Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AL 368/11 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 340/11 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zu den Voraussetzungen des Arbeitslosengeldanspruches in Deutschland im Falle eines Auslandswohnsitzes
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 11.11.2011 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller (ASt) begehrt im Wege einer einstweiligen Anordnung die Zahlung von Arbeitslosengeld (Alg).
Am 01.08.2011 meldete sich der ASt bei Geschäftsstelle der Antragsgegnerin (Ag) in Frankfurt am Main mit Wirkung zum 20.08.2011 arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alg. Er stehe in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis bei der L. AG, sei jedoch seit 19.02.2010 arbeitsunfähig erkrankt und könne seine Tätigkeit als Flugbegleiter nicht ausüben. Mit Ablauf des 19.08.2011 ende sein Krankengeldbezug. Seinen Wohnsitz habe er seit 1999 in A-Stadt/ Frankreich. Die Ag lehnte den Antrag mit Bescheid vom 17.08.2011 ab. Der ASt habe im Geltungsbereich des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) keinen gewöhnlichen Aufenthalt. Im hiergegen erhoben Widerspruch machte der ASt unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 07.10.2009 (B 11 AL 25/08 R) geltend, er erfülle sämtliche Anspruchsvoraussetzungen nach deutschem Recht, insbesondere sei er jederzeit in der Lage Termine in Frankfurt wahrzunehmen, denn er erhalte von seinem Arbeitgeber stark verbilligte Flüge. Zudem habe er ohnehin regelmäßig ärztliche Untersuchungen und Facharzttermine in Frankfurt. Die Ag könne sich daher nicht darauf berufen, dass er keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland habe. Gegen den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 02.09.2011 hat der ASt Klage (S 8 AL 340/11) zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben, über die bislang nicht entschieden ist.
Am 26.09.2011 hat der ASt beantragt, die Ag im Wege einer einstweiligen Anordnung zur Zahlung von Alg zu verpflichten. Die Angelegenheit sei dringlich, denn er habe seine Ersparnisse aufgebraucht und benötige Geld für seinen Lebensunterhalt. Es bestehe auch ein Anspruch nach deutschem Recht, denn er sei wie ein Grenzgänger zu behandeln. Aufgrund seiner Lebensumstände stehe er dem deutschen Arbeitsmarkt, an den er noch eine besondere Anbindung habe, zur Verfügung. Zudem habe er familiäre Beziehungen nach Deutschland.
Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 11.11.2011 abgelehnt. Nach der Rechtsprechung EuGH in der Rechtssache Miethe sei es möglich, dass arbeitslose Grenzgänger ausnahmsweise Leistungen der deutschen Arbeitslosenversicherung erhalten, wenn sie so enge und wirtschaftliche Beziehungen zu Deutschland hätten, dass ihre Eingliederungschancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt höher einzuschätzen wären als im Wohnsitzstaat. Solche Arbeitnehmer seien als atypische Grenzgänger iSd Art 71 Abs 1 b VO (EWG) 1408/71 anzusehen. Diese Voraussetzungen erfülle der ASt nicht. Auch die Entscheidung des BSG vom 07.10.2009 finde auf den ASt keine Anwendung, denn er habe keinen grenznahen Auslandswohnsitz. Zudem sei nicht belegt, dass er die Voraussetzungen der Erreichbarkeitsanordnung erfülle.
Gegen den Beschluss hat der ASt Beschwerde beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Das SG habe nicht beachtet, dass der Anspruch auf Alg an die Beitragsentrichtung anknüpfe, die nach deutschem Recht erfolgt sei. Zudem stelle Art 71 Abs 1 b) i) VO (EWG) 1408/71 darauf ab, dass der Betroffene der Arbeitsverwaltung zur Verfügung stehe. Die Ausführungen des SG zur Verfügbarkeit seien insoweit nicht nachvollziehbar, denn er erfülle die Voraussetzungen der Erreichbarkeitsanordnung, insbesondere könne er täglich nach Frankfurt kommen. Leistungen nach französischem Recht würden ihm frühestens gewährt, wenn eine Kündigung vorläge.
Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die beigezogene Akte der Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerechte Beschwerde ist zulässig, §§ 172 Abs 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG), in der Sache jedoch unbegründet.
Gegenstand des Verfahrens ist die Bewilligung laufender Leistungen nach dem SGB III. Dies hat die Ag mit Bescheid vom 17.08.2011 idG des Widerspruchsbescheides vom 02.09.2011 abgelehnt. Die Bewilligung der Leistungen macht der ASt im Rahmen einer Anfechtungs- und Leistungsklage (S 8 AL 340/11) geltend, so dass § 86b Abs 2 Satz 2 SGG die maßgebliche Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes darstellt.
