waren nicht rechtswidrig. Die materiellen Voraussetzungen für eine Anerkennung der arteriellen Hypertonie sowie des Diabetes mellitus Typ II als Folgen des Arbeitsunfalls vom 19.03.1986 nach § 8 SGB VII lagen bis zum Zeitpunkt des Erlasses des letzten Änderungsbescheides vom 27.01.2005 nicht vor, und die Höhe der Verletztenrente nach § 56 SGB VII wurde zuletzt mit Bescheid vom 27.01.2005 nach einer MdE von 40 % korrekt festgesetzt.
Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Für einen Arbeitsunfall ist danach im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (sachlicher oder innerer Zusammenhang), diese Verrichtung wesentlich ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis - das Unfallereignis - verursacht hat (Unfallkausalität) und das Unfallereignis wesentlich einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen ist keine Voraussetzung für die Anerkennung als Arbeitsunfall, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente (BSG, Urteil vom 31.01.2012 Az. B 2 U 2/11 R; Urteil vom 27.04.2010 Az. B 2 U 11/09 R).
Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt: Als Voraussetzung für die Feststellung von Unfallfolgen und die Bewilligung von Leistungen müssen die versicherte Tätigkeit, die Verrichtung zur Zeit des Unfalls, das Unfallereignis und die Gesundheitsschädigung im Sinn des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, feststehen. Der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und einem Gesundheitsschaden bzw. der Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung der Entschädigungspflicht ist nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen; dafür genügt grundsätzlich die "hinreichende" Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die Glaubhaftmachung und erst recht nicht die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 31.01.2012 Az. B 2 U 2/11 R; Urteil vom 02.04.2009 Az. B 2 U 29/07 R). Eine solche Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn nach vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Faktoren ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gestützt werden kann (BSGE 45, 285; 60, 58). Hierbei trägt der Versicherte, also die Klägerseite, die objektive Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen, d.h. deren etwaige Nichterweislichkeit geht zu ihren Lasten (vgl. BSG, Urteil vom 05.02,2008 Az. B 2 U 10/07 R).
Sowohl der Sachverständige Professor Dr. C. als auch der Sachverständige Professor Dr. S. sind sich darin einig, dass die Adipositas neben einer Vielzahl anderer Faktoren einen entscheidenden Risikofaktor für die Ausbildung eines Diabetes mellitus Typ II und der Hypertonie darstellt. Jedoch weist der Sachverständige Professor Dr. S. zu Recht darauf hin, dass der Arbeitsunfall vom 19.03.1986 nicht als wesentliche Ursache für die extreme Gewichtszunahme von ursprünglich 80 kg im Jahr des Unfalles bis auf maximal 119 kg im Jahr 2004 anzusehen ist. Zwar ist einzuräumen, dass der Unfall diese Gewichtszunahme begünstigt haben kann, da er einerseits die Möglichkeiten der Klägerin, sich körperlich zu bewegen, stark einschränkte und andererseits sich ungünstig auf die psychische Verfassung der Klägerin auswirkte, was möglicherweise deren Essverhalten negativ beeinflusste. Dennoch wurden durch den Unfall nur einzelne von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst, die für die Entstehung einer Adipositas verantwortlich sind und die Prof. Dr. S. in seinem Gutachten aufgezählt hat. Auch soweit Essstörungen mit den psychischen Belastungen der Klägerin in Zusammenhang stehen sollten, steht für den Senat fest, dass diese psychischen Belastungen ihre wesentliche Ursache nicht in den durch den Arbeitsunfall erlittenen Verletzungen hatten, sondern in erster Linie in den familiären Schwierigkeiten wurzelten, die im Gutachten des Neurologen Dr. K. vom 29.03.1989 eindrucksvoll beschrieben wurden und darin bestanden, dass die Klägerin allein lebte und unter der Trennung von ihren Kindern litt, von denen eines bereits ausgezogen und das andere vom Jugendamt in ein Heim eingewiesen worden war. Zu Recht weist der Sachverständige Professor Dr. S. auch darauf hin, dass die Tatsache, dass es der Klägerin gelungen ist, von 2004 bis 2008 ihr Gewicht von 119 kg auf 80 bis 85 kg wieder zu reduzieren, was offensichtlich mit einer Neugestaltung ihres psychosozialen Umfeldes zusammenhing, zeigt, dass die Oberschenkelhalsfraktur und die damit verbundenen Bewegungseinschränkungen nicht als die wesentliche Ursache der Adipositas angesehen werden kann, sondern allenfalls als ein erschwerender Faktor, dem aber durch entsprechende Mechanismen der Klägerin entgegengewirkt werden konnte, und der deshalb von untergeordneter Bedeutung war.
