L 19 R 815/10

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 18 R 358/10
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 815/10
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zu den medizinischen Voraussetzungen einer Rente wegen Erwerbsminderung.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 07.07.2010 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Kläger Anspruch auf Erwerbsminderungsrente aufgrund seines Antrags vom 20.04.2009 hat.

Der 1963 im Kosovo geborene Kläger lebt seit 12.10.1992 in der Bundesrepublik Deutschland. Nach seinen eigenen Angaben hat er im Kosovo eine Ausbildung zum Maschinentechniker absolviert (allerdings wurde im Rentenantrag vom 20.04.2009 angegeben, dass er keine Ausbildung absolviert hat). Bei einer Demonstration im Kosovo sei er im Jahr 1986 von einem Polizisten in den rechten Oberschenkel geschossen worden und habe sich mehreren Operationen unterziehen müssen. Der Kläger war nach seiner Übersiedlung nach Deutschland von 1993 bis 2001 als Produktionshelfer (Verpacker) versicherungspflichtig beschäftigt, seit 01.06.2006 bezieht er laufend Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Ein erster Rentenantrag des Klägers vom 05.12.2005 wurde von der Beklagten nach Einholung eines Gutachtens von Dr.P. vom 27.02.2006 abgelehnt, da der Kläger sowohl seine letzte Tätigkeit als auch Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens 6-stündig täglich verrichten könne.

Am 20.04.2009 stellte der Kläger erneut einen Rentenantrag wegen multipler Schmerzen in allen Körperregionen. In einem zu diesem Antrag vorgelegten Befundbericht des Allgemeinarztes Dr.G. wurde von einer posttraumatischen Belastungsstörung berichtet, die sich seit Jahren verschlechtere.

Die Beklagte holte ein chirurgisches Gutachten von Dr.P. ein, der am 15.07.2009 zu dem Ergebnis gelangte, dass der Kläger sowohl seine Tätigkeit als Produktionsarbeiter als auch Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen noch mindestens 6 Stunden täglich verrichten könne. In einem weiteren sozialmedizinischen Gutachten von Dr.H. vom 15.07.2009 kam dieser ebenfalls zu dem Ergebnis, dass der Kläger die letzte Tätigkeit als Verpacker sowie Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen noch mindestens
6 Stunden täglich verrichten könne. Der Kläger gebe zwar an, unter Depressionen zu leiden, eine Behandlung oder Medikation finde jedoch nicht statt. Die Beklagte lehnte daraufhin den Rentenantrag des Klägers mit streitgegenständlichem Bescheid vom 27.08.2009 ab.

Hiergegen legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 22.09.2009 Widerspruch ein. Der Kläger könne die Leistungseinschätzung der Beklagten nicht akzeptieren. Ohne Einholung eines weiteren Gutachtens wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04.03.2010 den Widerspruch gegen den Bescheid vom 27.08.2009 als unbegründet zurück. Neue medizinische Leiden seien nicht vorgetragen worden.

Zur Begründung der am 01.04.2010 zum Sozialgericht (SG) Nürnberg erhobenen Klage wies der Prozessbevollmächtigte des Klägers darauf hin, dass dieser der Auffassung sei, dass die Schwere seiner gesundheitlichen Einschränkungen nicht ausreichend berücksichtigt worden sei. Das SG holte Befundberichte der behandelnden Ärzte Dr.N., Dr.F. und Dr.G. ein und veranlasste ein Terminsgutachten von Dr.S., der am 07.07.2010 zu folgenden Diagnosen gelangte:

- Narbenbildung am rechten Oberschenkel nach Schussverletzung sowie Narben-
bildung im Fußgelenksbereich, Peronaeusparese rechts, postthrombotisches
Syndrom am rechten Bein mit Abflussstörung
- Fehlhaltungen der Wirbelsäule mit eingeschränkter Beweglichkeit, Muskelreizer-
scheinungen, degenerative Veränderungen
- Funktionsbehinderung in beiden Schultergelenken, Epicondylopathie an beiden
Ellenbogengelenken, Fingergelenkspolyarthrose ohne Einschränkung der Hand-
funktion
- Große Narbe über dem Brustbein nach Entfernung der Herzaußenhaut (pericard)
- Verdacht auf chronische Schmerzkrankheit.

