L 5 R 263/13 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 3 R 1153/12 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 263/13 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die finanzpraktische Einschätzung einer Tätigkeit als selbstständig wegen Vorhandenseins mehrerer Auftraggeber hat keine Bindungswirkung für die sozialrechtliche Beurteilung, ob ein Beschäftigungsverhältnis besteht oder nicht.
I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 18.02.2013 wird zurückgewiesen.

II. Die Antragstellerin trägt die Kosten auch der Beschwerde.

III. Der Streitwert wird für das Antragsverfahren der ersten Instanz auf 19.232,73 EUR sowie für das Beschwerdeverfahren auf 18.900,99 EUR
festgesetzt.



Gründe:


I.

Mit Bescheid vom 20.03.2012 und Teilabhilfebescheid vom 18.06.2012 jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.09.2012 forderte die Antragsgegnerin von der Antragstellerin Gesamtsozialversicherungsbeiträge, Umlagen und Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt 303.911,32 EUR nach. Dem lag zugrunde, dass die vormalige Geschäftsführerin der Antragstellerin S. Sch. von 2004 bis 2007 für Arbeitnehmer keine bzw. zu niedrige Sozialversicherungsbeiträge entrichtet hatte und deswegen strafrechtlich am 28.09.2011 wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 166 Fällen in Tatmehrheit mit sieben Fällen des Betrugs gemäß §§ 263, 266a f StGB verurteilt worden war. Gegen die Beitragsnachforderung verfolgte die Antragstellerin zunächst vorläufigen Rechtsschutz vor dem Sozialgericht Augsburg (Az.: S 13 R 59/12 ER), welcher unter dem 21.09.2012, also nach Erlass des Widerspruchsbescheides, erledigt wurde.
Gegen die Nachforderung in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.09.2012 hat die Antragstellerin Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben (Aktenzeichen: S 3 R 1080/12). Unter dem 02.11.2012 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht beantragt, die aufschiebenden Wirkung dieser Klage herzustellen bezüglich der Nachforderungen aus den Beschäftigungen der S. I., M. R., S. B., K. D., A. F. und L. H ... Hinsichtlich S. B. hat die Antragstellerin den Antrag später zurückgenommen. Zu S. I. und M. R. hat die Antragstellerin geltend gemacht, sie seien selbstständig gewesen und steuerrechtlich auch als solche eingeschätzt worden. Hierzu hat die Antragstellerin eine eidesstattliche Versicherung der S. I. vorgelegt. Hinsichtlich K. D., A. F. und L. H. habe die Antragsgegnerin zu Unrecht keine geringfügige Beschäftigung angenommen.
Mit Beschluss vom 18.02.2013 hat das Sozialgericht den Antrag abgewiesen und den Streitwert auf 75.977,83 EUR festgesetzt. Die Rechtmäßigkeit der Beitragsnachforderungen ergebe sich im Rahmen einer summarischen Prüfung in Auswertung des Strafverfahrens. Eine unbillige Härte sei nicht erkennbar.
Dagegen hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt und im Wesentlichen vorgetragen, die vormalige Geschäftsführerin Sch. sei in Bezug auf S. I. und M. R. nicht verurteilt worden. Die Antragstellerin habe S. I. und M. R. entsprechend der steuerrechtlichen Einschätzung als Selbstständige behandeln dürfen. Die Streitwert sei fehlerhaft festgesetzt, weil sich der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nicht gegen die vollständige Beitragsnachforderung gerichtet habe.
Die Antragsgegnerin hat eingewandt, hinsichtlich K. D., A. F. und L. H. sei die Beschwerde nicht begründet worden. In Bezug auf S. I. sei das Strafverfahren nur aus prozessökonomischen Gründen eingestellt worden, tatsächlich sei diese jedoch abhängig beschäftigt gewesen. Eine Gewerbeanmeldung oder die steuerliche Behandlung sei nicht vorgreiflich für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung. Im Strafurteil fänden sich zu M. R. Feststellungen, dass diese von März bis Juli 2006 beschäftigt gewesen sei. Der Streitwert der Beschwerde sei auf 18.900,99 EUR festzusetzen, denn im Beschwerdeverfahren sei aus der Beitragsnachforderung von 75.603, 94 EUR nur ein Teil strittig. Erstinstanzlich seien zusätzlich in Bezug auf S. B. noch Beiträge iHv 846,49 EUR zuzüglich Säumniszuschläge iHv 480,50 EUR streitig gewesen.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 18.02.2013 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Beitragnachforderungsbescheid vom 20.03.2012 in der Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 18.06.2012 jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.09.2012 insoweit anzuordnen, als dort Nachforderungen für die Personen S. I., M. R., K. D., A. F. sowie L. H. enthalten sind.

Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 SGG). Das erledigte Verfahren S 13 R 559/12 ER steht dem vorliegenden Verfahren nicht entgegen, da dort die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs streitig war, vorliegend die aufschiebende Wirkung der Klage aus dem Ursprungsbescheid nach Abänderung durch Teilhilfebescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids beantragt ist und zwar beschränkt auf konkret benannte personenbezogene Tätigkeiten. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.

1. Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen - wie hier - die Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung hat, diese ganz oder teilweise anordnen. Die Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung gerichtlich ausnahmsweise angeordnet wird, richtet sich nach einer Abwägung des Aufschubinteresses einerseits und des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung der Beitragsnachforderung andererseits. Dabei ist in vorsichtiger Anlehnung an § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG zunächst zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen (BT-Drs 14/5943 unter Bezug auf BVerwG NJW 1974, 1294; ständige Rechtsprechung, vgl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.07.2011 - L 8 R 287/11 B ER; Bayer. Landessozialgericht, Beschluss vom 30.07.2012 - L 5 R 267/12 B ER). Die Regelungen in § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG, § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG verlagern damit bei Beitragsbescheiden das Vollzugsrisiko grundsätzlich auf den Adressaten (ständige Rechtsprechung, vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03.07.2012 - L 8 R 878/11 B ER; Bayer. Landessozialgericht, Beschluss vom 14.11.2012 - L 5 R 890/12 B ER).

2. In Anwendung dieser Grundsätze auf das vorliegende Beschwerdeverfahren ist festzustellen, dass in den beigezogenen Ermittlungsakten, die Grundlage der Beitragsnachforderung der Antragsgegnerin waren, ausführliche, im Wege des Urkundenbeweises verwertbare Vernehmungen der K. D. vom 30.06.2008 (09.00 - 11.50 Uhr), M. R. vom 30.06.2008 (12:05 - 13.50 Uhr) sowie der S. I. vom 01.10.2007 (17.40 - 18.50 Uhr) dokumentiert sind. In Auswertung der dort festgehaltenen Angaben und in Abgleichung mit den weiteren, der Beitragsnachforderung zugrunde liegenden Ermittlungen ist im Rahmen der vorliegend anzuwendenden summarischen Überprüfung die Einschätzung der Beklagten nicht zu beanstanden, dass insoweit beitragspflichtige Beschäftigungsverhältnisse bestanden hatten. Denn die Benannten waren in den Betrieb der Antragsgegnerin eingegliedert tätig gewesen. Ob die steuerliche Praxis, ein Dienstverhältnis im Sinne von § 2 Abs. 1, § 19 Abs. 1 EStG, § 1 Abs. 1, 3 LStDV allein bei Vorliegen mehrerer Auftraggeber zu verneinen, mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu vereinbaren ist (BFH Urteile vom 14. Juni 1985 - VI R 150-152/82, BFHE 144, 225; vom 23. Oktober 1992 - VI R 59/91, BStBl II 1993, 303; vom 2. Dezember 1998 - X R 83/96, BStBl II 1999, 534), braucht vorliegend nicht entschieden zu werden. Denn die finanzpraktische Einschätzung einer Tätigkeit als Selbstständige bindet die sozialrechtliche Einschätzung ohnehin nicht.
Hinsichtlich der weiteren von der Beitragsnachforderung umfassten Personen D., F. und H. ist im Rahmen der vorliegenden summarischen Prüfung die beitragsrechtliche Behandlung der gezahlten Entgelte nicht zu beanstanden.
Da auch die Höhe der Beitragsnachforderung nach den vorliegenden Dokumenten zutreffend ermittelt wurde und weil eine besondere Härte weder erkennbar ist noch mit der Beschwerde geltend gemacht wurde, bleibt die Beschwerde ohne Erfolg.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs. 2 VwGO.

4. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Halbs. 1 SGG iVm § 63 Abs. 2, § 52 Abs. 1, Abs. 3, § 44 GKG. Die Festsetzung des Streitwerts für alle Instanzen folgt aus § 63 Abs. 3 GKG (vgl. BSG, Urteil vom 13.11.2012 - B 1 KR 24/11 R, Rn. 47). Der Streitwert der Beschwerde richtet sich nach den von der Antragsgegnerin zutreffend berechneten Nachforderungen für die Personen I., R., D., F. und H., welche gesamt 75.603,94 EUR betragen. In Anwendung des Viertelungsverfahrens für den vorliegenden vorläufigen Rechtsschutz ergibt sich als Streitwert der Beschwerde 18.900,99 EUR. Für den erstinstanzlichen Streitwert ist zu berücksichtigen, dass ursprünglich auch die Nachforderung zu S. B. strittig war. Auf diese waren 846,49 EUR zuzüglich 480,50 EUR Säumniszuschläge entfallen, so dass der erstinstanzliche Streitwert auf 19.232,73 EUR zu berichtigen ist.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar gemäß § 177 SGG und beendet das Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes.
Rechtskraft
Aus
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