L 17 U 407/11

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 U 84/11
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 407/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 20/13 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zu den Anforderungen an die Sorgfaltspflicht eines Rechtsanwalts bei einer Eintragung einer Frist im Fristenbuch, wenn der Grund für die Eintragung sich nicht unmittelbar ergibt.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 03.08.2011 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Vorliegend ist ein Aussparungsbescheid nach § 48 Abs. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) streitig und insbesondere, ob der Klägerin wegen Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.

Mit Bescheid vom 24.11.2010 stellte die Beklagte fest, dass die Anerkennung eines Carpaltunnelsyndroms als Folge des Arbeitsunfalls vom 10.12.2007 rechtswidrig gewesen sei, so dass gemäß § 48 Abs. 3 SGB X künftig keine Änderungen des Leistungsanspruches zu Gunsten der Klägerin erfolgen würden. Insbesondere würden keine Verletztengeldzahlungen erfolgen, soweit der Leistungsbetrag von 0 EUR überschritten werde. Dagegen wurde unter dem 09.12.2010 Widerspruch eingelegt, der mit Widerspruchsbescheid vom 15.01.2011 zurückgewiesen wurde. Dieser Widerspruchsbescheid wurde mit Einschreiben zugestellt und am 25.01.2011 zur Post gegeben.

Eine Mitarbeiterin des Klägerbevollmächtigten, Frau A. U., bestätigte den Empfang auf dem Ausführungsvermerk unter dem 26.01.2011. Unter dem 28.02.2011 verfasste der Klägerbevollmächtigte ein Schreiben an die Beklagte mit der Bitte um Stellungnahme in der Angelegenheit; dieses Schreiben ging am 02.03.2011 bei der Beklagten ein. Nach einem Anruf der Beklagten beim Klägerbevollmächtigten am 30.03.2011, dass der Widerspruchsbescheid bereits am 25.01.2011 versandt worden sei, hat der Klägerbevollmächtigte beim Sozialgericht Würzburg (SG) unter dem 01.04.2011 Klage gegen den Widerspruchsbescheid erhoben und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat der Klägerbevollmächtigte u. a. vorgetragen, dass die Rechtsanwaltsfachangestellte Frau S. ordnungsgemäß im Fristenkalender den Ablauf der Frist am 28.02.2011 eingetragen habe, jedoch der Widerspruchsbescheid in keine der die Klägerin betreffenden Akten einsortiert, sondern zunächst in einem anderen Papierstapel abgelegt worden sei. Da dem Klägerbevollmächtigten somit nicht bewusst gewesen sei, welche Frist am 28.02.2011 abgelaufen sei und er davon ausgegangen sei, dass der Widerspruchsbescheid noch nicht erlassen worden sei, habe er mit Schreiben vom 28.02.2011 die Beklagte zum Erlass eines Widerspruchsbescheides aufgefordert.

In der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 03.08.2011 hat der Klägerbevollmächtigte darüber hinaus angegeben, dass im Fristenbuch nur der Vorgang eingetragen werde, in dem eine Frist ablaufe, es werde jedoch nicht vermerkt, welche Art von Frist ablaufe.

Mit Urteil vom 03.08.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klage sei bereits unzulässig, da verfristet erhoben. Wiedereinsetzung sei nicht zu gewähren.
Dagegen hat die Klägerin Klage zum Bayerischen Landessozialgericht erhoben. Es sei richtig, dass der Widerspruchsbescheid am 26.01.2011 in der Kanzlei des Klägerbevollmächtigten eingegangen sei. Dies ergebe sich aus dem Eingangsstempel. Die Frist 28.02.2011 sei auf dem Widerspruchsbescheid und im Fristenbuch eingetragen worden. Dort sei aber nicht eingetragen worden, um welche Frist es sich handele. Am 25.02.2011 sei die Fristsache RA G. vorgelegt worden. Herr RA G. habe aber den Bescheid nicht gefunden, da sich dieser nicht im Akt befunden habe. Herrn RA G. sei klar gewesen, dass es sich um eine Klagefrist gehandelt habe. Er sei aber davon ausgegangen, dass der Widerspruchbescheid noch nicht ergangen sei und dass es sich im Fristenbuch um einen Fehleintrag handele. Es stelle kein Organisationsverschulden dar, dass die Art der Frist nicht im Fristenbuch vermerkt worden sei. Auch wenn dies der Fall gewesen wäre, hätte RA G. davon ausgehen müssen, es handele sich um einen Fehleintrag, da der Widerspruchsbescheid nicht vorhanden gewesen sei. Es sei reine Spekulation, dass die Beklagte auf einen Anruf des Klägerbevollmächtigten reagiert und zur Aufklärung beigetragen hätte. Die Beklagte habe auf jeden Fall sichergehen wollen, dass die Klägerin die Frist versäume, sonst hätte sie auf das Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom 28.02.2011 schneller reagiert.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 03.08.2011 sowie den Bescheid vom 24.11.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.01.2011 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 03.08.2011 zurückzuweisen.

