L 7 AS 323/13 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 40 AS 1025/13 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 323/13 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Besteht Anlass zu der Vermutung, dass zwischen zwei Leistungsberechtigten nach dem Sozialsystem SGB II, SGB XII eine eheähnliche Gemeinschaft besteht, die Anspruchsvoraussetzungen aber ansonsten erfüllt sind, ist im Eilverfahren der Regelbedarf für Partner ausreichend. Ein weiterer Abzug erscheint jedoch nicht sachgerecht.
2. Ene einmalige Einnahme, die gerade mal einen Monatsbedarf abdeckt, dient im Zuflussmonat zur Beseitigung der aktuellen Notlage und ist insoweit nicht gemäß § 11 SGB II zu verteilen.
I. Auf die Beschwerde des Klägers, Antragstellers und Beschwerdeführers wird der Beschluss des Sozialgerichts München vom 22. Mai 2013 in Ziff. I und II abgeändert.

II. Der Beschwerdegegner wird verpflichtet, dem Beschwerdeführer von Juni 2013 bis November 2013 vorläufig monatlich 657,93 Euro zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

III. Außergerichtliche Kosten sind zu drei Viertel zu erstatten.

IV. Dem Beschwerdeführer wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Dr. P., A-Stadt, beigeordnet.



Gründe:


I.

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Bf.) begehrt vom Antragsgegner und Beschwerdegegner (Bg.) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der 1951 geborene Bf. lebte nach eigenen Angaben zwischen 1991 und April 2005 zusammen mit Frau F. (geb. 1954) in einem Reihenhaus. Nach der Zwangsräumung aus diesem Haus lebten der Bf., Frau F. und deren Tochter für etwa drei Monate in einer zugewiesenen Unterkunft. Anschließend zogen sie miteinander in die derzeit bewohnte Dreizimmerwohnung.

Am 18.04.2005 stellten diese drei Personen gemeinsam einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Dabei wurde angegeben, dass der Bf. und Frau F. in eheähnlicher Gemeinschaft lebten. Für den Bf. und Frau F. wurde daraufhin als Bedarfsgemeinschaft Arbeitslosengeld II bewilligt. Die Erstausstattung der Wohnung wurde vom Bg. übernommen.

In den Weiterbewilligungsanträgen wurde zunächst jeweils angegeben, dass sich die persönlichen Verhältnisse nicht geändert hätten. In späteren gerichtlichen Verfahren behaupteten der Bf. und Frau F. dann, dass ihr eheähnliches Verhältnis seit Mai 2006 zerrüttet und daher beendet worden sei.

In dem Verfahren L 7 AS 514/10 sowie im Eilverfahren L 7 AS 83/11 B ER war der Senat bereits mit der Sache befasst. Sowohl im Urteil zu L 7 AS 514/10 vom 28.04.2011 als auch im Eilbeschluss zu L 7 AS 83/11 B ER vom 11.03.2011 folgte der Senat den Angaben des Bf. und von Frau F. , dass das Verhältnis seit Mai 2006 zerrüttet sei, nicht. Unter Würdigung sämtlicher Umstände, insbesondere dem fortgesetzten Zusammenleben in der kleinen gemeinsamen Wohnung, ging der Senat davon aus, dass nach wie vor eine eheähnliche Gemeinschaft bestehe. Das Einkommen von Frau F. in Höhe von ca. 2.200,00 EUR brutto (1.746,25 EUR netto) decke den gemeinsamen Bedarf.

Seit Abschluss der Verfahren vor dem LSG hat der Bf. beim Bg. mehrere Anträge auf Leistungen gestellt, die allesamt abgelehnt wurden. Die gerichtlichen Verfahren hierzu sind noch nicht abgeschlossen.

Den zuletzt gestellten Antrag des Bf. auf Leistungen nach dem SGB II vom 18.05.2012 lehnte der Bg. mit Bescheid vom 12.10.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.01.2013 auch unter Hinweis auf die Ansicht des Bayer. Landessozialgerichts ab. Es bestehe nach wie vor eine eheähnliche Gemeinschaft. Frau F., verdiene inzwischen 2.300,00 EUR brutto. Unter Az.: S 40 AS 261/13 ist hierzu ein Verfahren beim Sozialgericht München anhängig.

Mit Rentenbescheid vom 04.04.2013 wurde Frau F. Rente wegen voller Erwerbsminderung beginnend ab 01.08.2012 in Höhe von 299,60 EUR monatlich und gleichzeitig eine einmalige Nachzahlung für die Zeit vom 01.08.2012 bis 31.05.2013 in Höhe von 1.797,93 EUR, zahlbar im Monat Mai, bewilligt. Frau F. erhält nunmehr ergänzend Leistungen nach dem SGB XII.

Am 03.05.2013 stellte der Bf. Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht München mit dem Begehren, ihm vorläufig Leistungen nach dem SGB II zu gewähren. Gleichzeitig beantragte der Bf. Prozesskostenhilfe für das Eilfverfahren.

Mit Schreiben vom 16.05.2013 erfolgte wegen bestehender Mietrückstände in Höhe von 1.659,98 EUR die fristlose Kündigung des Vermieters gegenüber dem Bf. und Frau F. Die Miete, die nicht mehr gezahlt wurde, beträgt aktuell insgesamt 680,86 EUR, wobei für die Wohnung eine Grundmiete in Höhe von 426,36 EUR, eine Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von 120,50 EUR, Vorauszahlungen auf die Heizkosten in Höhe von 56,50 EUR, auf Kaltwasser in Höhe von 22,50 EUR, und Miete für einen Stellplatz in Höhe von 55,00 EUR zu leisten sind.

Mit Beschluss vom 22.05.2013 lehnte das Sozialgericht München den Erlass einer einstweiligen Anordnung ab (Ziff I und II des Beschlusses) und versagte gleichzeitig Prozesskostenhilfe für das Eilverfahren vor dem Sozialgericht (Ziff III des Beschlusses). Der letzte förmliche Antrag auf Leistungen nach dem SGB II sei am 21.05.2012 gestellt worden, aber unter völlig anderen Voraussetzungen als sie zum jetzigen Zeitpunkt vorlägen. Angesichts dieser geänderten Verhältnisse hätte sich der Bf. mit einem neuen Antrag an die Behörde wenden müssen. Deshalb fehle es am Rechtsschutzbedürfnis für den Eilantrag. Der Bf. hätte dem Bg. vor Anrufung des Gerichts im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zunächst Gelegenheit geben müssen, den Leistungsanspruch des Bf. unter Berücksichtigung der eingetretenen finanziellen Änderungen, insbesondere bei Frau F., neu zu prüfen. Eilbedürftigkeit sei ebenfalls nicht gegeben. Das Gericht gehe davon aus, dass der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vom 03.05.2013 als erneuter Antrag auf Leistungen nach dem SGB II anzusehen sei und der Bf. daher nach Durchführung der notwendigen Ermittlungen bei entsprechender Mitwirkung des Bf. zügig über die Gewährung von Leistungen an den Bf. entscheiden werde. Die Wohnung sei trotz der fristlosen Kündigung nicht gefährdet, da der Mietrückstand überschaubar sei. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Eilverfahren wurde mangels Erfolgsaussichten abgelehnt.

Hiergegen hat der Bf. Beschwerde sowohl hinsichtlich der Ablehnung von Leistungen eingelegt (Ziff. I und II des Beschlusses, L 7 AS 323/13 B ER) als auch gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe (Ziff. III des Beschlusses, L 7 AS 326/13 B PKH).

Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts sei ein Rechtsschutzbedürfnis gegeben, erst recht, wenn man wie das Sozialgericht davon ausgehe, dass der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gleichzeitig ein Antrag auf Leistungen nach dem SGB II bei der Behörde sei. Aus Sicht des Bf. sei ein erneuter Antrag auf Leistung nach dem SGB II jedoch wegen der abgelehnten Anträge nicht notwendig. Eine Bedarfsgemeinschaft läge nicht vor. Unabhängig von der Frage, ob eine Bedarfsgemeinschaft vorläge, sei Bedürftigkeit des Bf. gegeben. Der Umstand, dass vermutlich Frau F. selbst hilfebedürftig nach dem SGB XII sei, ändere an der grundsätzlichen Fragestellung, ob überhaupt eine Bedarfsgemeinschaft vorliege, nichts. Der Hinweis des Sozialgerichts, dass eine Räumung trotz fristloser Kündigung nicht drohe, da der Mietrückstand noch überschaubar sei, sei völlig unverständlich.

Der Bg. ist der Auffassung, dass das LSG bestandskräftig das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft festgestellt habe. Die finanziellen Verhältnisse der Bedarfgemeinschaft könnten mangels Mitwirkung des Bf. und von Frau F. nicht hinreichend geklärt werden.

II.

Die zulässige Beschwerde ist zum Teil begründet.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zulässig, insbesondere besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis hierfür. Der letzte Antrag seitens des Bf. auf Leistungen nach dem SGB II datiert vom 18.05.2012. Dieser Antrag wirkt bis zum heutigen Tage fort, nachdem der Bg. den Antrag mit Bescheid vom 12.10.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.01.2013 abgelehnt hat und hiergegen ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht unter Az. S 40 AS 261/13 offen ist. Nach der Rechtsprechung des BSG wirkt ein solcher Antrag, der vom Jobcenter abgelehnt wurde, bis zur gerichtlichen Entscheidung der letzten Hauptsacheinstanz fort. Demnach handelt es sich hier um einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zu dem beim Sozialgericht anhängigen Klageverfahren S 40 AS 261/13.

Die Beschwerde ist nur zum Teil begründet.

Die Beschwerde hat insoweit keinen Erfolg, als zur Überzeugung des Senats der Bf. mit Frau F. nach wie vor in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebt.

Entgegen der Auffassung des Bg. bewirken die Entscheidungen des Senats aus dem Jahr 2011 zwar nicht, dass hierdurch bis zum heutigen Zeitpunkt bestandskräftig bzw. rechtskräftig das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft festgestellt wäre. Vielmehr ist für jeden Bewilligungszeitraum die Situation neu zu würdigen. Insoweit geht der Senat jedoch unter Abwägung der Entwicklung seit 2011 davon aus, dass zwischen dem Bf. und Frau F. nach wie vor eine eheähnliche Gemeinschaft besteht. Der Bf. und Frau F. haben nicht nachvollziehbar und durch den Bg. - etwa im Wege von Hausbesuchen - überprüfbar nachgewiesen, dass sich ihre Lebensumstände geändert hätten. Eine Mitwirkung des Bf., wie sie hierfür erforderlich wäre, ist nicht erfolgt. Der Senat sieht sich zudem in der Entwicklung seit 2011 in seiner damaligen Auffassung, dass die eheähnliche Gemeinschaft nicht beendet wurde, bestätigt. Der Bf. und Frau F. sind bis zum heutigen Tag noch gemeinsam in der Wohnung. Der Bf. hat seit 2011 keine Leistungen nach dem SGB II mehr erhalten und hatte nach eigenen Angaben in dieser Zeit kein Einkommen. In dieser Zeit hat ihn offensichtlich Frau F. unterhalten.

Nachdem der Senat von einer eheähnlichen Gemeinschaft ausgeht, kommt es im Hinblick auf die Feststellung von Hilfebedürftigkeit des Bf., der selbst wohl ohne Einkommen und ohne Vermögens ist - allein auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse von Frau F. an.

Vorläufige Leistungen nach dem SGB II im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes sind frühestens ab dem Zeitpunkt möglich, zu dem der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim erstinstanzlichen Gericht gestellt wurde, hier also ab 03.05.2012.

