Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 P 79/12
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 P 61/12
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Zur Notwendigkeit einer Antragstellung für die Gewährung von Pflegegeld.
2. Ansprüche auf Pflegegeld erlöschen, wenn sie im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten weder festgestellt sind noch ein Verwaltungsverfahren über sie anhängig ist.
3. Zur Aufklärungs- und Beratungspflicht der Pflegekassen. Erforderlich ist regelmäßig ein konkreter, den Eintritt von Pflegebedürftigkeit betreffender Anlass.
4. Zur Frage, ob sich die Pflegekasse die Kenntnis der gesetzlichen Krankenkasse über die Schwere der Krankheit zurechnen lassen muss.
5. Hat sich der Kläger als Bevollmächtigter trotz zutreffender Information durch einen anderen Sozialversicherungsträger nicht zeitnah an die Pflegekasse gewandt, ist nicht von einer Ursächlichkeit einer eventuell fehlenden Beratung über mögliche Leistungen durch die Pflegekasse für das Unterlassen der Antragstellung auszugehen.
2. Ansprüche auf Pflegegeld erlöschen, wenn sie im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten weder festgestellt sind noch ein Verwaltungsverfahren über sie anhängig ist.
3. Zur Aufklärungs- und Beratungspflicht der Pflegekassen. Erforderlich ist regelmäßig ein konkreter, den Eintritt von Pflegebedürftigkeit betreffender Anlass.
4. Zur Frage, ob sich die Pflegekasse die Kenntnis der gesetzlichen Krankenkasse über die Schwere der Krankheit zurechnen lassen muss.
5. Hat sich der Kläger als Bevollmächtigter trotz zutreffender Information durch einen anderen Sozialversicherungsträger nicht zeitnah an die Pflegekasse gewandt, ist nicht von einer Ursächlichkeit einer eventuell fehlenden Beratung über mögliche Leistungen durch die Pflegekasse für das Unterlassen der Antragstellung auszugehen.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 6. August 2012 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I für die Zeit von Januar 2010 bis Juni 2011 und der Pflegestufe II von Juli 2011 bis Januar 2012 für die am 31. Januar 2012 verstorbene Ehefrau des Klägers S. A ... Zum Zeitpunkt des Todes lebten sie in häuslicher Gemeinschaft.
Die bei der Beklagten versicherte Ehefrau des Klägers litt unter einem fortgeschrittenen Gallenblasenkarzinom, festgestellt während eines stationären Aufenthaltes in der Kreisklinik R. vom 18. Dezember 2009 bis 10. Januar 2010. Am 31. Januar 2012 ist sie verstorben.
Der Kläger beantragte erst am 8. Februar 2012 die Gewährung von Leistungen aus der Pflegeversicherung für den Zeitraum von 2010 bis 31. Januar 2012. Fristversäumnisse dürften nicht gegen ihn geltend gemacht werden. Ihm seien als Betreuer und Begleiter seiner Ehefrau keinerlei gesetzlich vorgeschriebenen Informationshilfen zu der Pflegeversicherung gewährt worden. Der Beklagten habe ein Schwerbehindertenausweis vorgelegen.
Mit Bescheid vom 27. Februar 2012 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Nach § 19 des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IV) und § 33 Abs. 1 S. 1 des Elften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XI) würden Leistungen nur auf Antrag erbracht. Die Versicherte habe zu Lebzeiten keinen Antrag auf Leistungen aus der Pflegeversicherung gestellt. Diese könnten durch eine nachträgliche Antragsstellung nicht in Anspruch genommen werden. Eine rückwirkende Leistungsbewilligung sei nach den rechtlichen Gegebenheiten (§ 33 Abs. 1 S. 3 SGB XI) frühestens ab Beginn des Monats der Antragsstellung möglich. Da die Versicherte am 31. Januar 2012 verstorben sei, könnten aufgrund des im Februar 2012 gestellten Antrags keine Pflegeleistungen erbracht werden. Eine Auskunfts- und Beratungspflicht bestehe im Rahmen der Pflegeversicherung nach § 7 SGB XI erst nach Eingang eines Pflegeantrags. Ein Unterlassen einer Auskunftsverpflichtung könne nicht festgestellt werden. Insbesondere könne aus dem Vorliegen einer Schwerstbehinderung nicht automatisch auf eine Pflegeeinstufung geschlossen werden. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. April 2012 zurück.
Mit der hiergegen gerichteten Klage zum Sozialgericht Nürnberg hat der Kläger einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen für palliative häusliche Pflege nach der Pflegestufe I für Januar 2010 bis Juni 2011 und nach der Pflegestufe II für Juli 2011 bis Januar 2012 weiter verfolgt. Die Beklagte sei ihren vertraglichen Versicherungsaufgaben nicht nachgekommen. Es habe eine Aufklärungspflicht über die Folgen und den Ablauf der nicht mehr heilbaren Erkrankung bestanden sowie darüber, welche sozialrechtlich möglichen Hilfen unter welchen Voraussetzungen in Anspruch genommen werden könnten.
Das Sozialgericht hat einen Befundbericht des Dr. W. vom 21. Juni 2012 eingeholt und die Schwerbehindertenakte beigezogen. Hierin findet sich ein Schreiben des Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS) der Region Mittelfranken vom 7. Juli 2010 zur Kostenerstattung gemäß § 63 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch an den Kläger, in dem das ZBFS ausführt: "Wegen Ihren Fragen zu Pflegeleistungen und möglicher finanzieller Hilfen wenden Sie sich bitte an die Pflegekasse. Da unser Amt hier für keinerlei Leistungen zuständig ist, können wir Ihnen leider auch keine Informationen geben." In einem Schreiben vom 29. Juni 2010 bat der Kläger "zwischendurch" um "Ihre Informationen - evtl. auch mögliche Entscheidungen - bezüglich finanzieller Anspruchsberechtigungen für Pflegeleistungen".
Mit Urteil vom 6. August 2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung auf den Widerspruchsbescheid der Beklagten verwiesen. Aufgrund fehlender Antragstellung zu Lebzeiten seien Ansprüche auf Pflegegeldleistungen erloschen. Ergänzend hat das Gericht ausgeführt, dass der Kläger mit dem Schreiben vom 29. Juni 2010 an das ZBFS lediglich um Informationen "bezüglich finanzieller Anspruchsberechtigungen für Pflegeleistungen" gebeten habe. Das ZBFS habe korrekt und zutreffend geantwortet und auf die Pflegekasse verwiesen. Damit sei die vom Kläger vertretene Ehefrau und der Kläger selbst ab Anfang Juli 2010 hinreichend informiert gewesen. Eine Antragstellung oder Anfrage bei der Beklagten sei nicht erfolgt. Auch könne allein aus dem Umstand eines hohen Grades der Behinderung (GdB) oder einer bestimmten vorliegenden Diagnose, die der AOK Bayern in ihrer Eigenschaft als Krankenkasse bekannt gewesen sei, nicht auf die Erfüllung der Voraussetzungen für Leistungen der Pflegestufe I oder einer höheren Pflegestufe geschlossen werden. Maßgebend sei im Rahmen der Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung allein, ob Funktionsdefizite bei den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens in den Bereichen der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität und der hauswirtschaftlichen Versorgung bestehen. Schließlich sei nach den vorliegenden Arztberichten die Voraussetzungen für Leistungen der Pflegestufe I weder aufgrund der Diagnose noch aufgrund der Schwerbehinderteneigenschaft der verstorbenen Ehefrau des Klägers offensichtlich gewesen. Die Beklagte habe daher keine spezielle Information, Beratung oder gar Aufforderung zur Antragstellung vornehmen müssen.
Mit der Berufung hat der Kläger ausgeführt, die beklagte Pflegekasse, die zugleich Leistungen der Krankenversicherung sicherstelle, habe es vorsätzlich unterlassen, die Versicherte zu informieren und zu unterstützen. Eine vertragliche Pflicht zur Hilfeleistung sei nicht wahrgenommen werden. Der AOK Bayern sei die Vorsorgevollmacht seiner Ehefrau vorgelegt worden. Der gesetzlichen Krankenkasse seien auch die Diagnosen und der Krankheitsverlauf bekannt gewesen. Das Urteil des Sozialgerichts sei nicht zutreffend und diskriminierend. Der Gesundheitszustand seiner Ehefrau habe sich ständig verschlechtert, die Ansprüche auf Pflegezeiten und Pflegeumfang hätten sich bis zum Zeitpunkt des Todeseintritts erhöht. Die Verweigerung der Versicherungsleistungen greife in das Grundrecht auf Schutz des Eigentums ein. Schließlich hat der Kläger auch auf seine Anträge auf Witwerrente und Drei-Monatsrente nach dem Todesfall an die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) hingewiesen.
Die Beklagte hat dargelegt, dass die Leistungen in der sozialen Pflegeversicherung nach § 33 Abs. 2 SGB XI grundsätzlich ab Antragstellung gewährt würden, frühestens jedoch von dem Zeitpunkt an, in dem die Anspruchsvoraussetzungen der Pflegebedürftigkeit vorliegen. Für eine Leistungsgewährung seien Antragstellung und Prüfung der Voraussetzungen der Pflegestufe notwendig. Aus dem Arztberichten gehe nicht hervor, dass die Voraussetzungen für eine Pflegebedürftigkeit nach § 14 SGB XI vorgelegen hätten. Eine Feststellung der Pflegebedürftigkeit und der eingeschränkten Alltagskompetenz durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) gemäß § 18 Abs. 1 SGB XI sei nach dem 31. Januar 2011 nicht mehr möglich. Auch könne sich der Kläger nicht auf einen Verstoß gegen eine Informations-, Aufklärungs- oder Beratungspflicht stützen. Die Beratungs- und Informationspflicht sei in § 7 Abs. 2 SGB XI geregelt. Aus dem Wortlaut der Norm lasse sich nicht herleiten, dass die Versicherungsträger dem einzelnen Versicherten von Amts wegen die Unterrichtung und Beratung bei drohender oder festgestellter Pflegebedürftigkeit anzubieten hätten und folglich alle in der Krankenversicherung gewährten Leistungen auf Hinweise bzw. auf drohende Pflegebedürftigkeit überprüfen müssten. Auch aus dem Vorliegen einer Vorsorgevollmacht lasse sich nicht schlussfolgern, es läge eine Pflegebedürftigkeit der Ehefrau des Klägers vor. Im Übrigen hätten weder die behandelnden Ärzte noch Krankenhaus-, Rehabilitations- oder Vorsorgeeinrichtungen sie darüber benachrichtigt, dass sich eine Pflegebedürftigkeit abzeichne oder festgestellt worden sei. Schließlich ändere sich hinsichtlich steuerrechtlicher und rentenrechtlicher Ansprüche nichts an der pflegeversicherungsrechtlichen Beurteilung.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Der Kläger beantragte sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 6. August 2012 und den Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. April 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, für seine am 31. Januar 2012 verstorbene Ehefrau S. A. Leistungen der Pflegestufe I von Januar 2010 bis 30. Juni 2011 und Leistungen der Pflegestufe II von 1. Juli 2011 bis 31. Januar 2012 zu gewähren.
Die Beklagte beantragte,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der Akte der Beklagten, des ZBFS, der AOK Bayern, die vom Senat beigezogen wurden, sowie der Klage- und Berufungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), jedoch unbegründet.
Pflegebedürftige können nach § 37 Abs. 1 S. 1 bis 3 des Elften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) Pflegegeld erhalten, wenn sie die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung durch eine Pflegeperson (§ 19 S. 1 SGB XI) in geeigneter Weise sowie dem Umfang des Pflegegeldes entsprechend selbst sicherstellen und mindestens die Pflegestufe I vorliegt. Notwendig ist ferner die Stellung eines Antrags (§ 33 Abs. 1 S. 1 SGB XI; § 19 S. 1 SGB IV). Ein derartiger Antrag wurde erst am 8. Februar 2012 und somit nicht mehr zu Lebzeiten der Versicherten gestellt. Ansprüche auf Sach- und Dienstleistungen erlöschen nach § 59 S. 1 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch
(SGB I) mit dem Tode des Berechtigten. Ansprüche auf Geldleistungen wie das Pflegegeld erlöschen nach § 59 Satz 2 SGB I, wenn sie im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten weder festgestellt sind noch ein Verwaltungsverfahren über sie anhängig ist. Zum Zeitpunkt des Todes der Versicherten war weder ihr Anspruch auf Pflegegeld festgestellt noch ein Verwaltungsverfahren bei der Beklagten anhängig geworden. Gemäß § 33 Abs. 1 S. 2 SGB XI werden die Leistungen erst ab Antragstellung, frühestens jedoch von dem Zeitpunkt an gewährt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen.
Auch das Schreiben des Klägers an das ZBFS vom 29. Juni 2010 stellt keinen Antrag auf Gewährung von Pflegeleistungen dar. Zwar kann nach § 16 Abs. 1 S. 2 SGB I bei jedem Leistungsträger gestellt werden. Das Schreiben ist jedoch nicht als Antrag, sondern als Bitte um Informationen formuliert. Aus Sicht eines objektiven Empfängers - hier des ZBFS - ging es dem Kläger um "Betreuungsinformationen". Er stellte im Betreff des Schreibens die Frage: "Pflegeleistungen und Entgelte in welchen Fällen?" Im Schreiben selbst bat er im Rahmen eines noch laufenden Antrags auf Kostenerstattung "zwischendurch" um "Ihre Informationen" bezüglich finanzieller Anspruchsberechtigungen für Pflegeleistungen. Das Schreiben war damit insgesamt als Bitte um Informationen zu verstehen. Daran ändert auch nichts der Einschub "- evtl. auch mögliche Entscheidungen -", der bei Gesamtbetrachtung nur als untergeordnet und nicht als konkreter Leistungsantrag zu verstehen ist. Dementsprechend antwortete das ZBFS mit Schreiben vom 7. Juli 2010 auch zutreffend und beantwortete die "Fragen" dahingehend, dass die Pflegekasse für mögliche finanzielle Hilfen zuständig ist.
Zutreffend hat das Sozialgericht hierzu entscheiden, dass der Kläger als Rechtsnachfolger der Versicherten auch nicht einen Anspruch auf Pflegegeldleistungen aus dem von der Rechtsprechung entwickelter sog. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch wegen fehlender Beratung durch die Beklagte hat. Folge einer unterlassenen, unrichtigen oder unzureichenden Beratung kann sein, dass der Berechtigte dadurch einen Nachteil erleidet und deshalb so zu stellen ist, wie es bei fehlerfreier Beratung im Sinne des § 14 S. 1 SGB I der Fall gewesen wäre. Voraussetzung ist ein rechtswidriges Verwaltungshandeln insbesondere durch Verletzung von Betreuungspflichten, das den Berechtigten zu nachteiligen Dispositionen veranlasst hat, die durch eine grundsätzlich zulässige Amtshandlung ausgeglichen werden können.