Eine einstweilige Regelung ist zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn der ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 BVerfGE 79, 69 (74); vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166 (179), vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236 und vom 25.02.2009 NZS 2009, 674; Niesel/ Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, 5. Aufl. Rn. 652)
Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der ASt sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu haben die Ast glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG i.V.m. § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer- Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 86b Rn. 41).
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.
Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Ast zu entscheiden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 aaO und vom 22.11.2002 aaO; zuletzt BVerfG vom 15.01.2007 - 1 BvR 2971/06 -). In diesem Zusammenhang ist eine Orientierung an den Erfolgsaussichten nur möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist, denn soweit schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, darf die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern sie muss abschließend geprüft werden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 aaO).
Unter Beachtung dieser Überlegungen ist der ASt einstweiliger Rechtsschutz nicht zu gewähren, denn dem ASt sind unter keinem denkbaren Gesichtspunkt Leistungen nach dem SGB III zu bewilligen.
Nach § 3 Abs 2 Nr. 4, § 19 Abs 1 Nr. 6 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I), § 118 Abs 1 SGB III i.V.m. § 30 Abs 1 SGB I haben Anspruch auf Arbeitslosengeld lediglich Personen, die ihren Wohnsitz im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuches, d.h. in Deutschland haben. Diese Voraussetzung erfüllt der ASt aufgrund seines Wohnsitzes in A-Stadt/ Frankreich ersichtlich nicht.
Maßgebliches europäisches Koordinierungsrecht ist - entgegen den Überlegungen des SG - die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. Nr. L 166 S. 1, gesamte Vorschrift ber. ABl. Nr. L 200 S. 1 - EG (VO) Nr. 883/2004), die am 01.05.2010 in Kraft getretenen ist (Art 91 Satz 2 VO (EG) Nr. 883/2004 iVm Art 97 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.09.2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. L 284 vom 30.10.2009, S. 1-42 - VO (EG) Nr. 987/2009).
Im Hinblick auf das Vorbringen des ASt, er wohne in A-Stadt und sei - vor seiner Arbeitsunfähigkeit - regelmäßig zu seinem Einsatzort nach Frankfurt geflogen, um von dort aus seiner Tätigkeit als Flugbegleiter nachzugehen, ist der ASt als Grenzgänger iSd Art 1 lit. f) VO (EG) Nr. 883/2004 anzusehen, denn "Grenzgänger" ist eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt und in einem anderen Mitgliedstaat wohnt, in den sie in der Regel täglich, mindestens jedoch einmal wöchentlich zurückkehrt. Insoweit hat der ASt Leistungen nach französischem Recht in Anspruch zu nehmen. Hierüber hat der Senat jedoch nicht zu entscheiden.
Der in Art 65 Abs 2 Sätze 1 und 2 VO (EG) Nr. 883/2004 genannte Arbeitslose erhält Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats, als ob diese Rechtsvorschriften für ihn während seiner letzten Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit gegolten hätten. Diese Leistungen werden von dem Träger des Wohnorts gewährt (Art 65 Abs 5 lit. a) EG (VO) Nr. 883/2004). Eine vollarbeitslose Person, die während ihrer letzten Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat gewohnt hat und weiterhin in diesem Mitgliedstaat wohnt oder in ihn zurückkehrt, muss sich der Arbeitsverwaltung des Wohnmitgliedstaats zur Verfügung stellen (Art 65 Abs 2 Satz 1 EG (VO) Nr. 883/2004).
Hieraus ergibt sich, dass sich eine vollarbeitslose Person, deren Wohnort nicht in dem Mitgliedstaat liegt, in dem die letzte Erwerbstätigkeit ausgeübt worden ist, der Arbeitsverwaltung seines Wohnsitzstaates zur Verfügung stellen muss. Der dort zuständige Träger hat dann auch die Leistungen an den Arbeitslosen zu erbringen. Insoweit findet ein Statutenwechsel statt, denn die Leistungen des Arbeitslosen sind nach den Rechtsvorschriften des Wohnsitzstaates zu gewähren, als ob der Arbeitslose die Beschäftigung dort ausgeübt hätte. Während des Leistungsbezuges im Wohnsitzstaat unterliegt er den Kontrollmechanismen dieses Mitgliedstaates.