Da der Unfall schon für die Entwicklung der Adipositas nicht als wesentlich ursächlich angesehen werden kann, gilt Entsprechendes auch für die als Folge der Adipositas geltend gemachten Gesundheitsstörungen Diabetes mellitus Typ II und arterielle Hypertonie, die sich als weitere mögliche Folgen der Adipositas darstellen. Im Übrigen sind auch diese Gesundheitsstörungen multifaktoriell durch die von Prof. Dr. S. genannten Faktoren bedingt, insbesondere genetische Faktoren und allgemein gesundheitsschädigendes Verhalten, wie es bei der Klägerin in Form von starkem Rauchen vorliegt.
Es kann dahinstehen, ob insoweit die Berücksichtigung der Adipositas als Ursache schon deshalb ausgeschlossen ist, weil in dem angefochtenen Bescheid vom 08.02.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.06.2007 die Anerkennung der Adipositas als Unfallfolge ausdrücklich abgelehnt wurde und insoweit keine Anfechtung der Bescheide erfolgte, so dass hinsichtlich der Ablehnung der Feststellung der Adipositas als Unfallfolge Teil-Bestandskraft nach § 77 SGG eingetreten ist.
Die Verurteilung, "eine vorübergehende psychische Beeinträchtigung" als Unfallfolge festzustellen, ist schon deshalb aufzuheben, weil eine solche Feststellung zu unbestimmt ist und keine Diagnose nach einem anerkannten Diagnoseschlüssel enthält. Angesichts der zahlreichen in Betracht kommenden psychischen Erkrankungen setzt die Feststellung psychischer Beeinträchtigungen als Unfallfolgen grundsätzlich voraus, dass sie aufgrund eines der üblichen Diagnosesysteme und unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen (z. B. ICD-10 oder DSM-IV) erfolgen, damit die Feststellung nachvollziehbar ist (BSGE 96, 196 Rdnr. 22). Gründe, die ein Abweichen von diesem Grundsatz rechtfertigen würden, sind nicht erkennbar.
Hinsichtlich der nach § 44 SGB X zu überprüfenden Festsetzung der MdE nach § 56 SGB VII ist mit 40 % bereits die Obergrenze ausgeschöpft, wenn Hypertonie, Adipositas und Diabetes unberücksichtigt bleiben müssen. Nach der Standardliteratur (Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. A. 2009, S. 581) ist selbst bei völliger Versteifung eines Hüftgelenks in ungünstiger Stellung ein MdE von 40 % zu vergeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
II. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten darüber, ob ein Diabetes mellitus Typ II, eine arterielle Hypertonie sowie psychische Beschwerden als Spätfolgen eines Oberschenkelhalsbruches, den die Klägerin im Rahmen eines Arbeitsunfalles im Sinne des § 8 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) erlitten hatte, anzuerkennen sind und ob diese Folgen zu einer Erhöhung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 40 auf 50 geführt haben.
Am 19.03.1986 rutschte die Klägerin im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit als Reinigungskraft auf dem feuchten Boden aus, stürzte und erlitt eine mediale Oberschenkelhalsfraktur rechts, die mit einem Nagel versorgt wurde. Die Klägerin war zu diesem Zeitpunkt bereits übergewichtig. Sie hatte nach dem Gutachten des Dr. M. vom 03.02.1987 ein Gewicht von 80 kg bei einer Körpergröße von 165 cm. Der Blutdruck betrug 140/90 mmHg. In dem Gutachten wird als unfallunabhängige Diagnose genannt: Asthma bronchiale.
Mit Bescheid vom 08.04.1987 bewilligte die Beklagte der Klägerin ab dem 03.11.1986 eine Rente nach einer MdE von 20 % aus Anlass des Unfalls vom 19.03.1986. Als Folgen des Unfalls wurden anerkannt: Bewegungseinschränkung im Hüftgelenk und Gangunsicherheit.
Ein nervenärztliches Gutachten des Dr. K. vom 29.03.1989 beschreibt die schwierige persönliche Situation der Klägerin, die geschieden war und allein lebte. Die Klägerin habe zwei Kinder, von denen eines erwachsen sei und außer Haus lebe, während ihr die jüngere Tochter vom Jugendamt genommen worden sei, um sie in einem Waisenhaus unterzubringen. Die Patientin leide sehr unter diesen Belastungen. Dies sei jedoch normal und kein krankhafter Zustand. Auf nervenärztlichem Gebiet sei die Diagnose eines leichten reaktiven Verstimmungszustandes zu stellen.
Am 07.12.1989 erhielt die Klägerin an der rechten Hüfte eine Totalendoprothese, da es zu einer Hüftkopfnekrose gekommen war.