Ab Mai 2013 besteht zwar grundsätzlich ein Bedarf des Bf. in Höhe 657,39 EUR monatlich. Die Bedarfsgemeinschaft, bestehend aus dem Bf. und Frau F., hat einen Bedarf in Höhe von 1.315,86 EUR, der Bf. also einen Bedarf von der Hälfte dieses Betrags. Regelbedarf besteht jeweils für den Bf. und Frau F. als Partner in einer eheähnlichen Gemeinschaft in Höhe von 345,00 EUR, insgesamt also 690,00 EUR monatlich. Hinzu kommen 625,86 EUR an Kosten für Unterkunft und Heizung. Die Miete für den Stellplatz in Höhe von 55,00 EUR monatlich kann hierbei nicht berücksichtigt werden, da nicht nachgewiesen ist, dass die Anmietung der Wohnung nur mit Anmietung des Stellplatzes möglich war.

Für Mai 2013 ist der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz schon deshalb unbegründet, weil das Einkommen von Frau F. im Monat Mai zur Bedarfsdeckung reichte. Frau F. erhielt in diesem Monat aufgrund des Rentenbescheids vom 04.04.2013 eine Rentennachzahlung in Höhe von 1.797,93 EUR. Eine abstrakte Verteilung des Einkommens auf sechs Monate, wie es § 11 SGB II vorsieht, ist insoweit nicht veranlasst. Die bereiten Mittel sind zur Beseitigung der aktuellen Notlage einzusetzen. Bezüglich des Monats Mai 2013 hat das Sozialgericht im Ergebnis zu Recht die Gewährung vorläufiger Leistungen versagt und die Beschwerde ist insoweit zurückzuweisen.

Für die Zeit ab Juni 2013 kommt der Senat aufgrund der vom BVerfG vorgegeben Folgenabwägung zu dem Ergebnis, dass dem Bf. vorläufig Leistungen zu gewähren sind.

Soweit Frau F. ab Juni 2013 nur noch über ein Einkommen von monatlich 299,60 EUR verfügt, ist dieses Einkommen für Frau F. und damit auch den Bf. nicht mehr bedarfsdeckend (wobei ein evtl. im Juni 2013 möglicherweise verbleibender Rest der im Monat Mai zur Bedarfsdeckung nicht benötigten Rentennachzahlung zu vernachlässigen ist).

Im Rahmen der vom Bundesverfassungsgericht vorzunehmenden Folgenabwägung bei existenzsichernden Leitungen geht der Senat davon aus, dass der Bf. nunmehr - nachdem Frau F Leistungen nach dem SGB XII erhält - seinen Anteil an den Kosten der Unterkunft unabhängig vom Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft benötigt, also die Hälfte von 625,86 EUR, nämlich 312,93 EUR. Die Notwendigkeit des Stellplatzes kann im Hauptsacheverfahren geklärt werden. Bzgl. der Höhe des Regelbedarfs wird davon ausgegangen, dass der volle Regelbedarf für Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft genügt und im Eilverfahren bis zur endgültigen Klärung des Vorliegens einer eheähnlichen Gemeinschaft 345,00 EUR anstelle der vom Bf. begehrten 384,00 EUR genügen.

Insgesamt sind dem Bf. demgemäß ab Juni 2013 vorläufig Leistungen in Höhe von 657,93 EUR (345, 00 EUR Regelbedarf und 312,93 EUR Kosten für Unterkunft und Heizung) zu gewähren, wobei eine zeitliche Begrenzung von sechs Monaten - entsprechendend dem in § 41SGB II vorgesehenen sechsmonatigen Bewilligungszeitraum - bis einschließlich November 2013 als sachgerecht erscheint.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und der Erwägung, dass der Bf. mit seinem Begehren für Mai 2013 keinen und in der Folge in der Höhe der begehrten Leistungen keinen vollen Erfolg hatte.

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren und Beiordnung des bezeichneten Rechtsanwalts ist wegen hinreichender Erfolgsausichten - wie sich aus oben Dargestelltem ergibt - positiv zu entscheiden, § 73a SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung, nachdem der Bf. vermögensloser Leistungsberechtigter nach dem SGB II ist.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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