Mit der Neuordnung des Koordinierungsrechts hat der europäische Verordnungsgeber zwar die Möglichkeit eröffnet, dass sich der Arbeitslose zusätzlich auch der Arbeitsverwaltung des (zuständigen) Mitgliedsstaates der letzten Erwerbstätigkeit zur Verfügung stellen kann (Art 65 Abs 2 Satz 2 EG (VO) Nr. 883/2004). Er hat dann auch die Verpflichtungen gegenüber der Arbeitsverwaltung dieses Mitgliedstaates zu erfüllen (Art 65 Abs 3 Satz 2 EG (VO) Nr. 883/2004). Allein mit dieser Regelung ist jedoch kein Wahlrecht verbunden, Geldleistungen des (zuständigen) Mitgliedstaates der letzten Erwerbstätigkeit - unter Beibehaltung der Wohnung im bisherigen Wohnsitzstaat - zu beanspruchen. Diese Leistungen sind auch in diesem Fall vom Träger des Wohnsitzstaates zu erbringen. Dies ergibt sich auch aus Art 56 Abs 2 Satz 2 VO (EG) Nr. 987/2009. Der Verordnungsgeber geht dort selbst davon aus, dass die (Geld)Leistungen im Falle der zusätzlichen Arbeitsplatzsuche auf dem Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates der letzten Erwerbstätigkeit weiterhin durch den Wohnsitzstaat zu erbringen sind, denn nach dieser Regelung hat es keine Auswirkungen auf die Leistungen, die im Wohnmitgliedstaat gewährt werden, wenn ein Arbeitsloser in dem Mitgliedstaat, in dem er zuletzt eine Beschäftigung ausgeübt hat, nicht allen Pflichten nachkommt und/oder nicht alle Schritte zur Arbeitssuche unternimmt.
Ein Grenzgänger, hat einen Leistungsanspruch gegenüber dem zuständigen Mitgliedstaat der letzten Erwerbstätigkeit allenfalls dann, wenn er sich (allein) der Arbeitsverwaltung dieses Staates zur Verfügung stellt und die Anspruchsvoraussetzungen nach dem dort geltenden innerstaatlichen Recht erfüllt. Problematisch in diesem Zusammenhang erscheint allein die Regelung des Art 63 EG (VO) Nr. 883/2004, der die Aufhebung der Wohnortklausel auf die in Art 65 EG (VO) Nr. 883/2004 (und Art 64 EG (VO) Nr. 883/2004) geregelten Fälle beschränkt, so dass ein Wohnsitz außerhalb des zuständigen Mitgliedstaates einem Leistungsexport entgegenstehen kann. Die (erstmalige) Inanspruchnahme von Leistungen bei Arbeitslosigkeit durch einen Grenzgänger im zuständigen Mitgliedstaat seiner letzten Erwerbstätigkeit wird jedoch als eine von Art 65 EG (VO) Nr. 883/2004 erfasste Fallkonstellation zu behandeln sein, nachdem dieser Vorschrift im Übrigen keine Fallgestaltungen zugrunde liegen, in deren Folge ein Leistungsexport zu thematisieren wäre und der Verordnungsgeber mit der Regelung des Art 63 EG (VO) Nr. 883/2004 im Wesentlichen die Rechtsprechung des EuGH zum Export von Leistungen bei Arbeitslosigkeit abbildet (vgl. EuGH, Urteil vom 18.07.06 - Rs. C-406/04 (de Cuyper) - Slg 2006 I-6947). Im weiteren steht auch unter Beachtung des Art 7 EG (VO) Nr. 883/2004 (Aufhebung der Wohnortklausel) einem Leistungsbezug im Wohnsitzstaat nicht von vornherein entgegen, dass der Arbeitslose seinen Wohnsitz nicht im zuständigen Mitgliedstaat der letzten Erwerbstätigkeit hat, denn bereits zu den Regelungen der VO (EWG) Nr. 1408/71 hat der EuGH in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass das Wohnsitzerfordernis den Bezug von Leistungen der sozialen Sicherheit bei Arbeitslosigkeit nicht ausschließt, wenn dies unverhältnismäßig wäre (vgl. Urteil vom 11.09.08 - Rs. C-228/07 (Petersen) - Slg 2008 I-6989). Darüber hinaus wird auch weiterhin die Rechtsprechung des EuGH in der Rs. Miethe (Urteil vom 12.06.1986 - Rs. C-1/85 - Slg 1986, 1846) zu beachten sein, die zur Eingliederung des atypischen Grenzgängers in den Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates der letzten Erwerbstätigkeit entwickelt worden ist. Zudem schließt der Verordnungsgeber selbst einen Leistungsanspruch des Grenzgängers gegen den Mitgliedstaat der letzten Erwerbstätigkeit nicht aus, denn im Erwägungsgrund 13 zur VO (EG) Nr. 987/2009 wird zwar formuliert, dass sich ein von Vollarbeitslosigkeit betroffener Grenzgänger dem Arbeitsamt sowohl im Wohnsitzland als auch in dem Mitgliedstaat, in dem er zuletzt beschäftigt war, zur Verfügung stellen kann (Satz 2). Weitergehend (Satz 3) wird jedoch nicht als Ziel der Koordinierung postuliert, Leistungsansprüche gegen den Mitgliedstaat der letzten Erwerbstätigkeit zwingend auszuschließen, sondern es wird darauf abgestellt, dass Grenzgänger einzig und allein Anspruch auf Leistungen ihres Wohnmitgliedstaats haben "sollten", so dass nicht zu erkennen ist dass der Verordnungsgeber Leistungsansprüche für atypische Fallgestaltungen ausschließen wollte (in diesem Sinne Kador in jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, Art 65 VO (EG) 883/2004 Rn.41; aA Schlegel in Hauck/Noftz, EU- Sozialrecht, EG (VO) Nr. 883/2004, Art 65 Rn. 15).
