L 13 R 108/13

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 4 KN 106/11
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 R 108/13
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die eindeutig erklärte Rücknahme der Berufung durch eine Prozessbevollmächtigte bewirkt den Verlust des Rechtsmittels, auch wenn die Klägerin damit nicht einverstanden ist.
I. Es wird festgestellt, dass das Berufungsverfahren L 13 R 762/11 durch die Zurücknahme der Berufung am 20.12.2012 erledigt ist.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


In dem Verfahren geht es um die Frage, ob der Rechtsstreit L 13 R 762/11 durch Rücknahmeerklärung vom 20.12.2012 erledigt worden ist.
Gegenstand der Rechtsstreits L 13 R 762/11 war der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 16.08.2011 (S 4 KN 106/11) zum Bescheid der Beklagten vom 02.12.1991 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.05.2011.
Der 1931 geborenen Klägerin wurde mit Bescheid vom 18.02.1991 ab 01.02.1991 Altersrente in Höhe von monatlich 477 DM (ab 01.07.1999: 549 DM), Zusatzaltersrente aus der freiwilligen Zusatzrentenversicherung in Höhe von monatlich 58 DM (ab 01.07.1991: 67 DM) sowie ein Sozialzuschlag (31 DM) aus eigener Versicherung gewährt.
Nach dem Tod ihres im Bergbau tätig gewesenen Ehemannes im April 1991 erhielt sie mit Bescheid vom 25.06.1991 für die Zeit ab dem 01.05.1991 eine Hinterbliebenenrente in Höhe von 561 DM (ab 01.07.1991 in Höhe von 646 DM), die 65% aus der Rente des Verstorbenen betrug. Da die Altersrente niedriger war, wurde die Altersrente nur in Höhe von 25% weitergezahlt (120 DM, ab 01.07.1991 in Höhe von 138 DM). Der Sozialzuschlag entfiel ab 01.05.1991. Diese Regelungen erfolgten noch auf der Grundlage des DDR-Rechts.
Mit Bescheid vom 02.12.1991 über die Umwertung und Anpassung der Rente aufgrund des ab 01.01.1992 geltenden Rentenrechts teilte die Beklagte der Klägerin - unter Verwendung einer neuen Versicherungsnummer (89 270231 D 502) anstelle der in der Sozialversicherung der DDR verwendeten Personenkennzahl - mit, dass die bisher gezahlte Versichertenrente zukünftig als Regelaltersrente gezahlt werde. Es wurden 33 Jahre einer versicherungspflichtigen Tätigkeit berücksichtigt. Die monatliche Rentenleistung betrug ab 01.01.1992 brutto 642,20 DM. Ein sog. Auffüllbetrag (§ 315a SGB VI) ergab sich nach der Darstellung in Anlage 1 nicht, weil die im Dezember 1991 tatsächlich ausgezahlte Rente (138 DM + 67 DM = 205 DM) niedriger war als die für diesen Monat fiktiv zu errechnende Regelaltersrente.
Der dagegen gerichtete Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 04.11.1992 zurückgewiesen. Die anschließend erhobene Klage beim Sozialgericht Cottbus (S 6 KN 25/92) blieb ebenso erfolglos wie die anschließende Berufung beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (Urteil vom 23.08.1995, L 3 KN 1/94) und die Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundessozialgericht (8 BKn 23/95).
In einem Verfahren vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen stellte die Klägerin am 25.02.1999 den Antrag, die Altersrente zu überprüfen. Zu diesem Antrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) erklärte die Beklagte im Bescheid vom 08.04.1999, dass der Umwertungsbescheid nach Erschöpfung des Rechtswegs bindend geworden sei (§ 77 SGG). Mit Widerspruchsbescheid vom 04.10.1999 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Der Rechtsweg wurde auch dagegen erfolglos beschritten.
Ein weiterer Überprüfungsantrag vom 06.02.2004 wurde mit Bescheid vom 24.08.2004 abgelehnt. Der Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 02.07.2007 zurückgewiesen. Das gerichtliche Verfahren endete mit Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 17.03.2011 (L 2 Kn 88/09 WA), in dem festgestellt wurde, dass das Berufungsverfahren durch Zurücknahme der Berufung seit dem 28.02.2008 erledigt ist.