Hierbei ist zunächst festzuhalten, dass der Kläger durch das ZBFS bereits im Juli 2010 zutreffend darüber informiert wurde, dass für finanzielle Hilfen bei Pflegetätigkeit die Pflegekasse zuständig ist. Aus der Anfrage vom 29. Juni 2010 an das ZBFS wird deutlich, dass dem Kläger bekannt war, dass es grundsätzlich "Pflegeleistungen und Entgelte" hierfür gibt. Sein Informationsbedürfnis betraf die Frage, "in welchen Fällen" bzw. die "finanziellen Anspruchsberechtigungen". Der Verweis auf die Zuständigkeit der Pflegekasse war daher ausreichend. Wenn der Kläger dem nicht nachgekommen ist, ist dies von ihm zu vertreten. Die Geltendmachung eines sozialen Herstellungsanspruchs gegenüber der Beklagten ist in diesem Fall nicht gerechtfertigt und treuwidrig. Ein Beratungsfehler kann nur dann noch geltend gemacht werden, wenn sich der Kläger an die beklagte Pflegekasse gewandt hätte und seinen Informationsbedarf zum Ausdruck gebracht hätte.
§ 7 SGB XI regelt die Aufklärungs- und Beratungspflicht der Pflegekassen. Die Pflegekassen haben die Versicherten und ihre Angehörigen und Lebenspartner nach Abs. 2 Satz 1 in den mit der Pflegebedürftigkeit zusammenhängenden Fragen, insbesondere über die Leistungen der Pflegekassen sowie über die Leistungen und Hilfen anderer Träger, zu unterrichten und zu beraten. Erforderlich ist hierbei wie auch bei einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ein konkreter, den Eintritt von Pflegebedürftigkeit betreffender Anlass (vgl. auch Udsching-Behrend, SGB XI Soziale Pflegeversicherung, 3. Aufl. 2010, § 7 Rdnr. 3). § 7 SGB XI konkretisiert die allgemeine Aufklärungs- und Beratungspflichten nach §§ 13, 14 SGB I. Ein derartiger konkreter Anlass lag bei der Pflegekasse nicht vor. Vor dem am 8. Februar 2012 eingegangenen Antrag des Klägers auf Pflegeleistungen hatte die Beklagte keine tatsächliche Kenntnis von der Möglichkeit des Vorliegens von Pflegebedürftigkeit bei der Versicherten. Ein Beratungsersuchen lag ebenfalls nicht vor.
Die Beklagte muss sich auch nicht eine Kenntnis der Krankenkasse zurechnen lassen, der die schwerwiegende Diagnose und der Krankheitsverlauf bekannt war. Bei unzureichender Beratung, die zu Nachteilen für den Berechtigten geführt hat, ist dieser Beratungsfehler einer anderen Behörde dem zur Entscheidung berufenen Leistungsträger zuzurechnen, wenn diese andere Behörde vom Gesetzgeber "arbeitsteilig" in das Verfahren eingeschaltet ist (BSG, Urteil v. 24. Juli 1985, BSGE 51, 89). Zunächst ist hierzu jedoch auszuführen, dass sich die Beklagte nicht grundsätzlich alle Informationen aus der Krankenversicherung zurechnen lassen muss. Die Pflegeversicherung stellt einen eigenständigen Zweig der Sozialversicherung dar (§ 1 Abs. 1 SGB XI). Träger der sozialen Pflegeversicherung sind die Pflegekassen (§ 1 Abs. 3 SGB XI). Diese sind eigenständige Körperschaften des öffentlichen Rechts (§ 46 Abs. 2 SGB XI) und somit nicht identisch mit dem Träger der gesetzlichen Krankenkasse. Die Kenntnis der AOK Bayern als für die Versicherte zuständig gewesene Krankenkasse kann damit nicht ohne Weiteres der Beklagten als Pflegekasse zugerechnet werden.
Der Senat kann offen lassen, ob sich die Beklagte aus sonstigen Umständen wie insbesondere die Kenntnis der Krankenkasse über Diagnosen oder aufgrund der Behandlung durch den Hausarzt einen Beratungsfehler zurechnen lassen muss. So hat beispielsweise das LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 23.09.2010, Az.: L 27 P 5/09) zum Einbezug eines Arztes in die Beratungspflichten nach § 7 Abs. 2 S. 2 SGB XI entschieden, dass die Pflegekasse für einen Hausarzt, der die sich aus § 7 Abs. 2 S. 2 SGB XI ergebenden Pflichten wie die Aufklärung des Patienten über die Notwendigkeit einer Einwilligung zur Benachrichtigung der Pflegekasse durch den Hausarzt und nach Vorliegen einer Einwilligung zur Benachrichtigung verletzt, sich grundsätzlich diesen Beratungsfehler zurechnen lassen muss. Vorliegend war der Kläger, der für die Versicherte handelte, nämlich durch den Hinweis des ZBFS über die Zuständigkeit der Beklagten als Pflegekasse aufgeklärt. Mit seiner Anfrage an das ZBFS zeigte er ferner, dass ihm grundsätzlich die Möglichkeit, Zahlungen für erfolgte Pflegeleistungen in Anspruch zu nehmen, bekannt war. Insoweit bestand somit kein Beratungsbedarf mehr. Der Kläger hätte ohne Weiteres durch Antragstellung oder zumindest konkrete Anfrage bei der Pflegekasse das Verfahren einleiten können. Entsprechendes gilt im Ergebnis auch für die Kenntnis und Nichtberatung durch die gesetzliche Krankenversicherung, z.B. im Rahmen des Versorgungsmanagements der Krankenkassen nach § 11 Abs. 4 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V).