Für die in diesem Sinne atypischen Grenzgänger sind Leistungen der deutschen Arbeitsförderung daher nicht grundsätzlich auszuschließen. Es wird jedoch - neben einer besonderen Anbindung an den deutschen Arbeitsmarkt (vgl. hierzu auch Urteil des Senats vom 28.08.09 - L 10 AL 88/07 (Rn. 29) - Juris) - von den Anforderungen der nationalen Rechtsvorschriften, die an einen Bezug von Leistungen bei Arbeitslosigkeit gestellt werden, abhängen, ob diese auch von einem Wohnsitz außerhalb des zuständigen Mitgliedstaates der letzten Erwerbstätigkeit erfüllt werden können (vgl. BSG, Urteil vom 07.10.2009 - B 11 AL 25/08 R (Rn.11) -BSGE 104, 280ff).
Unabhängig davon, ob beim ASt eine besondere Anbindung an den deutschen Arbeitsmarkt besteht, die einen dauerhaften Export der Leistungen rechtfertigen können, erfüllt er - entgegen seinem Vorbringen - nicht die Voraussetzungen für einen Leistungsbezug nach deutschem Recht. Das SGB III fordert als Anspruchsvoraussetzung für den Bezug von Arbeitslosengeld - neben dem Bestehen eines Stammrechtes - das Vorliegen von Arbeitslosigkeit (§ 118 Abs 1 Nr. 1 SGB III), die sich jedoch nicht in der Beschäftigungslosigkeit (§ 119 Abs 1 Nr. 1 SGB III) erschöpft, sondern auch nach § 119 Abs 1 Nr. 3 SGB III voraussetzt, dass der Arbeitslose den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit). Den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit steht zur Verfügung, wer Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann (§ 119 Abs 5 Nr.2 SGB III), wobei die Bundesagentur ermächtigt wird, durch Anordnung Näheres zu den Pflichten des Arbeitslosen zu bestimmen, Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung Folge leisten zu können, § 152 Nr.2 SGB III. In Ausübung dieser Anordnungsermächtigung hat die Bundesagentur in der Erreichbarkeitsanordnung (EAO) vom 23.10.1997 (ANBA 1997, 1685), geändert durch die Anordnung vom 16.11.2001 (ANBA 2001, 1476), geregelt, dass Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann, wer in der Lage ist, die Agentur für Arbeit unverzüglich aufzusuchen (§ 1 Abs 1 Satz 1 Nr. 2 EAO).
In diesem Zusammenhang genügt es jedoch nicht, dass der ASt in der Lage wäre, Termine in Frankfurt kurzfristig wahrzunehmen. Um die berufliche Eingliederung des ASt in den deutschen Arbeitsmarkt zu gewährleisten, ist nicht nur vorauszusetzen, dass er ohne (wesentliche) Zeitverzögerung auf Arbeitsplatzangebote unverzüglich reagieren und Vorstellungsgespräche wahrnehmen kann. Es ist von einem Leistungsempfänger auch zu fordern, dass er an Maßnahmen des Trägers der Arbeitslosenversicherung teilnimmt, um seine Integrationschancen in den (deutschen) Arbeitsmarkt zu erhöhen. Diese Voraussetzungen sind in aller Regel jedoch nur dann zu erfüllen, wenn der Leistungsempfänger im Nahbereich einer deutschen Agentur für Arbeit erreichbar ist (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 09.02.1994 - 11 RAr 1/93 - SozR 3-6050 Art 71 Nr. 5, Urteil des Senats vom 28.08.2009 - L 10 AL 201/08 (Rn.38) - Juris). In diesem Zusammenhang kann offen bleiben, welche Entfernung für einen im Ausland wohnenden Arbeitslosen noch als Nahbereich zu definieren ist. Ein Wohnsitz an der französischen Mittelmeerküste, der im Hinblick auf mehrstündige Reisezeiten (ca. zwei Stunden einfache Flugzeit zzgl. Transferzeiten) eine tägliche Anreise - zu eventuellen ganztägigen Integrationsmaßnahmen - nach Deutschland unmöglich macht, erfüllt die Anforderungen an einen Aufenthalt im Nahbereich jedenfalls nicht.