Mit Bescheid vom 22.08.1990 stellte die Beklagte fest, die Folgen des Arbeitsunfalls vom 19.03.1986 hätten sich wesentlich verschlimmert. Die Verschlimmerung bestehe seit dem 01.03.1990. Der Klägerin werde daher von diesem Zeitpunkt an eine Rente nach einer MdE von 30 % gewährt. Als Folgen des Arbeitsunfalls lägen jetzt vor: Beinverkürzung links von 1 cm, Bewegungseinschränkung des linken Hüftgelenks in allen Richtungen, reizlose Narbe an der Außenseite des körpernahen linken Oberschenkels mit Verlauf über dem linken Hüftgelenk, Muskelminderung des körpernahen linken Oberschenkels, links hinkendes Gangbild unter Benutzung eines Handgehstockes rechts. Nicht als Folgen des Arbeitsunfalles wurden anerkannt: Übergewicht und Asthma bronchiale.
Am 20.08.1991 war das Gewicht der Klägerin auf 97 kg angewachsen (laut ärztlichem Gutachten vom selben Tag).
In den folgenden Jahren kam es zu einer Lockerung des Prothesenschaftes. Die Klägerin musste mehrfach nachoperiert werden. Ihr Körpergewicht nahm stark zu, nämlich bis auf 119 kg am 05.08.2004. Im Jahr 2004 wurde ein Diabetes mellitus Typ II b diagnostiziert. In den Akten wird der Diabetes mellitus II b (oral behandelt) erstmals im Entlassungsbericht der A. Fachkliniken A-Stadt, Professor Dr. H., vom 05.08.2004 erwähnt. Im selben Arztbrief wird als Diagnose auch eine arterielle Hypertonie genannt.
Im Rahmen der Prüfung eines Höherstufungsantrags holte die Beklagte das Gutachten des Chirurgen Dr. G. vom 22.11.2004 ein, der darin die MdE ab dem 01.05.2003 auf 40 % einschätzte. Folgende Gesundheitsstörungen bestünden unabhängig von dem Unfall: Asthma bronchiale, Diabetes mellitus; vorzeitige degenerative Erkrankung der Lendenwirbelsäule sowie beider Knie- und Sprunggelenke aufgrund des massiven Übergewichtes.
Mit Bescheid vom 27.01.2005 hob die Beklagte ihren Bescheid vom 22.08.1990 teilweise auf, in dem sie der Klägerin vom 01.05.2003 an aus Anlass des Versicherungsfalles vom 19.03.1986 anstelle der Rente von 30 % eine solche von 40 % gewährte. In den Unfallfolgen sei gegenüber den letzten maßgeblichen Befunden insofern eine wesentliche Änderung (Verschlimmerung) eingetreten, als die Bewegungseinschränkung im linken Hüftgelenk und die glaubhaften Beschwerden zugenommen hätten und es zu röntgenologisch und szintigraphisch sichtbarer Schaftlockerung sowie zu einer weiteren Muskelverschmächtigung am linken Oberschenkel gekommen sei.
Mit Anwaltsschreiben vom 08.11.2006 beantragte die Klägerin, ihre weiteren körperlichen Gebrechen, die Beschwerden im linken Hüftbereich und im linken Knie, den Diabetes und die Lungenbeeinträchtigung als Folgen des Arbeitunfalls vom 19.03.1986 festzustellen. Sie wies darauf hin, dass sie inzwischen zum fünften Mal an der verunglückten Hüfte operiert worden sei. Sie habe infolge des Unfalls um circa 15 kg zugenommen. Auch ihre psychische Verfassung habe sich seit dem Unfall erheblich verschlechtert.
Das daraufhin von der Beklagten eingeholte Gutachten des Chirurgen Dr. M. G. vom 23.01.2007 wies die Diagnosen Asthma bronchiale, arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus und Adipositas als unfallunabhängig aus.
Mit Bescheid vom 08.02.2007 teilte die Beklagte der Klägerin mit, der Bescheid vom 27.01.2005 aus Anlass des Versicherungsfalles vom 19.03.1986 werde nicht teilweise aufgehoben. Die Rente werde nicht erhöht. Die Unfallfolgen bedingten nach wie vor eine MdE von 40 %. Als Folgen des Versicherungsfalles würden nicht anerkannt, weder im Sinne der Entstehung noch im Sinne der Verschlimmerungen: Asthma bronchiale, arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Adipositas.
Den gegen diesen Bescheid gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.06.2007 als unbegründet zurück.
Dagegen richtet sich die am 11.07.2007 beim Sozialgericht (SG) München erhobene Klage.
Das SG hat einen Befundbericht der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. T. vom 05.08.2008 eingeholt und sich von den A. Fachkliniken A-Stadt Aufnahmen des Thorax der Klägerin zusenden lassen.
