L 15 SB 137/12

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 5 SB 194/12
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SB 137/12
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Höhe des GdB und den gesundheitelichen Voraussetzungen für das Merkzeichen H
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München
vom 22. August 2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitig ist, ob wegen einer Änderung der Verhältnisse gemäß § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) eine Neufeststellung gemäß § 69 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) zu treffen ist und der Grad der Behinderung (GdB) mit wenigsten 60 und ob die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen H (Hilflosigkeit) festzustellen sind.

Die 1954 geborene Klägerin stellte am 07.10.2003 erstmals einen Antrag auf Feststellung des GdB. Zur Begründung nahm sie Bezug auf einen Verkehrsunfall im Januar 1976 mit mehreren Brüchen mit der Folge von Schulterluxationen (seit 1978 mindestens 20-mal), außerdem auf eine Eileiterschwangerschaft und einen Jochbeinbruch der rechten Gesichtshälfte mit Folgeschäden in Form von Kopfschmerzen. Die Jochbeinfraktur erlitt sie nach ihren Angaben am 15.04.1997 durch Faustschläge ihres damaligen Ehemanns. Sie wurde deswegen im Kreiskrankenhaus A-Stadt vom 15.04.1997 bis zum 28.04.1997 stationär behandelt.

Mit Bescheid vom 29.07.2004 stellte der Beklagte einen GdB von 30 fest (Einzel-GdB 30 für die seelische Störung, Trigeminus-Neuralgie rechts; Einzel-GdB 20 für die Funktionsbehinderung des Schultergelenks rechts). Den dagegen eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin damit, dass sie sich aufgrund ihrer Mittelgesichtsfraktur rechtsseitig nicht mehr konzentrieren könne, da sie unter sehr massiven Kopfschmerzen leide, die an Heftigkeit zunehmen würden. Mit Abhilfe-Bescheid vom 08.09.2004 stellte der Beklagte einen GdB von 40 fest bei Bezeichnung folgender Gesundheitsstörungen:
1. seelische Störung, psychovegetative Störungen, Trigeminus-Neuralgie (Einzel-GdB 30);
2. Instabilität des Schultergelenks rechts (Einzel-GdB 20).

Den erneuten Widerspruch begründete die Klägerin mit heftigsten Schmerzattacken mehrmals im Monat wegen der schweren Trigeminus-Neuralgie. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 07.02.2005 zurück.

Am 15.02.2005 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht München. Ihre Trigeminusprobleme -so die Klägerin - seien sehr massiv (circa fünfmal täglich). Ihre Schulter sei nur noch sehr beschränkt einsetzbar, ihr rechter Oberarm könne nur bis 90 Grad gehoben werden. Außerdem habe sie aufgrund ihres Verkehrsunfalls vom Januar 1976 durch den Oberschenkelbruch links und Beckenbruch Einschränkungen, die sich mit zunehmendem Alter verschlechtert hätten.

Das Sozialgericht holte Berichte über die ärztlichen Behandlungen der Klägerin ein. Die vom Sozialgericht auf orthopädischem und nervenärztlichem Fachgebiet in Auftrag gegebenen Begutachtungen mit ambulanter Untersuchung kamen nicht zustande, da es trotz entsprechender Bemühungen der Sachverständigen zu einer Untersuchung der Klägerin nicht gekommen war. Im Mai 2006 teilte diese mit, dass sie zu keinem Arzt mehr gehen könne, da sie mehrmals täglich an heftigen Trigeminus-Kopfschmerzen leide. Ihren rechten Arm könne sie aufgrund von habituellen Schulterluxationen nur noch sehr beschränkt gebrauchen. Sie fügte Schreiben ihres späteren Ehemanns vom 05.03.2006 und ihrer Mutter vom 07.03.2006 mit dem Inhalt bei, dass sie im Alltagsleben wegen der Trigeminusanfälle allein nicht mehr zurecht komme, die Kopfschmerzen sich im letzten Jahr verschlechtert hätten und sie ihre Ärztin seit September 2005 nicht mehr aufsuchen könne.

Der nervenärztliche Sachverständige Dr. K. erstattete am 19.06.2006 ein Gutachten nach Aktenlage, nachdem er in einem rentenversicherungsrechtlichen Rechtsstreit am 01.02.2006 ein Gutachten ebenfalls nach Aktenlage erstellt hatte. Er berichtete, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der (Renten-)Begutachtung durch Dr. K. (Februar 2004) 200 mg Tegretal eingenommen habe, was einer sehr niedrigen Dosis entspreche. Dr. K. habe einen unauffälligen neurologischen Untersuchungsbefund erhoben. Zum psychischen Befund habe Dr. K. mitgeteilt, dass die Klägerin sensitiv und empfindlich gewirkt habe; sie drücke sich überwiegend über ihr Schmerzerleben aus. Wie dem Gutachten des Dr. K. weiter zu entnehmen sei, habe sich die Klägerin im Mai 2004 wegen eines depressiven Syndroms, einhergehend mit einer Antriebsstörung, innerer Unruhe, Anspannung, Nervosität und reduzierter Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit in psychiatrische Behandlung bei Frau D. begeben, die eine antidepressive Behandlung mit Saroten in die Wege geleitet habe. Nach der Einschätzung des Dr. K. lagen keine konsistenten Befunde vor, die eindeutig für eine Trigeminus-Neuralgie sprächen. Lediglich die Angabe des Dr. Ippisch, dass Tegretal zu einer Besserung der Beschwerden geführt habe, spreche für eine Trigeminus-Neuralgie, wobei ungewöhnlich sei, dass die Behandlung in sehr niedriger Dosis erfolgt sei. Die Trigeminus-Neuralgie lasse sich nur als Verdachtsdiagnose formulieren. Im Ergebnis bewertete der Sachverständige den rechtsseitigen Gesichtsschmerz, möglicherweise im Sinn einer atypischen Trigeminus-Neuralgie, überlagert von einer wahrscheinlichen Somatisierungsstörung, mit einem GdB von 30 und die seelische Störung in Form einer ängstlich-depressiven Entwicklung bei einer privaten und familiären Konfliktsituation mit einem GdB von 20. Unter Berücksichtigung der Funktionsstörung des rechten Schultergelenks mit einem GdB von 20 bemaß er den Gesamt-GdB auf 40.

Die Klägerin wies mit Schreiben vom 23.07.2007 darauf hin, dass durch einfaches Heben ihres Armes bereits die Trigeminus-Kopfschmerzen ausgelöst würden. Anlässlich der Terminierung der mündlichen Verhandlung legte sie ein Attest der Psychiaterin und Psychotherapeutin Dr. D. vor, wonach sie anhaltend an häufigen Schmerzattacken und an massiv ausgeprägter depressiver Symptomatik leide und auch in Zukunft aus nervenärztlicher Sicht nicht prozessfähig sein werde. Das Sozialgericht München wies die Klage mit Urteil vom 22.08.2007 ab.

Gegen dieses Urteil legte die Klägerin Berufung ein und beanspruchte einen GdB von 50 bis 60. Weiter forderte sie einen "Schwerbehindertenausweis mit Merkmal H".

Die Klägerin brachte zur Begründung der Berufung vor, dass sie mehrmals pro Woche Trigeminus-Kopfschmerzen habe und ihren Arm nicht mehr richtig bewegen könne. Ihre "Krankheiten mit Dauerfolgen" beschrieb sie wie folgt (Schreiben "an die Gutachter d. Landessozialgerichts A-Stadt" vom 27.01.2010):
"1. Laterale Mittelgesichtsfraktur rechts mit Folgeschäden: Massivste Gesichtsschmerzen rechts, Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen, Schwindelanfälle, depressive Verstimmungen.
2. Habituelle Schulterluxationen rechts, muss sehr auf Bewegungen achten, wegen Splitterbruch Rechter Oberarm, Knieprobleme links wegen Fraktur des linken Oberschenkels, Gefäßstörungen am rechten Unterschenkel bis zur Hüfte manchmal ausschlagend; alles aufgrund eines Unfalls (PKW Mercedes) mit der Stoßstange mit ca. 40 km/h unten gegen das rechte Schienbein.
3. Beckenfraktur links, habe zunehmende Probleme.
4. Eileiterschwangerschaft 1995, habe Probleme im Bauch.
5. Sehschwäche, zum Teil Doppeltsehen."