Mangels Anordnungsanspruches bedarf es keiner Prüfung, ob ein Anordnungsgrund vorliegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und ergibt sich aus dem Unterliegen des ASt.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller (ASt) begehrt im Wege einer einstweiligen Anordnung die Zahlung von Arbeitslosengeld (Alg).
Am 01.08.2011 meldete sich der ASt bei Geschäftsstelle der Antragsgegnerin (Ag) in Frankfurt am Main mit Wirkung zum 20.08.2011 arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alg. Er stehe in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis bei der L. AG, sei jedoch seit 19.02.2010 arbeitsunfähig erkrankt und könne seine Tätigkeit als Flugbegleiter nicht ausüben. Mit Ablauf des 19.08.2011 ende sein Krankengeldbezug. Seinen Wohnsitz habe er seit 1999 in A-Stadt/ Frankreich. Die Ag lehnte den Antrag mit Bescheid vom 17.08.2011 ab. Der ASt habe im Geltungsbereich des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) keinen gewöhnlichen Aufenthalt. Im hiergegen erhoben Widerspruch machte der ASt unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 07.10.2009 (B 11 AL 25/08 R) geltend, er erfülle sämtliche Anspruchsvoraussetzungen nach deutschem Recht, insbesondere sei er jederzeit in der Lage Termine in Frankfurt wahrzunehmen, denn er erhalte von seinem Arbeitgeber stark verbilligte Flüge. Zudem habe er ohnehin regelmäßig ärztliche Untersuchungen und Facharzttermine in Frankfurt. Die Ag könne sich daher nicht darauf berufen, dass er keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland habe. Gegen den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 02.09.2011 hat der ASt Klage (S 8 AL 340/11) zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben, über die bislang nicht entschieden ist.
Am 26.09.2011 hat der ASt beantragt, die Ag im Wege einer einstweiligen Anordnung zur Zahlung von Alg zu verpflichten. Die Angelegenheit sei dringlich, denn er habe seine Ersparnisse aufgebraucht und benötige Geld für seinen Lebensunterhalt. Es bestehe auch ein Anspruch nach deutschem Recht, denn er sei wie ein Grenzgänger zu behandeln. Aufgrund seiner Lebensumstände stehe er dem deutschen Arbeitsmarkt, an den er noch eine besondere Anbindung habe, zur Verfügung. Zudem habe er familiäre Beziehungen nach Deutschland.
Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 11.11.2011 abgelehnt. Nach der Rechtsprechung EuGH in der Rechtssache Miethe sei es möglich, dass arbeitslose Grenzgänger ausnahmsweise Leistungen der deutschen Arbeitslosenversicherung erhalten, wenn sie so enge und wirtschaftliche Beziehungen zu Deutschland hätten, dass ihre Eingliederungschancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt höher einzuschätzen wären als im Wohnsitzstaat. Solche Arbeitnehmer seien als atypische Grenzgänger iSd Art 71 Abs 1 b VO (EWG) 1408/71 anzusehen. Diese Voraussetzungen erfülle der ASt nicht. Auch die Entscheidung des BSG vom 07.10.2009 finde auf den ASt keine Anwendung, denn er habe keinen grenznahen Auslandswohnsitz. Zudem sei nicht belegt, dass er die Voraussetzungen der Erreichbarkeitsanordnung erfülle.
Gegen den Beschluss hat der ASt Beschwerde beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Das SG habe nicht beachtet, dass der Anspruch auf Alg an die Beitragsentrichtung anknüpfe, die nach deutschem Recht erfolgt sei. Zudem stelle Art 71 Abs 1 b) i) VO (EWG) 1408/71 darauf ab, dass der Betroffene der Arbeitsverwaltung zur Verfügung stehe. Die Ausführungen des SG zur Verfügbarkeit seien insoweit nicht nachvollziehbar, denn er erfülle die Voraussetzungen der Erreichbarkeitsanordnung, insbesondere könne er täglich nach Frankfurt kommen. Leistungen nach französischem Recht würden ihm frühestens gewährt, wenn eine Kündigung vorläge.
Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die beigezogene Akte der Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerechte Beschwerde ist zulässig, §§ 172 Abs 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG), in der Sache jedoch unbegründet.
Gegenstand des Verfahrens ist die Bewilligung laufender Leistungen nach dem SGB III. Dies hat die Ag mit Bescheid vom 17.08.2011 idG des Widerspruchsbescheides vom 02.09.2011 abgelehnt. Die Bewilligung der Leistungen macht der ASt im Rahmen einer Anfechtungs- und Leistungsklage (S 8 AL 340/11) geltend, so dass § 86b Abs 2 Satz 2 SGG die maßgebliche Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes darstellt.
Eine einstweilige Regelung ist zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn der ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 BVerfGE 79, 69 (74); vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166 (179), vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236 und vom 25.02.2009 NZS 2009, 674; Niesel/ Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, 5. Aufl. Rn. 652)
Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der ASt sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu haben die Ast glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG i.V.m. § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer- Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 86b Rn. 41).