Sodann hat das SG den Chefarzt der Inneren Abteilung am A-Stadt, Professor Dr. J. C., zum Sachverständigen ernannt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 16.06.2008 festgestellt, dass das Übergewicht sowie das metabolische Syndrom (arterielle Hypertonie, Zuckerkrankheit und Fettstoffwechselstörung) wesentlich durch den Unfall mitverursacht und verschlimmert worden seien. Das vom Zeitpunkt des Unfalls bis zu seinem Höhepunkt im Jahre 2004 ständig angewachsene Übergewicht sei ernährungsbedingt und in seiner Entstehung vor allem auf die unfallbedingte Bewegungeinschränkung und die unfallbedingte reaktive psychische Verstimmung, wie sie im Gutachten des Nervenarztes Dr. K. vom 29.03.1989 beschrieben worden sei, zurückzuführen gewesen. Dies werde dadurch bestätigt, dass es der Klägerin nach dem Überwinden der psychischen Verstimmung und nach Verbesserung der sozialen Umstände durch den Umzug im Jahre 2004 gelungen sei, das Übergewicht wieder nachhaltig zu reduzieren. Das unfallbedingte Übergewicht sei als entscheidender Auslöser der den Stoffwechsel betreffenden Entgleisung zu sehen und sei somit an den weiteren Erkrankungen des metabolischen Syndroms im Sinne eines Auslösers beteiligt.
Bezüglich des arteriellen Bluthochdrucks handle es sich um eine essenzielle Hypertonie, für welche die Klägerin demnach eine innere, vom Unfall unabhängige Veranlagung besitze. Das Übergewicht der Patientin sei hier aber im Sinne eines Auslösers seiner Manifestation zu werten. Der Bluthochdruck zeige sich aktuell unter zwei Blutdruckmedikamenten gut eingestellt, die Ultraschalluntersuchung des Herzens zeige keine hochdruckbedingten Herzveränderungen. Auch der beschriebene leichte Herzklappenfehler stehe nicht in diesem Zusammenhang. Als Einzel-MdE schlägt der Sachverständige 5 % vor.
Ähnliches gelte für den Diabetes mellitus. Auch für diesen lasse sich das Übergewicht, neben einer inneren Veranlagung, als auslösender Faktor werten. Er zeige sich unter einer Therapie durch Lebensstilmodifikation, Gewichtsreduktion und Tabletten als gut eingestellt. Auch durch ihn bedingte Folgeerkrankungen ließen sich nicht nachweisen. Er sei mit einem Einzel-MdE von 10 % zu bewerten.
Die Fettstoffwechselstörung sei ebenso Teil des in Gang gebrachten metabolischen Syndroms. Aus medizinischer Sicht sollten die Blutfette der Klägerin, welche sich im Labor als erhöht darstellten, in diesem Stadium mittels einer medikamentösen Therapie gesenkt werden. Eine funktionelle Einschränkung ergebe sich durch diese Erkrankung jedoch nicht.
Unabhängig von den Unfallfolgen bestehe bei der Klägerin das obstruktive Schlafapnoesyndrom, welches erstmals in den achtziger Jahren diagnostiziert und behandelt worden sei. Auch die chronisch-obstruktive Lungenerkrankung habe bereits vor dem Unfall bestanden. Rückblickend sei diese bei der Klägerin wahrscheinlich durch ein Zusammenwirken von hyperreagiblen Atemwegen und dem langjährigen Zigarettenkonsum (40 pack years) bedingt. Das Asthma bronchiale sei im Jahr 1968 erstmals diagnostiziert worden. Die MdE sei bis zum 22.11.2004 angemessen gewürdigt. Ab diesem Zeitpunkt habe sich das Vollbild des metabolischen Syndroms ausgebildet. Die Zuckerkrankheit stelle hier eine hinzugekommene funktionelle Beeinträchtigung des Alltags der Klägerin dar, so dass der Sachverständige vorschlägt, ab diesem Zeitpunkt eine Gesamt-MdE von 50 % anzuerkennen.
Die Beklagte hat mit Schreiben vom 04.09.2008 dem Gutachten des Sachverständigen Professor Dr. C. widersprochen. Dieser hat mit ergänzender Stellungnahme vom 30.09.2008 seinen Standpunkt verteidigt und insbesondere darauf hingewiesen, dass der lange Zeitraum zwischen dem Unfall und den heutigen Erkrankungen nicht deren kausale Verknüpfung ausschließe.
In der mündlichen Verhandlung vom 24.03.2010 hat die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 08.02.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.06.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, als weitere Folgen des Unfalls vom 19.03.1986 eine arterielle Hypertonie sowie einen Diabetes mellitus und eine vorübergehende psychische Beeinträchtigung anzuerkennen und der Klägerin ab dem 08.11.2006 Verletztenrente auf der Grundlage einer MdE von 50 % zu gewähren.
Mit Urteil vom 24.03.2010 (Az. S 9 U 853/09) hat das SG, dem Antrag der Klägerin entsprechend, den Bescheid der Beklagten vom 08.02.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.06.2007 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, als weitere Folgen des Unfalls vom 19.03.1986 eine arterielle Hypertonie sowie einen Diabetes mellitus und eine vorübergehende psychische Beeinträchtigung festzustellen und der Klägerin ab dem 08.11.2006 Verletztenrente auf der Grundlage einer MdE von 50 % zu gewähren. Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen auf das Gutachten des Sachverständigen Professor Dr. C. abgestellt. Das Urteil ist der Beklagten gegen Empfangsbekenntnis am 08.04.2010 zugestellt worden.
Am 03.05.2010 hat die Beklagte gegen das Urteil Berufung eingelegt.
Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat den geschäftsführenden Oberarzt am , Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I, Professor Dr. S., Facharzt für Innere Medizin mit Schwerpunkt Endokrinologie und Diabetologie, zum Sachverständigen ernannt. Dieser hat sein Gutachten nach Aktenlage erstellt, weil die Klägerin zu einem ambulanten Untersuchungstermin, für den eine Dolmetscherin für Türkisch angereist war, nicht erschienen war und auch nachträglich die Gründe hierfür nicht erklärt hatte. Der Sachverständige verneint in seinem Gutachten vom 23.02.2012 einen Kausalzusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und dem Diabetes mellitus Typ II sowie dem arteriellen Hypertonus. Dazu stellt der Sachverständige zunächst in einer Tabelle die Entwicklung des Körpergewichts der Klägerin dar, das im Unfallzeitpunkt bei etwa 80 kg lag und dann bis zum Jahr 2004 auf einen Höhepunkt von 119 kg anstieg. Bis zum Jahr 2007 konnte eine Reduktion auf 80 kg erreicht werden, im Jahr 2008 betrug das Gewicht 85,5 kg. Damit habe bei der Klägerin bereits zum Zeitpunkt des Unfalls am 19.03.1986 ein Übergewicht an der Schwelle zur Adipositas Grad I bestanden, bei einem BMI von 29,4. Bei einem BMI von 25 bis 29,9 spreche man von Übergewicht, welches bereits für das metabolische Syndrom prädisponiere. Bei der Klägerin habe bereits zum Eintritt des Unfallereignisses eine ausgeprägte Prädisposition für die Entwicklung einer Adipositas sowie assoziierter metabolischer Erkrankungen bestanden. Zudem sei bereits in den 80iger Jahren die Diagnose eines obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms gestellt worden, welches eine Assoziation zum Übergewicht zeige. Des Weiteren habe schon damals eine Disposition hinsichtlich kardiovasculärer Erkrankungen aufgrund des von der Klägerin betriebenen Nikotinabusus bestanden. Die Entwicklung einer Adipositas sei nach aktuellem Stand der Forschung multifaktoriell bedingt. Hier kämen die Faktoren genetischer Hintergrund, rassische Herkunft, qualitative Ernährung, quantitative Ernährung, generell gesundheitsschädliches Verhalten, wie zum Beispiel Nikotinabusus, sozialer Status und der Umfang der körperlichen Aktivität zum Tragen. Deshalb könne nicht abgeleitet werden, dass alleine aufgrund der unfallbedingten Verminderung der körperlichen Aktivität der Patientin sich das vorbestehende Übergewicht zu einer morbiden Adipositas entwickelt habe. Die Patientin habe gezeigt, dass sie trotz des Unfalls über Mechanismen verfüge, das Körpergewicht effektiv zu reduzieren. Daher könne nicht abgeleitet werden, dass das Unfallereignis zu einer schicksalhaften und dauerhaften Adipositas geführt habe. Es sei deshalb nicht wahrscheinlich, dass das Unfallereignis wesentlich zur Adipositas-Entwicklung der Klägerin beigetragen habe. Ebenso wenig wie die Adipositas könne auch der Diabetes mellitus Typ II kausal auf das Unfallereignis zurückgeführt werden, wenn nicht einmal die Kausalität zwischen Unfallereignis und Adipositas gegeben sei. Des Weiteren sei, ähnlich wie die Adipositas, der Diabetes mellitus Typ II in seiner Inzidenz und Prävalenz steigend und in der Allgemeinbevölkerung so häufig, dass sich hier rein statistisch schon eine hohe Überlappungswahrscheinlichkeit ergebe. In Deutschland liege die Zahl der bekannten Diabetesfälle etwa bei 6.000.000 Menschen. In der Gruppe der über 65-jährigen Patienten seien etwa 16-23 % vom Diabetes mellitus betroffen. Ähnlich wie die Adipositas sei der Diabetes mellitus Typ II multifaktoriell bedingt. Aufgrund der multifaktoriellen Entstehungsweise und der hohen Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung könne hier schon rein statistisch keine Kausalität zum Unfallereignis hergestellt werden. Somit ergebe sich aufgrund der internistischen Erkrankungen, die nicht unfallbedingt seien, keine Erhöhung der MdE auf über 40 %.
Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat mit Schreiben vom 25.04.2012 gegen das Gutachten des Sachverständigen Professor Dr. S. eingewandt, dass dieser in unzulässiger Weise davon ausginge, dass im Zeitpunkt des Unfalles am 19.03.1986 ein Übergewicht an der Schwelle zur Adipositas Grad I bestanden habe, da dieses erst am 21.11.1986, also 8,5 Monate nach dem Unfall, dokumentiert worden sei.
Der zum Gutachten des Sachverständigen Professor Dr. S. um Stellungnahme gebetene Sachverständige Professor Dr. C. hat mit Schreiben vom 21.08.2012 mitgeteilt, dass aus seiner Sicht zwischen der bestehenden Adipositas mit metabolischem Syndrom und dem Unfallgeschehen ein pathophysiologischer Zusammenhang prinzipiell gegeben sei, wenn auch die Erkrankungsgenese unter eingehender Betrachtung und im Hinblick auf die generelle Entstehung einer Adipositas als multikausal diskutiert werden müsse. Da jedoch insbesondere ein klarer zeitlicher Zusammenhang zwischen der unfallbedingten psychischen Beeinträchtigung und dem Mobilitätsverlust bestehe, sehe er die Adipositas-Erkrankung mit konsekutivem metabolischen Syndrom mit hoher Wahrscheinlichkeit als Folge des Unfalls. Zur weiteren Klärung könne eine ergänzende Erstellung eines psychiatrisch-psychologischen Gutachtens in Betracht gezogen werden.
Die Klägerin hat mit Schreiben vom 24.05.2012 zunächst beantragt, ihre Hausärztin
Dr. D. als Sachverständige zu hören, diesen Antrag jedoch mit Schreiben vom 10.07.2012 zurückgezogen, nachdem ihr mitgeteilt worden war, dass die Kosten dieses Gutachtens von der bereits bewilligten Prozesskostenhilfe nicht umfasst seien.
Die Berufungsklägerin und Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 24.03.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Berufungsbeklagte und Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Berufung bedarf gemäß § 144 SGG keiner Zulassung.
Die Berufung der Beklagten ist begründet. Zu Unrecht hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 08.02.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.06.2007 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, als weitere Folgen des Unfalls vom 19.03.1986 eine arterielle Hypertonie sowie einen Diabetes mellitus und eine vorübergehende psychische Beeinträchtigung festzustellen und der Klägerin ab dem 08.11.2006 Verletztenrente auf der Grundlage einer MdE von 50 % zu gewähren.
Die hierauf gerichtete Klage ist zulässig, insbesondere hat die Klägerin hinsichtlich der Feststellung weiterer Unfallfolgen zulässig eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG, gerichtet auf Erlass eines feststellenden Verwaltungsaktes, erhoben (zum insoweit bestehenden Wahlrecht hinsichtlich der Klageart BSGE 108, 274
Rdnr. 12). Die zulässige Klage ist aber nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte als weitere Folgen des Unfalls vom 19.03.1986 eine arterielle Hypertonie sowie einen Diabetes mellitus und eine vorübergehende psychische Beeinträchtigung feststellt und der Klägerin ab dem 08.11.2006 Verletztenrente auf der Grundlage einer MdE von 50 % gewährt. Die Beklagte hatte die Unfallfolgen sowie die Höhe der daraus resultierenden Verletztenrente nach einer MdE von zuletzt 40 % mit Bescheid vom 08.04.1987, geändert durch die Bescheide vom 22.08.1990 und vom 27.01.2005, als Dauer-Verwaltungsakte auf unbestimmte Zeit festgestellt. In diesen Bescheiden waren die streitgegenständlichen Unfallfolgen gerade nicht festgestellt worden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Änderung dieser Bescheide.