Die die Klägerin seit Februar 2004 behandelnde Dr. D. teilte im Befundbericht vom 21.12.2007 die Diagnosen Anpassungsstörungen und eine Trigeminus-Neuralgie mit. Seit 2004 bestehe ein relativ gleichbleibendes Bild ohne Verschlechterung oder Verbesserung. Im ärztlichen Attest vom 28.02.2008 schrieb Dr. D., dass die Klägerin täglich unter mehreren Attacken massivster Gesichtsschmerzen leide, ihr Allgemeinzustand sehr schlecht sei, sie kaum mehr das Haus verlasse und bei der Erledigung ihres Haushalts massive Unterstützung durch die Familie benötige.

Die Sachverständigen Dr. L. und Dr. E. erstatten Gutachten nach Aktenlage, nachdem die Klägerin die Auffassung vertreten hatte, sie könne wegen ihrer Gesichtsschmerzen nicht zu den angeordneten Untersuchungen fahren. Dr. L. kam im orthopädischen Gutachten vom 15.04.2008 samt ergänzender Stellungnahme vom 06.05.2008 zu dem Ergebnis, dass für die Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenks mit schmerzhafter Bewegungsbehinderung und Neigung zu wiederkehrender Schulterverrenkung ein GdB von 20 und für die Funktionsbehinderung des linken Knies nach erlittener Polytraumatisierung 1976 ein GdB von 10 zu veranschlagen sei, so dass auf orthopädischem Gebiet ein Gesamt-GdB von 20 bestehe. Dr. E. führte im neurologischen Gutachten vom 15.05.2008 aus, dass die diagnostische Einordnung des Gesichtsschmerzes nicht sicher sei, dass eine Trigeminus-Neuralgie durchaus vorliegen könne, da die Schmerzen auf die Medikation mit Carbamazepin angesprochen hätten, dass die therapeutischen Mittel sicher nicht ausgeschöpft seien und dass es bei geklagter erheblichster Schmerzsymptomatik bemerkenswert erscheine, dass nicht sämtliche Therapieversuche unternommen würden. Es müsse eine Überlagerung der Gesichtsschmerzen mit der dokumentierten seelischen Störung angenommen werden. Im Ergebnis bestätigte er den Gesamt-GdB von 40 bei Annahme eines Einzel-GdB von 30 für den Gesichtsschmerz, eines Einzel-GdB von 20 für die seelische Störung und eines Einzel-GdB von 20 für die Funktionsstörung des rechten Schultergelenks.

Wie in den damals beigezogenen Unterlagen aus dem rentenversicherungsrechtlichen Berufungsverfahren (Az.: L 14 R 1011/08) dokumentiert war, stellte der Sachverständige Dr. B. im nervenärztlichen Gutachten vom 29.05.2009 nach einer von der Klägerin vorzeitig abgebrochenen Untersuchung bei einem Hausbesuch am 08.04.2009 folgende Diagnosen: Zustand nach Fraktur des rechten Orbitabogens der Kiefernhöhlenvorderwand und -hinterwand sowie des rechten Jochbogens, atypischer Gesichtsschmerz (differentialdiagnostisch Trigeminus-Neuralgie rechts), Dysthymie, narzisstisch geprägte Primärpersönlichkeit mit histrionischer Ausgestaltung, Rentenwunsch. Bezüglich der Medikation hatte die Klägerin dem Sachverständigen berichtet, dass sie seit eineinhalb Jahren jeden Tag 20 mg Cipralex pro Tag einnehme. Lyrica habe sie im Januar abgesetzt, weil sie Ausschlag davon bekommen habe. Früher habe sie auch Tegretal genommen, das sie ebenfalls nicht vertragen habe, auch davon habe sie Ausschlag bekommen.

Im März 2009 bat die Klägerin darum, auf Staatskosten zu einem Gutachter im Kreis A-Stadt geschickt zu werden, damit dieser sie untersuchen möge. Mit Schreiben vom 30.04.2009 teilte sie mit, dass sie sich beim Frühstück die "rechte Schulter gottseidank nur halb luxiert" habe. Gleichzeitig habe sie immer die massiven Gesichtsschmerzen. Sowohl bei den Luxationen als auch im Gesicht habe sie wahnsinnig starke Schmerzen. Am 06.08.2009 berichtete sie, dass sie sich gestern die rechte Schulter beim Spülen des Geschirrs ausgerenkt habe.

Der Senat beauftragte Dr. F. mit einer Begutachtung auf orthopädischem Fachgebiet. Anlässlich der Diskussion über die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob die Begutachtung im Wege eines Hausbesuchs erfolgen könne, bekundete die Klägerin im Februar 2010, dass sie seit 2002 nicht mehr bei einem Orthopäden gewesen sei, da sie "mit den Auswirkungen der Verletzungen und Operationen von 1976 und 1997 einigermaßen leben kann", obwohl sie Schmerzen und Probleme bereiten würden. In der Absicht, eine Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. F. entbehrlich zu machen, konsultierte sie den Orthopäden Dr. C., der mit Schreiben vom 01.04.2010 die von ihm am 25.02.2010 und am 29.03.2010 erhobenen Untersuchungsbefunde übermittelte.

Dr. F. legte daraufhin im Gutachten vom 30.04.2010 (nach Aktenlage) dar, dass bezüglich des Schultergelenks auch mit Rücksicht auf den Bericht des behandelnden Orthopäden von Subluxationen und nicht von kompletten Ausrenkungen auszugehen sei, so dass ein höherer GdB als 20 nicht mit den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen vereinbar sei. Eine nicht belegte Knorpelschädigung im rechten oder linken Knie bei freier Beweglichkeit und fehlendem Hinweis auf einen Reizzustand stelle keine Behinderung mit einem messbaren GdB dar. Gleiches nahm er für die Beinverkürzung links an, die mit 2 cm geringgradig und durch Schuherhöhung kompensierbar sei. Ein höherer Teil-GdB als 20 auf orthopädischem Gebiet könne nicht vorgeschlagen werden.

Nachdem sich die Klägerin im Mai 2010 bereit erklärt hatte, Dr. F. zwecks Untersuchung in seiner Praxis aufzusuchen, beraumte der Sachverständige eine Untersuchung für den 17.08.2010 an. Noch bevor er einen Funktionsstatus der Gelenke und der Wirbelsäule erheben konnte, brach die Klägerin die Untersuchung wegen Gesichtsschmerzen ab. Für das weitere Gutachten vom 17.08.2010 konnte der Sachverständige allerdings Röntgenaufnahmen bezüglich des linken Kniegelenks und des rechten Schultergelenks in die Beurteilung einbeziehen, die auf Veranlassung des Dr. C. am 29.03.2010 gefertigt worden waren und die die Klägerin zwischenzeitlich zur Verfügung gestellt hatte. Die Funktionsbehinderung der rechten Schulter mit Subluxationsneigung bewertete Dr. F. weiterhin mit einem Einzel-GdB von 20. Für die ausgeprägten Knorpelschäden des linken Kniegelenks veranschlagte er nunmehr einen GdB von 10.