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.
Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Ast zu entscheiden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 aaO und vom 22.11.2002 aaO; zuletzt BVerfG vom 15.01.2007 - 1 BvR 2971/06 -). In diesem Zusammenhang ist eine Orientierung an den Erfolgsaussichten nur möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist, denn soweit schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, darf die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern sie muss abschließend geprüft werden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 aaO).
Unter Beachtung dieser Überlegungen ist der ASt einstweiliger Rechtsschutz nicht zu gewähren, denn dem ASt sind unter keinem denkbaren Gesichtspunkt Leistungen nach dem SGB III zu bewilligen.
Nach § 3 Abs 2 Nr. 4, § 19 Abs 1 Nr. 6 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I), § 118 Abs 1 SGB III i.V.m. § 30 Abs 1 SGB I haben Anspruch auf Arbeitslosengeld lediglich Personen, die ihren Wohnsitz im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuches, d.h. in Deutschland haben. Diese Voraussetzung erfüllt der ASt aufgrund seines Wohnsitzes in A-Stadt/ Frankreich ersichtlich nicht.
Maßgebliches europäisches Koordinierungsrecht ist - entgegen den Überlegungen des SG - die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. Nr. L 166 S. 1, gesamte Vorschrift ber. ABl. Nr. L 200 S. 1 - EG (VO) Nr. 883/2004), die am 01.05.2010 in Kraft getretenen ist (Art 91 Satz 2 VO (EG) Nr. 883/2004 iVm Art 97 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.09.2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. L 284 vom 30.10.2009, S. 1-42 - VO (EG) Nr. 987/2009).
Im Hinblick auf das Vorbringen des ASt, er wohne in A-Stadt und sei - vor seiner Arbeitsunfähigkeit - regelmäßig zu seinem Einsatzort nach Frankfurt geflogen, um von dort aus seiner Tätigkeit als Flugbegleiter nachzugehen, ist der ASt als Grenzgänger iSd Art 1 lit. f) VO (EG) Nr. 883/2004 anzusehen, denn "Grenzgänger" ist eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt und in einem anderen Mitgliedstaat wohnt, in den sie in der Regel täglich, mindestens jedoch einmal wöchentlich zurückkehrt. Insoweit hat der ASt Leistungen nach französischem Recht in Anspruch zu nehmen. Hierüber hat der Senat jedoch nicht zu entscheiden.
Der in Art 65 Abs 2 Sätze 1 und 2 VO (EG) Nr. 883/2004 genannte Arbeitslose erhält Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats, als ob diese Rechtsvorschriften für ihn während seiner letzten Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit gegolten hätten. Diese Leistungen werden von dem Träger des Wohnorts gewährt (Art 65 Abs 5 lit. a) EG (VO) Nr. 883/2004). Eine vollarbeitslose Person, die während ihrer letzten Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat gewohnt hat und weiterhin in diesem Mitgliedstaat wohnt oder in ihn zurückkehrt, muss sich der Arbeitsverwaltung des Wohnmitgliedstaats zur Verfügung stellen (Art 65 Abs 2 Satz 1 EG (VO) Nr. 883/2004).
Hieraus ergibt sich, dass sich eine vollarbeitslose Person, deren Wohnort nicht in dem Mitgliedstaat liegt, in dem die letzte Erwerbstätigkeit ausgeübt worden ist, der Arbeitsverwaltung seines Wohnsitzstaates zur Verfügung stellen muss. Der dort zuständige Träger hat dann auch die Leistungen an den Arbeitslosen zu erbringen. Insoweit findet ein Statutenwechsel statt, denn die Leistungen des Arbeitslosen sind nach den Rechtsvorschriften des Wohnsitzstaates zu gewähren, als ob der Arbeitslose die Beschäftigung dort ausgeübt hätte. Während des Leistungsbezuges im Wohnsitzstaat unterliegt er den Kontrollmechanismen dieses Mitgliedstaates.
Mit der Neuordnung des Koordinierungsrechts hat der europäische Verordnungsgeber zwar die Möglichkeit eröffnet, dass sich der Arbeitslose zusätzlich auch der Arbeitsverwaltung des (zuständigen) Mitgliedsstaates der letzten Erwerbstätigkeit zur Verfügung stellen kann (Art 65 Abs 2 Satz 2 EG (VO) Nr. 883/2004). Er hat dann auch die Verpflichtungen gegenüber der Arbeitsverwaltung dieses Mitgliedstaates zu erfüllen (Art 65 Abs 3 Satz 2 EG (VO) Nr. 883/2004). Allein mit dieser Regelung ist jedoch kein Wahlrecht verbunden, Geldleistungen des (zuständigen) Mitgliedstaates der letzten Erwerbstätigkeit - unter Beibehaltung der Wohnung im bisherigen Wohnsitzstaat - zu beanspruchen. Diese Leistungen sind auch in diesem Fall vom Träger des Wohnsitzstaates zu erbringen. Dies ergibt sich auch aus Art 56 Abs 2 Satz 2 VO (EG) Nr. 987/2009. Der Verordnungsgeber geht dort selbst davon aus, dass die (Geld)Leistungen im Falle der zusätzlichen Arbeitsplatzsuche auf dem Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates der letzten Erwerbstätigkeit weiterhin durch den Wohnsitzstaat zu erbringen sind, denn nach dieser Regelung hat es keine Auswirkungen auf die Leistungen, die im Wohnmitgliedstaat gewährt werden, wenn ein Arbeitsloser in dem Mitgliedstaat, in dem er zuletzt eine Beschäftigung ausgeübt hat, nicht allen Pflichten nachkommt und/oder nicht alle Schritte zur Arbeitssuche unternimmt.
Ein Grenzgänger, hat einen Leistungsanspruch gegenüber dem zuständigen Mitgliedstaat der letzten Erwerbstätigkeit allenfalls dann, wenn er sich (allein) der Arbeitsverwaltung dieses Staates zur Verfügung stellt und die Anspruchsvoraussetzungen nach dem dort geltenden innerstaatlichen Recht erfüllt. Problematisch in diesem Zusammenhang erscheint allein die Regelung des Art 63 EG (VO) Nr. 883/2004, der die Aufhebung der Wohnortklausel auf die in Art 65 EG (VO) Nr. 883/2004 (und Art 64 EG (VO) Nr. 883/2004) geregelten Fälle beschränkt, so dass ein Wohnsitz außerhalb des zuständigen Mitgliedstaates einem Leistungsexport entgegenstehen kann. Die (erstmalige) Inanspruchnahme von Leistungen bei Arbeitslosigkeit durch einen Grenzgänger im zuständigen Mitgliedstaat seiner letzten Erwerbstätigkeit wird jedoch als eine von Art 65 EG (VO) Nr. 883/2004 erfasste Fallkonstellation zu behandeln sein, nachdem dieser Vorschrift im Übrigen keine Fallgestaltungen zugrunde liegen, in deren Folge ein Leistungsexport zu thematisieren wäre und der Verordnungsgeber mit der Regelung des Art 63 EG (VO) Nr. 883/2004 im Wesentlichen die Rechtsprechung des EuGH zum Export von Leistungen bei Arbeitslosigkeit abbildet (vgl. EuGH, Urteil vom 18.07.06 - Rs. C-406/04 (de Cuyper) - Slg 2006 I-6947). Im weiteren steht auch unter Beachtung des Art 7 EG (VO) Nr. 883/2004 (Aufhebung der Wohnortklausel) einem Leistungsbezug im Wohnsitzstaat nicht von vornherein entgegen, dass der Arbeitslose seinen Wohnsitz nicht im zuständigen Mitgliedstaat der letzten Erwerbstätigkeit hat, denn bereits zu den Regelungen der VO (EWG) Nr. 1408/71 hat der EuGH in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass das Wohnsitzerfordernis den Bezug von Leistungen der sozialen Sicherheit bei Arbeitslosigkeit nicht ausschließt, wenn dies unverhältnismäßig wäre (vgl. Urteil vom 11.09.08 - Rs. C-228/07 (Petersen) - Slg 2008 I-6989). Darüber hinaus wird auch weiterhin die Rechtsprechung des EuGH in der Rs. Miethe (Urteil vom 12.06.1986 - Rs. C-1/85 - Slg 1986, 1846) zu beachten sein, die zur Eingliederung des atypischen Grenzgängers in den Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates der letzten Erwerbstätigkeit entwickelt worden ist. Zudem schließt der Verordnungsgeber selbst einen Leistungsanspruch des Grenzgängers gegen den Mitgliedstaat der letzten Erwerbstätigkeit nicht aus, denn im Erwägungsgrund 13 zur VO (EG) Nr. 987/2009 wird zwar formuliert, dass sich ein von Vollarbeitslosigkeit betroffener Grenzgänger dem Arbeitsamt sowohl im Wohnsitzland als auch in dem Mitgliedstaat, in dem er zuletzt beschäftigt war, zur Verfügung stellen kann (Satz 2). Weitergehend (Satz 3) wird jedoch nicht als Ziel der Koordinierung postuliert, Leistungsansprüche gegen den Mitgliedstaat der letzten Erwerbstätigkeit zwingend auszuschließen, sondern es wird darauf abgestellt, dass Grenzgänger einzig und allein Anspruch auf Leistungen ihres Wohnmitgliedstaats haben "sollten", so dass nicht zu erkennen ist dass der Verordnungsgeber Leistungsansprüche für atypische Fallgestaltungen ausschließen wollte (in diesem Sinne Kador in jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, Art 65 VO (EG) 883/2004 Rn.41; aA Schlegel in Hauck/Noftz, EU- Sozialrecht, EG (VO) Nr. 883/2004, Art 65 Rn. 15).