Sie führt hierzu aus, das Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom 28.02.2011 sei erst am 02.03.2011 bei der Beklagten eingegangen, als die Klagefrist bereits abgelaufen gewesen sei.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die rechtzeitig erhobene und auch ansonsten zulässige (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) Berufung ist nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen, da die Klage verfristet eingelegt worden und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren war.
Gemäß § 87 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (§ 90 SGG) zu erheben. Gemäß § 64 Abs. 1, 1. Alt. SGG beginnt der Lauf einer Frist mit dem Tage nach der Zustellung, gemäß Abs. 2 Satz 1 dieser Vorschrift endet eine nach Monaten berechnete Frist mit dem Ablauf desjenigen Tages des letzten Monats, welcher nach der Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Da im vorliegenden Fall per Übergabeeinschreiben zugestellt worden ist (§ 85 Abs. 2 S. 2 SGG i.V.m. § 4 Abs. 2 Verwaltungszustellungsgesetz -VwZG-) und die Einschreibesendung am 25.01.2011 zur Post gegeben wurde, gilt der Widerspruchsbescheid vom 25.01.2011 am 28.01.2011 als zugestellt. An diesem Tag wurde daher die Klagefrist in Lauf gesetzt. Diese lief am Montag, den 28.02.2011, ab (§ 64 Abs. 2 SGG). Die Klageerhebung ist jedoch erst am 01.04.2011 erfolgt und somit verspätet. Das Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom 28.02.2011 ist ausweislich des Posteingangsstempels erst am 02.03.2011 und damit nach Ablauf der Klagefrist bei der Beklagten eingegangen, so dass es ebenfalls nicht als fristgemäße Klageschrift ausgelegt werden kann.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 Abs. 1 SGG) war der Klägerin nicht zu gewähren, da sie nicht ohne Verschulden gehindert gewesen ist, die Klagefrist einzuhalten. Gemäß § 67 Abs 1 SGG ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gerichtliche Frist einzuhalten. Das Verschulden des Prozessbevollmächtigten steht dem Verschulden des Beteiligten gleich (§ 73 Abs. 6 Satz 6 SGG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO; vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 67 Rn 3c mwN). Der Rechtsanwalt kann sich zwar grundsätzlich darauf verlassen, dass ausreichend geschultes und überwachtes Personal die Einhaltung der Fristen beachtet und die Akten rechtzeitig vorlegt. Er muss aber geeignete organisatorische Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass ihm die Sache rechtzeitig vor Fristablauf vorgelegt wird und Fristen nicht versäumt werden. Sämtliche organisatorischen Maßnahmen müssen so beschaffen sein, dass auch bei unerwarteten Störungen des Geschäftsablaufs, etwa durch Überlastung oder Erkrankung der zuständigen Angestellten, Verzögerungen der anwaltlichen Bearbeitung oder ähnliche Umstände, die Einhaltung der Fristen gewährleistet ist. Insbesondere muss sichergestellt sein, dass die zur wirksamen Fristenkontrolle erforderlichen Handlungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt vorgenommen werden. Dabei ist sicherzustellen, dass die Fristenberechnung, -notierung und -eintragung im Fristenkalender in unmittelbarem Zusammenhang erfolgen (vgl. Keller, aaO, mwN).