Der Neurologe Dr. S. erstattete nach Durchführung eines Hausbesuchs unter dem Datum vom 20.01.2011 ein Gutachten und bestätigte und ergänzte seine Beurteilung mit Stellungnahmen vom 27.04.2011 und 26.07.2011. Er erhob eine ausführliche Anamnese und erfasste dabei auch den Tagesablauf und die gesundheitliche Beschwerdesituation der Klägerin im Einzelnen. Weiter hielt er fest, dass die Klägerin keine Medikamente einnehme; das zur Schmerztherapie versuchte Medikament Lyrica habe sie wegen einer Hautallergie absetzen müssen. Tegretal habe sie wegen des Kreislaufes nicht vertragen, aber auch wegen der dämpfenden Nebenwirkung. Sie vergesse dann ihren Arm und neige zu Schulterluxationen. Deshalb trage sie jetzt einen blockierenden Verband, damit sie nicht unbewusst eine zu starke Armhebung durchführe. Der Sachverständige konnte den neurologischen Status prüfen und einen gründlichen psychischen Befund erheben.

Dr. S. führte aus, dass die Schultergelenkserkrankung rechts mangels ausreichender Testung der Beweglichkeit nur geschätzt werden könne. Auch er habe die Beweglichkeit des rechten Schultergelenks nicht ausreichend prüfen können, da die Klägerin während der gesamten Untersuchung einen sperrenden Verband getragen habe. Die Funktionsfähigkeit des rechten Armes werde durch die seelische Gesundheitsstörung schlechter empfunden, als sie wirklich sei. Die Klägerin habe eine phobische Angst vor Ausrenkungen des rechten Schultergelenks entwickelt, die eine stärkere funktionelle Einschränkung der Schulterbeweglichkeit rechts bedinge als die Schultererkrankung selbst. Funktionell lasse sich die Bewegungseinschränkung am ehesten als psychisch ausgestaltete Versteifung des Schultergelenks in günstiger Stellung bei gut beweglichem Schultergürtel und normaler Funktion der Hand beschreiben, wofür nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen ein Einzel-GdB von 30 erreicht werde. Die Limitierung in der Armbeweglichkeit zeige im Zeitverlauf eine zunehmende Tendenz. Er gehe von einer Zunahme im Frühjahr 2008 aus - insoweit stützte er sich auf das Attest der Dr. D. vom 28.02.2008 - und von einer nochmaligen Zunahme im Frühjahr 2010. Es bestehe jetzt, so der Sachverständige, eine inkomplette psychogene Lähmung der Oberarm- und Schultermuskeln rechts aufgrund eines konversionsneurotischen Mechanismus. Für die Zeit ab 01.03.2008 sprach sich der Sachverständige für eine Anhebung des Einzel-GdB auf 30 aus. Bei der Ermittlung des Gesamt-GdB müsse berücksichtigt werden, dass wesentliche Überschneidungen mit den weiter vorliegenden psychischen Gesundheitsstörungen bestehen würden.

Wie zuvor schon Dr. K., Dr. K., Dr. E. und Dr. B. konnte Dr. S. die typische Symptomatik einer Trigeminus-Neuralgie nicht erkennen. Es liege auch nicht - so der Sachverständige - die nahezu unerträgliche Intensität der Schmerzen bei einer Trigeminus-Neuralgie vor, die meist dazu führe, dass die Betroffenen wahllos Schmerzmedikamente nehmen würden, nur um dem Schmerz zu entkommen. Die Klägerin könne unter Verzicht auf Medikamente die Schmerzintensität tolerieren. Eine gefäßabhängige Kopfschmerzform erscheine bei ihr wesentlich wahrscheinlicher als eine Trigeminus-Neuralgie. Nach seiner Auffassung leide sie eher an einem trigemino-autonomen Kopfschmerz-Syndrom. In Anlehnung an die für Migräne geltenden Maßstäbe sei für den Gesichtsschmerz rechts nach Mittelgesichtsfrakturen eher ein GdB von 20 als von 30 vorzuschlagen.

Bei der Klägerin bestünden recht geringe affektive Störungen, sondern mehr somatoforme Störungen in Form einer körperlich nicht ausreichend begründbaren Minderbeweglichkeit des rechten Arms. Die Einschätzung eines GdB von 20 für die affektive Teilsymptomatik der psychischen Gesundheitsstörungen sei korrekt.

Unter Berücksichtigung der bei der neurologischen Untersuchung beobachteten fehlenden Einschränkung der Beweglichkeit des linken Knies hielt Dr. S. den von Dr. F. empfohlenen Einzel-GdB von 10 für großzügig. Die von der Klägerin angegebenen unspezifischen Abdominal-Beschwerden würden einen messbaren GdB nicht bedingen. Gleiches gelte für die seit dem Unfall 1976 bestehenden sensomotorischen Störungen am rechten Unterschenkel und die geringe Schwellneigung ohne Gewebs- und Hautveränderungen sowie den kreislaufabhängigen Schwindel.

Für die Zeit seit 07.10.2003 bis laufend ergebe sich ein Gesamt-GdB von 40. Dabei sei berücksichtigt, dass das Funktionsdefizit der rechten Schulter deutlich psychisch dominiert sei und die psychische Gesundheitsstörung auch die Gesichtsschmerzen rechts ungünstig verstärke. Eine Anhebung des Gesamt-GdB auf 50 könne nicht erfolgen, da sich die Auswirkungen der einzelnen Erkrankungen in erheblichem Ausmaß überschneiden würden.

Zum Merkzeichen H wies der Sachverständige, ohne dass entsprechende Beweisfragen gestellt worden wären, darauf hin, dass die Voraussetzungen dafür nicht vorlägen. Der Umfang der notwendigen Hilfe bei den häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen sei nicht erheblich; die Klägerin habe keine Einschränkungen der Armmotilität links und keine Einschränkungen des Gehens. Hilfebedarf bestehe nur beim An- und Auskleiden infolge der Schädigung des rechten Schultergelenks und beim Haarewaschen und eventuell beim Kämmen. Ein weiterer Hilfebedarf sei trotz Rechtshändigkeit nicht zu erkennen. Die Anerkennung des Merkzeichens H könne nicht empfohlen werden.

In Reaktion auf das Gutachten des Dr. S. forderte die Klägerin im März 2011 einen GdB von 10 für die Schmerzen im linken Knie, einen GdB von 10 für die Entfernung des rechten Eierstocks aufgrund Eileiterschwangerschaft, einen GdB von 10 für Doppeltsehen, mindestens einen GdB von 40 bis 50 für das Schädel-Hirn-Trauma samt Folgeschäden und mindestens einen GdB von 30 für die Schulterluxationen. Einige Wochen später ordnete sie dem "Schädel-Hirn-Trauma mit Gleichgewichtsstörungen, depressive Verstimmungen" einen GdB von 50 zu und sah für "massivste Gesichtsschmerzen rechts in Form einer Trigeminus-Neuralgie, Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen" einen GdB von 40 bis 50.

Dr. S. äußerte sich am 27.04.2011 ergänzend. Unter Bezugnahme auf das Attest der Dr. F. vom 15.01.1998 führte der Sachverständige aus, dass die Klägerin 1997 ein Schädeltrauma erlitten habe. Eine Beteiligung des Hirns habe nur in Form einer folgenlos abgeheilten Gehirnerschütterung bestanden. Herdneurologische Ausfälle, mentale Leistungseinschränkungen und Zeichen einer hirnorganischen Wesensänderung hätten damals gefehlt und würden auch weiterhin fehlen. Verblieben seien als Folgen des vorwiegend knöchernen Schädeltraumas ein gelegentliches Doppelbildsehen und eine funktionell nicht bedeutsame Sensibilitätsstörung im Mittelgesichtsbereich rechts. Für beide Störungen komme ein Einzel-GdB von 10 nicht in Betracht. Die Anerkennung des Merkzeichens H komme keinesfalls in Frage. Bei der Klägerin bestehe isoliert nur eine Funktionsstörung des rechtens Arms, der nicht ausreichend positioniert werden könne, wobei aber die rechte Hand funktionstüchtig sei. Ihr Zustand sei damit wesentlich besser als bei einem Verlust von zwei oder mehr Gliedmaßen (ausgenommen Unterschenkel- oder Fußamputation beidseits) oder bei Extremitätenverletzungen, bei denen der Hilfebedarf erheblich sei, Fällen, in denen das Merkzeichen H zuerkannt werden könne.