Ein Anspruch auf Änderung der Bescheide vom 08.04.1987, geändert durch die Bescheide vom 22.08.1990 und vom 27.01.2005, lässt sich nicht auf § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) stützen. Die Änderung eines Dauer-Verwaltungsakts setzt nach dieser Vorschrift voraus, dass sich die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse seit Erlass des Verwaltungsaktes wesentlich geändert haben. Wenn wie hier mehrere Bescheide vorausgehen, ist Bezugspunkt für die Beurteilung der wesentlichen Änderung der Bescheid, in dem über die Voraussetzung, hinsichtlich derer eine wesentliche Änderung eingetreten sein soll, letztmalig bindend entschieden wurde (Steinwedel in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand: 01.12.2010, § 48 SGB X Rdnr. 16; Waschull in: Diering/ Timme/ Waschull, SGB X, 3. A. 2011, § 48 Rdnr. 28; Schütze in: von Wulffen, SGB X, 7. A. 2010, § 48 Rdnr. 5; BSG, Urteil vom 07.07.2005 Az. B 3 P 8/04 = BSGE 95, 57, Rdnr. 19 bei Juris). Dies ist vorliegend der Bescheid vom 27.01.2005, in dem die Unfallfolgen und die MdE umfassend überprüft wurden. Hinsichtlich der streitgegenständlichen Unfallfolgen - arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus und vorübergehende psychische Beeinträchtigung - fehlt es an der Voraussetzung, dass die wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse zeitlich nach Erlass des letzten Änderungsbescheides vom 27.01.2005 eingetreten sein musste. Die arterielle Hypertonie und der Diabetes mellitus sind nämlich spätestens seit der Jahresmitte 2004 diagnostiziert, entsprechende Diagnosen finden sich im Entlassungsbericht der A. Fachkliniken vom 05.08.2004. Die psychischen Beschwerden der Klägerin wurden bereits im Gutachten des Nervenarztes Dr. K. vom 29.03.1989 im Sinne eines reaktiven Verstimmungszustandes beschrieben. Damit lagen alle Gesundheitsstörungen, deren Feststellung mit der Klage begehrt wird, im Zeitpunkt des Erlasses des letzten Änderungsbescheides vom 27.01.2005 bereits vor. Dies gilt sogar dann, wenn man auf den vom Sachverständigen Prof. Dr. C. in dessen Gutachten vom 16.06.2008 genannten Zeitpunkt des 22.11.2004 abstellt, ab dem das Vollbild des metabolischen Syndroms (umfassend arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus Typ II und Fettstoffwechselstörung) verwirklicht gewesen sein soll. Damit scheidet § 48 SGB X als Grundlage der Änderung der vorausgegangenen Bescheide aus.
Auch auf § 44 SGB X kann der Anspruch auf Änderung der Bescheide vom 08.04.1987, geändert durch die Bescheide vom 22.08.1990 und vom 27.01.2005, nicht gestützt werden. Die Bescheide waren nicht rechtswidrig. Die materiellen Voraussetzungen für eine Anerkennung der arteriellen Hypertonie sowie des Diabetes mellitus Typ II als Folgen des Arbeitsunfalls vom 19.03.1986 nach § 8 SGB VII lagen bis zum Zeitpunkt des Erlasses des letzten Änderungsbescheides vom 27.01.2005 nicht vor, und die Höhe der Verletztenrente nach § 56 SGB VII wurde zuletzt mit Bescheid vom 27.01.2005 nach einer MdE von 40 % korrekt festgesetzt.
Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Für einen Arbeitsunfall ist danach im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (sachlicher oder innerer Zusammenhang), diese Verrichtung wesentlich ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis - das Unfallereignis - verursacht hat (Unfallkausalität) und das Unfallereignis wesentlich einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen ist keine Voraussetzung für die Anerkennung als Arbeitsunfall, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente (BSG, Urteil vom 31.01.2012 Az. B 2 U 2/11 R; Urteil vom 27.04.2010 Az. B 2 U 11/09 R).
Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt: Als Voraussetzung für die Feststellung von Unfallfolgen und die Bewilligung von Leistungen müssen die versicherte Tätigkeit, die Verrichtung zur Zeit des Unfalls, das Unfallereignis und die Gesundheitsschädigung im Sinn des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, feststehen. Der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und einem Gesundheitsschaden bzw. der Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung der Entschädigungspflicht ist nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen; dafür genügt grundsätzlich die "hinreichende" Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die Glaubhaftmachung und erst recht nicht die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 31.01.2012 Az. B 2 U 2/11 R; Urteil vom 02.04.2009 Az. B 2 U 29/07 R). Eine solche Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn nach vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Faktoren ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gestützt werden kann (BSGE 45, 285; 60, 58). Hierbei trägt der Versicherte, also die Klägerseite, die objektive Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen, d.h. deren etwaige Nichterweislichkeit geht zu ihren Lasten (vgl. BSG, Urteil vom 05.02,2008 Az. B 2 U 10/07 R).