Dass sich der Kläger als Bevollmächtigter trotz dieses Hinweises vom Juli 2010 nicht zeitnah an die Pflegekasse gewandt hat, spricht dagegen, dass eine fehlende Beratung über mögliche Leistungen der Pflegekasse ursächlich dafür war, dass zu Lebzeiten der Versicherten kein Antrag gestellt wurde.
Schließlich bestanden zwischen der Versicherten und der Beklagten entgegen der Argumentation des Klägers keine vertraglichen Beratungspflichten, da insoweit kein Vertragsverhältnis zwischen dem Versicherten in der sozialen Pflegeversicherung und dem Träger der Pflegeversicherung besteht. Vielmehr handelt es sich gemäß § 1 Abs. 2 SGB VI um ein gesetzliches Versicherungsverhältnis. Anders ist dies nur im Rahmen der private Pflegeversicherung zu beurteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. § 197 a SGG greift nicht ein, da der Kläger zum Zeitpunkt des Todes in häuslicher Gemeinschaft mit der Versicherten gelebt hat und somit Rechtsnachfolger nach § 56 SGB I ist (§ 183 SGG).
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I für die Zeit von Januar 2010 bis Juni 2011 und der Pflegestufe II von Juli 2011 bis Januar 2012 für die am 31. Januar 2012 verstorbene Ehefrau des Klägers S. A ... Zum Zeitpunkt des Todes lebten sie in häuslicher Gemeinschaft.
Die bei der Beklagten versicherte Ehefrau des Klägers litt unter einem fortgeschrittenen Gallenblasenkarzinom, festgestellt während eines stationären Aufenthaltes in der Kreisklinik R. vom 18. Dezember 2009 bis 10. Januar 2010. Am 31. Januar 2012 ist sie verstorben.
Der Kläger beantragte erst am 8. Februar 2012 die Gewährung von Leistungen aus der Pflegeversicherung für den Zeitraum von 2010 bis 31. Januar 2012. Fristversäumnisse dürften nicht gegen ihn geltend gemacht werden. Ihm seien als Betreuer und Begleiter seiner Ehefrau keinerlei gesetzlich vorgeschriebenen Informationshilfen zu der Pflegeversicherung gewährt worden. Der Beklagten habe ein Schwerbehindertenausweis vorgelegen.
Mit Bescheid vom 27. Februar 2012 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Nach § 19 des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IV) und § 33 Abs. 1 S. 1 des Elften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XI) würden Leistungen nur auf Antrag erbracht. Die Versicherte habe zu Lebzeiten keinen Antrag auf Leistungen aus der Pflegeversicherung gestellt. Diese könnten durch eine nachträgliche Antragsstellung nicht in Anspruch genommen werden. Eine rückwirkende Leistungsbewilligung sei nach den rechtlichen Gegebenheiten (§ 33 Abs. 1 S. 3 SGB XI) frühestens ab Beginn des Monats der Antragsstellung möglich. Da die Versicherte am 31. Januar 2012 verstorben sei, könnten aufgrund des im Februar 2012 gestellten Antrags keine Pflegeleistungen erbracht werden. Eine Auskunfts- und Beratungspflicht bestehe im Rahmen der Pflegeversicherung nach § 7 SGB XI erst nach Eingang eines Pflegeantrags. Ein Unterlassen einer Auskunftsverpflichtung könne nicht festgestellt werden. Insbesondere könne aus dem Vorliegen einer Schwerstbehinderung nicht automatisch auf eine Pflegeeinstufung geschlossen werden. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. April 2012 zurück.
Mit der hiergegen gerichteten Klage zum Sozialgericht Nürnberg hat der Kläger einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen für palliative häusliche Pflege nach der Pflegestufe I für Januar 2010 bis Juni 2011 und nach der Pflegestufe II für Juli 2011 bis Januar 2012 weiter verfolgt. Die Beklagte sei ihren vertraglichen Versicherungsaufgaben nicht nachgekommen. Es habe eine Aufklärungspflicht über die Folgen und den Ablauf der nicht mehr heilbaren Erkrankung bestanden sowie darüber, welche sozialrechtlich möglichen Hilfen unter welchen Voraussetzungen in Anspruch genommen werden könnten.
Das Sozialgericht hat einen Befundbericht des Dr. W. vom 21. Juni 2012 eingeholt und die Schwerbehindertenakte beigezogen. Hierin findet sich ein Schreiben des Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS) der Region Mittelfranken vom 7. Juli 2010 zur Kostenerstattung gemäß § 63 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch an den Kläger, in dem das ZBFS ausführt: "Wegen Ihren Fragen zu Pflegeleistungen und möglicher finanzieller Hilfen wenden Sie sich bitte an die Pflegekasse. Da unser Amt hier für keinerlei Leistungen zuständig ist, können wir Ihnen leider auch keine Informationen geben." In einem Schreiben vom 29. Juni 2010 bat der Kläger "zwischendurch" um "Ihre Informationen - evtl. auch mögliche Entscheidungen - bezüglich finanzieller Anspruchsberechtigungen für Pflegeleistungen".
Mit Urteil vom 6. August 2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung auf den Widerspruchsbescheid der Beklagten verwiesen. Aufgrund fehlender Antragstellung zu Lebzeiten seien Ansprüche auf Pflegegeldleistungen erloschen. Ergänzend hat das Gericht ausgeführt, dass der Kläger mit dem Schreiben vom 29. Juni 2010 an das ZBFS lediglich um Informationen "bezüglich finanzieller Anspruchsberechtigungen für Pflegeleistungen" gebeten habe. Das ZBFS habe korrekt und zutreffend geantwortet und auf die Pflegekasse verwiesen. Damit sei die vom Kläger vertretene Ehefrau und der Kläger selbst ab Anfang Juli 2010 hinreichend informiert gewesen. Eine Antragstellung oder Anfrage bei der Beklagten sei nicht erfolgt. Auch könne allein aus dem Umstand eines hohen Grades der Behinderung (GdB) oder einer bestimmten vorliegenden Diagnose, die der AOK Bayern in ihrer Eigenschaft als Krankenkasse bekannt gewesen sei, nicht auf die Erfüllung der Voraussetzungen für Leistungen der Pflegestufe I oder einer höheren Pflegestufe geschlossen werden. Maßgebend sei im Rahmen der Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung allein, ob Funktionsdefizite bei den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens in den Bereichen der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität und der hauswirtschaftlichen Versorgung bestehen. Schließlich sei nach den vorliegenden Arztberichten die Voraussetzungen für Leistungen der Pflegestufe I weder aufgrund der Diagnose noch aufgrund der Schwerbehinderteneigenschaft der verstorbenen Ehefrau des Klägers offensichtlich gewesen. Die Beklagte habe daher keine spezielle Information, Beratung oder gar Aufforderung zur Antragstellung vornehmen müssen.
Mit der Berufung hat der Kläger ausgeführt, die beklagte Pflegekasse, die zugleich Leistungen der Krankenversicherung sicherstelle, habe es vorsätzlich unterlassen, die Versicherte zu informieren und zu unterstützen. Eine vertragliche Pflicht zur Hilfeleistung sei nicht wahrgenommen werden. Der AOK Bayern sei die Vorsorgevollmacht seiner Ehefrau vorgelegt worden. Der gesetzlichen Krankenkasse seien auch die Diagnosen und der Krankheitsverlauf bekannt gewesen. Das Urteil des Sozialgerichts sei nicht zutreffend und diskriminierend. Der Gesundheitszustand seiner Ehefrau habe sich ständig verschlechtert, die Ansprüche auf Pflegezeiten und Pflegeumfang hätten sich bis zum Zeitpunkt des Todeseintritts erhöht. Die Verweigerung der Versicherungsleistungen greife in das Grundrecht auf Schutz des Eigentums ein. Schließlich hat der Kläger auch auf seine Anträge auf Witwerrente und Drei-Monatsrente nach dem Todesfall an die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) hingewiesen.
Die Beklagte hat dargelegt, dass die Leistungen in der sozialen Pflegeversicherung nach § 33 Abs. 2 SGB XI grundsätzlich ab Antragstellung gewährt würden, frühestens jedoch von dem Zeitpunkt an, in dem die Anspruchsvoraussetzungen der Pflegebedürftigkeit vorliegen. Für eine Leistungsgewährung seien Antragstellung und Prüfung der Voraussetzungen der Pflegestufe notwendig. Aus dem Arztberichten gehe nicht hervor, dass die Voraussetzungen für eine Pflegebedürftigkeit nach § 14 SGB XI vorgelegen hätten. Eine Feststellung der Pflegebedürftigkeit und der eingeschränkten Alltagskompetenz durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) gemäß § 18 Abs. 1 SGB XI sei nach dem 31. Januar 2011 nicht mehr möglich. Auch könne sich der Kläger nicht auf einen Verstoß gegen eine Informations-, Aufklärungs- oder Beratungspflicht stützen. Die Beratungs- und Informationspflicht sei in § 7 Abs. 2 SGB XI geregelt. Aus dem Wortlaut der Norm lasse sich nicht herleiten, dass die Versicherungsträger dem einzelnen Versicherten von Amts wegen die Unterrichtung und Beratung bei drohender oder festgestellter Pflegebedürftigkeit anzubieten hätten und folglich alle in der Krankenversicherung gewährten Leistungen auf Hinweise bzw. auf drohende Pflegebedürftigkeit überprüfen müssten. Auch aus dem Vorliegen einer Vorsorgevollmacht lasse sich nicht schlussfolgern, es läge eine Pflegebedürftigkeit der Ehefrau des Klägers vor. Im Übrigen hätten weder die behandelnden Ärzte noch Krankenhaus-, Rehabilitations- oder Vorsorgeeinrichtungen sie darüber benachrichtigt, dass sich eine Pflegebedürftigkeit abzeichne oder festgestellt worden sei. Schließlich ändere sich hinsichtlich steuerrechtlicher und rentenrechtlicher Ansprüche nichts an der pflegeversicherungsrechtlichen Beurteilung.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Der Kläger beantragte sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 6. August 2012 und den Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. April 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, für seine am 31. Januar 2012 verstorbene Ehefrau S. A. Leistungen der Pflegestufe I von Januar 2010 bis 30. Juni 2011 und Leistungen der Pflegestufe II von 1. Juli 2011 bis 31. Januar 2012 zu gewähren.
Die Beklagte beantragte,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der Akte der Beklagten, des ZBFS, der AOK Bayern, die vom Senat beigezogen wurden, sowie der Klage- und Berufungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), jedoch unbegründet.