Das Bayer. Landessozialgericht wies die Klägerin in der Folge darauf hin, dass eine inhaltliche Prüfung ihres Begehrens nur insoweit zulässig sei, als sie einen höheren GdB als 40 begehre, nicht aber bezüglich des Merkzeichens H.

Zur Frage eines Anspruchs der Klägerin auf das Merkzeichen H äußerte sich der Beklagte schriftsätzlich nicht. In der mündlichen Verhandlung am 28.07.2011 erklärte er, dass er mit einer Klageänderung dahingehend, dass das Merkzeichen H Gegenstand des Berufungsverfahrens werde, nicht einverstanden sei.

Mit Urteil vom 28.07.2011 wurde die Berufung zurückgewiesen.

Am 05.09.2011 beantragte die Klägerin die Erhöhung des GdB auf wenigstens 50 sowie die Feststellung des Merkzeichens H. Wegen der angegebenen Verschlimmerung der Beschwerden verwies sie auf ihre Aufstellung vom 27.01.2010, die sie für das zuvor beim Bayer. Landessozialgericht abgeschlossene Verfahren angefertigt und dort vorgelegt hatte.

Beigezogen wurde ein Pflegegutachten des MDK Bayern vom 26.05.2010, in dem bei einem Zeitaufwand für Grundpflege von 26 Minuten am Tag und für Hauswirtschaft von 45 Minuten am Tag eine Pflegestufe nicht angenommen worden war. Zum selben Ergebnis war ein weiteres Pflegegutachten vom 28.07.2010 gekommen.

Der versorgungsärztliche Dienst sah nach einer Auswertung der vorliegenden Unterlagen das Merkzeichen H als nicht gegeben an (Stellungnahme vom 24.01.2012).

Mit Bescheid vom 01.02.2012 lehnte es der Beklagte ab, wegen einer Änderung der Verhältnisse gemäß § 48 SGB X eine Neufeststellung gemäß § 69 SGB IX zu treffen. Der GdB betrage weiterhin 40.

Mit Bescheid vom 02.02.2012 lehnte es der Beklagte ab, das Merkzeichen H zuzuerkennen.

Gegen beide Bescheide erhob die Klägerin am 06.02.2012 Widerspruch.

Die Widersprüche wurden mit Widerspruchsbescheid vom 15.02.2012 zurückgewiesen.

Am 20.02.2012 hat die Klägerin Klage erhoben. Ihr stehe - so die Klägerin - mindestens ein GdB von 60 mit Merkzeichen H zu. Als Beleg hat sie bereits aus dem Verfahren
L 15 SB 135/07 bekannte Unterlagen vorgelegt. Sie könne den Alltag nicht alleine bewältigen und habe erhebliche gesundheitliche Einschränkungen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 22.08.2012 abgewiesen. Eine Veränderung des Gesundheitszustandes gegenüber dem im Urteil des Landessozialgerichts vom 28.07.2011 zugrunde gelegten Zustandes sei - so das Sozialgericht - weder ersichtlich noch von der Klägerin vorgetragen.

Dagegen hat die Klägerin am 30.08.2012 Berufung eingelegt. Aufgrund ihrer zahlreichen Behinderungen - so die Klägerin - habe sie einen GdB von 60 mit Merkzeichen H; im Alltag komme sie alleine nicht mehr zurecht.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 18.10.2012 ist die Klägerin darauf hingewiesen worden, dass die von ihr jetzt geltend gemachten Beschwerden dem entsprächen, was sie auch schon früher angegeben habe. Die von ihr vorgelegte Beschwerdezusammenstellung vom 27.01.2010 lege die Annahme nahe, dass die aktuell vorhandenen Beschwerden so schon seit längerem vorlägen.

Auf die Anfrage des Gerichts, ob sich ihr Gesundheitszustand seit der Aufstellung vom 27.01.2010 verändert habe, hat die Klägerin mit Schreiben vom 27.10.2012 mitgeteilt, dass sie die Leiden seit 1976 bzw. 1997 und verstärkt seit 2003 habe und seitdem nicht mehr in der Lage sei, ihren Alltag allein zu bewältigen.

Der Senat hat Befundberichte bei den von der Klägerin angegebenen Ärzten (Psychiaterin und Psychotherapeutin Dr. D., Orthopäde Dr. C., Neurologe Dr. B.) angefordert. Diese haben mitgeteilt, dass sie die Klägerin letztmals am 01.04.2009 (Dr. D.), am 10.06.2010 (Dr. C.) bzw. am 06.05.2011 behandelt hätten und ihnen über den weiteren Krankheitsverlauf nichts bekannt sei.

Der Anregung des Gerichts, wegen fehlender Erfolgsaussichten die Berufung zurückzunehmen, ist die Klägerin nicht nachgekommen, da sie massivste Beschwerden habe (Schreiben vom 06.01.2013).

Mit Beschluss vom 07.01.2013 ist die Berufung dem Berichterstatter übertragen worden.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 22.08.2012 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 01.02.2012 und 02.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.02.2012 zu verpflichten, einen GdB in Höhe von 60 und die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen H festzustellen.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten des Beklagten, des Sozialgerichts München und des Bayer. Landessozialgerichts auch in Verfahren L 15 SB 135/07, L 16 R 109/07 und L 14 R 1011/08 beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungsakte und der beigezogenen Akten Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Mit Beschluss gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vom 19.10.2012 ist die Berufung dem Berichterstatter übertragen worden, so dass dieser zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern zu entscheiden hat.

Der Senat hat in Abwesenheit der Klägerin verhandeln und entscheiden können, da diese über den Termin zur mündlichen Verhandlung informiert und dabei auch auf die Folgen ihres Ausbleibens hingewiesen worden ist (§ 110 Abs. 1 Satz 2, § 153 Abs. 1 SGG).

Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist die Frage, ob es der Beklagte zutreffend im Wege einer Entscheidung gemäß § 48 SGB X abgelehnt hat, einen höheren GdB als 40 anzuerkennen, und ob die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen H festzustellen sind.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Die angefochtenen Bescheide vom 01.02.2012 und 02.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.02.2012 sind nicht zu beanstanden. Eine Veränderung der dem Bescheid vom 08.09.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.02.2005 zugrunde liegenden gesundheitlichen Verhältnisse der Klägerin ist nicht nachgewiesen. Der Beklagte hat es daher zu Recht abgelehnt, einen höheren GdB als 40 festzustellen. Auch hat der Beklagte zutreffend die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen H verneint. Bis zur mündlichen Verhandlung am 28.02.2013 haben sich keine neuen Tatsachen ergeben, die einen höheren GdB als 40 und/oder die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen H begründen würden.

1. Zum GdB

Der gesundheitliche Zustand der Klägerin hat sich seit dem Abhilfe-Bescheid vom 08.09.2004 nicht GdB-relevant verschlechtert, sodass der GdB nach wie vor mit 40 zu bewerten ist. Der Beklagte hat es daher zu Recht abgelehnt, den GdB neu festzustellen.

Rechtsgrundlage des mit der Klage angefochtenen Bescheids ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Eine wesentliche Änderung ist dann anzunehmen, wenn sich durch eine Verschlechterung (oder Besserung) der Verhältnisse, die der festgestellten Behinderung zugrunde liegen, eine Erhöhung (oder Herabsetzung) des GdB um wenigstens 10 ergibt.

