Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 4 KN 87/10
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 R 459/12
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zu den Voraussetzungen eines Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung.
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts
München vom 24. April 2012 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung über den 31. Januar 2009 hinaus.
Die 1954 in Polen geborene Klägerin, deutsche Staatsangehörige mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland seit 5. März 1991, hat nach ihren eigenen Angaben von 1969 bis1972 den Beruf der Näherin erlernt. Im Anschluss daran war sie von August 1975 bis Oktober 1975 sowie - nach Zeiten der Arbeitsunfähigkeit von November bis Dezember 1975 - von Januar 1976 bis Juni 1976 als Näherin beschäftigt. Diese Tätigkeit hat die Klägerin nach eigenen Angaben aufgrund einer Stoffallergie aufgegeben. Sie war dann als Verkäuferin, von 1976 bis Juni 1978 als Barkeeperin, bis 1983 erneut als Näherin, von 1983 bis 1989 als Verkäuferin und zuletzt bis 2002 wiederum als Näherin versicherungspflichtig beschäftigt. Für die Klägerin ist seit 22. September 2010 ein Grad der Behinderung - GdB - von 70 festgesetzt bei Vergabe des Merkzeichens RF.
Mit Antrag vom 14. August 2007 begehrte die Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung von der Beklagten. Sie halte sich seit 2004 aufgrund Depressionen, Rücken- und Blasenleiden sowie eines schlechten Gehörs für erwerbsgemindert.
Die Beklagte holte ein Gutachten der und Psychiaterin Dr. B. vom 14. Dezember 2007 ein. Die Sachverständige diagnostizierte bei der Klägerin eine schwere depressive Episode mit psychotischen Anteilen sowie somatoformen Störungen. Die zeitliche Belastbarkeit im Erwerbsleben liege unter 3 Stunden. Es sei eine intensivere ambulante psychiatrische Therapie, alternativ eine stationäre psychiatrische Behandlung, erforderlich. Die Gewährung einer Zeitrente für ein Jahr ab dem Zeitpunkt der Begutachtung werde empfohlen. Die Beklagte gewährte daraufhin der Klägerin mit Bescheid vom 11. Januar 2008 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 1. Februar 2008 bis 31. Januar 2009.
Auf den Weiterzahlungsantrag der Klägerin hin holte die Beklagte ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. R. vom 30. Dezember 2008 ein. Dr. R. stellte bei der Klägerin eine akzentuierte Primärpersönlichkeit mit demonstrativ-appellativen Zügen fest. Die Klägerin sei als Näherin sowie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch sechs Stunden und mehr leistungsfähig. Aus neurologisch-psychiatrischer Sicht ergäben sich keine wesentlichen Leistungseinschränkungen. Der Weitergewährungsantrag wurde daraufhin mit angefochtenem Bescheid vom 11. März 2009 abgelehnt.
Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch mit der Begründung, ihr Allgemeinzustand habe sich sowohl in psychischer als auch physischer Hinsicht verschlechtert. Eine Erwerbstätigkeit sei ihr nicht möglich. Der Widerspruch wurde daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 4. November 2009 zurückgewiesen. Die Klägerin sei noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und in dem Beruf als Näherin mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Hiergegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Würzburg erhoben, das den Rechtsstreit zuständigkeitshalber an das Sozialgericht München (SG) verwiesen hat. Zur Begründung wurde vorgetragen, psychisch und physisch habe sich der Gesundheitszustand der Klägerin erheblich verschlechtert. Sie leide unter einer massiven Angststörung, einer depressiven Störung, einer Belastungs- und Drang-Harninkontinenz, einer beginnenden Crauroris vulvae sowie einer Schwerhörigkeit mit einem Einzel-GdB von 40.
Das SG hat diverse Befundberichte sowie einen Entlassungsbericht der R.-Klinik G. über die Teilnahme der Klägerin an einer Maßnahme der stationären Rehabilitation vom 13. September bis 4. Oktober 2010 beigezogen. In der R.-Klinik wurden bei der Klägerin eine Bandscheibenprotrusion und eine Neuroforaminalstenose bei L 3/4 und L 4/5 mit sensomotorischen Defiziten, links stärker als rechts, eine Hypertonie, eine Harninkontinenz, eine Depression sowie eine Osteoporose diagnostiziert. Die Klägerin sei in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Schneiderin nicht mehr einsetzbar. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne sie noch höchstens 4 Stunden täglich leichte Tätigkeiten verrichten.
Das SG hat gemäß § 106 Sozialgerichtsgesetz - SGG - Beweis erhoben durch Einholung eines sozialmedizinisch-rheumatologischen, internistischen und psychotherapeutischen Gutachtens von Professor Dr. H ... Professor Dr. H. hat in seinem Gutachten vom 3. März 2011 bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen festgestellt:
1. Chronisch depressive Reaktion bei
2. belastender Kindheit mit fortdauernder Selbstwertkrise und zunehmender hysteriformer Persönlichkeitsveränderung mit somatoformer Symptomausgestaltung unter Einschluss gelegentlicher thorakaler Beklemmungen sowie eines Restless-Legs-Syndrom unter medikamentöser Teilkompensation
3. Myostatisch-degeneratives Wirbelsäulensyndrom bei alter vorderer Wirbelkörperabsprengung des LWK 4 ohne erinnerliches adäquates Trauma, Protrusionen im unteren LWS-Bereich mit Neuroforameneinengungen ohne konstante nervale Kompressionssymptomatik sowie eine leichtgradige beidseitige Coxarthrose
4. Chronische, intermittierend HLO-positive Gastritis und Refluxösophagitis
5. Metabolisches Syndrom bei Adipositas mit arterieller Hypertonie und oral mäßig gut eingestelltem Diabetes mellitus Typ IIb
6. Gesicherte Innenohrschwerhörigkeit beidseits unter nunmehr gut kompensierender Hörgeräteversorgung sowie rekurrierender Lagerungsschwindel besonders in den letzten Jahren
7. Miktionsstörungen bei überaktiver Blase und vermutlich habitueller Harnstrahlabweichung bei Craurosis vulvae
8. Leichte Senkfußbildung.
Die Klägerin könne vermutlich erst seit dem Jahreswechsel 2009/2010 durchgängig leichte bis allenfalls gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig ohne unübliche Pausen ausüben. Dabei sollten die Arbeiten den Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen ermöglichen, jedoch weit überwiegend das Sitzen beinhalten, Gehen und Stehen aber nicht ausschließen. Die schützende Umgebung eines geschlossenen, wohl temperierten Raums unter Vermeidung von Hitze und Kälte sei erforderlich. Nicht mehr zumutbar seien Heben und Tragen von Lasten über 5 Kilogramm, häufiges Bücken, Arbeiten auf unsicherem Boden bzw. auf Leitern und Gerüsten, an Maschinen, wenn diese etwa durch Lärm oder erkennbare Gefahrenpotenziale auf die Klägerin aversiv wirken, Arbeiten unter Lärmexposition oder mit dem Erfordernis des Tragens von Lärmschutz und anderen persönlichen Schutzausrüstungen. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt. Das Leistungsbild bestehe mit großer Wahrscheinlichkeit seit Ende des Jahres 2009 bzw. Anfang des Jahres 2010. Geistige Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit seien noch gegeben, würden aber aufgrund der subjektiven Überzeugung über die mangelnde Belastbarkeit nur in einem ggf. unabdingbaren Mindestmaß gezeigt.