Trotz dieser gesundheitlichen Einschränkungen könne der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch mindestens 6 Stunden täglich tätig sein. Es könnten noch leichte körperliche Arbeiten, überwiegend im Sitzen, zeitweise im Gehen und Stehen durchgeführt werden. Vermieden werden müssten schwere und mittelschwere Hebe- und Tragearbeit, häufige Überkopfarbeit, bückende und kniende Arbeiten, häufiges Steigen, Besteigen von Leitern und Gerüsten. Schutz vor Kälte, Nässe und Zugluft sollte gewährleistet sein. Die Wegefähigkeit sei gegeben. Das beschriebene Leistungsbild bestehe seit Antragstellung. Als Verpacker sei er nur noch für leichte Tätigkeiten einsetzbar. Post könne geöffnet, sortiert und registriert werden. Postsendungen könnten kuvertiert, adressiert und frankiert werden. Kopierer und Faxgeräte seien bedienbar. Einfache Helfertätigkeiten seien möglich. Kein Publikumsverkehr wegen Sprachschwierigkeiten. Eine Besserung sei unwahrscheinlich, Zusatzgutachten seien nicht erforderlich. Der Gutachter stellte fest, dass die Hauptbeschwerden durch das rechte Bein des Klägers bedingt seien, hier liege ein Taubheitsgefühl vor und ein ausgeprägtes postthrombotisches Syndrom am rechten Unterschenkel. Eine Verdeutlichungstendenz sei insbesondere bei der Vermessung der Wirbelsäule festgestellt worden.

Das SG hat daraufhin mit Urteil vom 07.07.2010 die Klage gegen den Bescheid vom 27.08.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.03.2010 als unbegründet abgewiesen. Eine Erwerbsminderung des Klägers iS des § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) liege nicht vor. Der Sachverständige Dr.S. sei nachvollziehbar lediglich zu qualitativen, nicht aber zu quantitativen Leistungseinschränkungen auf orthopädischem Fachgebiet gelangt. Den Gesundheitseinschränkungen am rechten Bein sei dadurch Rechnung getragen, dass dem Kläger nur noch leichte körperliche Tätigkeiten überwiegend im Sitzen zugemutet werden könnten. Eine zeitliche Leistungseinschränkung könne hieraus nicht abgeleitet werden. Soweit der Kläger an Fehlhaltungen der Wirbelsäule leide, hätte weder bei der Röntgenaufnahme noch bei der Untersuchungssituation mit der Bewegung des Klägers außerhalb der Untersuchungssituation eine entsprechende Einschränkung der Wirbelsäule festgestellt werden können. Auch die geschilderten Schmerzen an der Schulter und an der Hand stellten keine Gesundheitsstörungen dar, die das Leistungsvermögen unter die Grenze der 6-stündigen Leistungsfähigkeit absinken ließen. So sei die Handfunktion der rechten Mittelhand zwar durch Schmerzen beeinträchtigt, jedoch in der Funktion noch regelrecht, d.h. es könnten manuelle Arbeiten durchaus noch verrichtet werden, wenn auch keine mit schwerem oder mittelschwerem Heben. Auf nervenärztlichem Fachgebiet werde der Verdacht auf ein chronisches Schmerzsyndrom bzw. auf eine Depression gestellt. Zwar nehme der Kläger Citalopram ein, eine ausreichende ambulante oder ggf. auch stationäre Therapie der Schmerzstörung bzw. möglicherweise vorliegenden Depression sei jedoch noch nicht erfolgt. Der Kläger werde bislang nicht regelmäßig von einem Nervenarzt betreut, eine Psychotherapie oder gar Schmerztherapie sei noch nicht in Anspruch genommen worden. Insofern bestehe hier noch ein erhebliches Behandlungspotenzial, eine zeitliche Leistungseinschränkung könne vor einer ausreichenden Therapie daraus nicht abgeleitet werden.