Pflegebedürftige können nach § 37 Abs. 1 S. 1 bis 3 des Elften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) Pflegegeld erhalten, wenn sie die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung durch eine Pflegeperson (§ 19 S. 1 SGB XI) in geeigneter Weise sowie dem Umfang des Pflegegeldes entsprechend selbst sicherstellen und mindestens die Pflegestufe I vorliegt. Notwendig ist ferner die Stellung eines Antrags (§ 33 Abs. 1 S. 1 SGB XI; § 19 S. 1 SGB IV). Ein derartiger Antrag wurde erst am 8. Februar 2012 und somit nicht mehr zu Lebzeiten der Versicherten gestellt. Ansprüche auf Sach- und Dienstleistungen erlöschen nach § 59 S. 1 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch
(SGB I) mit dem Tode des Berechtigten. Ansprüche auf Geldleistungen wie das Pflegegeld erlöschen nach § 59 Satz 2 SGB I, wenn sie im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten weder festgestellt sind noch ein Verwaltungsverfahren über sie anhängig ist. Zum Zeitpunkt des Todes der Versicherten war weder ihr Anspruch auf Pflegegeld festgestellt noch ein Verwaltungsverfahren bei der Beklagten anhängig geworden. Gemäß § 33 Abs. 1 S. 2 SGB XI werden die Leistungen erst ab Antragstellung, frühestens jedoch von dem Zeitpunkt an gewährt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen.
Auch das Schreiben des Klägers an das ZBFS vom 29. Juni 2010 stellt keinen Antrag auf Gewährung von Pflegeleistungen dar. Zwar kann nach § 16 Abs. 1 S. 2 SGB I bei jedem Leistungsträger gestellt werden. Das Schreiben ist jedoch nicht als Antrag, sondern als Bitte um Informationen formuliert. Aus Sicht eines objektiven Empfängers - hier des ZBFS - ging es dem Kläger um "Betreuungsinformationen". Er stellte im Betreff des Schreibens die Frage: "Pflegeleistungen und Entgelte in welchen Fällen?" Im Schreiben selbst bat er im Rahmen eines noch laufenden Antrags auf Kostenerstattung "zwischendurch" um "Ihre Informationen" bezüglich finanzieller Anspruchsberechtigungen für Pflegeleistungen. Das Schreiben war damit insgesamt als Bitte um Informationen zu verstehen. Daran ändert auch nichts der Einschub "- evtl. auch mögliche Entscheidungen -", der bei Gesamtbetrachtung nur als untergeordnet und nicht als konkreter Leistungsantrag zu verstehen ist. Dementsprechend antwortete das ZBFS mit Schreiben vom 7. Juli 2010 auch zutreffend und beantwortete die "Fragen" dahingehend, dass die Pflegekasse für mögliche finanzielle Hilfen zuständig ist.
Zutreffend hat das Sozialgericht hierzu entscheiden, dass der Kläger als Rechtsnachfolger der Versicherten auch nicht einen Anspruch auf Pflegegeldleistungen aus dem von der Rechtsprechung entwickelter sog. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch wegen fehlender Beratung durch die Beklagte hat. Folge einer unterlassenen, unrichtigen oder unzureichenden Beratung kann sein, dass der Berechtigte dadurch einen Nachteil erleidet und deshalb so zu stellen ist, wie es bei fehlerfreier Beratung im Sinne des § 14 S. 1 SGB I der Fall gewesen wäre. Voraussetzung ist ein rechtswidriges Verwaltungshandeln insbesondere durch Verletzung von Betreuungspflichten, das den Berechtigten zu nachteiligen Dispositionen veranlasst hat, die durch eine grundsätzlich zulässige Amtshandlung ausgeglichen werden können.
Hierbei ist zunächst festzuhalten, dass der Kläger durch das ZBFS bereits im Juli 2010 zutreffend darüber informiert wurde, dass für finanzielle Hilfen bei Pflegetätigkeit die Pflegekasse zuständig ist. Aus der Anfrage vom 29. Juni 2010 an das ZBFS wird deutlich, dass dem Kläger bekannt war, dass es grundsätzlich "Pflegeleistungen und Entgelte" hierfür gibt. Sein Informationsbedürfnis betraf die Frage, "in welchen Fällen" bzw. die "finanziellen Anspruchsberechtigungen". Der Verweis auf die Zuständigkeit der Pflegekasse war daher ausreichend. Wenn der Kläger dem nicht nachgekommen ist, ist dies von ihm zu vertreten. Die Geltendmachung eines sozialen Herstellungsanspruchs gegenüber der Beklagten ist in diesem Fall nicht gerechtfertigt und treuwidrig. Ein Beratungsfehler kann nur dann noch geltend gemacht werden, wenn sich der Kläger an die beklagte Pflegekasse gewandt hätte und seinen Informationsbedarf zum Ausdruck gebracht hätte.