Auf Antrag der Klägerin hat das SG gemäß § 109 SGG ein neurologisch-psychosomatisches Gutachten von Dr. von B. vom 28. Juli 2011 eingeholt. Die Sachverständige hat bei der Klägerin eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Depression, eine komplexe Persönlichkeitsstörung mit depressiven, dependenten und neurasthenischen Anteilen, einen nicht unerheblichen Benzodiazepinabusus, ein Rest-less-Legs-Syndrom, einen Hypertonus, eine Urininkontinenz, einen oral eingestellten Diabetes mit einer beginnenden diabetischen Polyneuropathie sowie ein LWS-Syndrom ohne radikuläre Ausfälle festgestellt. Die Klägerin sei nur noch weniger als 3 Stunden täglich belastbar. Eine Wegstrecke über 500 m sei nicht zumutbar. Die Klägerin sei aufgrund der Ängste und Depressionen auf eine Begleitperson angewiesen und vermeide aufgrund der Blasenstörung öffentliche Verkehrsmittel. Das Leistungsbild bestehe seit 2009 auf Dauer. Eine Zeitrente werde befürwortet.
Das SG hat daraufhin gemäß § 106 SGG eine ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. H. vom 20. Dezember 2011 sowie eine ergänzende Stellungnahme von Dr. von B. vom 8. Februar 2012 eingeholt, in der die Sachverständigen jeweils an ihrer Leistungseinschätzung festhalten.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 24. April 2012 unter Berufung auf das Gutachten von Prof. Dr. H. abgewiesen. Es liege bei der Klägerin vorrangig eine psychische, zunehmend somatoforme Beeinträchtigung vor. Der Schweregrad dieser Gesundheitsstörung reiche aber nicht aus, ein zeitlich vermindertes Leistungsvermögen für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt anzunehmen. Der Leistungseinschätzung von Dr. von B. könne nicht gefolgt werden. Das vollschichtige Leistungsvermögen bestehe zumindest ab dem 1. Februar 2009. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Sie sei noch in der Lage, die Tätigkeit als Näherin mindestens 6 Stunden täglich zu verrichten.
Mit der hiergegen zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegten Berufung hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung wurde auf den Entlassungsbericht der R.-Klinik G. sowie das Gutachten von Dr. von B. verwiesen. Das Gutachten von Professor Dr. H. berücksichtige die psychische Situation der Klägerin nicht ausreichend. Der Sachverständige setze sich auch nicht mit den Ausführungen im Reha-Entlassungsbericht auseinander.
Der Senat hat Befundberichte des Allgemeinmediziners Dr. F., der und Psychiaterin Dr. G., der Diplom-Psychologin H. beigezogen sowie eine Arbeitgeberauskunft von der ehemaligen Geschäftsführerin der mittlerweile insolventen J.G. C. GmbH & Co. KG, Frau C., eingeholt. Aus der Arbeitgeberauskunft geht hervor, dass die Klägerin von März 1992 bis August 2002 als Näherin Näharbeiten mit einer Anlerndauer von ca. 4 Wochen verrichtet hat.
Der Senat hat gemäß § 106 SGG Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Dr. E. vom 31. Oktober 2012. Dr. E. hat ausgeführt, bei der Klägerin lägen über den 31. Januar 2009 hinaus folgende Gesundheitsstörungen vor:
1. Rezidivierende depressive Störungen, gegenwärtig mittelschwere Episode
2. Kombinierte Persönlichkeitsstörung
3. Angststörung
4. Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren
5. Schwerhörigkeit beidseits
6. Verdacht auf beginnende diabetogene Polyneuropathie
7. Restless-Legs-Syndrom
8. Abnutzungen an der Wirbelsäule
9. Bluthochdruck
10. Blutzuckerkrankheit
11. Magenbeschwerden
12. Miktionsstörungen.
Die Klägerin könne seit diesem Zeitpunkt noch leichte und gelegentlich mittelschwere Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen, vorwiegend im Sitzen, vorwiegend in geschlossenen Räumen vollschichtig mit den arbeitsüblichen Unterbrechungen verrichten. Zu vermeiden seien das Heben und Tragen von Lasten, Zwangshaltungen, Überkopfarbeiten, häufiges Bücken, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten mit Absturzgefahr, Arbeiten unter Zeitdruck und unter vermehrter Lärmexposition oder mit häufigem Telefonieren. Die Erreichbarkeit einer Toilette müsse gewährleistet sein.
Das Restleistungsvermögen der Klägerin erlaube noch die Verrichtung von Tätigkeiten, die üblicherweise in ungelernten Arbeiten gefordert zu werden pflegen. Die Umstellungsfähigkeit der Klägerin auf andere Tätigkeiten sei nicht eingeschränkt. Die Behandlung in einer verhaltenstherapeutisch ausgerichteten psychosomatischen Klinik sei sinnvoll und aussichtsreich. Weitere Gutachten seien nicht erforderlich.
Die Beklagte bewilligte daraufhin der Klägerin Maßnahmen zur medizinischen Rehabilitation auf psychosomatischer Grundlage, die vom 3. Januar bis 17. Februar 2013 in der H. Klinik S., P., stattfanden. Die Klägerin wurde hieraus leistungsfähig für leichte und einfache Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts 6 Stunden und mehr täglich entlassen. Einschränkungen bestünden bezüglich der Konzentrations- und Teamfähigkeit der Klägerin. Tätigkeiten mit ständigem Publikumsverkehr, Arbeiten unter Zeitdruck, mit Heben und Tragen von Lasten, Zwangshaltungen, auf Leitern und Gerüsten mit Absturzgefahr seien nicht mehr möglich. Die Erreichbarkeit einer Toilette müsse gewährleistet sein.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 24. April 2012 sowie des Bescheids vom 11. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. November 2009 zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen über den 31. Januar 2009 hinaus zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Akten des SG und der Beklagten verwiesen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage gegen den angefochtenen Bescheid vom 11. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. November 2009 zu Recht abgewiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht für den Senat fest, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2 SGB VI), teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 SGB VI) bzw. teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§§ 240 Abs. 1, 2; 43 Abs. 1 SGB VI) über den 31. Januar 2009 hinaus hat.
Gem. § 43 Abs. 1, 2 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie
1. teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs bzw. drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist gem. § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Nach den überzeugenden Feststellungen des erfahrenen Gerichtsachverständigen Dr. E. ist die Klägerin noch in der Lage, über den Zeitpunkt des Wegfalls der befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung zum 31. Januar 2009 hinaus auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zumindest 6 Stunden täglich leichte Arbeiten zu verrichten.