In den Gründen des Urteils vom 28.07.2011, Az.: L 15 SB 135/07, hat sich das Bayer. Landessozialgericht zur Höhe des mit Bescheid vom 08.09.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.02.2005 festgestellten GdB der Klägerin und dem zum damaligen Entscheidungszeitpunkt des Bayer. Landessozialgerichts vorliegenden GdB wie folgt geäußert:

"Der (Abhilfe-) Bescheid vom 08.09.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.02.2005 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Ihr steht ein höherer GdB als 40 nicht zu. Einer gesonderten Würdigung der Rechtmäßigkeit des ursprünglichen Bescheids vom 29.07.2004 bedarf es nicht, weil der Abhilfe-Bescheid vom 08.09.2004 (GdB 40 seit Antragstellung) den Bescheid vom 29.07.2004 (GdB 30 seit Antragstellung) ersetzt hat.

Rechtsgrundlage für die Feststellung des Vorliegens einer Behinderung und des GdB ist § 69 Abs. 1 SGB IX in Verbindung mit den seit 01.01.2009 maßgeblichen Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG), Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung. Die VG haben die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) abgelöst, die für die Zeit vor 01.01.2009 weiterhin als antizipierte Sachverständigengutachten beachtlich sind (dazu BSG vom 18.09.2003, B 9 SB 3/02 R; vom 24.04.2008, B 9/9a SB 10/06 R; BVerfG vom 06.03.1995, BvR 60/95). Die Anhaltspunkte und nunmehr die Versorgungsmedizinischen Grundsätze sind ein auf besonderer medizinischer Sachkunde beruhendes Regelwerk, das die möglichst gleichmäßige Anwendung der Bewertungsmaßstäbe im Bundesgebiet bezweckt und dem Ziel des einheitlichen Verwaltungshandelns und der Gleichbehandlung dient.

Der Senat ist davon überzeugt, dass der Gesamt-GdB zutreffend mit 40 bewertet ist und nicht auf 50 erhöht werden kann. Dies folgt aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme. Die Möglichkeiten der Sachverhaltsermittlung waren zwar durch das zunächst wenig kooperative Verhalten der Klägerin beschränkt. Mit erheblichem Aufwand ist es dem Senat aber dennoch gelungen, den medizinischen Sachverhalt so weit aufzuklären, dass es nicht einer Entscheidung nach Beweislastgrundsätzen bedarf.

Der Senat stützt sich in erster Linie auf die gutachtliche Würdigung des Dr. S., der die überwiegend nach Aktenlage gewonnenen Erkenntnisse der weiteren Sachverständigen bei seiner Beurteilung berücksichtigt hat. Im Unterschied zu den Nervenärzten Dr. K. und Dr. E. und den Orthopäden Dr. L. und Dr. F. hat der Neurologe Dr. S. seine sachverständigen Beurteilungen auf der Grundlage einer nicht vorzeitig abgebrochenen ambulanten Untersuchung der Klägerin im Rahmen eines Hausbesuchs am 20.01.2011 treffen können.

Folgende Gesundheitsstörungen der Klägerin sind mit einem Einzel-GdB von mindestens 10 zu veranschlagen:
- Funktionsbehinderung des Schultergelenks rechts (Einzel-GdB 20, ab 01.03.2008 Einzel-GdB 30);
- Gesichtsschmerz rechts verstärkt durch psychische Gesundheitsstörung (Einzel-GdB 20);
- seelische Gesundheitsstörung (Einzel-GdB 20);
- Knorpelschäden des linken Kniegelenks (Einzel-GdB 10).

In Übereinstimmung mit Dr. F. und Dr. L. hat Dr. S. die Funktionsbehinderung des Schultergelenks rechts für die Zeit seit Antragstellung bis 28.02.2008 mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet. Für die Zeit ab 01.03.2008 hat sich Dr. S. wegen einer psychisch bedingten Zunahme der Bewegungsbehinderung für einen Einzel-GdB von 30 ausgesprochen. Der Senat schließt sich dieser Einschätzung an. Gemäß Teil B Nr. 18.13 VG (ebenso Nr. 26.18 AHP) ist für die Instabilität des Schultergelenks mittleren Grades (auch häufigere Ausrenkung) ein Bewertungsrahmen von 20 bis 30 vorgesehen. Dass für die Funktionsbehinderung des Schultergelenks rechts überhaupt ein GdB festgesetzt wird, ist zwar nicht ganz unproblematisch, da die Klägerin eine Prüfung der Beweglichkeit der rechten Schulter durch keinen einzigen Sachverständigen zugelassen hat. Allerdings liegen immerhin die Befunde samt Röntgenaufnahmen des Dr. C. über die Untersuchung der Klägerin am 25.02.2010 und am 29.03.2010 vor, auf die sich der orthopädische Sachverständige Dr. F. bei seiner Beurteilung stützen konnte und sich auch gestützt hat. Zwischenzeitlich steht wegen der von Dr. S. beobachteten Entwicklung in Richtung einer psychogenen Einschränkung der Schulterbeweglichkeit ohnehin die psychische Komponente im Vordergrund. Für den Senat nachvollziehbar hat der Sachverständige auf eine psychisch ausgestaltete Versteifung des Schultergelenks in günstiger Stellung bei gut beweglichem Schultergürtel und normaler Funktion der Hand abgestellt. Im Einklang mit Teil B Nr. 18.13 VG (ebenso Nr. 26.18 AHP), wonach ein Einzel-GdB von 30 für die Versteifung des Schultergelenks in günstiger Stellung bei gut beweglichem Schultergürtel vorgesehen ist, hat er diese Gesundheitsstörung ab 01.03.2008 korrekt mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet.

Der Senat hält die Einschätzung des Dr. S. auch insoweit für überzeugend, als er den Gesichtsschmerz rechts verstärkt durch die psychische Gesundheitsstörung mit einem Einzel-GdB von 20 veranschlagt hat. Alle nervenärztlichen Sachverständigen, also Dr. K., Dr. E., die im Rentenverfahren gehörten Dr. K. und Dr. B. und nun auch Dr. S., haben die typische Symptomatik einer Trigeminus-Neuralgie nicht erkennen können. Der Neurologe Dr. B. ist zwar im Rahmen einer Behandlung der Klägerin am 25.04.2010 von der gesicherten Diagnose einer Trigeminus-Neuralgie rechts ausgegangen. Dr. S. hat dies bei der ambulanten Untersuchung im Januar 2011 aber anders gesehen. Er hat eine gefäßabhängige Kopfschmerzform für wahrscheinlicher gehalten, für die in Anlehnung an die für Migräne geltenden Maßstäbe eher ein GdB von 20 als ein GdB von 30 anzunehmen sei. Nachdem für die mittelgradige Verlaufsform der Migräne (häufigere Anfälle, jeweils einen oder mehrere Tage anhaltend) wie auch für die mittelgradige Form einer Trigeminus-Neuralgie (häufigere, leichte bis mittelgradige Schmerzen, schon durch geringe Reize auslösbar) jeweils ein Bewertungsrahmen von 20 bis 40 vorgegeben ist (vgl. Teil B Nr. 2.2 und Nr. 2.3 VG; ebenso Nr. 26.3 AHP), kann letztlich offen bleiben, welche Kopfschmerzform vorliegt. Mit Rücksicht darauf, dass die Klägerin wegen der Gesichtsschmerzen zeitweise Medikamente in nur geringer Dosis eingenommen hat und zeitweise ganz ohne Schmerzmedikation zurechtkommt, erscheint dem Senat die von Dr. S. vorgeschlagene Bewertung des Gesichtsschmerzes mit einem Einzel-GdB von 20 angemessen. Die abweichende Einschätzung des Dr. K. und des Dr. E. (Einzel-GdB 30) ist schon deswegen nicht vorzugswürdig, weil diese Sachverständigen nur nach Aktenlage urteilen konnten.

