L 16 AS 398/11

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
16
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 50 AS 315/11
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 AS 398/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Keine Verfassungswidrigkeit des Regelsatzes nach dem SGB II ab dem 01.01.2011;
bei nicht beziffertem Berufungsantrag ist Berufung nach der Grundregel des § 143 SGG zulässig.
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 04.05.2011 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Regelleistung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit von Dezember 2010 bis Mai 2011 streitig.

Der 1979 geborene Kläger steht im laufenden Leistungsbezug nach dem SGB II vom Beklagten. Mit Bescheid vom 22.12.2010 wurden dem Kläger für die Zeit vom 01.12.2010 bis 31.05.2011 Leistungen in Höhe von monatlich 489 Euro bewilligt. Der Bewilligung wurde eine Regelleistung in Höhe von 359 Euro sowie anerkannte monatliche Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 370 Euro zu Grunde gelegt. Laut Mietvertrag vom 01.12.2009 schuldet der Kläger seinem Vermieter monatlich 310 Euro Warmmiete. Ein Nettoerwerbseinkommen des Klägers von 400 Euro wurde nach Abzug von Freibeträgen in Höhe von 240 Euro berücksichtigt.

Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 25.01.2011 zurückgewiesen. Der Regelsatz sei nicht verfassungswidrig, Anhaltspunkte für eine falsche Entscheidung würden nicht vorliegen.

Am 03.02.2011 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht München und machte geltend, dass der Regelsatz zu niedrig berechnet worden sei und die Berechnung gegen das Grundgesetz verstoße. Mit Änderungsbescheid vom 12.04.2011 wurden dem Kläger für den Zeitraum vom 01.01.2011 bis zum 31.03.2011 Leistungen in Höhe von 494 Euro gewährt, für den Zeitraum vom 01.04.2011 bis zum 31.05.2011 in Höhe von 384,80 Euro, jeweils unter Berücksichtigung einer Regelleistung in Höhe von 364 Euro. Hierbei wurde das Einkommen des Klägers angerechnet und eine mit Bescheid vom 17.03.2011 festgestellte Sanktion berücksichtigt.

Das Sozialgericht wies die Klage durch Gerichtsbescheid nach vorheriger Anhörung des Klägers vom 04.05.2011 ab. Streitgegenstand sei nicht die Gewährung von Kosten der Unterkunft und Heizung sondern lediglich die Höhe der Regelleistung. Diese sei nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 nach Auffassung des Gerichts nicht zu beanstanden. Ein Anspruch auf eine höhere Regelleistung bestehe nicht.

Der Kläger hat am 17.05.2011 Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München zum Bayerischen Landessozialgericht erhoben. Das Sozialgericht habe gegen sein rechtliches Gehör verstoßen, da er keine Gelegenheit zur Stellungnahme über ein Einverständnis mit dem Gerichtsbescheid hatte. Außerdem sei die Berechnung der Regelleistung in Höhe von 364 Euro nicht transparent genug. Die Neuregelung verstoße gegen das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes. Sie sei verfassungswidrig und mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.

Der Beklagte hat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen des Widerspruchsbescheids und die Darlegungen im Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.

Der Senat hat den Kläger aufgefordert zur Bemessung des Streitwertes mitzuteilen, wie hoch aus seiner Sicht der Regelsatz sein müsste, um die Lebenshaltungskosten zu decken. Hierzu hat er in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass er sich außer Stande sehe, einen genau bezifferten Antrag zustellen. Dies sei Aufgabe der Politik.

In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 04.05.2011 sowie den Bescheid des Beklagten vom 22.12.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm eine höhere Regelleistung für die Zeit von Dezember 2010 bis Mai 2011 zu gewähren.

Der Beklagte hat beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt (§§ 153, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Der Kläger hat keinen genau bezifferten Antrag gestellt, weswegen der Senat den Wert des Beschwerdegegenstandes gemäß § 144 Abs. 1 SGG durch Auslegung zu ermitteln hat. Lässt sich nicht nachweisen, dass die Voraussetzungen für die Beschränkung der Berufung erfüllt sind, so ist im Ergebnis die Grundregel des § 143 SGG, nämlich die Statthaftigkeit der Berufung ohne Zulassung, anzuwenden (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 10. Auflage 2012, § 144 Rn. 15b). So liegt hier der Fall, da der Kläger die mangelnde Transparenz bei der Bestimmung des Regelsatzes rügt und keine genauen Angaben hinsichtlich des Beschwerdewertes macht. Eine überschlägige Berechnung oder anderweitige Ermittlungen hinsichtlich des Beschwerdewertes sind nicht möglich.

Streitgegenstand ist der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 07.05.2011 sowie der Bescheid des Beklagten 22.12.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2011, diese in der Fassung des Änderungsbescheides vom 12.04.2011. Mit diesen Bescheiden wurden dem Kläger monatliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe des Regelbedarfs von 359 Euro (für Dezember 2010) bzw.
364 Euro (ab Januar 2011) bewilligt.

Der Gerichtsbescheid wurde formal ordnungsgemäß erlassen, das rechtliche Gehör des Klägers wurde nicht verletzt, da er vor Erlass des Gerichtsbescheids die Möglichkeit hatte, sich zu äußern.

Die Beschränkung des Streitgegenstands auf die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne die Bedarfe für Unterkunft und Heizung ist nach den Ausführungen des Bundessozialgerichtes im Urteil vom 12.07.2012, B 14 AS 153/11 (Rn.12 und 15) jedenfalls bei Verfahren, bei denen nur die Verfassungsmäßigkeit der Regelleistung, d.h. die Höhe der Leistungen, die zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne die Bedarfe für Unterkunft und Heizung erbracht werden, möglich. Das gilt auch dann, wenn wie vorliegend die Ausgangsbescheide für die Regelleistung und für die Kosten für Unterkunft und Heizung nicht von getrennten Leistungsträgern erlassen wurde.