Im Vordergrund stehen bei der Klägerin die Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem Fachgebiet. Bei der Untersuchung der Klägerin durch Dr. E. zeigte die Klägerin etwas langsame und schwerfällige, jedoch im Wesentlichen unbehinderte Bewegungsabläufe. Lähmungen oder Muskelschwund konnte er nicht feststellen. Die Reflexe an den Armen waren normal und seitengleich auslösbar, der Achillessehnenreflex rechts lebhafter als links. Die Gangproben und der Romberg-Test waren unauffällig. Bei anderen neurologischen Untersuchungen zeigten sich psychogene Überlagerungen, bei denen auch histrionische Züge mit eine Rolle gespielt haben (zum Beispiel Verhalten bei dem Finger-Nasen-Versuch rechts, Angabe von Sensibilitätsstörungen).
In psychischer Hinsicht war die Klägerin bei klarem Bewusstsein und hinsichtlich aller Qualitäten vollständig orientiert. Denk-, Wahrnehmungs- oder Ichstörungen waren nicht zu beobachten. Auch fand Dr. E. keine Hinweise auf hirnorganische Beeinträchtigungen. Die Klägerin wirkte zwar gedanklich etwas verlangsamt, machte ihre Angaben im Allgemeinen jedoch in geordneter und sachbezogener Weise. Nur gelegentlich musste sie länger nachdenken. Testpsychologisch ergaben sich Anzeichen für eine eingeschränkte Konzentrationsfähigkeit, wobei allerdings diese Symptomatik nach den Ausführungen von
Dr. E. nicht immer eindeutig von tendenziellen Verhaltensweisen abzugrenzen sei. Auszugehen ist jedoch von leichten kognitiven Beeinträchtigungen.
Die Stimmungslage war deutlich depressiv mit weinerlichen Zügen, letztere insbesondere bei der Schilderung belastender Umstände (Ermordung der Schwester, Erkrankung des Enkels). Eine erhebliche Bedeutung kam auch der vermeintlichen Verunstaltung des Gesichtes der Klägerin zu, die vom Sachverständigen jedenfalls nicht in dem von der Klägerin erlebten Ausmaß nachvollzogen werden konnte. Darüber hinaus konnte der Sachverständige ausgeprägte ängstliche, unsichere, infantil-dependente, neurasthenische und angedeutet auch histrionische Züge objektivieren.
Nach der für den Senat nachvollziehbaren Einschätzung von Dr. E. resultiert aus diesen Einschränkungen jetzt keine Erwerbsminderung mehr. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin geklagten ständigen Schmerzen verschiedener Lokalisation, wobei die Klägerin für den Sachverständigen allerdings nicht den Eindruck machte, sie stünde erheblich unter Schmerzen. So hielt sie die Sitzposition während der Exploration von über eineinhalb Stunden Dauer ohne schmerzbedingte Ausgleichsbewegungen durch.
Diese Einschätzung wird bestätigt durch den Entlassungsbericht der H. Klinik S. vom 13. Februar 2013, in dem die Klägerin ebenfalls als mindestens 6 Stunden täglich leistungsfähig für körperlich leichte und einfache Tätigkeiten eingeschätzt worden ist.
Die hiervon abweichende Einschätzung von Dr. von B. konnte auch den Senat nicht überzeugen. Dr. von B. hat nicht nachvollziehbar verdeutlichen können, warum die Klägerin auch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr mindestens 6 Stunden täglich verrichten kann. Der Senat sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, da es die Berufung insoweit aus den Gründen des angefochtenen Urteils des SG zurückweist (vgl. § 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist anzumerken, dass nach den Feststellungen von Dr. E. bei der Klägerin immer wieder Phasen mit geringerer psychiatrischer Symptomatik aufgetreten sind, die eine intensivere Behandlung als aussichtsreich erscheinen lassen. Dies wurde von Dr. von B. nicht zureichend berücksichtigt.
Nach alledem ist eine rentenrelevante Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens der Klägerin auch für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht überzeugend begründbar.
Nach Auffassung des Senats besteht das uneingeschränkte quantitative Leistungsvermögen der Klägerin auch bereits wieder ab Februar 2009. Professor Dr. H. hat zwar in seinem Gutachten ausgeführt, die Klägerin könne "vermutlich aber erst seit ca. dem Jahreswechsel 2009/2010 auf Basis der vorbeschriebenen Gesundheitsstörungen und ihrer Ausprägung durchgängig leichte bis allenfalls gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten ausüben". An anderer Stelle seines Gutachtens ist davon die Rede, das in quantitativer Hinsicht uneingeschränkte Leistungsbild bestehe "mit großer Wahrscheinlichkeit" seit Ende des Jahres 2009 bzw. Anfang des Jahres 2010. Erst Ende des Jahres 2009 sei bei der Klägerin eine entscheidende Stabilisierung des gesundheitlichen Zustands eingetreten. Dabei nimmt Professor Dr. H. Bezug auf den Befundbericht von Dr. G. vom 21. Juli 2010 über die Behandlungen vom 2. September 2003 bis zur letzten Behandlung am 20. Februar 2010. Hier wird über eine Besserung berichtet.
Der Senat konnte sich aber nicht mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit davon überzeugen, dass die Klägerin bis zum Jahreswechsel 2009/2010 in ihrer quantitativen Leistungsfähigkeit auch für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eingeschränkt gewesen ist. Auch Professor Dr. H. hat diese Feststellung nicht mit diesem Grad der Gewissheit getroffen, sondern nur davon gesprochen, dass die Klägerin vermutlich oder mit großer Wahrscheinlichkeit bis zum Jahreswechsel 2009/2010 noch in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt war. Hinzu kommt, dass Dr. E. diese Einschätzung nicht teilt. Auch aus dem von Professor Dr. H. im Bezug genommen Befundbericht von Dr. G. vom 21. Juli 2010 lässt sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen, dass die Besserung erst zum Jahreswechsel 2009/2010 eingetreten ist. Auch angesichts der Tatsache, dass ausweislich des vom Senat im Wege des Urkundsbeweises verwerteten Gutachtens von Dr. R. vom 30. Dezember 2008 keine wesentlichen Einschränkungen der Klägerin von Seiten des neurologisch-psychiatrischen Fachgebiets festzustellen waren, ist für den Senat nicht nachgewiesen, dass die Klägerin im Zeitraum Februar 2009 bis Dezember 2009 in ihrem quantitativen Leistungsvermögens eingeschränkt war.
Trotz dieses festgestellten Leistungsvermögens der Klägerin von sechs Stunden und mehr für leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wäre ein Anspruch der Klägerin auf Rente wegen voller Erwerbsminderung jedoch dann gegeben, wenn bei ihr eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bzw. eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegen würde und der Klägerin keine Tätigkeit benannt werden kann, die sie trotz ihrer qualitativen Leistungseinschränkungen noch mindestens 6 Stunden täglich verrichten könnte.
Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung meint die Fälle, in denen bereits eine einzige schwerwiegende Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt (BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003 - B5 RJ 64/02 R). Als Beispiel hierfür ist etwa die Einarmigkeit eines Versicherten zu nennen. Das Merkmal " Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" trägt hingegen dem Umstand Rechnung, dass auch eine Vielzahl von Einschränkungen, die jeweils nur einzelne Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen betreffen, zusammengenommen das noch mögliche Arbeitsfeld in erheblichem Umfang zusätzlich einengen können. In diesen Fällen besteht die Verpflichtung, ausnahmsweise eine konkrete Tätigkeit zu benennen, weil der Arbeitsmarkt möglicherweise für diese überdurchschnittlich leistungsgeminderten Versicherten keine Arbeitsstelle bereithält oder nicht davon ausgegangen werden kann, dass es für diese Versicherten eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen gibt oder ernste Zweifel daran aufkommen, ob der Versicherte in einem Betrieb einsetzbar ist (BSG Urteil vom 10. Dezember 2003, B5 RJ 64/02 R, in juris).