Zur Begründung der hiergegen am 23.09.2010 beim SG Nürnberg eingelegten Berufung trägt der Prozessbevollmächtigte des Klägers vor, dass die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers auf internistischem und neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet nicht ausreichend ermittelt worden seien. Mit Schriftsatz vom 19.04.2011 wurden Befundberichte von Dr.G. (Radiologie), Dr.C. (Orthopäde), Dr.T. (Radiologin), Dr.M. (Neurologe/ Neurochirurg/Psychiatrie/Sozialmedizin) sowie ein weiterer Bericht von Dr.G. vom 12.04.2011 übersandt. Die Beklagte übersandte mit Schriftsatz vom 17.05.2011 eine prüfärztliche Stellungnahme von Dr.L. vom 12.05.2011 zu den vom Klägervertreter vorgelegten Befundberichten. Dieser blieb bei der von der Beklagten bislang getroffenen Leistungseinschätzung.

Der Senat hat Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers (Dr.G., Dr.F., Dr.E., Dr.M. und Dr.C.) beigezogen und sodann ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr.I. sowie ein orthopädisches Gutachten von Dr.J. eingeholt.

Der Sachverständige Dr.I. kommt in seinem neurologisch-psychiatrischen Fachgutachten vom 14.01.2013 zu folgenden Diagnosen:

- Leichte Fußheber- und Zehenheberschwäche rechts mit Sensibilitätsstörungen
im rechten Bein iS eines verminderten Berührungs- und überempfindlichen
Schmerzempfindens
- Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren.

Durch die leichte Parese des rechten Peronaeus sei das Gangbild verändert iS eines rechtsseitigen Hinkens. Aufgrund der chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren sei die Lebensfreude des Patienten reduziert. Im Vergleich zu den Vorgutachten habe sich der Gesundheitszustand des Klägers nicht gebessert, aber auch nicht verschlimmert. Die mitgeteilten Befunde in den Voruntersuchungen wichen nicht wesentlich von den jetzt erhobenen Befunden auf neurologischem und psychiatrischem Fachgebiet ab. Der Kläger könne trotz der festgestellten gesundheitlichen Einschränkungen eine Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens 6 Stunden täglich verrichten. Aus neurologisch-psychiatrischer Sicht seien dem Kläger noch leichte und auch mittelschwere Tätigkeiten zumutbar. Nicht zumutbar sei das Arbeiten auf Leitern und Gerüsten aufgrund der eingeschränkten Sensibilität im rechten Bein, ebenso Arbeiten ausschließlich im Stehen und Gehen. Beschränkungen hinsichtlich des Anmarschweges zur Arbeitstelle bestünden aus neurologisch-psychiatrischer Sicht nicht. Die Wegefähigkeit des Klägers sei gegeben. Hirnorganische Leistungsbeeinträchtigungen hätten bei der jetzigen gutachterlichen Untersuchung nicht festgestellt werden können. Es bestünden keine Beschränkungen hinsichtlich der Merk- und Konzentrationsfähigkeit, keine Einschränkungen hinsichtlich der Selbstständigkeit des Denkens und Handelns sowie des Unterscheidungs- und Beurteilungsvermögens. Auch das Reaktionsvermögen sei nicht eingeschränkt. Die Umstellungsfähigkeit sei als leicht eingeschränkt zu bezeichnen. Der Kläger sei sehr fixiert auf seine schmerzhaften körperlichen Beschwerden und dadurch nur eingeschränkt in der Lage, sich noch auf andere Themen einzulassen und sich darauf umstellen zu können. Eine Besserung des Gesundheitszustandes sei auf absehbare Zeit nicht zu erwarten.

Der gerichtliche Sachverständige Dr.J. kommt in seinem orthopädischen Gutachten vom 18.01.2013 unter Einschluss der Ergebnisse des neurologisch/ psychiatrischen Gutachtens von Dr. I. abschließend zu folgenden Diagnosen:

- Eingeschränktes Geh- und Stehvermögen rechts mit Schwellungsneigung des
rechten Beines bei gesichertem ausgeprägtem postthrombotischem Syndrom
und einer Funktionseinschränkung des rechten oberen und unteren Sprungge-
lenks mit der Notwendigkeit des Tragens eines Oberschenkelkompressions-
strumpfes rechts
- Leichte bis mäßige Funktionseinschränkung der Lendenwirbelsäule bei Ver-
schleiß und Bandscheibenschäden ohne aktuellen Anhalt für eine von der Len-
denwirbelsäule ausgehende Nervenwurzelirritation
- Muskuläre Verspannungen mit einer leichten Funktionseinschränkung der Hals-
wirbelsäule bei leichter Fehlstatik und beginnendem Verschleiß ohne Hinweis für
eine von der Halswirbelsäule ausgehende Nervenwurzelirritation.
- Engesyndrom beider Schultern mit einer leichten Funktionsbehinderung ohne
klinischen und bildgebenden Hinweis für eine Läsion oder Ruptur der Rotatoren-
manschette.