Für die in diesem Sinne atypischen Grenzgänger sind Leistungen der deutschen Arbeitsförderung daher nicht grundsätzlich auszuschließen. Es wird jedoch - neben einer besonderen Anbindung an den deutschen Arbeitsmarkt (vgl. hierzu auch Urteil des Senats vom 28.08.09 - L 10 AL 88/07 (Rn. 29) - Juris) - von den Anforderungen der nationalen Rechtsvorschriften, die an einen Bezug von Leistungen bei Arbeitslosigkeit gestellt werden, abhängen, ob diese auch von einem Wohnsitz außerhalb des zuständigen Mitgliedstaates der letzten Erwerbstätigkeit erfüllt werden können (vgl. BSG, Urteil vom 07.10.2009 - B 11 AL 25/08 R (Rn.11) -BSGE 104, 280ff).
Unabhängig davon, ob beim ASt eine besondere Anbindung an den deutschen Arbeitsmarkt besteht, die einen dauerhaften Export der Leistungen rechtfertigen können, erfüllt er - entgegen seinem Vorbringen - nicht die Voraussetzungen für einen Leistungsbezug nach deutschem Recht. Das SGB III fordert als Anspruchsvoraussetzung für den Bezug von Arbeitslosengeld - neben dem Bestehen eines Stammrechtes - das Vorliegen von Arbeitslosigkeit (§ 118 Abs 1 Nr. 1 SGB III), die sich jedoch nicht in der Beschäftigungslosigkeit (§ 119 Abs 1 Nr. 1 SGB III) erschöpft, sondern auch nach § 119 Abs 1 Nr. 3 SGB III voraussetzt, dass der Arbeitslose den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit). Den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit steht zur Verfügung, wer Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann (§ 119 Abs 5 Nr.2 SGB III), wobei die Bundesagentur ermächtigt wird, durch Anordnung Näheres zu den Pflichten des Arbeitslosen zu bestimmen, Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung Folge leisten zu können, § 152 Nr.2 SGB III. In Ausübung dieser Anordnungsermächtigung hat die Bundesagentur in der Erreichbarkeitsanordnung (EAO) vom 23.10.1997 (ANBA 1997, 1685), geändert durch die Anordnung vom 16.11.2001 (ANBA 2001, 1476), geregelt, dass Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann, wer in der Lage ist, die Agentur für Arbeit unverzüglich aufzusuchen (§ 1 Abs 1 Satz 1 Nr. 2 EAO).
In diesem Zusammenhang genügt es jedoch nicht, dass der ASt in der Lage wäre, Termine in Frankfurt kurzfristig wahrzunehmen. Um die berufliche Eingliederung des ASt in den deutschen Arbeitsmarkt zu gewährleisten, ist nicht nur vorauszusetzen, dass er ohne (wesentliche) Zeitverzögerung auf Arbeitsplatzangebote unverzüglich reagieren und Vorstellungsgespräche wahrnehmen kann. Es ist von einem Leistungsempfänger auch zu fordern, dass er an Maßnahmen des Trägers der Arbeitslosenversicherung teilnimmt, um seine Integrationschancen in den (deutschen) Arbeitsmarkt zu erhöhen. Diese Voraussetzungen sind in aller Regel jedoch nur dann zu erfüllen, wenn der Leistungsempfänger im Nahbereich einer deutschen Agentur für Arbeit erreichbar ist (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 09.02.1994 - 11 RAr 1/93 - SozR 3-6050 Art 71 Nr. 5, Urteil des Senats vom 28.08.2009 - L 10 AL 201/08 (Rn.38) - Juris). In diesem Zusammenhang kann offen bleiben, welche Entfernung für einen im Ausland wohnenden Arbeitslosen noch als Nahbereich zu definieren ist. Ein Wohnsitz an der französischen Mittelmeerküste, der im Hinblick auf mehrstündige Reisezeiten (ca. zwei Stunden einfache Flugzeit zzgl. Transferzeiten) eine tägliche Anreise - zu eventuellen ganztägigen Integrationsmaßnahmen - nach Deutschland unmöglich macht, erfüllt die Anforderungen an einen Aufenthalt im Nahbereich jedenfalls nicht.
Mangels Anordnungsanspruches bedarf es keiner Prüfung, ob ein Anordnungsgrund vorliegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und ergibt sich aus dem Unterliegen des ASt.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
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