Bei der Prüfung der Frage, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliegt, sind grundsätzlich alle qualitativen Einschränkungen zu berücksichtigen, die nicht bereits von dem Erfordernis "körperlich leichte Arbeit" erfasst werden. Es umfasst begrifflich unter anderem solche Leistungseinschränkungen, die das Seh- und Hörvermögen oder die Handbeweglichkeit betreffen (KassKomm, SGB, § 43 SGB VI Rn. 47).
Die bei der Klägerin vorliegenden qualitativen Leistungseinschränkungen sind jedoch weder ungewöhnlich noch stellen sie eine schwere spezifische Leistungsbehinderung dar.
Insbesondere liegt bei der Klägerin kein ungewöhnlicher Pausenbedarf vor. Nach der Rechtsprechung des BSG ist davon auszugehen, dass der Arbeitsmarkt für einen Versicherten verschlossen sein kann, wenn dieser aufgrund eines erhöhten Pausenbedarfs nur unter nicht betriebsüblichen Arbeitsbedingungen arbeiten könnte.
Weder Dr. E. noch Prof. Dr. H. haben einen unüblichen Pausenbedarf festgestellt. Ein solcher resultiert auch nicht daraus, dass die Klägerin öfters die Toilette aufsuchen muss.
Nach § 4 Arbeitszeitgesetz steht vollschichtig tätigen Arbeitnehmern eine Ruhepause von 30 Minuten zu. Die Ruhepause kann nach Satz 2 dieser Bestimmung in Zeitabschnitte von jeweils mindestens 15 Minuten aufgeteilt werden. Diese Pausen kann die Klägerin somit für Toilettengänge nutzen. Über die nach dem Arbeitszeitgesetz vorgeschriebenen Pausen hinaus werden Arbeitnehmern in gewissem Umfang auch noch sogenannte Verteilzeiten zugestanden (Zeiten z. B. für den Weg vom Zeiterfassungsgerät zum Arbeitsplatz, das Vorbereiten beziehungsweise Aufräumen des Arbeitsplatzes, den Gang zur Toilette, Unterbrechungen durch Störungen durch Dritte usw.; vgl. z. B. Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 6. April 2001, Az.: L5 RJ 641/98). Die Klägerin kann damit diese Verteilzeiten ebenfalls für Toilettengänge nutzen, so dass ein unüblicher Pausenbedarf nicht vorliegt.
Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen mit der Pflicht der Benennung einer konkreten Tätigkeit ist darüber hinaus dann zu verneinen, wenn sich bereits Arbeitsfelder bezeichnen lassen, die der Versicherte mit seinen Einschränkungen noch verrichten kann. Nach den ausdrücklichen Feststellungen von Dr. E. (Antwort zu Beweisfrage 4) erlaubt das Restleistungsvermögen der Klägerin ihr noch mindestens 6 Stunden täglich die Ausübung körperlicher Verrichtungen, die in ungelernten Tätigkeiten gefordert zu werden pflegen (z.B. Sortieren, Zureichen, Verpacken, Maschinenbedienen usw.). Der Klägerin stehen damit noch hinreichend Arbeitsfelder zur Verfügung (vgl. KassKomm, SGB VI, § 43 Rn. 47).
Die Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 1, 2 SGB VI über den 31. Januar 2009 hinaus kommt damit nicht in Betracht.
Der Klägerin steht auch keine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 Abs. 1, 2 SGB VI i.V.m. § 43 Abs. 1 SGB VI zu.
Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben auch vor dem 2. Januar 1961 geborene Versicherte, die berufsunfähig sind (§ 240 Abs. 1 SGB VI).
Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur beruflichen Rehabilitation mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden verrichten kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Ausgangspunkt für die Beurteilung des "vergleichbaren Versicherten" ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG der "bisherige Beruf". Dieser ergibt sich in der Regel aus der letzten versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit in Deutschland. Es ist die Berufstätigkeit zugrunde zu legen, die bei im Wesentlichen ungeschwächter Arbeitskraft nicht nur vorübergehend eine nennenswerte Zeit ausgeübt wurde (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 130, 164). Dabei unterscheidet die Rechtsprechung nach dem sogenannten Vier-Stufen-Schema die Leitberufe des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion (auch des besonders hochqualifizierten Facharbeiters), des Facharbeiters, des angelernten und des ungelernten Arbeiters. Die Gruppe der angelernten Arbeiter ist in einen unteren Bereich (Anlerndauer mehr als drei Monate bis zu einem Jahr) und in einen oberen Bereich (Anlerndauer mehr als ein Jahr bis zu zwei Jahren) zu unterteilen. Welcher Gruppe des Mehrstufenschemas eine bestimmte Tätigkeit zuzuordnen ist, richtet sich dabei nach der Qualität der verrichteten Arbeit. Kriterien dafür sind: Ausbildung, tarifliche Einstufung, Dauer der Berufsausübung, Höhe der Entlohnung und Anforderungen des Berufes.
Die für die Beurteilung des Hauptberufs grundsätzlich maßgebliche letzte versicherungspflichtige Tätigkeit der Klägerin war die einer Näherin. Hierbei handelte es sich nach den Angaben des letzten Arbeitgebers um eine Tätigkeit mit einer notwendigen Anlerndauer von 4 Wochen. Diese Tätigkeit ist damit nach dem Stufenschema des BSG dem Bereich der ungelernten Tätigkeiten zuzuweisen mit der Folge, dass die Klägerin uneingeschränkt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden kann.
Die Klägerin hat sich auch nicht nachweislich von einem höherwertigen Beruf unfreiwillig aus gesundheitlichen Gründen getrennt, so dass dieser als Hauptberuf heranzuziehen wäre. Sie hat zwar in Polen nach ihren eigenen Angaben die Tätigkeit als Näherin aufgrund einer Stoffallergie gesundheitsbedingt aufgeben müssen. Es handelt sich aber nicht um ein endgültiges gesundheitsbedingtes Abwenden von diesem Tätigkeitsfeld, da die Klägerin dann über 10 Jahre in der Bundesrepublik Deutschland eine Tätigkeit als Näherin ausgeübt hat. Darüber hinaus hat die Klägerin die Tätigkeit als Näherin in Polen nach ihren eigenen Angaben im Jahr 1976 und damit zu einem Zeitpunkt aufgegeben, zu dem sie noch nicht die allgemeine Wartezeit in der Rentenversicherung erfüllt hatte. Für eine aus gesundheitlichen Gründen bedingte Aufgabe einer höherwertigen Tätigkeit vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit hat die Rentenversicherung jedoch nicht einzustehen (vgl. BSGE 57, 291, 294). Es kann daher dahinstehen, ob die Qualität der von der Klägerin in Polen verrichteten Tätigkeiten als Näherin die Einstufung als Facharbeiterin rechtfertigt.