Aus den festgestellten Gesundheitsstörungen resultiere eine Belastungsminderung des rechten Beines und ein eingeschränktes Geh- und Stehvermögen rechts. Zusätzlich ergäben sich qualitative Einschränkungen durch die Wirbelsäulenproblematik und die wiederkehrenden Reizerscheinungen der Schulter. Wesentliche Änderungen hätten sich seit dem Gutachten von Dr.P. vom 15.07.2009 sowie des im Auftrag des SG A-Stadt erstellten Gutachtens von Dr.S. von Juli 2010 nicht ergeben. Der Kläger sei allerdings nur noch in der Lage, leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung mit überwiegend sitzendem Anteil mit der Möglichkeit eines Haltungswechsels zum Stehen oder Gehen zu verrichten. Zu vermeiden seien länger anhaltende statische Wirbelsäulenzwangshaltungen, insbesondere mit stark nach vorne gebeugtem Oberkörper, längere Arbeiten in gebückter, gehockter oder kniender Stellung, häufige Überkopfarbeiten sowie Kälte, Nässe, Zugluft ohne entsprechenden Bekleidungsschutz. Gang- und Standsicherheit müsse gegeben sein, das Besteigen von Leitern und Gerüsten sei nicht zulässig. Die Wegefähigkeit des Klägers sei gegeben. Unter Berücksichtigung der Gesundheitsstörung sei dem Kläger unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes eine mindestens 6-stündige Tätigkeit noch zumutbar. Die genannten qualitativen Einschränkungen bestünden bereits seit zumindest 2006. Schon zum damaligen Zeitpunkt sei eine aktenkundige Begutachtung nach Rentenantragstellung durch Dr.P. erfolgt. Es bestünde keine begründete Aussicht, dass hier eine Besserung des Gesundheitszustandes in absehbarer Zeit eintrete.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 07.07.2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27.08.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.03.2010 aufzuheben und dem Kläger aufgrund seines Antrags vom 20.04.2009 Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 07.07.2010 zurückzuweisen.

Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Rentenakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 07.07.2010 eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Sie ist jedoch nicht begründet. Das SG hat mit seinem Urteil vom 07.07.2010 zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Erwerbsminderungsrente nach § 43 SGB VI abgelehnt. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers ist nicht in rentenrechtlich relevantem Umfang gemindert.