Sowohl der Sachverständige Professor Dr. C. als auch der Sachverständige Professor Dr. S. sind sich darin einig, dass die Adipositas neben einer Vielzahl anderer Faktoren einen entscheidenden Risikofaktor für die Ausbildung eines Diabetes mellitus Typ II und der Hypertonie darstellt. Jedoch weist der Sachverständige Professor Dr. S. zu Recht darauf hin, dass der Arbeitsunfall vom 19.03.1986 nicht als wesentliche Ursache für die extreme Gewichtszunahme von ursprünglich 80 kg im Jahr des Unfalles bis auf maximal 119 kg im Jahr 2004 anzusehen ist. Zwar ist einzuräumen, dass der Unfall diese Gewichtszunahme begünstigt haben kann, da er einerseits die Möglichkeiten der Klägerin, sich körperlich zu bewegen, stark einschränkte und andererseits sich ungünstig auf die psychische Verfassung der Klägerin auswirkte, was möglicherweise deren Essverhalten negativ beeinflusste. Dennoch wurden durch den Unfall nur einzelne von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst, die für die Entstehung einer Adipositas verantwortlich sind und die Prof. Dr. S. in seinem Gutachten aufgezählt hat. Auch soweit Essstörungen mit den psychischen Belastungen der Klägerin in Zusammenhang stehen sollten, steht für den Senat fest, dass diese psychischen Belastungen ihre wesentliche Ursache nicht in den durch den Arbeitsunfall erlittenen Verletzungen hatten, sondern in erster Linie in den familiären Schwierigkeiten wurzelten, die im Gutachten des Neurologen Dr. K. vom 29.03.1989 eindrucksvoll beschrieben wurden und darin bestanden, dass die Klägerin allein lebte und unter der Trennung von ihren Kindern litt, von denen eines bereits ausgezogen und das andere vom Jugendamt in ein Heim eingewiesen worden war. Zu Recht weist der Sachverständige Professor Dr. S. auch darauf hin, dass die Tatsache, dass es der Klägerin gelungen ist, von 2004 bis 2008 ihr Gewicht von 119 kg auf 80 bis 85 kg wieder zu reduzieren, was offensichtlich mit einer Neugestaltung ihres psychosozialen Umfeldes zusammenhing, zeigt, dass die Oberschenkelhalsfraktur und die damit verbundenen Bewegungseinschränkungen nicht als die wesentliche Ursache der Adipositas angesehen werden kann, sondern allenfalls als ein erschwerender Faktor, dem aber durch entsprechende Mechanismen der Klägerin entgegengewirkt werden konnte, und der deshalb von untergeordneter Bedeutung war.
Da der Unfall schon für die Entwicklung der Adipositas nicht als wesentlich ursächlich angesehen werden kann, gilt Entsprechendes auch für die als Folge der Adipositas geltend gemachten Gesundheitsstörungen Diabetes mellitus Typ II und arterielle Hypertonie, die sich als weitere mögliche Folgen der Adipositas darstellen. Im Übrigen sind auch diese Gesundheitsstörungen multifaktoriell durch die von Prof. Dr. S. genannten Faktoren bedingt, insbesondere genetische Faktoren und allgemein gesundheitsschädigendes Verhalten, wie es bei der Klägerin in Form von starkem Rauchen vorliegt.
Es kann dahinstehen, ob insoweit die Berücksichtigung der Adipositas als Ursache schon deshalb ausgeschlossen ist, weil in dem angefochtenen Bescheid vom 08.02.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.06.2007 die Anerkennung der Adipositas als Unfallfolge ausdrücklich abgelehnt wurde und insoweit keine Anfechtung der Bescheide erfolgte, so dass hinsichtlich der Ablehnung der Feststellung der Adipositas als Unfallfolge Teil-Bestandskraft nach § 77 SGG eingetreten ist.
Die Verurteilung, "eine vorübergehende psychische Beeinträchtigung" als Unfallfolge festzustellen, ist schon deshalb aufzuheben, weil eine solche Feststellung zu unbestimmt ist und keine Diagnose nach einem anerkannten Diagnoseschlüssel enthält. Angesichts der zahlreichen in Betracht kommenden psychischen Erkrankungen setzt die Feststellung psychischer Beeinträchtigungen als Unfallfolgen grundsätzlich voraus, dass sie aufgrund eines der üblichen Diagnosesysteme und unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen (z. B. ICD-10 oder DSM-IV) erfolgen, damit die Feststellung nachvollziehbar ist (BSGE 96, 196 Rdnr. 22). Gründe, die ein Abweichen von diesem Grundsatz rechtfertigen würden, sind nicht erkennbar.
Hinsichtlich der nach § 44 SGB X zu überprüfenden Festsetzung der MdE nach § 56 SGB VII ist mit 40 % bereits die Obergrenze ausgeschöpft, wenn Hypertonie, Adipositas und Diabetes unberücksichtigt bleiben müssen. Nach der Standardliteratur (Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. A. 2009, S. 581) ist selbst bei völliger Versteifung eines Hüftgelenks in ungünstiger Stellung ein MdE von 40 % zu vergeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
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