Die Berufung war damit vollumfänglich zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) berücksichtigt den Umstand, dass die Klägerin auch im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
München vom 24. April 2012 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung über den 31. Januar 2009 hinaus.
Die 1954 in Polen geborene Klägerin, deutsche Staatsangehörige mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland seit 5. März 1991, hat nach ihren eigenen Angaben von 1969 bis1972 den Beruf der Näherin erlernt. Im Anschluss daran war sie von August 1975 bis Oktober 1975 sowie - nach Zeiten der Arbeitsunfähigkeit von November bis Dezember 1975 - von Januar 1976 bis Juni 1976 als Näherin beschäftigt. Diese Tätigkeit hat die Klägerin nach eigenen Angaben aufgrund einer Stoffallergie aufgegeben. Sie war dann als Verkäuferin, von 1976 bis Juni 1978 als Barkeeperin, bis 1983 erneut als Näherin, von 1983 bis 1989 als Verkäuferin und zuletzt bis 2002 wiederum als Näherin versicherungspflichtig beschäftigt. Für die Klägerin ist seit 22. September 2010 ein Grad der Behinderung - GdB - von 70 festgesetzt bei Vergabe des Merkzeichens RF.
Mit Antrag vom 14. August 2007 begehrte die Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung von der Beklagten. Sie halte sich seit 2004 aufgrund Depressionen, Rücken- und Blasenleiden sowie eines schlechten Gehörs für erwerbsgemindert.
Die Beklagte holte ein Gutachten der und Psychiaterin Dr. B. vom 14. Dezember 2007 ein. Die Sachverständige diagnostizierte bei der Klägerin eine schwere depressive Episode mit psychotischen Anteilen sowie somatoformen Störungen. Die zeitliche Belastbarkeit im Erwerbsleben liege unter 3 Stunden. Es sei eine intensivere ambulante psychiatrische Therapie, alternativ eine stationäre psychiatrische Behandlung, erforderlich. Die Gewährung einer Zeitrente für ein Jahr ab dem Zeitpunkt der Begutachtung werde empfohlen. Die Beklagte gewährte daraufhin der Klägerin mit Bescheid vom 11. Januar 2008 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 1. Februar 2008 bis 31. Januar 2009.
Auf den Weiterzahlungsantrag der Klägerin hin holte die Beklagte ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. R. vom 30. Dezember 2008 ein. Dr. R. stellte bei der Klägerin eine akzentuierte Primärpersönlichkeit mit demonstrativ-appellativen Zügen fest. Die Klägerin sei als Näherin sowie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch sechs Stunden und mehr leistungsfähig. Aus neurologisch-psychiatrischer Sicht ergäben sich keine wesentlichen Leistungseinschränkungen. Der Weitergewährungsantrag wurde daraufhin mit angefochtenem Bescheid vom 11. März 2009 abgelehnt.
Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch mit der Begründung, ihr Allgemeinzustand habe sich sowohl in psychischer als auch physischer Hinsicht verschlechtert. Eine Erwerbstätigkeit sei ihr nicht möglich. Der Widerspruch wurde daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 4. November 2009 zurückgewiesen. Die Klägerin sei noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und in dem Beruf als Näherin mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Hiergegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Würzburg erhoben, das den Rechtsstreit zuständigkeitshalber an das Sozialgericht München (SG) verwiesen hat. Zur Begründung wurde vorgetragen, psychisch und physisch habe sich der Gesundheitszustand der Klägerin erheblich verschlechtert. Sie leide unter einer massiven Angststörung, einer depressiven Störung, einer Belastungs- und Drang-Harninkontinenz, einer beginnenden Crauroris vulvae sowie einer Schwerhörigkeit mit einem Einzel-GdB von 40.
Das SG hat diverse Befundberichte sowie einen Entlassungsbericht der R.-Klinik G. über die Teilnahme der Klägerin an einer Maßnahme der stationären Rehabilitation vom 13. September bis 4. Oktober 2010 beigezogen. In der R.-Klinik wurden bei der Klägerin eine Bandscheibenprotrusion und eine Neuroforaminalstenose bei L 3/4 und L 4/5 mit sensomotorischen Defiziten, links stärker als rechts, eine Hypertonie, eine Harninkontinenz, eine Depression sowie eine Osteoporose diagnostiziert. Die Klägerin sei in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Schneiderin nicht mehr einsetzbar. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne sie noch höchstens 4 Stunden täglich leichte Tätigkeiten verrichten.
Das SG hat gemäß § 106 Sozialgerichtsgesetz - SGG - Beweis erhoben durch Einholung eines sozialmedizinisch-rheumatologischen, internistischen und psychotherapeutischen Gutachtens von Professor Dr. H ... Professor Dr. H. hat in seinem Gutachten vom 3. März 2011 bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen festgestellt:
1. Chronisch depressive Reaktion bei
2. belastender Kindheit mit fortdauernder Selbstwertkrise und zunehmender hysteriformer Persönlichkeitsveränderung mit somatoformer Symptomausgestaltung unter Einschluss gelegentlicher thorakaler Beklemmungen sowie eines Restless-Legs-Syndrom unter medikamentöser Teilkompensation
3. Myostatisch-degeneratives Wirbelsäulensyndrom bei alter vorderer Wirbelkörperabsprengung des LWK 4 ohne erinnerliches adäquates Trauma, Protrusionen im unteren LWS-Bereich mit Neuroforameneinengungen ohne konstante nervale Kompressionssymptomatik sowie eine leichtgradige beidseitige Coxarthrose
4. Chronische, intermittierend HLO-positive Gastritis und Refluxösophagitis
5. Metabolisches Syndrom bei Adipositas mit arterieller Hypertonie und oral mäßig gut eingestelltem Diabetes mellitus Typ IIb
6. Gesicherte Innenohrschwerhörigkeit beidseits unter nunmehr gut kompensierender Hörgeräteversorgung sowie rekurrierender Lagerungsschwindel besonders in den letzten Jahren
7. Miktionsstörungen bei überaktiver Blase und vermutlich habitueller Harnstrahlabweichung bei Craurosis vulvae
8. Leichte Senkfußbildung.
Die Klägerin könne vermutlich erst seit dem Jahreswechsel 2009/2010 durchgängig leichte bis allenfalls gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig ohne unübliche Pausen ausüben. Dabei sollten die Arbeiten den Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen ermöglichen, jedoch weit überwiegend das Sitzen beinhalten, Gehen und Stehen aber nicht ausschließen. Die schützende Umgebung eines geschlossenen, wohl temperierten Raums unter Vermeidung von Hitze und Kälte sei erforderlich. Nicht mehr zumutbar seien Heben und Tragen von Lasten über 5 Kilogramm, häufiges Bücken, Arbeiten auf unsicherem Boden bzw. auf Leitern und Gerüsten, an Maschinen, wenn diese etwa durch Lärm oder erkennbare Gefahrenpotenziale auf die Klägerin aversiv wirken, Arbeiten unter Lärmexposition oder mit dem Erfordernis des Tragens von Lärmschutz und anderen persönlichen Schutzausrüstungen. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt. Das Leistungsbild bestehe mit großer Wahrscheinlichkeit seit Ende des Jahres 2009 bzw. Anfang des Jahres 2010. Geistige Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit seien noch gegeben, würden aber aufgrund der subjektiven Überzeugung über die mangelnde Belastbarkeit nur in einem ggf. unabdingbaren Mindestmaß gezeigt.