Der Antrag des Klägers richtet sich eindeutig nur auf die Überprüfung der Höhe der Regelleistung. Daher ist es vorliegend zur Bestimmung des Streitgegenstandes unerheblich, ob nach § 19 Abs. 1 Satz 2 SGB II n.F. der Regelbedarf, die Mehrbedarfe und der Bedarf für Unterkunft und Heizung zu einer Leistung zusammengefasst wurden (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP vom 26.10.2010, BT-Drucks. 17/3404 S. 97; ebenso BSG vom 06.10.2011, B 14 AS 131/10 R Rn. 16). Sein Antrag bezieht sich auf die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aus dem Regelbedarf nach § 19 Abs. 1 Satz 1 und 3, § 20 SGB II in der ab dem 01.01.2011 geltenden Fassung (n.F.) für die Zeit ab Januar 2011. Für den Monat Dezember 2010 wendet er sich gegen die Höhe des Regelbedarfes nach §§ 19, 20 SGB II in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung (a.F.)

Der Kläger hat keinen Anspruch auf höhere monatliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne die Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Die Höhe des Regelbedarfs für Alleinstehende gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 und 3, Abs. 3 Satz 1, § 20 Abs. 1 und 2 Satz 1 SGB II a.F. für den Monat Dezember 2010 sowie § 19 Abs. 1 Satz 1 und 3, Abs. 3 Satz 1, § 20 Abs. 1 und 2 Satz 1 SGB II n.F. ist für die Zeit vom 01.01.2011 bis zum 31.05.2011 vom Gesetzgeber nicht in verfassungswidriger Weise zu niedrig festgesetzt worden.

Dies ergibt sich für den Monat Dezember 2010 bereits aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09 ), da dieses gerade nicht festgestellt hat, dass die Regelleistung unzureichend und der Gesetzgeber verpflichtet sei, für die Zeit ab dem 01.01.2005 höhere Leistungen festzusetzen. Es hat lediglich ausgeführt, dass die Höhe des Regelsatzes nicht in verfassungskonformer Weise ermittelt wurde, dies würde jedoch nicht dazu führen, dass Anspruchsberechtigte nach dem SGB II eine höhere Regelleistung verlangen könnten.

Für den Zeitraum vom 01.01.2011 bis zum 31.05.2012 kann der Kläger ebenfalls keine höhere Regelleistung beanspruchen. Der Gesetzgeber hat einen weiten Gestaltungsspielraum zur Festsetzung des Regelbedarfes. Aufgrund dieses Gestaltungsspielraumes können die Gerichte lediglich im Rahmen einer Evidenzkontrolle überprüfen, ob die Leistungen evident unzureichend sind, das heißt ob verlässliche Zahlen schlüssig zur Festsetzung des Regelbedarfs verwendet wurden (BSG vom 12.07.2012, B 14 AS 153/11 Rn. 20). Das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 12.07.2012 ausgeführt, dass der Gesetzgeber den Regelbedarf realitätsgerecht nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren bemessen hat (a.a.O. Rn. 26). Das verwendete Statistikmodell sei in Anknüpfung an die Einkommens- und Verbraucherstichprobe 2008 (EVS) geeignet, den Regelsatz festzulegen (Rn. 3). Die Größe der Referenzgruppe sei mit 15 % sachgerecht und vertretbar festgelegt worden (Rn. 37). Zirkelschlüsse wären vermieden worden, da Leistungsbezieher nach dem SGB II bzw. Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) bei der Bildung der Referenzgruppe ausgeschlossen wurden, wenn sie kein weiteres Einkommen hatten (Rn. 40). Einzelne Positionen aus dem Bedarf könne der Gesetzgeber herausnehmen, wenn er das begründet und ein interner Ausgleich im Regelbedarf möglich bleibe (Rn. 53, 60). Hier sei insbesondere darauf hinzuweisen, dass im Bereich der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben der gesetzgeberische Spielraum größer sei, als bei der Sicherung des physischen Existenzminimums. Auch sei die Herausnahme einzelner Positionen aus der EVS gerechtfertigt (vgl. Rn. 64-78). Insgesamt werde außerdem der Regelbedarf durch die Verschiebung der Kosten der Warmwasserzubereitung zu den Kosten für Unterkunft und Heizung zusätzlich erhöht. Auch die regelmäßige Anpassung des Regelbedarfs durch einen Mischindex sei nicht zu beanstanden (vgl. Rn. 79ff).

Die Ausführungen des Bundessozialgerichts stellen darauf ab, dass es sich bei der Bemessung des Regelbedarfes nicht um eine mathematische genaue Berechnung, sondern um ein schlüssiges Konzept handelt. Zur Bestimmung dieses Konzeptes hat der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum, der insbesondere bei den Teilhabeleistungen wie z.B. Verkehr, Gaststätte, Freizeit und Kultur größer ist, als beim physischen Existenzminimum (Ernährung, Kleidung, Haushalt oder Gesundheit). Dieser Gestaltungsspielraum ist gerichtlich nur eingeschränkt zu überprüfen. Der Senat hat, wie das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 12.07.2012, keine Bedenken, dass der Gesetzgeber seinen Gestaltungsspielraum über- bzw. unterschritten hätte. Anhaltspunkte hierfür wurden vom Kläger nicht vorgetragen. Die Festsetzung des Regelbedarfs ist daher nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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