Der erstmals im Frühjahr 2011 vorgebrachten These der Klägerin, es läge bei ihr ein Schädel-Hirn-Trauma mit Gleichgewichtsstörungen und depressiven Verstimmungen vor, das mit einem GdB 50 zu bewerten sei, ist der Sachverständige Dr. S. überzeugend in der ergänzenden Stellungnahme vom 27.05.2011" - Anmerkung: beim Datum handelt es sich um einen offenkundigen Schreibfehler. Richtig ist das Datum "27.04.2011 - "entgegengetreten. In Auswertung des Attests der Dr. F. vom 15.01.1998 hat er klargestellt, dass es bei dem 1997 erlittenen Schädeltrauma eine Beteiligung des Hirns nur in Form einer folgenlos abgeheilten Gehirnerschütterung gegeben habe. Verblieben seien als Folge des vorwiegend knöchernen Schädeltraumas ein gelegentliches Doppelbildsehen und eine funktionell nicht bedeutsame Sensibilitätsstörung im Mittelgesichtsbereich rechts, wobei diese Störungen nicht mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet werden könnten.

Die seelische Störung der Klägerin ist mit einem Einzel-GdB von 20 sicher ausreichend bemessen. Wie Dr. S. erläutert hat, sind die mit dieser Gesundheitsstörung erfassten affektiven Störungen bei der Klägerin recht gering. In Übereinstimmung mit den nervenärztlichen Vorgutachtern hält er es für richtig, die seelische Störung gesondert zu erfassen und zu bewerten. Nachdem Teil B Nr. 3.7 VG (ebenso Nr. 26.3 AHP) für leichtere psychovegetative oder psychische Störungen einen Bewertungsrahmen von 0 bis 20 vorgibt, ist der von allen nervenärztlichen Sachverständigen bestätigte Einzel-GdB von 20 nach dem Dafürhalten des Senats keine knappe Bewertung.

Bezüglich der Bewertung der ausgeprägten Knorpelschäden des linken Kniegelenks mit einem Einzel-GdB von 10 folgt der Senat dem Votum des Dr. F ... Auch Dr. L. hatte für das linke Knie nach Aktenlage einen Einzel-GdB von 10 vorgeschlagen.

Verschiedene Gesundheitsstörungen der Klägerin bedingen nach der plausiblen sachverständigen Würdigung des Dr. S. und des Dr. F. keinen GdB von mindestens 10. Dies sind
- die seit dem Unfall 1976 bestehenden sensomotorischen Störungen am rechten Unterschenkel und die geringe Schwellneigung ohne Gewebs- und Hautveränderungen,
- das als Folge des 1997 erlittenen Schädeltraumas verbliebene gelegentliche Doppelbildsehen,
- eine funktionell nicht bedeutsame Sensibilitätsstörung im Mittelgesichtsbereich rechts,
- unspezifische Bauchbeschwerden,
- ein kreislaufabhängiger Schwindel
- sowie eine mit 2 cm geringgradige und kompensierbare Beinverkürzung.

Auch der von der Klägerin angeführte Verlust eines Eierstocks (nach Eileiterschwangerschaft) kann nicht mit einem GdB von 10 bewertet werden (vgl. Teil B Nr. 14.3 VG).

Für den streitigen Zeitraum seit Antragstellung am 07.10.2003 bis jetzt beträgt der Gesamt-GdB 40. Mit Ausnahme des Dr. L., der eine Gesamtbeurteilung nicht vorgenommen hat, sind sich alle Sachverständigen einig, dass der Gesamtleidenszustand der Klägerin mit einem Gesamt-GdB von 40 richtig bewertet ist. Dabei ist berücksichtigt, dass sich die Gesundheitsstörungen einerseits ungünstig verstärken, andererseits aber auch ganz erheblich überschneiden (vgl. Teil A Nr. 3.d. VG), wie dies insbesondere Dr. S. nachvollziehbar ausgeführt hat. Überzeugend ist für den Senat auch die Einschätzung des Dr. S., dass die Anhebung des GdB für die Schultererkrankung auf 30 ab 01.03.2008 nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB auf 50 führt. Die mit Einzel-GdB 10 ausgewiesene Gesundheitsstörung Knorpelschäden des linken Kniegelenks führt ohnehin nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung (vgl. Teil A Nr. 3.d.ee VG)."

Die damals im Urteil vom 28.07.2011 getroffene Einschätzung zum GdB der Klägerin, die den Zeitraum ab der erstmaligen Feststellung des Beklagten bis zur gerichtlichen Entscheidung vom 28.07.2011 umfasst, ist nach wie vor gültig; auch heute ist der GdB nicht anders zu bewerten. Irgendeine GdB-relevante Änderung im Gesundheitszustand der Klägerin ist bis heute nicht nachgewiesen, sodass von einer Änderung der Verhältnisse im Sinn des § 48 SGB X gegenüber den Verhältnissen, wie sie dem Abhilfe-Bescheid vom 08.09.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.02.2005 zugrunde gelegt worden sind, nicht ausgegangen werden kann.

Dies - nämlich das Fehlen einer nachweisbaren Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin - ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den umfassenden, auch gutachtlichen Ermittlungen im Verfahren mit dem Az. L 15 SB 135/07 und den sich anschließenden vom SG München und danach vom Senat durchgeführten weiteren Aufklärungsmaßnahmen in dem hier zu entscheidenden Verfahren. Diese Einschätzung beruht zudem auf den eigenen Angaben der Klägerin.

Die äußerst umfangreichen und auf die Klägerin in jeder erdenklichen Weise Rücksicht nehmenden Ermittlungen im Verfahren L 15 SB 135/07 haben ergeben, dass sich im Zeitraum seit der Behördenentscheidung in den Jahren 2004/2005 bis Juli 2011 der Gesundheitszustand der Klägerin nicht nachweislich GdB-relevant verändert hat und für die gesamte Zeit ein höherer GdB als 40 nicht angemessen ist. Auf die Ausführungen im Urteil des Bayer. Landessozialgerichts vom 28.07.2011, wie sie oben wiedergegeben sind, kann insofern vollumfänglich verwiesen werden.

Dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin in der Zeit seit dem Urteil vom 28.07.2011 bis heute nicht relevant verändert hat, ergibt sich aus den eigenen Hinweisen der Klägerin und den Ermittlungen des Senats:

- Die Klägerin selbst hat zur Begründung ihres Neufeststellungsantrags vom 05.09.2011 ärztliche Unterlagen aus der Zeit vor 2010 und die Aufstellung und Beschreibung ihrer Krankheiten vom 27.01.2010 vorgelegt. Diese Unterlagen waren sämtlich bereits im Verfahren vor dem Bayer. Landessozialgericht mit dem
Az. L 15 SB 135/07 eingeführt und wurden dort umfassend gewürdigt. Ergebnis der Würdigung war, dass der GdB 40 nach wie vor betrage und sich gegenüber 2004/2005 der Gesundheitszustand der Klägerin nicht relevant verändert habe. Es lässt sich daher auch heute keine Veränderung feststellen.

Weiter hat die Klägerin auf explizite Nachfrage des Senats vom 18.10.2012 keinerlei Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes gegenüber den am 27.01.2010 gemachten Angaben berichtet, sondern darauf hingewiesen, dass sie die Beschwerden seit 1976 bzw. 1997 und verstärkt seit 2003 habe und seitdem nicht mehr in der Lage sei, ihren Alltag allein zu bewältigen. Aus diesen Ausführungen der Klägerin, die angesichts der eindeutigen und leicht verständlichen Frage des Senats nach einer Verschlechterung im Gesundheitszustand erfolgt sind, ist klar und unzweifelhaft zu entnehmen, dass die Klägerin selbst von einem seit 2003 gleich bleibenden Gesundheitszustand ausgeht.