Auf Antrag der Klägerin hat das SG gemäß § 109 SGG ein neurologisch-psychosomatisches Gutachten von Dr. von B. vom 28. Juli 2011 eingeholt. Die Sachverständige hat bei der Klägerin eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Depression, eine komplexe Persönlichkeitsstörung mit depressiven, dependenten und neurasthenischen Anteilen, einen nicht unerheblichen Benzodiazepinabusus, ein Rest-less-Legs-Syndrom, einen Hypertonus, eine Urininkontinenz, einen oral eingestellten Diabetes mit einer beginnenden diabetischen Polyneuropathie sowie ein LWS-Syndrom ohne radikuläre Ausfälle festgestellt. Die Klägerin sei nur noch weniger als 3 Stunden täglich belastbar. Eine Wegstrecke über 500 m sei nicht zumutbar. Die Klägerin sei aufgrund der Ängste und Depressionen auf eine Begleitperson angewiesen und vermeide aufgrund der Blasenstörung öffentliche Verkehrsmittel. Das Leistungsbild bestehe seit 2009 auf Dauer. Eine Zeitrente werde befürwortet.
Das SG hat daraufhin gemäß § 106 SGG eine ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. H. vom 20. Dezember 2011 sowie eine ergänzende Stellungnahme von Dr. von B. vom 8. Februar 2012 eingeholt, in der die Sachverständigen jeweils an ihrer Leistungseinschätzung festhalten.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 24. April 2012 unter Berufung auf das Gutachten von Prof. Dr. H. abgewiesen. Es liege bei der Klägerin vorrangig eine psychische, zunehmend somatoforme Beeinträchtigung vor. Der Schweregrad dieser Gesundheitsstörung reiche aber nicht aus, ein zeitlich vermindertes Leistungsvermögen für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt anzunehmen. Der Leistungseinschätzung von Dr. von B. könne nicht gefolgt werden. Das vollschichtige Leistungsvermögen bestehe zumindest ab dem 1. Februar 2009. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Sie sei noch in der Lage, die Tätigkeit als Näherin mindestens 6 Stunden täglich zu verrichten.
Mit der hiergegen zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegten Berufung hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung wurde auf den Entlassungsbericht der R.-Klinik G. sowie das Gutachten von Dr. von B. verwiesen. Das Gutachten von Professor Dr. H. berücksichtige die psychische Situation der Klägerin nicht ausreichend. Der Sachverständige setze sich auch nicht mit den Ausführungen im Reha-Entlassungsbericht auseinander.
Der Senat hat Befundberichte des Allgemeinmediziners Dr. F., der und Psychiaterin Dr. G., der Diplom-Psychologin H. beigezogen sowie eine Arbeitgeberauskunft von der ehemaligen Geschäftsführerin der mittlerweile insolventen J.G. C. GmbH & Co. KG, Frau C., eingeholt. Aus der Arbeitgeberauskunft geht hervor, dass die Klägerin von März 1992 bis August 2002 als Näherin Näharbeiten mit einer Anlerndauer von ca. 4 Wochen verrichtet hat.
Der Senat hat gemäß § 106 SGG Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Dr. E. vom 31. Oktober 2012. Dr. E. hat ausgeführt, bei der Klägerin lägen über den 31. Januar 2009 hinaus folgende Gesundheitsstörungen vor:
1. Rezidivierende depressive Störungen, gegenwärtig mittelschwere Episode
2. Kombinierte Persönlichkeitsstörung
3. Angststörung
4. Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren
5. Schwerhörigkeit beidseits
6. Verdacht auf beginnende diabetogene Polyneuropathie
7. Restless-Legs-Syndrom
8. Abnutzungen an der Wirbelsäule
9. Bluthochdruck
10. Blutzuckerkrankheit
11. Magenbeschwerden
12. Miktionsstörungen.
Die Klägerin könne seit diesem Zeitpunkt noch leichte und gelegentlich mittelschwere Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen, vorwiegend im Sitzen, vorwiegend in geschlossenen Räumen vollschichtig mit den arbeitsüblichen Unterbrechungen verrichten. Zu vermeiden seien das Heben und Tragen von Lasten, Zwangshaltungen, Überkopfarbeiten, häufiges Bücken, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten mit Absturzgefahr, Arbeiten unter Zeitdruck und unter vermehrter Lärmexposition oder mit häufigem Telefonieren. Die Erreichbarkeit einer Toilette müsse gewährleistet sein.
Das Restleistungsvermögen der Klägerin erlaube noch die Verrichtung von Tätigkeiten, die üblicherweise in ungelernten Arbeiten gefordert zu werden pflegen. Die Umstellungsfähigkeit der Klägerin auf andere Tätigkeiten sei nicht eingeschränkt. Die Behandlung in einer verhaltenstherapeutisch ausgerichteten psychosomatischen Klinik sei sinnvoll und aussichtsreich. Weitere Gutachten seien nicht erforderlich.
Die Beklagte bewilligte daraufhin der Klägerin Maßnahmen zur medizinischen Rehabilitation auf psychosomatischer Grundlage, die vom 3. Januar bis 17. Februar 2013 in der H. Klinik S., P., stattfanden. Die Klägerin wurde hieraus leistungsfähig für leichte und einfache Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts 6 Stunden und mehr täglich entlassen. Einschränkungen bestünden bezüglich der Konzentrations- und Teamfähigkeit der Klägerin. Tätigkeiten mit ständigem Publikumsverkehr, Arbeiten unter Zeitdruck, mit Heben und Tragen von Lasten, Zwangshaltungen, auf Leitern und Gerüsten mit Absturzgefahr seien nicht mehr möglich. Die Erreichbarkeit einer Toilette müsse gewährleistet sein.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 24. April 2012 sowie des Bescheids vom 11. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. November 2009 zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen über den 31. Januar 2009 hinaus zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Akten des SG und der Beklagten verwiesen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage gegen den angefochtenen Bescheid vom 11. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. November 2009 zu Recht abgewiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht für den Senat fest, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2 SGB VI), teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 SGB VI) bzw. teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§§ 240 Abs. 1, 2; 43 Abs. 1 SGB VI) über den 31. Januar 2009 hinaus hat.
Gem. § 43 Abs. 1, 2 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie
1. teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs bzw. drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist gem. § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Nach den überzeugenden Feststellungen des erfahrenen Gerichtsachverständigen Dr. E. ist die Klägerin noch in der Lage, über den Zeitpunkt des Wegfalls der befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung zum 31. Januar 2009 hinaus auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zumindest 6 Stunden täglich leichte Arbeiten zu verrichten.
Im Vordergrund stehen bei der Klägerin die Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem Fachgebiet. Bei der Untersuchung der Klägerin durch Dr. E. zeigte die Klägerin etwas langsame und schwerfällige, jedoch im Wesentlichen unbehinderte Bewegungsabläufe. Lähmungen oder Muskelschwund konnte er nicht feststellen. Die Reflexe an den Armen waren normal und seitengleich auslösbar, der Achillessehnenreflex rechts lebhafter als links. Die Gangproben und der Romberg-Test waren unauffällig. Bei anderen neurologischen Untersuchungen zeigten sich psychogene Überlagerungen, bei denen auch histrionische Züge mit eine Rolle gespielt haben (zum Beispiel Verhalten bei dem Finger-Nasen-Versuch rechts, Angabe von Sensibilitätsstörungen).