Gemäß § 43 Abs 1 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
1. teilweise erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbei-
träge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes für mindestens
6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Kläger trotz der bei ihm bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen noch in der Lage ist, leichte bis zeitweise mittelschwere Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich zu verrichten. Wie sich aus den vom Senat eingeholten Sachverständigengutachten von Dr.I. auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet und von Dr.J. auf orthopädischem Fachgebiet ergibt, sind die Beschwerden des Klägers in erster Linie auf die Schussverletzung im rechten Oberschenkel zurückzuführen. Diese stellen die Hauptbeeinträchtigung des Klägers dar. Diese Schussverletzung erfolgte im Jahr 1986, der Kläger musste sich im Anschluss mehrfachen Operationen unterziehen. Aus dieser Schussverletzung resultieren eine Gefühlsstörung des rechten Beines und eine Einschränkung der Gehfähigkeit und Belastbarkeit dieses Beines. Festgestellt wurde auch eine Fußheberschwäche leichten Grades, wobei von den Sachverständigen eine entsprechende Verdeutlichungstendenz des Klägers festgehalten wurde. Eine Schwellung des rechten Beines war ebenso diagnostiziert bei ausgeprägtem postthrombotischem Syndrom. Durch die Versorgung mit einem Oberschenkelkompressionsstrumpf kann dieser Schwellung aber ausreichend begegnet werden. Zeichen einer Stauungsdermatose und offene Beine konnten nicht festgestellt werden. Dr.J. weist in seinem Gutachten ausführlich und für den Senat in vollem Umfang nachvollziehbar darauf hin, dass aus den Bewegungseinschränkungen und Schwellungen des rechten Beines lediglich qualitative Leistungseinschränkungen resultieren. So ist zum einen die Schwere der körperlichen Arbeit durch Bandscheibenschäden und die fehlende Belastungsfähigkeit des rechten Beines dahingehend reduziert, dass nur noch leichte bis zeitweise mittelschwere Arbeiten ausgeübt werden dürfen. Länger anhaltende statische Wirbelsäulenzwangshaltungen gelten als besonders wirbelsäulenbelastend, sodass diese nicht über einen längeren Zeitraum abverlangt werden können. Durch die bestehenden Reizerscheinungen an beiden Schultern dürften häufige Überkopfarbeiten ebenfalls nicht abverlangt werden. Aufgrund der Beinproblematik dürften auch Tätigkeiten in gebückter, gehockter und kniender Stellung nicht abverlangt werden. Aufgrund der eingeschränkten Geh- und Stehfähigkeit rechts sollte Gang- und Standsicherheit gegeben sein, das Besteigen von Leitern und Gerüsten ist deshalb nicht zulässig. Die geschilderten Leistungseinschränkungen dürften beim Kläger unzweifelhaft gegeben sein. Eine Reduzierung des quantitativen Leistungsvermögens kann daraus aber nach Überzeugung des Senats nicht abgeleitet werden. Dies gilt in Übereinstimmung mit dem Ergebnis des neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Dr.I., soweit es die neurologische Seite betrifft. Auf psychiatrischem Fachgebiet kommt Dr.I. zu dem Ergebnis, dass Anhaltspunkte für eine stärker ausgeprägte Depression beim Kläger gerade nicht feststellbar waren. Es handelt sich lediglich um einen Verstimmungszustand, da der Kläger aufgrund seiner chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren in seiner Lebensfreude beeinträchtigt ist. Einen Anhaltspunkt für eine dauerhafte, mindestens mittelschwere bis schwere Depression sah der Gutachter nicht für gegeben. Außerdem ist ausdrücklich festgehalten, dass eine entsprechende Behandlung der depressiven Erkrankung bzw. der somatoformen Schmerzstörung beim Kläger nicht erfolgt. Auch eine psychopharmakologische Medikation findet nicht statt. Das SG hat in seinem Urteil - wenn auch knapp aber zutreffend - darauf hingewiesen, dass bei psychischen Erkrankungen eine dauerhafte Leistungsminderung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erst dann angenommen werden kann, wenn der Kläger/die Klägerin mit zumutbarer Willensanstrengung nicht selbst oder mit therapeutischer Hilfe die Leistungseinschränkung überwinden kann (BSG Urteil vom 12.09.1990 - 5 RJ 88/89; BSG Urteil vom 29.03.2006 - B 13 RJ 31/05 R - jeweils zitiert nach juris; BayLSG Urteil vom 18.01.2012 - L 20 R 979/09; BayLSG Urteil vom 23.03.2012 - L 19 R 35/08; BayLSG Urteil vom 23.01.2013 - L 19 R 855/11). Dies setzt eine entsprechende adäquate Behandlung der psychischen Erkrankung voraus. Eine solche findet beim Kläger - mit Ausnahme einer gelegentlichen Einnahme von Medikamenten - nicht statt.

Die beiden Sachverständigen Dr.I. und Dr.J. haben auch festgehalten, dass die Leistungseinschränkungen qualitativer Art beim Kläger bereits seit der Rentenantragstellung bzw. sogar schon vorher vorliegen, da bereits im Gutachten von Dr.P. aus dem Jahr 2006 eine entsprechende qualitative Leistungsminderung festgehalten ist. Die zwischenzeitlich vorgelegten Befunde deuten lediglich auf eine Chronifizierung der Einschränkung hin, sprechen jedoch nicht für eine deutliche Verschlimmerung der bestehenden Leiden und der daraus folgenden Funktionseinschränkungen.

Nach alledem ist die Berufung gegen das Urteil des SG A-Stadt vom 07.07.2010 als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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