- Obwohl sich der Senat angesichts der klaren und eindeutigen Auskunft der Klägerin zum Fehlen einer Verschlechterung des Gesundheitszustands zu keinerlei weiteren Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen, hat er gleichwohl nochmals Anfragen an die von der Klägerin angegebenen Ärzte gerichtet. Keiner dieser Ärzte hat über eine Verschlimmerung der Leiden der Klägerin berichtet. Daraus und aus der Tatsache, dass die Klägerin seit fast vier bis eindreiviertel Jahren, jedenfalls bereits ab einem Zeitpunkt, der deutlich vor Erlass des Urteils des Senats vom 28.07.2011 liegt, keine ärztliche Hilfe mehr in Anspruch genommen hat, wird zweifelsfrei ersichtlich, dass jegliche Hinweise auf eine relevante Verschlechterung des Gesundheitszustands der Klägerin fehlen. Angesichts der mehrfachen und umfassenden Begutachtungen der Klägerin im Verfahren L 15 SB 137/10, zuletzt nach Untersuchung im Wege eines Hausbesuchs durch Dr. S. am 20.01.2011, waren weitere gutachtliche Ermittlungen nicht angezeigt.

Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass ein höherer GdB als 40 bis heute nicht nachgewiesen ist.

2. Zum Merkzeichen H

Die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen H sind nicht nachgewiesen.

Ob die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen H schon deshalb nicht festgestellt werden können, weil die Klägerin nicht schwerbehindert im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB IX ist, also ihr GdB nicht mindestens 50 beträgt, und ihr daher gemäß § 1 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 2 Schwerbehindertenausweisverordnung kein Schwerbehindertenausweis ausgestellt werden kann, in den das Merkzeichen einzutragen wäre ist, was offenbar Goebel (vgl. jurisPK-SGB IX, 1. Aufl. 2010, Stand 07.11.2011, § 69 SGB IX, Rdnr. 40) meint, wenn er - ohne dies genauer zu reflektieren - formuliert: "Ist ein schwerbehinderter Mensch hilflos im Sinne des § 33b EStG oder entsprechender Vorschriften, ist im Ausweis das Merkzeichen H einzutragen", oder ob es im Rahmen des Merkzeichens H nicht auf die Schwerbehinderteneigenschaft ankommt, wofür der Wortlaut des § 33 b Abs. 3 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG) ("Für behinderte Menschen, die hilflos im Sinne des Absatzes 6 sind, und für Blinde erhöht sich der Pauschbetrag auf 3 700 Euro.") spricht (so auch das Sächsische Landessozialgericht, Urteil vom 20.09.2010, Az.: L 6 SB 20/09), kann vorliegend dahingestellt bleiben. Denn die Klägerin ist jedenfalls nicht hilflos im einkommensteuerrechtlichen Sinn.

Gemäß § 33 b Abs. 6 Satz 3 EStG ist eine Person hilflos, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den in § 33 b Abs. 6 Satz 3 EStG genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist (§ 33 b Abs. 6 Satz 4 EStG). Diese Fassung des Begriffs der Hilflosigkeit geht auf Umschreibungen zurück, die von der Rechtsprechung im Schwerbehindertenrecht bezüglich der steuerlichen Vergünstigung und im Versorgungsrecht hinsichtlich der gleich lautenden Voraussetzungen für die Pflegezulage nach § 35 Bundesversorgungsgesetz entwickelt worden sind. Dabei hat sich der Gesetzgeber bewusst nicht an den Begriff der Pflegebedürftigkeit nach
§§ 14, 15 Sozialgesetzbuch Elftes Buch angelehnt. Er wollte vielmehr deutlich machen, dass die steuerrechtlich und versorgungsrechtlich bedeutsame Hilflosigkeit von der versicherungs- und sozialhilferechtlich bedeutsamen Pflegebedürftigkeit unabhängig ist (vgl. BSG, Urteil vom 12.02.2003, Az.: B 9 SB 1/02 R).

Im grundlegenden Urteil vom 12.02.2003, Az.: B 9 SB 1/02 R, hat sich das BSG eingehend mit den Voraussetzungen für das Merkzeichen H befasst und dazu Folgendes ausgeführt:

"Bei den gemäß § 33 Abs 6 EStG zu berücksichtigenden Verrichtungen handelt es sich um solche, die im Ablauf eines jeden Tages unmittelbar zur Wartung, Pflege und Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse des Betroffenen gehören sowie häufig und regelmäßig wiederkehren (vgl dazu auch Bürck, ZfS 1998, 97, 100). Dazu zählen zunächst die auch von der Pflegeversicherung (vgl § 14 Abs 4 SGB XI) erfassten Bereiche der Körperpflege (Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren, Darm- und Blasenentleerung), Ernährung (mundgerechtes Zubereiten und Aufnahme der Nahrung) und Mobilität (Aufstehen, Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung). Diese Bereiche werden unter dem Begriff der sog Grundpflege zusammengefasst (vgl § 4 Abs 1 Satz 1, § 15 Abs 3 SGB XI; § 37 Abs 1 Satz 2 SGB V; zur Erläuterung: Höfler in Kasseler Komm § 37 SGB V RdNr 22 mwN). Hinzu kommen nach der Rechtsprechung des BSG (vgl BSGE 72, 285 = SozR 3-3870 § 4 Nr 6; ähnlich auch Nr 21 Abs 3 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem SchwbG, hrsg vom BMA, 1996 ) Maßnahmen zur psychischen Erholung, geistige Anregungen und Kommunikation (Sehen, Hören, Sprechen und Fähigkeit zu Interaktionen). Nicht vom Begriff der Hilflosigkeit umschlossen ist der Hilfebedarf bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen (vgl zB zu § 35 BVG: BSG, Urteil vom 2. Juli 1997, SozR 3-3100 § 35 Nr 6).

Was das Ausmaß des in § 33b EStG angesprochenen Hilfebedarfs anbelangt, geht der Senat von folgenden Grundsätzen aus (vgl dazu Senatsurteil vom 10. Dezember 2002 - B 9 V 3/01 R -, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen):

Die tatbestandlich vorausgesetzte "Reihe von Verrichtungen" kann regelmäßig erst dann angenommen werden, wenn es sich um mindestens drei Verrichtungen handelt, die einen Hilfebedarf in erheblichem Umfang erforderlich machen (vgl BSG SozR 3-3100 § 35 Nr 6; Urteil vom 2. Juli 1997 - 9 RVs 9/96 -, VersorgVerw 1997, 94; vgl auch BT-Drucks 12/5262 S 164). Die Beurteilung der Erheblichkeit orientiert sich an dem Verhältnis der dem Beschädigten nur noch mit fremder Hilfe möglichen Verrichtungen zu denen, die er auch ohne fremde Hilfe bewältigen kann. In der Regel wird dabei auf die Zahl der Verrichtungen, den wirtschaftlichen Wert der Hilfe und den zeitlichen Aufwand abzustellen sein.