Der Bevollmächtigte der Klägerin, Rechtsanwalt G., hat die Versäumung der Klagefrist selbst zu vertreten, da er es versäumt hat zu klären, welche Frist am 28.02.2011 abzulaufen drohte. Selbst wenn sich der Widerspruchsbescheid nicht in den ihm vorgelegten Akten befand, wäre es seine Pflicht gewesen zu prüfen, ob ein solcher Bescheid mittlerweile zugegangen war, statt vorschnell anzunehmen, die Eintragung in das Fristenbuch sei ein Fehleintrag. Diese Möglichkeit war nämlich nur eine von mehreren Deutungen für den Eintrag, ohne dass sich aus den Akten ein Grund hierfür fand. Es war auch keineswegs die naheliegendste Möglichkeit. Als zumindest gleichwahrscheinlich hätte der Bevollmächtigte prüfen müssen, ob ein Bescheid zwar in der Kanzlei eingegangen, nicht aber in die Akte gelangt war. Keinesfalls durfte er den so oder so sichtbar gewordenen Fehler einfach auf sich beruhen lassen. Der gesamte Vorgang zeigt zudem, dass auch die Kanzleiorganisation nicht den Anforderungen genügt, die an die anwaltliche Organisationspflicht zu stellen sind. Dem SG ist beizupflichten, dass auf Seiten des Klägerbevollmächtigten (auch) ein Organisationsverschulden vorliegt. Zur Sicherung einer rechtmäßigen Klageerhebung genügt es nicht, im Fristenbuch lediglich unter dem entsprechenden Datum die Angelegenheit zu vermerken, in der an diesem Tag eine Frist abläuft. Es muss vielmehr sichergestellt werden, dass sich aus dem Fristenbuch ergibt, welche Art von Frist an diesem Tag abläuft, d. h. ob dies z.B. lediglich eine Frist zur Stellungnahme, eine Widerspruchs- oder Klagefrist ist. Denn nur so kann sichergestellt werden, dass im Falle eines Verlustes eines Schreibens, wie im vorliegenden Fall, zumindest die entsprechende Frist eingehalten werden kann.
Der Klägerbevollmächtigte hätte verschiedene Möglichkeiten gehabt, die Angelegenheit aufzuklären. So hätte er sich bei der Beklagten telefonisch darüber informieren können, ob nicht vielleicht doch bereits ein Widerspruchsbescheid erlassen worden ist. Dies hätte umso mehr nahegelegen, wie das SG zu Recht ausgeführt hat, als es ansonsten für eine Wiedervorlage am 28.02.2011 keinen Grund gab. Da erst am 09.12.2010 Widerspruch gegen den Bescheid vom 24.11.2010 eingelegt worden ist, wäre die Frist für eine eventuelle Untätigkeitsklage gemäß § 88 SGG erst nach drei Monaten und somit erst am 09.03.2011 abgelaufen. Daher erschien eine Wiedervorlage am 28.02.2011 ohne ersichtlichen Grund nicht nachvollziehbar.
Soweit im Berufungsverfahren noch vorgetragen wurde, es sei reine Spekulation, dass die Beklagte auf einen Anruf des Klägerbevollmächtigten reagiert und zur Aufklärung beigetragen hätte, da die Beklagte auf jeden Fall habe sichergehen wollen, dass die Klägerin die Frist versäume, sonst hätte sie auf das Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom 28.02.2011 schneller reagiert, vermag dies zu keiner anderen Einschätzung führen. Die Beklagte ist als Behörde dem Gesetz verpflichtet. Es sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, dass der Klägerbevollmächtigte eine unrichtige Antwort hinsichtlich der Existenz eines Widerspruchsbescheides bekommen hätte. Das Fristversäumnis ist daher allein dem Klägerbevollmächtigten zuzuschreiben, sodass eine Wiedereinsetzung gemäß § 67 SGG nicht in Betracht kommt. Die Klage wurde daher zu Recht als unzulässig abgewiesen, so dass die Berufung unbegründet ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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