In psychischer Hinsicht war die Klägerin bei klarem Bewusstsein und hinsichtlich aller Qualitäten vollständig orientiert. Denk-, Wahrnehmungs- oder Ichstörungen waren nicht zu beobachten. Auch fand Dr. E. keine Hinweise auf hirnorganische Beeinträchtigungen. Die Klägerin wirkte zwar gedanklich etwas verlangsamt, machte ihre Angaben im Allgemeinen jedoch in geordneter und sachbezogener Weise. Nur gelegentlich musste sie länger nachdenken. Testpsychologisch ergaben sich Anzeichen für eine eingeschränkte Konzentrationsfähigkeit, wobei allerdings diese Symptomatik nach den Ausführungen von
Dr. E. nicht immer eindeutig von tendenziellen Verhaltensweisen abzugrenzen sei. Auszugehen ist jedoch von leichten kognitiven Beeinträchtigungen.
Die Stimmungslage war deutlich depressiv mit weinerlichen Zügen, letztere insbesondere bei der Schilderung belastender Umstände (Ermordung der Schwester, Erkrankung des Enkels). Eine erhebliche Bedeutung kam auch der vermeintlichen Verunstaltung des Gesichtes der Klägerin zu, die vom Sachverständigen jedenfalls nicht in dem von der Klägerin erlebten Ausmaß nachvollzogen werden konnte. Darüber hinaus konnte der Sachverständige ausgeprägte ängstliche, unsichere, infantil-dependente, neurasthenische und angedeutet auch histrionische Züge objektivieren.
Nach der für den Senat nachvollziehbaren Einschätzung von Dr. E. resultiert aus diesen Einschränkungen jetzt keine Erwerbsminderung mehr. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin geklagten ständigen Schmerzen verschiedener Lokalisation, wobei die Klägerin für den Sachverständigen allerdings nicht den Eindruck machte, sie stünde erheblich unter Schmerzen. So hielt sie die Sitzposition während der Exploration von über eineinhalb Stunden Dauer ohne schmerzbedingte Ausgleichsbewegungen durch.
Diese Einschätzung wird bestätigt durch den Entlassungsbericht der H. Klinik S. vom 13. Februar 2013, in dem die Klägerin ebenfalls als mindestens 6 Stunden täglich leistungsfähig für körperlich leichte und einfache Tätigkeiten eingeschätzt worden ist.
Die hiervon abweichende Einschätzung von Dr. von B. konnte auch den Senat nicht überzeugen. Dr. von B. hat nicht nachvollziehbar verdeutlichen können, warum die Klägerin auch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr mindestens 6 Stunden täglich verrichten kann. Der Senat sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, da es die Berufung insoweit aus den Gründen des angefochtenen Urteils des SG zurückweist (vgl. § 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist anzumerken, dass nach den Feststellungen von Dr. E. bei der Klägerin immer wieder Phasen mit geringerer psychiatrischer Symptomatik aufgetreten sind, die eine intensivere Behandlung als aussichtsreich erscheinen lassen. Dies wurde von Dr. von B. nicht zureichend berücksichtigt.
Nach alledem ist eine rentenrelevante Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens der Klägerin auch für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht überzeugend begründbar.
Nach Auffassung des Senats besteht das uneingeschränkte quantitative Leistungsvermögen der Klägerin auch bereits wieder ab Februar 2009. Professor Dr. H. hat zwar in seinem Gutachten ausgeführt, die Klägerin könne "vermutlich aber erst seit ca. dem Jahreswechsel 2009/2010 auf Basis der vorbeschriebenen Gesundheitsstörungen und ihrer Ausprägung durchgängig leichte bis allenfalls gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten ausüben". An anderer Stelle seines Gutachtens ist davon die Rede, das in quantitativer Hinsicht uneingeschränkte Leistungsbild bestehe "mit großer Wahrscheinlichkeit" seit Ende des Jahres 2009 bzw. Anfang des Jahres 2010. Erst Ende des Jahres 2009 sei bei der Klägerin eine entscheidende Stabilisierung des gesundheitlichen Zustands eingetreten. Dabei nimmt Professor Dr. H. Bezug auf den Befundbericht von Dr. G. vom 21. Juli 2010 über die Behandlungen vom 2. September 2003 bis zur letzten Behandlung am 20. Februar 2010. Hier wird über eine Besserung berichtet.
Der Senat konnte sich aber nicht mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit davon überzeugen, dass die Klägerin bis zum Jahreswechsel 2009/2010 in ihrer quantitativen Leistungsfähigkeit auch für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eingeschränkt gewesen ist. Auch Professor Dr. H. hat diese Feststellung nicht mit diesem Grad der Gewissheit getroffen, sondern nur davon gesprochen, dass die Klägerin vermutlich oder mit großer Wahrscheinlichkeit bis zum Jahreswechsel 2009/2010 noch in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt war. Hinzu kommt, dass Dr. E. diese Einschätzung nicht teilt. Auch aus dem von Professor Dr. H. im Bezug genommen Befundbericht von Dr. G. vom 21. Juli 2010 lässt sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen, dass die Besserung erst zum Jahreswechsel 2009/2010 eingetreten ist. Auch angesichts der Tatsache, dass ausweislich des vom Senat im Wege des Urkundsbeweises verwerteten Gutachtens von Dr. R. vom 30. Dezember 2008 keine wesentlichen Einschränkungen der Klägerin von Seiten des neurologisch-psychiatrischen Fachgebiets festzustellen waren, ist für den Senat nicht nachgewiesen, dass die Klägerin im Zeitraum Februar 2009 bis Dezember 2009 in ihrem quantitativen Leistungsvermögens eingeschränkt war.
Trotz dieses festgestellten Leistungsvermögens der Klägerin von sechs Stunden und mehr für leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wäre ein Anspruch der Klägerin auf Rente wegen voller Erwerbsminderung jedoch dann gegeben, wenn bei ihr eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bzw. eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegen würde und der Klägerin keine Tätigkeit benannt werden kann, die sie trotz ihrer qualitativen Leistungseinschränkungen noch mindestens 6 Stunden täglich verrichten könnte.
Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung meint die Fälle, in denen bereits eine einzige schwerwiegende Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt (BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003 - B5 RJ 64/02 R). Als Beispiel hierfür ist etwa die Einarmigkeit eines Versicherten zu nennen. Das Merkmal " Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" trägt hingegen dem Umstand Rechnung, dass auch eine Vielzahl von Einschränkungen, die jeweils nur einzelne Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen betreffen, zusammengenommen das noch mögliche Arbeitsfeld in erheblichem Umfang zusätzlich einengen können. In diesen Fällen besteht die Verpflichtung, ausnahmsweise eine konkrete Tätigkeit zu benennen, weil der Arbeitsmarkt möglicherweise für diese überdurchschnittlich leistungsgeminderten Versicherten keine Arbeitsstelle bereithält oder nicht davon ausgegangen werden kann, dass es für diese Versicherten eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen gibt oder ernste Zweifel daran aufkommen, ob der Versicherte in einem Betrieb einsetzbar ist (BSG Urteil vom 10. Dezember 2003, B5 RJ 64/02 R, in juris).