§ 7 SGB XI regelt die Aufklärungs- und Beratungspflicht der Pflegekassen. Die Pflegekassen haben die Versicherten und ihre Angehörigen und Lebenspartner nach Abs. 2 Satz 1 in den mit der Pflegebedürftigkeit zusammenhängenden Fragen, insbesondere über die Leistungen der Pflegekassen sowie über die Leistungen und Hilfen anderer Träger, zu unterrichten und zu beraten. Erforderlich ist hierbei wie auch bei einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ein konkreter, den Eintritt von Pflegebedürftigkeit betreffender Anlass (vgl. auch Udsching-Behrend, SGB XI Soziale Pflegeversicherung, 3. Aufl. 2010, § 7 Rdnr. 3). § 7 SGB XI konkretisiert die allgemeine Aufklärungs- und Beratungspflichten nach §§ 13, 14 SGB I. Ein derartiger konkreter Anlass lag bei der Pflegekasse nicht vor. Vor dem am 8. Februar 2012 eingegangenen Antrag des Klägers auf Pflegeleistungen hatte die Beklagte keine tatsächliche Kenntnis von der Möglichkeit des Vorliegens von Pflegebedürftigkeit bei der Versicherten. Ein Beratungsersuchen lag ebenfalls nicht vor.
Die Beklagte muss sich auch nicht eine Kenntnis der Krankenkasse zurechnen lassen, der die schwerwiegende Diagnose und der Krankheitsverlauf bekannt war. Bei unzureichender Beratung, die zu Nachteilen für den Berechtigten geführt hat, ist dieser Beratungsfehler einer anderen Behörde dem zur Entscheidung berufenen Leistungsträger zuzurechnen, wenn diese andere Behörde vom Gesetzgeber "arbeitsteilig" in das Verfahren eingeschaltet ist (BSG, Urteil v. 24. Juli 1985, BSGE 51, 89). Zunächst ist hierzu jedoch auszuführen, dass sich die Beklagte nicht grundsätzlich alle Informationen aus der Krankenversicherung zurechnen lassen muss. Die Pflegeversicherung stellt einen eigenständigen Zweig der Sozialversicherung dar (§ 1 Abs. 1 SGB XI). Träger der sozialen Pflegeversicherung sind die Pflegekassen (§ 1 Abs. 3 SGB XI). Diese sind eigenständige Körperschaften des öffentlichen Rechts (§ 46 Abs. 2 SGB XI) und somit nicht identisch mit dem Träger der gesetzlichen Krankenkasse. Die Kenntnis der AOK Bayern als für die Versicherte zuständig gewesene Krankenkasse kann damit nicht ohne Weiteres der Beklagten als Pflegekasse zugerechnet werden.
Der Senat kann offen lassen, ob sich die Beklagte aus sonstigen Umständen wie insbesondere die Kenntnis der Krankenkasse über Diagnosen oder aufgrund der Behandlung durch den Hausarzt einen Beratungsfehler zurechnen lassen muss. So hat beispielsweise das LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 23.09.2010, Az.: L 27 P 5/09) zum Einbezug eines Arztes in die Beratungspflichten nach § 7 Abs. 2 S. 2 SGB XI entschieden, dass die Pflegekasse für einen Hausarzt, der die sich aus § 7 Abs. 2 S. 2 SGB XI ergebenden Pflichten wie die Aufklärung des Patienten über die Notwendigkeit einer Einwilligung zur Benachrichtigung der Pflegekasse durch den Hausarzt und nach Vorliegen einer Einwilligung zur Benachrichtigung verletzt, sich grundsätzlich diesen Beratungsfehler zurechnen lassen muss. Vorliegend war der Kläger, der für die Versicherte handelte, nämlich durch den Hinweis des ZBFS über die Zuständigkeit der Beklagten als Pflegekasse aufgeklärt. Mit seiner Anfrage an das ZBFS zeigte er ferner, dass ihm grundsätzlich die Möglichkeit, Zahlungen für erfolgte Pflegeleistungen in Anspruch zu nehmen, bekannt war. Insoweit bestand somit kein Beratungsbedarf mehr. Der Kläger hätte ohne Weiteres durch Antragstellung oder zumindest konkrete Anfrage bei der Pflegekasse das Verfahren einleiten können. Entsprechendes gilt im Ergebnis auch für die Kenntnis und Nichtberatung durch die gesetzliche Krankenversicherung, z.B. im Rahmen des Versorgungsmanagements der Krankenkassen nach § 11 Abs. 4 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V).
Dass sich der Kläger als Bevollmächtigter trotz dieses Hinweises vom Juli 2010 nicht zeitnah an die Pflegekasse gewandt hat, spricht dagegen, dass eine fehlende Beratung über mögliche Leistungen der Pflegekasse ursächlich dafür war, dass zu Lebzeiten der Versicherten kein Antrag gestellt wurde.
Schließlich bestanden zwischen der Versicherten und der Beklagten entgegen der Argumentation des Klägers keine vertraglichen Beratungspflichten, da insoweit kein Vertragsverhältnis zwischen dem Versicherten in der sozialen Pflegeversicherung und dem Träger der Pflegeversicherung besteht. Vielmehr handelt es sich gemäß § 1 Abs. 2 SGB VI um ein gesetzliches Versicherungsverhältnis. Anders ist dies nur im Rahmen der private Pflegeversicherung zu beurteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. § 197 a SGG greift nicht ein, da der Kläger zum Zeitpunkt des Todes in häuslicher Gemeinschaft mit der Versicherten gelebt hat und somit Rechtsnachfolger nach § 56 SGB I ist (§ 183 SGG).
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
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