Mit Blick auf die gesetzlichen Vorgaben in der sozialen Pflegeversicherung (vgl § 15 SGB XI) hält es der erkennende Senat für sachgerecht, die Erheblichkeit des Hilfebedarfs in erster Linie nach dem täglichen Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen zu beurteilen. Dazu hat er bereits entschieden, dass nicht hilflos ist, wer nur in relativ geringem Umfange, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen ist (vgl BSGE 67, 204, 207 = SozR 3-3870 § 4 Nr 1; BSG SozR 3-3870 § 4 Nr 12; BSG SozR 3-3100 § 35 Nr 6; Senatsurteil vom 10. September 1997 - 9 RV 8/96 -). Daraus ergibt sich jedoch nicht schon, dass bei einem Überschreiten dieser Mindestgrenze in jedem Fall Hilflosigkeit zu bejahen ist. Vielmehr sieht der Senat einen täglichen Zeitaufwand - für sich genommen - erst dann als hinreichend erheblich an, wenn dieser mindestens zwei Stunden erreicht. Diese Grenzziehung soll den Bedürfnissen der Praxis Rechnung tragen (vgl dazu auch das Rundschreiben des BMA vom 31. August 1998 - VI 5-55463-5/1 ); sie ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Da die Begriffe der Pflegebedürftigkeit (vgl §§ 14, 15 SGB XI) und der Hilflosigkeit (vgl § 35 BVG, § 33b EStG) nicht völlig übereinstimmen (vgl dazu BSG SozR 3-3870 § 4 Nr 12), können im vorliegenden Zusammenhang die zeitlichen Grenzwerte der sozialen Pflegeversicherung zwar nicht unmittelbar übernommen werden, sie lassen sich jedoch als gewisse Orientierungspunkte nutzen. Immerhin decken sich die von beiden Begriffen erfassten Verrichtungsbereiche insoweit, als es die sog Grundpflege (Körperpflege, Ernährung und Mobilität) betrifft. Im Rahmen der § 33b EStG (bzw § 35 BVG) sind - wie oben gezeigt - zusätzlich noch der Bereich der geistigen Anregung und Kommunikation und - ebenfalls anders als grundsätzlich in der Pflegeversicherung (vgl BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 8) - Anleitung, Überwachung und Bereitschaft zu berücksichtigen. Da im Hinblick auf den insoweit erweiterten Maßstab bei der Prüfung von Hilflosigkeit leichter ein größerer Zeitaufwand für fremde Betreuungsleistungen erreicht wird als im Bereich der Grundpflege bei der Pflegeversicherung, liegt es nahe, hier von einer Zwei-Stunden-Grenze auszugehen, was dem Grundpflegeerfordernis für die Pflegestufe II der Pflegeversicherung entspricht (vgl § 15 Abs 3 Nr 2 SGB XI).

Ein weiteres Argument für eine solche Grenzziehung lässt sich aus § 33 b EStG selbst gewinnen. Die Höhe des durch diese Vorschrift dem steuerpflichtigen behinderten Menschen gewährten Pauschbetrages von 7.200 DM bzw 3.700 EUR hebt sich außerordentlich von dem Pauschbetrag ab, der behinderten Menschen mit einem GdB von 100 zusteht (1.420 EUR bzw 2.760 DM). Dieser Begünstigungssprung ist nur bei Erforderlichkeit zeitaufwändiger und deshalb entsprechend teurer Hilfeleistungen erklärbar und gerechtfertigt. Eine entsprechende Tendenz ergibt sich auch aus § 65 Abs 2 Satz 2 Einkommensteuerdurchführungsverordnung 2000 (BGBl I, 717), wonach der Nachweis von Hilflosigkeit nicht nur durch einen Schwerbehindertenausweis mit eingetragenem Merkzeichen "H" erbracht werden kann, sondern auch durch die Einstufung als Schwerstpflegebedürftiger in Pflegestufe III nach § 15 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB XI. Da diese Vorschrift lediglich alternative Nachweismöglichkeiten für Leistungen eröffnet, zwingt sie nicht dazu, den für die Bejahung von Hilflosigkeit erforderlichen Zeitaufwand mit mehr als zwei Stunden anzusetzen.

Um den individuellen Verhältnissen des Beschädigten hinreichend Rechnung tragen zu können, erscheint es geboten, bei der Beurteilung von Hilflosigkeit nicht allein auf den zeitlichen Betreuungsaufwand abzustellen. Vielmehr kommt dabei auch weiteren Umständen der Hilfeleistung, insbesondere ihrem wirtschaftlichen Wert, Bedeutung zu. Dieser Wert wird wesentlich durch die Zahl und die zeitliche Verteilung der Verrichtungen mitbestimmt, bei denen fremde Hilfe erforderlich ist. Denn eine Hilfsperson kann regelmäßig nur für zusammenhängende Zeitabschnitte, nicht jedoch für einzelne Handreichungen herangezogen bzw beschäftigt werden. Dieser Umstand rechtfertigt es, Hilflosigkeit im hier geforderten Sinne bereits bei einem täglichen Zeitaufwand für fremde Hilfe zwischen einer und zwei Stunden dann anzunehmen, wenn der wirtschaftliche Wert der erforderlichen Pflege (wegen der Zahl der Verrichtungen bzw ungünstiger zeitlicher Verteilung der Hilfeleistungen) besonders hoch ist."

In den seit 01.01.2009 anzuwendenden VG (dort Teil A, Nr. 4) sind - wie schon zuvor in den AHP 2008 (dort Teil A, Nr. 21) - weitere Vorgaben zum Merkzeichen H gemacht. Zudem sind Regelfälle aufgezeigt, bei denen ohne nähere Prüfung das Vorliegen von Hilflosigkeit angenommen werden kann. Regelbeispiele sind, wenn bei geistiger Behinderung oder Psychosen der GdB allein dadurch mit 100 zu schätzen ist oder wenn der Verlust von zwei oder mehr Gliedmaßen, ausgenommen Unterschenkel- oder Fußamputation beiderseits, vorliegt, wobei als Verlust einer Gliedmaße der Verlust mindestens der ganzen Hand oder des ganzen Fußes gilt.

Nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Dr. S. im Gutachten vom 20.01.2011 und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 27.04.2011, die beide im zuvor durchlaufenen Berufungsverfahren erstattet worden sind und die sich der Senat auch in diesem Verfahren als überzeugend zu eigen macht, kann bei der Klägerin nicht von Hilflosigkeit ausgegangen werden. In Anbetracht der Vorgaben in den VG und der oben aufgezeigten Rechtsprechung ist der gesundheitliche Zustand der Klägerin weit entfernt von dem, was an gesundheitlichen Einschränkungen für eine Hilflosigkeit im Sinne des Merkzeichens H erforderlich wäre. Die Klägerin benötigt allenfalls für einzelne Verrichtungen eine Hilfestellung. Der Hilfebedarf bei den häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen ist keinesfalls erheblich. Die Klägerin ist in der Armmotilität links nicht eingeschränkt und hat keine Einschränkungen beim Gehen. Sie verfügt zudem noch über eine funktionsfähige rechte Hand. Wie der Sachverständige überzeugend festgestellt hat, ist die Klägerin damit weit besser gestellt als Menschen mit den in den Regelbeispielen aufgezeigten Einschränkungen. Diese Einschätzung wird bestätigt durch die Pflegegutachten des MDK Bayern vom 26.05.2010 und vom 28.07.2010. Auch wenn - wie ausgeführt - die Vorgaben für die Beurteilung der Pflegebedürftigkeit nach dem SGB IX und der Hilfebedürftigkeit im Sinn des § 33 b Abs. 6 Satz 3 EStG und die dabei zu berücksichtigenden Zeiten für den Pflege- bzw. Hilfebedarf nicht deckungsgleich sind, so ergeben sich aus den Pflegegutachten doch deutliche Hinweise darauf, dass der Gesundheitszustand der Klägerin nicht die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen H begründet. Wenn berücksichtigt wird, dass die Pflegegutachter einen Zeitaufwand für Grundpflege von nur 26 Minuten am Tag gesehen haben und der von den Pflegegutachtern gesehene Hilfebedarf bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen von täglich 45 Minuten bei der Beurteilung der Hilfebedürftigkeit im Sinn des § 33 b Abs. 6 Satz 3 EStG außer Betracht bleiben muss (vgl. BSG, Urteil vom 12.02.2003, Az.: B 9 SB 1/02 R), verbieten sich jegliche Zweifel an der sachverständigen Einschätzung des gerichtlichen Gutachters Dr. S. im Verfahren L 15 SB 135/07.

Dass sich der heute bei der Klägerin vorliegende Gesundheitszustand nicht nachweislich von dem unterscheidet, wie er bei der Begutachtung durch Dr. S. und den Pflegebegutachtungen vorgelegen hat, ist bereits oben ausführlich erläutert worden, sodass insofern auf die obigen Ausführungen verwiesen werden kann.

Die Berufung ist daher unter jedem Gesichtspunkt unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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