Bei der Prüfung der Frage, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliegt, sind grundsätzlich alle qualitativen Einschränkungen zu berücksichtigen, die nicht bereits von dem Erfordernis "körperlich leichte Arbeit" erfasst werden. Es umfasst begrifflich unter anderem solche Leistungseinschränkungen, die das Seh- und Hörvermögen oder die Handbeweglichkeit betreffen (KassKomm, SGB, § 43 SGB VI Rn. 47).
Die bei der Klägerin vorliegenden qualitativen Leistungseinschränkungen sind jedoch weder ungewöhnlich noch stellen sie eine schwere spezifische Leistungsbehinderung dar.
Insbesondere liegt bei der Klägerin kein ungewöhnlicher Pausenbedarf vor. Nach der Rechtsprechung des BSG ist davon auszugehen, dass der Arbeitsmarkt für einen Versicherten verschlossen sein kann, wenn dieser aufgrund eines erhöhten Pausenbedarfs nur unter nicht betriebsüblichen Arbeitsbedingungen arbeiten könnte.
Weder Dr. E. noch Prof. Dr. H. haben einen unüblichen Pausenbedarf festgestellt. Ein solcher resultiert auch nicht daraus, dass die Klägerin öfters die Toilette aufsuchen muss.
Nach § 4 Arbeitszeitgesetz steht vollschichtig tätigen Arbeitnehmern eine Ruhepause von 30 Minuten zu. Die Ruhepause kann nach Satz 2 dieser Bestimmung in Zeitabschnitte von jeweils mindestens 15 Minuten aufgeteilt werden. Diese Pausen kann die Klägerin somit für Toilettengänge nutzen. Über die nach dem Arbeitszeitgesetz vorgeschriebenen Pausen hinaus werden Arbeitnehmern in gewissem Umfang auch noch sogenannte Verteilzeiten zugestanden (Zeiten z. B. für den Weg vom Zeiterfassungsgerät zum Arbeitsplatz, das Vorbereiten beziehungsweise Aufräumen des Arbeitsplatzes, den Gang zur Toilette, Unterbrechungen durch Störungen durch Dritte usw.; vgl. z. B. Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 6. April 2001, Az.: L5 RJ 641/98). Die Klägerin kann damit diese Verteilzeiten ebenfalls für Toilettengänge nutzen, so dass ein unüblicher Pausenbedarf nicht vorliegt.
Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen mit der Pflicht der Benennung einer konkreten Tätigkeit ist darüber hinaus dann zu verneinen, wenn sich bereits Arbeitsfelder bezeichnen lassen, die der Versicherte mit seinen Einschränkungen noch verrichten kann. Nach den ausdrücklichen Feststellungen von Dr. E. (Antwort zu Beweisfrage 4) erlaubt das Restleistungsvermögen der Klägerin ihr noch mindestens 6 Stunden täglich die Ausübung körperlicher Verrichtungen, die in ungelernten Tätigkeiten gefordert zu werden pflegen (z.B. Sortieren, Zureichen, Verpacken, Maschinenbedienen usw.). Der Klägerin stehen damit noch hinreichend Arbeitsfelder zur Verfügung (vgl. KassKomm, SGB VI, § 43 Rn. 47).
Die Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 1, 2 SGB VI über den 31. Januar 2009 hinaus kommt damit nicht in Betracht.
Der Klägerin steht auch keine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 Abs. 1, 2 SGB VI i.V.m. § 43 Abs. 1 SGB VI zu.
Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben auch vor dem 2. Januar 1961 geborene Versicherte, die berufsunfähig sind (§ 240 Abs. 1 SGB VI).
Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur beruflichen Rehabilitation mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden verrichten kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Ausgangspunkt für die Beurteilung des "vergleichbaren Versicherten" ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG der "bisherige Beruf". Dieser ergibt sich in der Regel aus der letzten versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit in Deutschland. Es ist die Berufstätigkeit zugrunde zu legen, die bei im Wesentlichen ungeschwächter Arbeitskraft nicht nur vorübergehend eine nennenswerte Zeit ausgeübt wurde (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 130, 164). Dabei unterscheidet die Rechtsprechung nach dem sogenannten Vier-Stufen-Schema die Leitberufe des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion (auch des besonders hochqualifizierten Facharbeiters), des Facharbeiters, des angelernten und des ungelernten Arbeiters. Die Gruppe der angelernten Arbeiter ist in einen unteren Bereich (Anlerndauer mehr als drei Monate bis zu einem Jahr) und in einen oberen Bereich (Anlerndauer mehr als ein Jahr bis zu zwei Jahren) zu unterteilen. Welcher Gruppe des Mehrstufenschemas eine bestimmte Tätigkeit zuzuordnen ist, richtet sich dabei nach der Qualität der verrichteten Arbeit. Kriterien dafür sind: Ausbildung, tarifliche Einstufung, Dauer der Berufsausübung, Höhe der Entlohnung und Anforderungen des Berufes.
Die für die Beurteilung des Hauptberufs grundsätzlich maßgebliche letzte versicherungspflichtige Tätigkeit der Klägerin war die einer Näherin. Hierbei handelte es sich nach den Angaben des letzten Arbeitgebers um eine Tätigkeit mit einer notwendigen Anlerndauer von 4 Wochen. Diese Tätigkeit ist damit nach dem Stufenschema des BSG dem Bereich der ungelernten Tätigkeiten zuzuweisen mit der Folge, dass die Klägerin uneingeschränkt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden kann.
Die Klägerin hat sich auch nicht nachweislich von einem höherwertigen Beruf unfreiwillig aus gesundheitlichen Gründen getrennt, so dass dieser als Hauptberuf heranzuziehen wäre. Sie hat zwar in Polen nach ihren eigenen Angaben die Tätigkeit als Näherin aufgrund einer Stoffallergie gesundheitsbedingt aufgeben müssen. Es handelt sich aber nicht um ein endgültiges gesundheitsbedingtes Abwenden von diesem Tätigkeitsfeld, da die Klägerin dann über 10 Jahre in der Bundesrepublik Deutschland eine Tätigkeit als Näherin ausgeübt hat. Darüber hinaus hat die Klägerin die Tätigkeit als Näherin in Polen nach ihren eigenen Angaben im Jahr 1976 und damit zu einem Zeitpunkt aufgegeben, zu dem sie noch nicht die allgemeine Wartezeit in der Rentenversicherung erfüllt hatte. Für eine aus gesundheitlichen Gründen bedingte Aufgabe einer höherwertigen Tätigkeit vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit hat die Rentenversicherung jedoch nicht einzustehen (vgl. BSGE 57, 291, 294). Es kann daher dahinstehen, ob die Qualität der von der Klägerin in Polen verrichteten Tätigkeiten als Näherin die Einstufung als Facharbeiterin rechtfertigt.
Die Berufung war damit vollumfänglich zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) berücksichtigt den Umstand, dass die Klägerin auch im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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FSB
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