Eine im März 2008 erhobene weitere Klage vor dem SG München (S 4 KN 74/08) gegen den Bescheid der Beklagten vom 24.08.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.07.2007 wurde mit Gerichtsbescheid vom 17.11.2008 als unzulässig abgewiesen. Die Berufung wurde mit Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 22.04.2009 (L 13 R 908/08) zurückgewiesen.
Mit Schreiben vom 19.03.2011 hat die Klägerin erneut "Widerspruch gegen den Bescheid vom 02.12.1991" erhoben. Sie werde dies solange tun, bis die Altersrente voll berechnet werde. Bei der Umwertung sei sicherzustellen gewesen, dass die bisherigen Rentenzahlbeträge nicht gekürzt würden. Sie habe ab 01.07.1991 Anspruch auf Rente in Höhe von 647 DM gehabt, wie sich aus einer damaligen Mitteilung zur Rentenanpassung ergebe.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 24.05.2011 zurückgewiesen. Die Klägerin habe bereits am 05.02.1992 Widerspruch gegen den Bescheid vom 02.12.1991 erhoben. Dieser Widerspruch sei mit Bescheid vom 04.11.1992 zurückgewiesen worden. Die anschließenden Gerichtsverfahren seien erfolglos geblieben. Der Bescheid vom 02.12.1991 habe somit "Rechtskraft" erlangt. Die nochmalige Erhebung des Widerspruchs sei damit unzulässig.
Am 17.06.2011 hat die Klägerin beim SG München Klage erhoben. Die Klage ist mit Gerichtsbescheid vom 16.08.2011 als unzulässig abgewiesen worden. Der Bescheid vom 02.12.1991 habe Rechtskraft erlangt und könne nicht erneut angefochten werden. Zudem sei die Frist von einem Monat zur Einlegung eines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 02.12.1991 offensichtlich überschritten. Aufgrund des eindeutigen Wortlauts des Schreibens vom 19.3.2011 und angesichts der vielen durchgängig erfolglosen Rechtsmittelverfahren im Hinblick auf die Altersrente der Klägerin, habe sich die Beklagte auch nicht genötigt fühlen müssen, das Schreiben als Überprüfungsantrag gemäß § 44 SGB X zu werten. Die Klägerin habe das Schreiben in der Überschrift und im Text explizit als Widerspruch bezeichnet. Es sei auch davon auszugehen, dass die Klägerin aufgrund der vielen Verfahren seit 1991 die Formalien ausreichend kenne.
Gegen den am 18.08.2011 zugestellten Gerichtsbescheid ist am 22.08.2011 Berufung eingelegt worden, mit dem die Klägerin ihr Anliegen weiter verfolgt hat. Als sich die Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 22.10.2012 unter Vorlage einer Vollmacht vom 08.10.2012 an das Gericht gewandt hat, ist sie darauf hingewiesen worden, dass die Widerspruchsfrist bezüglich des Bescheids vom 02.12.1991 bereits abgelaufen gewesen sei, als die Klägerin erneut am 19.03.2011 Widerspruch erhoben habe. Zuvor sei erfolglos der Rechtsweg beschritten worden, so dass der Bescheid bestandskräftig geworden sei. Es wurde um Mitteilung gebeten, mit welcher Begründung der Rechtsstreit aufrecht erhalten bleibe.
Die Prozessbevollmächtigte beantragte am 10.12.2012 Fristverlängerung für eine eventuelle Rücknahme der Berufung bis 20.12.2012, um nochmals eine persönliche Besprechung mit der Klägerin vorzunehmen. Mit Schreiben vom 20.12.2012, das am selben Tag beim Gericht eingegangen ist, hat die Prozessbevollmächtigte die Berufung zurückgenommen.
Mit Schreiben vom 13.01.2013 (Eingang am 15.01.2013) hat die Klägerin erklärt, dass ihre Prozessbevollmächtigte eigenmächtig und ohne ihr Wissen bzw. Eingeständnis die Berufungsklage zurückgenommen habe. Sie bitte um die Möglichkeit einer persönlichen Vorsprache beim LSG, damit endlich die volle und keine gekürzte Altersrente bezahlt werde.
Das Verfahren ist daraufhin unter dem Az. L 13 R 762/11 fortgesetzt worden.

Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung am 30.04.2013 beantragt,
sie wolle ihre volle Rente haben und das, was ihr zustehe.
Der Vertreter der Beklagten hat beantragt,
festzustellen, dass das Berufungsverfahren durch die Zurücknahme der Berufung erledigt ist, hilfsweise die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie des gerichtlichen Verfahrens verwiesen.



Entscheidungsgründe:


Der von der Klägerin sinngemäß geltend gemachte Anspruch auf Fortsetzung des Berufungsverfahrens L 13 R 762/11 ist zulässig, aber nicht begründet, denn dieses Verfahren ist durch die eindeutige Rücknahmeerklärung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 20.12.2012 wirksam beendet worden. Die Rücknahmeerklärung bewirkt den Verlust des Rechtsmittels (vgl. § 156 Abs. 3 S. 1 SGG).
Die Klägerin muss die Erklärung ihrer Prozessbevollmächtigten gegen sich gelten lassen. Die von einem Prozessbevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären (§ 73 Abs. 6 Satz 7 SGG i.V.m. § 85 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Gemäß § 73 Abs. 6 i.V.m. § 81 ZPO ermächtigt die Prozessvollmacht zu allen Prozesshandlungen. Weisungen im Innenverhältnis zwischen Mandant und Prozessbevollmächtigten beeinträchtigen die Wirksamkeit von Prozesserklärungen nicht (vgl. BSG, 02.09.2009, B 12 P 2/08 R, SozR 4-3300 § 110 Nr. 2; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 73 Rn. 73). Eine Vollmachtsbeschränkung nach 83 Abs. 1 ZPO ist im sozialgerichtlichen Verfahren grundsätzlich nur (im Anwaltsprozess) vor dem Bundessozialgericht möglich (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 73 Rn. 71); im Übrigen würde eine solche Beschränkung eine eindeutige, nach außen erkennbare Erklärung voraussetzen, die hier nicht vorliegt.
Ein offensichtlicher Missbrauch der Vollmacht ist nicht ersichtlich. Die Prozessbevollmächtigte hat mit der Berufungsrücknahme auf den zutreffenden Hinweis des Gerichts zu den mangelnden Erfolgsaussichten angemessen reagiert.
Die Klägerin kann die Rücknahme auch nicht entsprechend den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften wegen Irrtums oder Drohung (§§ 119, 123 BGB) anfechten, denn diese ist eine gestaltende Prozesshandlung, auf die die Vorschriften des BGB über Nichtigkeit, Widerruf und Anfechtung grundsätzlich nicht anwendbar sind (vgl. BSG Beschluss vom 04.11.2009 - B 14 AS 81/08 B; Keller: in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., Rn. 2a zu § 156). Einem Widerruf könnte höchstens dann Bedeutung zukommen, wenn er gleichzeitig mit der Zurücknahme bei Gericht einginge. Dies ist nicht der Fall.
Die Wirkung der Klagerücknahme kann allenfalls dann wieder beseitigt werden, wenn ein gesetzlicher Restitutionsgrund (§ 179 Abs.1 SGG i.V.m. § 579 oder § 580 ZPO) gegeben wäre oder ein erkennbarer Verstoß gegen Treu und Glauben vorläge. Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.
Es ist daher festzustellen, dass das Berufungsverfahren L 13 R 762/11 durch die wirksame Erklärung der Bevollmächtigten beendet worden ist.
Der Senat kann über den von der Klägerin geltend gemachten materiellen Anspruch nicht mehr entscheiden, weil das Verfahren in der Hautsache erledigt ist (§ 156 SGG). Weitere Ermittlungen sind nicht veranlasst.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved